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Titel: «Ich halte es für wichtig, dass wieder Brücken gebaut werden»
Datum: 30. November 2021 um 11:30 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Interviews, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich: Redaktion
Daniele Ganser wirbt mit einer Plakat-Aktion gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Corona-Transition sprach mit dem Historiker. Wir veröffentlichen dieses Interview von Corona-Transition auf den NachDenkSeiten und weisen auf die Plakate hin. Danke vielmals an Daniele Ganser und Corona-Transition. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Viele Menschen fühlen zunehmend, wie sich die Gesellschaft immer mehr spaltet. Eine Entwicklung, die vielen Sorgen bereitet. Dagegen gilt es aktiv zu werden, findet der Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser. «Lasst uns wieder Brücken bauen. Alle gehören zur Menschheitsfamilie. Sowohl Ungeimpfte, als auch Geimpfte», lautet die Botschaft Gansers, die Pendler seit Montag in den Bahnhöfen Basel, Bern und Zürich auf grossformatigen Plakaten lesen können.
Herr Ganser, wie kam es zu dieser Aktion?
Ich sehe, dass sich auch in der Schweiz zwei Gruppen bilden: Die Geimpften und die Ungeimpften. Viele gehen locker damit um. Aber es kommt mitunter auch zu Spannungen. Daher halte ich es für wichtig, dass wieder Brücken gebaut werden, damit die Spaltung nicht noch tiefer wird. Sowohl Ungeimpfte wie auch Geimpfte gehören zur Menschheitsfamilie. Jede und jeder soll selber entscheiden, ob er oder sie sich impfen lassen will, ohne Druck, ohne Abwertung. Das ist das Ziel dieser Kampagne.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Politik und Medien im Hinblick auf die Spaltung der Gesellschaft?
Die Leitmedien und die Politiker haben in den letzten Monaten sehr zu dieser Spaltung beigetragen, leider. In einer selbst für den öffentlichen Rundfunk extrem polarisierenden Hassrede trommelte am 19. November 2021 auf ARD eine streng und vorwurfsvoll dreinblickende Sarah Frühauf gegen Ungeimpfte und forderte für Deutschland die Impfpflicht. Sie sagte: «Herzlichen Dank – an alle Ungeimpften! Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown – vielerorts wieder ohne Weihnachtsmärkte, vielleicht wieder ohne die Weihnachtsfeiertage im Familienkreis … Alle Impfverweigerer müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, an der derzeitigen Situation mit schuld zu sein.» Das wirkt sehr spaltend und ist abwertend gegenüber den Ungeimpften. Die ARD sollte nicht so spalten, sondern lieber über die neusten Forschungsresultate berichten. Dr. Subramanian, Professor für Bevölkerungsgesundheit an der renommierten Harvard University in den USA, hat 68 Länder untersucht und sagt: Die Zunahme der Covid-Fälle erfolgen unabhängig von der Impfquote. Island und Portugal zum Beispiel haben eine Impfquote von über 75% und trotzdem mehr Covid-Fälle als Vietnam und Südafrika mit einer Impfquote von 10%.
Wie können sich die einzelnen Menschen davor schützen, dass sie in der schwierigen Zeit nicht permanent negativen und belastenden Gefühlen ausgeliefert sind?
Die Gedanken, die uns durch den Kopf gehen, lösen unsere Gefühle aus. Weil wir alle verschiedene Gedanken haben, abhängig davon, was wir lesen, sehen und hören, sind auch unsere Gefühle ganz unterschiedlich. Achtsamkeit lehrt uns den Blick nach innen zu richten. Es ist wertvoll, die eigenen Gedanken und Gefühle zu beobachten und zu erkennen, dass sie sich immer wieder verändern. Wir sind das Bewusstsein, in dem Gedanken und Gefühle aufsteigen und wieder vergehen. Es gibt keinen Grund, sich mit den flüchtigen Gedanken und Gefühlen zu identifizieren. Es reicht, diese zu beobachten. So bleibt man offen für andere Gedanken und tolerant. Wichtig ist auch, viel in der Natur zu spazieren und Menschen zu treffen, mit denen man sich friedlich und ehrlich austauschen kann. Manchmal hilft auch mediales Fasten, also Digital Detox, weil die Medien unsere Gedanken sehr aufwühlen können, und damit auch unsere Gefühle.
Die Plakate hängen am Bahnhof Basel, Bern und Zürich. Foto: z.V.g.
