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Titel: Corona wird bleiben und wir müssen endlich die Hysterie überwinden
Datum: 16. November 2021 um 11:57 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich: Jens Berger
Der Herbst ist da, die Inzidenzen steigen und regional melden einige Krankenhäuser überfüllte Intensivstationen. Medien und Politik machen die Ungeimpften für diese Entwicklungen verantwortlich. Doch das ist zu kurz gedacht. Wir ernten nun vielmehr, was unser komplett fehlgeleitetes Pandemiemanagement gesät hat. Obgleich Corona demnächst ins dritte Jahr geht, haben die Verantwortlichen die Krankheit immer noch nicht verstanden. Das ist tragisch, da das Versagen dazu führen kann, dass die Corona-Maßnahmen zu einem Dauerzustand werden. Ein Zurück zur Normalität kann es daher nur geben, wenn wir endlich die Hysterie überwinden, Denkfehler als solche erkennen und die Pandemie rational betrachten. Von Jens Berger
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Wenn man die Fehler im Pandemiemanagement und der Kommunikationsstrategie auf einen Kernpunkt reduzieren will, dann ist dies die Vorstellung, man könne das Sars-Cov2-Virus ausrotten. Dafür bräuchte man einen sterilen Impfstoff, den hat man aber nicht und es ist auch ziemlich ausgeschlossen, dass es je einen geben wird. Eine rationale Politik hätte dies allerspätestens im Frühjahr 2021 erkannt und sich von den Zielen einer Herdenimmunität oder gar einer Zero-Covid-Strategie verabschiedet. Doch mit Ratio hat die Corona-Politik in diesem Land nichts zu tun. Stattdessen werden heute noch Durchhalteparolen propagiert, nach denen man „nur noch diesen Winter“ meistern müsse, danach wäre Corona überwunden. Zynisch könnte man sagen, dass die zu erwartende gesellschaftliche Krankheitslast tatsächlich im nächsten Jahr spürbar zurückgehen wird – aber nur dann, wenn die „Eindämmungsstrategie“ versagt und sich viele Menschen infizieren. Geschieht dies nicht, stehen wir im nächsten Herbst vor einem nicht minder kleinen Problem wie heute.
Weltweit zeigen die statistischen Daten eins – Covid 19 ist bei der Erstinfektion eine Krankheit, die vor allem bei bestimmten Risikogruppen eine sehr gefährliche, ja tödliche, Krankheit sein kann. Die Krankheitslast tragen dabei fast ausschließlich die Älteren und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, wobei vor allem die Fettleibigkeit ein Schlüsselfaktor zu sein scheint. Die Krankheit verliert jedoch – selbst für diese Risikogruppen – einen Großteil des Schreckens, wenn eine Grundimmunisierung vorliegt. Ja, es gibt Impfdurchbrüche, die führen aber meist nur zu einer „mittelschweren“ Erkrankung, die jedoch bei Hochbetagten und Multimorbiden der berühmte Tropfen sein kann, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das gilt jedoch auch für andere virale Erkältungskrankheiten und bakteriologische Infekte.
Die Grundimmunisierung kann durch die Impfung erfolgen. Sie kann aber auch durch die Infektion erfolgen. Aus epidemiologischer Sicht macht es keinen Sinn, Geimpfte und Genesene zu unterscheiden. Hier gibt es nur Immunisierte. Liegt eine künstliche oder natürliche Grundimmunisierung vor, verläuft die Zweitinfektion in den allermeisten Fällen symptomfrei oder milde. Der ansonsten nicht gerade für epidemiologischen Rationalismus bekannte Virologe Christian Drosten sieht in einer solchen Zweit- oder Dritt-Infektion einen „natürlichen Booster, [der] vermutlich eine breite und weitere reifende Immunantwort erzeugen [könnte].“ Lässt man also die sogenannten Impfdurchbrüche außen vor, sollte es beim gesamten Pandemiemanagement eigentlich nur um diejenigen gehen, die (noch) keine Grundimmunisierung haben.
In Deutschland sind zurzeit mindestens 58 Millionen Menschen geimpft und laut RKI gelten 5,1 Millionen als genesen, also natürlich immunisiert. Die Dunkelziffer dürfte jedoch mindestens um den Faktor Zwei, wenn nicht sogar Drei, höher sein. Traf das Virus im Herbst letzten Jahres auf fast 80 Millionen Menschen ohne Grundimmunisierung, sind es heute je nach Zählweise nur noch maximal rund 20 Millionen. Machen wir mal ein Gedankenspiel: Wenn sich von diesen 20 Millionen die Hälfte binnen eines Jahres infiziert, gibt es im Herbst 2022 noch 10 Millionen Menschen ohne Grundimmunisierung. Im Herbst 2023 wären es fünf Millionen, im Herbst 2024 zweieinhalb Millionen und so weiter.* Das ist die Perspektive.
