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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Eskalation des Konflikts zwischen West und Ost läuft auf Touren – maßlos und verantwortungslos
Datum: 29. November 2021 um 13:16 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Die Sorge um einen möglichen Krieg zwischen West und Ost treibt mich um. Das habe ich zuletzt in einem Vortrag in Karlsruhe am 6. November Willy Brandts Entspannungspolitik – einst gestaltet – heute verspielt – künftig überlebensnotwendig begründet, und dann indirekt noch einmal bei der Analyse des außen- und sicherheitspolitischen Teils der Koalitionsvereinbarung Rückfall in die Systemkonkurrenz d. h. Rückfall in den Kalten Krieg. Zusätzlich beunruhigend ist die Sorglosigkeit, mit der hochrangige Politikerinnen und Politiker, Medien und die allgemeine Öffentlichkeit mit der nun wirklich scharfmacherisch werdenden Eskalation umgehen. Aktueller Anstoß für diesen Hinweis ist ein kleiner Artikel, der heute in der FAZ erschien. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Darin wird von einem gemeinsamen Besuch der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und des NATO-Generalsekretärs Stoltenberg in Litauen berichtet. Der einspaltige und 15-zeilige Text enthält gleich mehrere Formulierungen, die der Eskalation dienen.
Schon die Tatsache, dass die oberste Vertreterin der Europäischen Union und der wichtigste Repräsentant der NATO gemeinsam in einen baltischen Staat reisen, macht den Russen und der russischen Regierung noch einmal deutlich, wie sehr sie in der Zeit nach 1990 mit der Ausdehnung der NATO bis an die russische Grenze betrogen worden sind.
Dann wird vor „Angriffen“ der Machthaber in Russland und Belarus auf die baltischen Staaten gewarnt. Diese Formulierung dient gezielt der gängigen Behauptung des Westens, Russland sei die angreifende Nation.
Dann wird nicht nur wie üblich in Bezug auf den weißrussischen Präsidenten von Machthaber gesprochen, es ist zudem auch vom „Machthaber in Russland“ die Rede.
Dann spricht von der Leyen von „unseren Gegnern“.
Dann wird „unseren Gegnern“ unterstellt, sie würden hybride Angriffe gegen uns führen, um von ihren internen Problemen abzulenken.
Es galt einmal als Regel für die deutsche Außenpolitik, dass die handelnden Personen Vertrauen aufbauen sollten. Das ist offensichtlich lange her. Heute wird, koste es, was es wolle, Misstrauen gesät. Das ist ein totaler Bruch in der Außenpolitik unseres Landes. Aus meiner Sicht auch ein gefährlicher Bruch.
Weil das Thema wichtig ist, habe ich nachgeschaut, wie andere deutsche Medien mit dem Vorgang umgehen. Einige Beispiele dafür finden Sie im Teil A der folgenden Zusammenstellung. In Teil B sind dann einige Berichte enthalten, die die ausgesprochen kurze Entstehungsgeschichte dieses Teils der neuen Konfrontation zeigen: Die USA zeigten sich besorgt über „ungewöhnliche russische Militärmanöver“. Daraus wurde dann eine Angriffsabsicht Russlands. Und das innerhalb kürzester Zeit – allerdings früher schon ähnlich eingeübt.
Teil A: Verschiedene Berichte
„Wird Konsequenzen haben“
Nato warnt Moskau vor einem Angriff auf die Ukraine
Die Nato ist alarmiert wegen russischer Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine. Auch die Bundesregierung äußert sich deutlich.
Russische Truppenbewegungen im Grenzgebiet mit der Ukraine sorgen weiter für heftige Spannungen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte Moskau am Freitag vor einem Angriff auf die Ukraine. „Jeder Einsatz von Gewalt gegen die Ukraine wird Konsequenzen haben, wird zu Kosten für Russland führen“, sagte er in Brüssel.
