Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Rückfall in die Systemkonkurrenz d. h. Rückfall in den Kalten Krieg
Datum: 25. November 2021 um 14:33 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Bundesregierung
Verantwortlich: Albrecht Müller
Das ist der II. Teil meines Textes zum Koalitionspapier. Im ersten Teil „Mehr Fortschritt wagen“ – in zentralen Fragen stimmt das nicht ging es um den Irrweg kapitalgedeckter Altersvorsorge. Hier geht es um Rückschritte in der Friedens- und Entspannungspolitik, die im gestern vorgelegten Koalitionspapier sichtbar werden. „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“ – das war der Kern der friedenspolitischen Botschaft des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers. Zusammenarbeiten, sich austauschen, sich vertragen, sich vertragen auch mit den mitteleuropäischen und osteuropäischen Ländern einschließlich Russlands – das war der Kern der neuen Vertrags- und Friedenspolitik. Jetzt wird im Koalitionspapier ein neuer „internationaler Systemwettstreit“ in die kommende amtliche Regierungsarbeit eingeführt. Damit ist wie zu alten Zeiten eine Systemkonkurrenz mit Russland und auch mit China gemeint. Und auf der anderen Seite wird die Lage des Westens und seine Werte-Qualität auf unbekümmerte Weise beschönigt. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Zu diesem Zweck wird die Europäische Union zu einem „historischen Friedens- und Freiheitsprojekt“ hochgejubelt. Dazu, zur EU, gehören zu ihrem Glück jetzt die früheren Feinde in Mittel- und Osteuropa. Sie alle zusammen werden zu einer großartigen demokratischen Gemeinschaft hochstilisiert, und die anderen, die Draußengebliebenen, werden als nicht dazugehörig, unterschwellig oder offen als autokratisch und undemokratisch behandelt. Undemokratisches gibt es bei uns im Westen nicht – so ist das definiert. Auch die Ampelkoalition sagt nichts zu den verheerenden Folgen der Kriege, die der Westen inszeniert und angestellt hat. Mit der Einführung des Begriffs Systemwettbewerb ist zugleich auch der Anspruch auf Regime Change angemeldet. Die Osterweiterung von EU (und NATO) wird auch von dieser Koalition weiter betrieben, sogar offen angemeldet.
Nun im Einzelnen zu den wesentlichen Aussagen im Koalitionsvertrag, jeweils, wenn sinnvoll und nötig, ergänzt mit Anmerkungen meinerseits:
Das einschlägige Kapitel ist überschrieben mit: VII. Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt
– Anmerkung: Diese Selbstbeweihräucherung als demokratisch schwingt an vielen Stellen mit. Vermutlich ist das die Handschrift der Grünen, wie wir sie von Marieluise Beck, von Fücks, von Bütikofer, von Baerbock und anderen Vertretern der westlichen Führungsmacht innerhalb der Grünen-Partei seit langem kennen.
– Anmerkung: Auch hier keine Erklärung und Definition dessen, was mit Systemkonkurrenz gemeint ist. Marktwirtschaft gegen Staatswirtschaft? Demokratie gegen Diktatur? Was ist gemeint?
– Anmerkung: Die Erfahrungen in der letzten Zeit haben gezeigt, wie gefährlich die Aufgabe der Einstimmigkeitsregel gerade für eine vernünftige Politik der Zusammenarbeit in Europa werden kann. Ich erinnere daran: Merkel und Macron hatten im Sommer 2021 den Vorschlag gemacht, die EU-Spitzen sollten sich mit dem russischen Präsidenten treffen. Sie fanden dafür keine EU-Mehrheit, im Gegenteil, die Mehrheit plädierte für noch mehr Sanktionen. – Aus diesem Vorgang sollte man doch lernen, man sollte lernen, dass es künftig in Europa Mehrheiten dafür geben kann, den Konflikt mit den Nachbarstaaten im Osten anzuheizen, statt ihn zu mildern und zu beenden. Fazit: Die Aufgabe der Einstimmigkeitsregel wird gefährlich für das notwendige Zusammenwachsen aller Teile Europas und den Frieden in der Welt.
– Anmerkung: Hier wird die Bedeutung des Militärischen mal wieder sichtbar. Und es wird zugleich deutlich, dass die militärischen Ambitionen der EU nicht alternativ zur NATO, sondern additiv zu sehen sind. Außerdem sind sie „ambitioniert“. Nach Abrüstung hört sich das trotz aller sonstigen Bekenntnisse zur Rüstungskontrolle nicht an.
Auf Seite 143 beginnt dann innerhalb des großen Kapitels zur Außenpolitik ein eigenes Unterkapitel unter der Überschrift: „Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte“. Im 1. Absatz gibts gleich viel Ideologie:
– Anmerkung: Hier hat der Leser wenigstens etwas zu lachen. Wenn uns „Werte und Interessen“ leiten sollen, dann passt unter dieses Dach ja alles. Großartig. Auch ansonsten ist die Nutzung des Modeworts „Zivilgesellschaft“ einfach dumm oder dreist. Was ist das denn?