Auch ganz ohne Impfung wird die Zahl der Immunisierten also zwangsläufig steigen. Wenn es in nächster Zeit auch Fortschritte bei der medikamentösen Behandlung der Krankheit und deren Symptome geben sollte, könnte Covid 19 also schon bald eine relativ normale Krankheit sein, die immer wieder vor allem im Herbst und Winter meist als milde bis mittelschwere Erkältungskrankheit kursiert und ihren Schrecken verloren hat.
Betrachtet man die Pandemie mit ein wenig mehr Ratio und unter diesen Gesichtspunkten erkennt man auch, dass die momentan regional auftretenden höheren Belastungen der Krankenhäuser vermeidbar gewesen wären. Der Virologe Klaus Stöhr drückt es in einem hörenswerten Interview folgendermaßen aus: „Weil man im Sommer keine höheren Inzidenzen zugelassen hat“, ist der Infektionsdruck jetzt im Herbst und Winter natürlich größer. Andere Länder seien da schlauer vorgegangen. Und Stöhr hat recht.
Covid-19-Neuinfektionen pro 100k Einwohner
Quelle: FT
Während zum Beispiel Schweden und Großbritannien durch ihre Einstellung der Maßnahmen über einen größeren Zeitraum deutlich mehr Infektionen zugelassen haben als Deutschland, haben diese Länder jetzt im Herbst, wo Erkältungsviren traditionell auf dem Vormarsch sind, viel mehr Manövrierraum. Oder um es zuzuspitzen: Wer sich im Sommer infiziert hat, verstopft im Winter keine Intensivstation. Die Zahlen stützen diese These eindrücklich.
Covid-19-Hospitalisierungen
Quelle: Britisches Gesundheitsministerium
In Großbritannien haben sich bereits kurz nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen im Juli die Neuinfektionen drastisch erhöht und befinden sich seitdem auf einem hohen, aber kontrollierbaren Niveau. Die Katastrophe in den Krankenhäusern blieb aus. Die Zahl der Hospitalisierungen befindet sich stattdessen auf einem durchgängig beherrschbaren Niveau, das sehr deutlich unter dem teils nicht mehr kontrollierbaren Niveau der ersten drei Wellen im Frühjahr 2020 und im Winterhalbjahr 2020/2021 liegt. So meistert Großbritannien sowohl die natürliche Grundimmunisierung der Ungeimpften wie auch die Impfdurchbrüche der Geimpften. Im Grund ist diese Strategie nichts anderes als das berühmte „Flatten the Curve“ der Pandemie-Frühzeit. Nur diesmal mit einem klaren Exit-Szenario und ohne Maßnahmen, die die Menschen einschränken.
Covid-19-Sterbefälle pro 100k Einwohner
Quelle: FT
Deutschland fuhr eine andere Strategie. Hier drückte man im Sommer und Frühherbst die Neuinfektionen auf ein extrem niedriges Niveau. Nun hat man halt zu Beginn der Erkältungssaison unnötig viele Menschen, die noch nicht immunisiert sind. Das ist ein Problem mit Ansage, das jedoch auch nicht davon ablenken kann, dass die Sterbezahlen – vor allem im Kontext zu den „Rekordwerten“ bei den Neuinfektionen – auch in Deutschland sehr deutlich niedriger sind als in den vorherigen Wellen, die auf eine größtenteils noch nicht immunisierte Bevölkerung trafen.
„Die Pandemie ist erst dann vorbei, wenn sich alle infiziert haben“, so Klaus Stöhr. Die Frage, die sich ein rationales Pandemiemanagement stellen müsste, ist also im Grund lediglich die, wie man die Infektionen zeitlich verteilt, so dass es zu keinen Kollateralschäden kommt. Oder um es mit Klaus Stöhr zu sagen – es geht um die „Schmerztoleranz der Gesellschaft“. Corona wird bleiben, das ist klar. Eine Herdenimmunität wird es nicht geben. Was es aber zwangsläufig geben wird, ist eine Herdenimmunisierung. Wenn die erreicht ist, wird Corona endlich eine „normale“ Krankheit unter vielen. Das Phänomen „Corona“, das seit fast zwei Jahren die Welt in Atem hält, ist dann jedenfalls Geschichte. Wie wir den Weg dahin gestalten, ist offen. Fest steht jedoch, dass Hysterie und Alarmismus einen rationalen Ausweg aus dem Dilemma verbauen. Und last but not least: Die derzeit geführte hysterische Debatte um den Impfstatus der Menschen ist das genaue Gegenteil einer rationalen Herangehensweise. Ein Jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden, welche Form der Immunisierung er bevorzugt und daran sollte auch nicht gerüttelt werden.
* 16.11.2021 14:15 Uhr: Aufgrund eines Flüchtigkeitsfehlers standen in der ersten Textversion falsche Jahreszahlen.
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