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Truppenbewegungen an der Grenze
Nato warnt Russland vor Angriff auf die Ukraine
Nach Nato-Angaben fährt Russland Panzer an der ukrainischen Grenze auf. Generalsekretär Stoltenberg verschärft jetzt den Ton. Auch eine US-Diplomatin äußert sich besorgt.
26.11.2021, 21.59 Uhr
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VON DER LEYEN UND STOLTENBERG:
EU und NATO bekräftigen Solidarität mit Balten
Erstmals sind die Chefs der Europäischen Union und des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses gemeinsam unterwegs. Sie wollen künftig noch enger zusammenarbeiten – und warnen Moskau und Minsk.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg haben Litauen und Lettland am Sonntag bei einem gemeinsamen Besuch des Rückhalts ihrer Organisationen versichert. In ihren Gesprächen mit den Regierungschefs beider Länder und dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda ging es sowohl um die Lage an den Grenzen zu Belarus als auch um den russischen Aufmarsch an den Grenzen zur Ukraine.
Von der Leyen und Stoltenberg hoben die enge Kooperation zwischen EU und NATO bei der Abwehr hybrider Gefahren hervor und bekräftigten ihren Willen, die Zusammenarbeit mit einer neuen gemeinsamen Erklärung auf eine „neue Stufe zu heben“. Die gemeinsame Reise – ein Novum – erfolgte vor einem Treffen der NATO-Außenminister am Dienstag und Mittwoch in Riga. Die Minister werden über die Gefahr eines russischen Angriffs auf die Ukraine und mögliche Gegenmaßnahmen beraten.
Russland vor Angriff auf Ukraine gewarnt
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Anmerkung: Von freier, kritischer Presse ist da nichts mehr zu spüren. Das ist nackter Kampagnenjournalismus.
SICHERUNG DER EU-AUSSENGRENZE
EU und NATO sichern Ostländern Beistand im Konflikt um Migranten zu
Angesichts der Situation an der Grenze zu Belarus waren die Spitzen von EU und NATO in Litauen. Der dortige Präsident fordert von der NATO ein Überdenken der Beziehungen zu Belarus.
In der Krise um Migranten an der östlichen Außengrenze der Europäischen Union haben die EU und die NATO den dortigen Mitgliedsländern ihre Solidarität versichert. „Ich möchte Ihnen hier die volle Solidarität der EU mit Litauen, Polen und Lettland in diesen sehr herausfordernden Zeiten versichern“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch in Litauen.
Die EU werde zur Grenzsicherung in diesem und nächstem Jahr 200 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte nach einem Treffen mit Staatspräsident Gitanas Nauseda in Vilnius: „Kein Nato-Verbündeter ist auf sich allein gestellt.“
Baltikum: Angst vor russischer Aggression
Die EU wirft dem autoritär regierenden belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen im Nahen Osten und Afrika gezielt nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie in die EU zu schleusen.
Von der Leyen sprach von einem „absichtlichen, zynischen und gefährlichen Hybridangriff“. Stoltenberg sagte, das Lukaschenko-Regime benutze unschuldige Menschen, um Druck auf die Nachbarstaaten auszuüben. Beide kündigten an, die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO zu stärken.
Litauens Präsident Gitanas Nauseda fordert von der westlichen Militärallianz ein Überdenken der Beziehungen zu Belarus. Das belarussische Militär sei zunehmend integriert in die russischen Streitkräfte, sagte Nauseda bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit von der Leyen und Stoltenberg.
Flüchtlinge in Belarus zwischen Hoffnung und Resignation
Das stelle das Bündnis vor neue Herausforderungen, und es sollte seine Strategie und Taktik anpassen, um bereit zu sein zu antworten, führte Nauseda aus. Er zeigte sich überzeugt, dass Belarus die NATO und die Europäische Union auch weiterhin testen werde. Dies gelte auch für die Fähigkeit, zu reagieren und hybriden Angriffen entgegenzutreten.