Dann geht es weiter wie schon in der Präambel und 13 Seiten vorher mit der Beschwörung des Systemwettbewerbs und der demokratischen Werte. Wörtlich:
– Anmerkung: Multilaterale Kooperation in der Welt wäre gut. Aber diese zusammen mit Staaten, die unsere demokratischen Werte teilen, womit ja insbesondere die USA gemeint sind, zu erreichen, hat sich ja als sehr schwierig erwiesen. Die 3 Ampel-Partner haben dieses Problem offensichtlich nicht gesehen und schon gar nicht aufgearbeitet. Weiter heißt es:
– Anmerkung: Das ist schon beachtlich zynisch, wie hier die Menschenrechte und die Würde des Einzelnen mit der NATO verknüpft werden. Und dies nach den Erfahrungen mit Kriegen der NATO und NATO-Partner in Afghanistan, im Irak, in Syrien, in Libyen. Menschenrechte und die Würde des Menschen spielten dabei die geringste Rolle. Militärische Interessen, Rüstungsinteressen, Interesse an Rohstoffen und Ressourcen sehr viel mehr.
– Anmerkung: Das klingt gut und ist zu unterstützen, aber es steht im Widerspruch zu vielem anderen in diesem Text, unter anderem zu den Passagen über NATO und Rüstungsausgaben.
– Anmerkung: Respekt, das ist ausgesprochen clever gemacht. Die Erhöhung der Rüstungsausgaben wird flexibel in ein Paket mit anderen sinnvollen Ausgaben, unter anderem für die Entwicklungspolitik eingepackt und versteckt.
– Anmerkung: Dieses Bekenntnis ist schon mehrmals vorgekommen. In dieser Koalition ist nichts zu spüren davon, was die SPD noch 1990 in ihrem Grundsatzprogramm beschlossen hat: die Beendigung beider militärischen Bündnisse. Es geht noch weiter:
– Anmerkung. Alleine das schon ist ein klares Bekenntnis zur Fortsetzung der NATO-Auslandseinsätze. Zu den neuen Herausforderungen kann sogar der Konflikt mit China gehören.
– Anmerkung: Das ist eine unverhohlene Absage an die Vorstellungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich, sich von der atomaren Teilhabe zu verabschieden.
– Anmerkung: Wir sind zurück im Kalten Krieg. Damals wurde auch immer wieder eine Bedrohung an die Wand gemalt. Außerdem zeigt diese Passage deutlich, dass wir uns in die Hände der mittel- und osteuropäischen Partner begeben sollen. Das ist der helle Wahnsinn! Und es ist sehr gefährlich. Die große Koalition war geradezu eine friedliebende politische Konstellation gemessen an dem, was uns hier ins Haus steht.
– Anmerkung: Das klingt gut, aber passt nicht zu den Absichten, die zuvor erklärt worden sind.
– Anmerkung: Noch einmal ein klares Bekenntnis zu Auslandseinsätzen und dann wieder die Behauptung die Bedrohung unseres Landes und der NATO hätte zugenommen.
– Anmerkung: Mit vielen Worten soll die neue Dimension der Beschaffung und des möglichen Einsatzes von bewaffneten Drohnen verschleiert werden.
– Anmerkung: Auch das ist eine Festlegung, die eine skeptische Überprüfung der Beziehungen zu den USA und zur NATO unterbindet. Die Atlantiker beherrschen offensichtlich die Ampel.
– Anmerkung: Diese Passage enthält ungeheuerlich viel Zündstoff. Dahinter steckt eine neue Osterweiterung und wir wissen genau, wie empfindlich Russland darauf reagiert und reagieren muss angesichts der Zielsetzung dieser EU-Erweiterung.
Und dann geht es im gleichen Ton weiter:
– Anmerkung: Das ist die Fortsetzung der bisherigen Konfrontation und die völlige Missachtung des Erfolgs früherer Konzepte wie Wandel durch Annäherung. Mit der ursprünglichen Entspannungspolitik der SPD der sechziger und siebziger Jahren hat dieses Koalitionsprogramms nichts zu tun.
– Anmerkung: Diese verschrobenen Aussagen heißen auf Deutsch: wenn Litauen oder ein anderer osteuropäischer Staat sich von den USA oder der NATO instrumentalisieren lässt, um gegen Russland Stimmung zu machen, dann werden wir dieser „Bedrohungsperzeption“ Rechnung tragen. Das ist alles grotesk. Hat der künftige Bundeskanzler Scholz diese Passage nicht gelesen? Wenn ja, dann müsste er doch wissen, was das für die Beziehungen zu Russland bedeutet.
Diese Anmerkung gilt auch für die nächste und letzte zitierte Stelle:
– Anmerkung: Da ist sichtbar, dass es in der gesamten Koalition keine differenzierte Sicht der Probleme gibt und ohne Wimperzucken das übliche westliche Credo heruntergebetet wird. Wenn wenigstens ein Satz enthalten wäre, der darauf schließen ließe, dass man den Umgang mit der Krim sowohl als Annexion als auch als die leider absehbare Konsequenz der Expansion der NATO und EU sehen könnte.
Eine Koalition ohne Differenzierungsvermögen steht uns hier ins Haus. Und dann auch vermutlich Frau Baerbock als Außenministerin. Schlimmer hätte es den Frieden in Europa nicht treffen können. Härter hätte die Abkehr von der Entspannungspolitik jener Partei, die den künftigen Bundeskanzler stellen will, nicht ausfallen können. Furchtbar.
Titelbild: Fernandi Putra / Shutterstock
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=78328