Sie haben viel über Krieg und verdeckte Operationen geschrieben. Sehen Sie in der gegenwärtigen Corona-Politik der Regierungen Ähnlichkeiten zu Kriegssituationen?
Ich habe in meinen Büchern dargelegt, dass Kriege der Bevölkerung immer über Lügen verkauft werden. Der illegale Angriff der USA auf den Irak 2003 zum Beispiel wurde so verkauft, dass die Politiker und die Zeitungen und Fernsehsender behauptet haben, der Irak habe Massenvernichtungswaffen. Diese Gedanken erzeugen bei den Menschen Gefühle wie Angst oder Hass. Damit wird dann Krieg geführt. Nach dem Krieg kam aus: Der Irak hatte gar keine Massenvernichtungswaffen! Der Irakkrieg forderte mehr als 1 Million Tote. Auch der Angriff der USA auf Vietnam 1964 begann mit einer Lüge. Damals gab es dann drei Millionen Tote. Ich kann also belegen: Kriegspropaganda erzeugt sehr viel Leid. Es ist daher wichtig, dass wir wacher werden, gerade in bewegten Zeiten wie diesen.
Was kann uns die Geschichte zum Thema Spaltung lehren?
In Europa hatten wir die Spaltung in Katholiken und Protestanten. Die haben sich getötet. Und jede Gruppe war überzeugt, im Besitz der Wahrheit zu sein. Man nennt das in der historischen Forschung Dogmatismus oder Fundamentalismus. Dabei ist der Mensch zu hundert Prozent mit seinen Gedanken identifiziert und unfähig, die andere Position zu sehen. Im Vietnamkrieg haben die USA die Vietnamesen als Termiten abgewertet; im Dritten Reich haben die Nationalsozialisten die Juden als Tiere diffamiert. Zuerst kommt immer die Spaltung der Menschheitsfamilie in verschiedene Gruppen. Danach kommt die Abwertung. Und wenn es schlecht läuft kommt danach das Töten. Die Geschichte lehrt uns also: Nicht spalten, nicht abwerten, denn das ist sehr gefährlich!
Was raten Sie den Menschen im Alltag, um der Spaltung entgegenzuwirken?
Niemand hat zu allen Fragen zu 100 Prozent Recht. Das ist nicht möglich. Das Leben und das Universum sind komplex. Wir sehen immer nur einen Teil, und bilden uns auf dieser Basis eine Meinung. Das ist auch ok. Weil ja niemand alles sehen und alles verstehen kann. Aber wir sollten uns daran erinnern, dass es eine Meinung ist, vielleicht eine gut begründete Meinung, aber weiterhin eine Meinung. Andere Menschen sehen andere Dinge. Und da hilft dann in der Diskussion der Satz: «Du hast teilweise recht» enorm. Weil dann fühlt sich der andere Mensch wahrgenommen und wertgeschätzt. Das ist sehr wichtig in der friedlichen Kommunikation.
Können Sie der momentanen Situation auch Positives abgewinnen?
Zum Beispiel kann jetzt jeder seinen Medienkonsum optimieren und herausfinden, wer was schreibt und wie das auf einen wirkt. Ich glaube, viele bauen jetzt gerade ihre Medienkompetenz aus. Zudem vernetzen sich die Menschen und suchen neue Wege. Es kann und muss ja viel Neues entstehen, weil viel Altes nicht mehr funktioniert. Es ist ehrlich gesagt ein Privileg, als Historiker in revolutionären Zeiten zu leben. Und das sind ganz sicher revolutionäre Zeiten. Es ist auch anstrengend. Aber sehr spannend.
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Auf die Reaktionen angesprochen, die seine Kampagne bisher ausgelöst hat, zeigt sich Ganser sichtlich zufrieden. Er habe in den vergangenen Tagen viel positive Resonanz erhalten. Eine Frau schrieb ihm: «Als ich gestern aus dem Zug stieg, stand ich direkt vor dem Plakat und traute meinen Augen nicht. Welch eine Wohltat in diesen Zeiten. Danke dafür! Immerhin habe ich dank Corona zu Ihnen und Ihren Vorträgen gefunden, die mich schon die ganze Zeit über sehr gestärkt haben – insbesondere Ihr Vortrag zum Thema Angst in Wien.»
Das Interview führte Dr. phil Mirjam Rigamonti für Corona-Transition. Rigamonti ist Psychotherapeutin FSP, Kunstschaffende und Friedensaktivistin aus Rapperswil. zeit-wende.net
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=78450