Stoltenberg forderte Russland auf, Spannungen abzubauen. „Die NATO bleibt wachsam“, sagte er. „Wir sind bereit, unsere Alliierten zu verteidigen.“ Dabei bezog er sich auch auf einen „nicht erklärten und ungerechtfertigten“ Truppenaufmarsch Russlands an der ukrainischen Grenze. Russland hatte derartige Vorwürfe zurückgewiesen.
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dw.com/de/eu-und-nato-sichern-ostl%C3%A4ndern-beistand-im-konflikt-um-migranten-zu/a-59961954
B. Der Beginn dieser neuen Drehung der Spirale der Aggression
An der ukrainischen Grenze
Kritik an russischem Militärmanöver
Stand: 15.11.2021 05:16 Uhr
Bereits vergangene Woche hatten die USA von Russland Aufklärung über „ungewöhnliche“ Aktivitäten der Armee im Grenzgebiet zur Ukraine gefordert. Jetzt haben sie die Truppenbewegungen gemeinsam mit Frankreich kritisiert.
Die USA und Frankreich haben gemeinsam Russland für Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze kritisiert. Die Außenminister der beiden Länder, Antony Blinken und Jean-Yves Le Drian, hätten Berichte über „besorgniserregende russische Militäraktivitäten in und in der Nähe der Ukraine“ besprochen, sagte ein US-Sprecher.
Dabei hätten sie „ihr unerschütterliches Engagement für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine“ bekräftigt. Die USA hatten am Donnerstag von Moskau Aufklärung über „ungewöhnliche“ Aktivitäten der Armee im Grenzgebiet zur Ukraine gefordert.
Blinken warnt vor Einmarsch in Ukraine
Außenminister Blinken warnte Russland vor einem Einmarsch in die Ukraine – dies wäre ein „schwerwiegender Fehler“. Die ukrainische Armee kämpft seit der russischen Annexion der Krim gegen pro-russische Separatisten im Osten des Landes. Der Westen wirft Russland vor, die Separatisten zu unterstützen, was die Regierung in Moskau bestreitet.
Im März hatte Russland bei einem massiven Truppenaufmarsch Tausende Soldaten, schwere Militärausrüstung, Marineschiffe und Luftwaffenflugzeuge nahe der ukrainischen Grenze und in der Region der annektierten Krim-Halbinsel zusammengezogen. Die Truppenbewegungen nährten Befürchtungen, dass es zu einem russischen Einmarsch in die Ukraine kommen könnte. Nach Wochen erklärte Moskau das angebliche Manöver schließlich für beendet und zog seine Soldaten wieder ab.
Putin: „Kein Grund, die Spannungen zu verstärken“
Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach eigener Aussage kein Interesse an einer Zuspitzung der Lage in der Schwarzmeer-Region. Deshalb habe er einen Vorschlag seines Verteidigungsministeriums abgelehnt, als Reaktion auf NATO-Aktivitäten dort Militärübungen abzuhalten, sagte Putin in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem Sender Rossiya-1.
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Russisch-ukrainische Grenze
Der Ton wird rauer
Stand: 22.11.2021 20:26 Uhr
Russische Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze bereiten Kiew und der NATO seit einiger Zeit Sorgen. Moskau aber spricht von „kriegslüsterne Rhetorik“ der Ukraine und spart auch nicht mit Kritik an den USA.
Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, die angespannte Lage an ihrer Grenze zu verschärfen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf Kiew eine „kriegslüsterne Rhetorik“ vor. Äußerungen ukrainischer Militärs könnten „einen Wunsch zu Provokationen reflektieren und den Konflikt in eine heiße Phase zu drehen“, so Lawrow.
Ukraine weist Vorwürfe zurück
Der Ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wies seinerseits russische Vorwürfe als „Desinformation“ zurück, die Ukraine plane eine Militäroffensive im von prorussischen Separatisten kontrollierten Donbass. Kubela twitterte: „Lassen Sie mich offiziell erklären: Die Ukraine plant keine militärische Offensive im Donbass. Wir widmen uns der Suche nach einer politischen und diplomatischen Lösung des Konflikts.“
Neben der Ukraine übte die russische Regierung auch heftige Kritik an den USA. Laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow folgten Berichte in US-Medien über eine geplante russische Invasion in der Ukraine zudem einem Plan, Russland in Verruf zu bringen. Peskow sagte, die USA und ihre Verbündeten könnten „aggressive Absichten in Kiew verschleiern und versuchen, das Problem des Südostens mit Gewalt zu lösen“.
Er spielte damit offenbar auf den kürzlichen Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in Kiew an, bei dem dieser erklärte, Russlands Strategieplan sehe eine Verstärkung der Truppen vor und dann eine Invasion, „fälschlicherweise behauptend, es sei provoziert worden“. Russland werde zunehmend provoziert, „und diese Provokationen sind mit Waffen durchgeführt worden, die NATO-Länder der Ukraine geschickt haben“, so Peskow. Moskau beobachte das mit großer Sorge.
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Konflikt in Osteuropa
USA besorgt über „ungewöhnliche russische Militärmanöver“
26.11.2021, 20:09 Uhr | dpa
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Unweit der ukrainischen Grenze kommt es zu russischen Truppenbewegungen. Die US-Regierung ist deshalb alarmiert – auch weil die Ukraine offenbar einen Staatsstreich befürchtet.
Die US-Regierung ist besorgt über „ungewöhnliche russische Militärmanöver“ unweit der Ukraine. „Wir sind immer sehr besorgt, wenn wir ungewöhnliche russische militärische Aktivitäten in der Nähe der Ukraine beobachten. Ich kann nicht sagen, welche Absichten Russland hier verfolgt“, sagte die für Europa zuständige Top-Diplomatin Karen Donfried am Freitag in einer Telefonschalte mit Journalistinnen und Journalisten. Man beobachte die Situation in der Region sehr genau.
US-Außenminister Antony Blinken werde in der kommenden Woche am Treffen der Nato-Außenminister in Riga teilnehmen. „Ich gehe davon aus, dass die Minister die wichtigen Chancen und Herausforderungen, vor denen das Bündnis steht, erörtern werden – insbesondere die großen und ungewöhnlichen Truppenbewegungen Russlands in der Nähe der Ukraine“, sagte Donfried. Blinken werden außerdem beim Ministerrat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Stockholm dabei sein.
Ukrainischer Präsident rechnet mit Putschversuch
Zu Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, wonach Russland einen Staatsstreich in seinem Land plane, sagte Donfried: „Ich kann Ihnen versichern, dass wir die Erklärungen (…) sehr wohl zur Kenntnis genommen haben.“ Die US-Regierung stehe in Kontakt mit der ukrainischen Regierung, um die Angelegenheit weiter zu erörtern. “Wir arbeiten daran, zusätzliche Informationen zu erhalten.” Selenskyj hatte am Freitag vor der Presse in Kiew gesagt: „Ich habe die Information erhalten, dass am 1. Dezember in unserem Land ein Staatsstreich stattfinden wird.“ Es gebe Tonaufnahmen, auf denen Vertreter Russlands und des reichsten Ukrainers Rinat Achmetow einen Umsturz planen würden.
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Vorbemerkung: Typischer Fall des Eingreifens einer Sonderorganisation, man könnte auch sagen einer NGO in Propaganda und Meinungsbildung. Darauf weise ich auch deshalb besonders hin, weil solche Einrichtungen in den letzten Jahren verstärkt in Position gebracht und genutzt werden, um Meinungsmache durch sogenannte Experten abzustützen.
Russischer Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze: Eine Invasion ist möglich
André Härtel
Bereits im März hatte Russland Truppen nahe der Ukraine zusammengezogen. Die dort nun wiederholten Militäraktivitäten sind mehr als nur eine Drohung. Der Westen sollte die Möglichkeit einer weiteren militärischen Intervention Russlands ernst nehmen, meint André Härtel.
Die meisten Experten sind sich hinsichtlich des russischen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine Anfang November einig: Russland geht es ähnlich wie schon im Frühjahr um eine Drohgebärde gegenüber der Ukraine und dem Westen, nicht um einen Einmarsch in das Nachbarland. Diese Interpretation hat einen entscheidenden Vorteil: Sie ist bequem und zwingt westliche Regierungen nicht zum entschiedenen Handeln. Während angesichts der Krim-Annexion 2014 eine generelle Vorsicht gegenüber Russland geboten sein sollte, wird zum einen außer Acht gelassen, dass sich die Eskalationsspirale im russisch-ukrainischen Konflikt seit dem Frühjahr immer schneller dreht. Zum anderen wird ignoriert, dass das russische Ziel einer vollständigen Kontrolle über die Ukraine auch ohne die immer wieder erwähnten unangemessenen Kosten erreicht werden kann. Aus diesem Grund können extreme Szenarien wie ein russischer Einmarsch in Teile der Ukraine aktuell nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr sollte das Worst-Case-Szenario einer abgestuften Invasion, bei der Russland mit gezielten Interventionen einen Vorwand für den Einmarsch schafft, und dessen mögliche Konsequenzen ernsthaft diskutiert werden.
Der Westen verkennt Russlands Befindlichkeiten
Russland hat es seit Beginn des Ukrainekonflikts trotz der Krim-Annexion, Besetzung von Teilen des Donbass und weiterer Destabilisierungsversuche nicht geschafft, sein strategisches Ziel der mittelbaren Kontrolle des Nachbarlandes zu erreichen. Vielmehr ist es der Ukraine gelungen, sich vom Konflikt im Osten zu isolieren, ihre Staatlichkeit zu stärken und näher an den Westen zu rücken. Selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der 2019 als Friedensstifter angetreten war, hat nach einigen diplomatischen Experimenten die Rolle des anti-russischen Kriegsherrn eingenommen. Mehr noch: Seit dem Sommer zeigen sich Selenskyj und dessen Militärführung forsch, lassen öffentlichkeitswirksam die Abwehr von russischen Invasionsversuchen üben und Drohnenangriffe gegen die Separatisten fliegen. In Russland schwindet die Hoffnung, dass sich mit den bisher angewandten Druckmitteln ein Politikwechsel oder gar eine russlandfreundliche Führung in Kiew installieren lässt.
Im Westen wird unterschätzt, wie empfindlich Moskau auf die schwierige Lage im Donbass und das zur Schau gestellte ukrainische Selbstbewusstsein reagiert. Anders als in Washington oder Brüssel, wo die Ukraine nüchtern als klar unterlegene Partei in einem stark asymmetrischen Konflikt gesehen wird, ist die Perspektive Moskaus auf Kiew durch Reputationsfragen bestimmt – was Kiew mindestens zu einem großen Ärgernis und maximal zur Bedrohung »aufwertet«. Jedenfalls muss der Effekt, den die trotz sieben Jahre kriegerischem Konflikt zwischen den einstigen Bruderstaaten anhaltende ukrainische Unnachgiebigkeit auf Moskau hat, in die Analyse der russischen Politik einbezogen werden. Die nachhaltige Unterminierung des Normandie-Formats und Moskaus Insistieren auf die für Kiew inakzeptable Forderung, direkt mit den Separatisten zu verhandeln, ist so auch als Eingeständnis der eigenen Frustration angesichts eines Pyrrhussieges zu werten. Russlands Präsident Putin und sein ehemaliger Premier Medwedew haben Kiew und dem Westen ihre maximalen Absichten in der ukrainischen Frage und auch den eigenen Unglauben an eine Verhandlungslösung mehrfach klargemacht. Wenn diese Interpretation zutrifft, hätte der russisch-ukrainische Konflikt eine unberechenbare Phase erreicht, weil sie durch von Statusfragen getriebene Eskalationsbereitschaft und den fehlenden Zugriff westlicher Diplomatie gekennzeichnet ist.
Möglichkeit der abgestuften Invasion
Beobachter attestieren der ukrainischen Armee heute eine bessere Verteidigungsfähigkeit als in den Jahren 2014 und 2015. Aufgrund der Kampferfahrungen der vergangenen Jahre, der Stabilisierung der Kontaktlinie durch die Truppen und die anhaltende Modernisierung des gesamten Verteidigungssektors ist tatsächlich eine graduelle Verbesserung eingetreten. Die ukrainische Armee bleibt gegenüber ihrem russischen Pendant aber vor allem mit Blick auf die Luftstreitkräfte klar unterlegen.
Diese Tatsache begünstigt bisher wenig diskutierte Szenarien, bei denen die russische Armee in einer von den Kosten her überschaubaren abgestuften Strategie in der Ukraine intervenieren und deren Führung über immer neue taktische Lagen zu politischen Zugeständnissen zwingen könnte. Denkbar wäre beispielsweise, dass Russland die jüngsten Drohnenangriffe auf Stellungen der Separatisten als Vorwand nutzt, um erneut »zum Schutz der lokalen Bevölkerung« in den besetzten Donbass einzumarschieren. Obwohl diese Form eines russischen Einmarsches keinen Einfluss auf die existierende territoriale Situation der Ukraine hätte, würde ein solches Szenario die Führung in Kiew massiv unter Druck setzen. Das Kräfteverhältnis an der Kontaktlinie würde sich stark zu Ungunsten der Ukraine verändern, wobei Russland dann jeden weiteren Vorfall als Vorwand für ein weiteres Vorgehen nutzen könnte, zum Beispiel durch Luftangriffe auf Stützpunkte der ukrainischen Armee in der nicht besetzten Ostukraine. Kiew hätte darauf kaum eine wirksame Antwort. So könnte Moskau seine konkreten Nahziele auf militärischem Wege erreichen, darunter der Sonderstatus für die »Volksrepubliken« in der Ostukraine ohne die in den Minsker Vereinbarungen festgehaltenen Vorbedingungen.
Die westlichen Partner der Ukraine und damit auch die neue Bundesregierung sollten sich klar darüber werden, dass Rechtfertigungen und Varianten einer möglichen russischen Eskalation vielfältiger sind als gemeinhin angenommen. Auch das sich durch die weitere Integration von Belarus in den russischen sicherheitspolitischen Orbit andeutende Destabilisierungsdreieck eröffnet dem Kreml zusätzliche militärische Optionen gegenüber Kiew. Um Moskau von derlei Schritten abzuhalten, sollte sich auch der Westen strategisch auf eine Eskalation einstellen und Sanktionen gegenüber Moskau und Minsk vorbereiten. Diese sollten auch die Möglichkeit vorsehen, Nord Stream 2 vorerst nicht in Betrieb zu nehmen. Darüber hinaus könnte die EU im Schwarzen Meer aktiv Präsenz zeigen, um die Südflanke der Ukraine zu entlasten und existierende bilaterale Militärhilfe in einer effektiven Ausbildungs- und Beratermission zu bündeln. In jedem Fall bedarf es neben Sanktionen auch einer sicherheitspolitischen Präsenz.
Schlussbemerkung: Allein der letzte Absatz dieses aus Steuergeldern bezahlten „Experten“ reicht, um die Gefährlichkeit der Entwicklung zu belegen. Wir sind umstellt von Kriegstreibern. So geht es weiter und weiter, bis es irgendwann knallt. Um davor zu warnen, mache ich Sie darauf aufmerksam.
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