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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Staatsverschuldung und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz: Öffentliche Armut, privater Reichtum
Datum: 17. Dezember 2010 um 16:43 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch, Finanzen und Währung, Steuern und Abgaben, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Öffentliche Armut, privater Reichtum“, diese alte These treffe auch die Entwicklungstrends der letzten Jahrzehnte von Staatsverschuldung und Staatsvermögen einerseits sowie Privatvermögen andererseits. Während die privaten Nettovermögen von 1991 bis 2009 um 99% auf 7.370 Milliarden, das sind 307% des BIP beträchtlich gestiegen sind, wurde die staatliche Vermögenssubstanz im gleichen Zeitraum von 52% des BIP auf einen Anteil von 6% im Jahr 2009 zunehmend ausgezehrt. Das sind die Ergebnisse einer aktuellen Studie des DIW [PDF – 601 KB]. Der Autor Stefan Bach spricht sich für ein mittelfristiges Konsolidierungsprogramm mit einem ausgewogenen Mix aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen aus. Dabei sollten auch die höheren Einkommen und Vermögen etwa durch eine Erbschaftssteuer oder durch eine einmalige Vermögensabgabe belastet werden. Die Studie liefert harte Argumente für die Initiative „Vermögenssteuer jetzt“ www.vermoegensteuerjetzt.de, sie wird aber auch von konservativer Seite mit den ewig gestrigen Parolen bekämpft. Wolfgang Lieb
Es ist erstaunlich, dass eine Studie mit solchen Befunden im vom DIW-Chef Klaus Zimmermann neoliberal getrimmten Berliner Institut unbeanstandet veröffentlicht werden durfte, werden doch dabei Zahlen genannt, die so gar nicht in das gängige Argumentationsschema passen.
So wird etwa konstatiert, dass sich die gesamtstaatliche Verschuldung bis Ende 2010 gegenüber dem Stand Ende 2007 durch die Finanz- und Wirtschaftskrise um etwa 300 Milliarden (oder 12% des BIP bzw. 3.800 Euro pro Kopf) erhöht hat und damit die Relation der Staatsverschuldung zum BIP von 65% auf 75,5% gestiegen ist.
Zwar bedeute Staatsverschuldung die Verschiebung staatlicher Finanzierungslasten in die Zukunft, sie seien allerdings nur ein Aspekt der Vermögensbeziehungen zwischen den Generationen. Zum einen könnten den staatlichen Schulden staatliche Nettovermögen gegenüberstehen und zum anderen hätten die privaten Haushalte in den letzten Jahrzehnten beträchtliche Vermögenswerte geschaffen, die man in einer umfassenden Generationenbilanz den Staatsbudgets gegenüberstellen müsste. Wenn man die staatlichen Vermögenswerte berücksichtige, betrage die Nettobelastung künftiger Generationen nur etwas über null Prozent des BIP und eben nicht 76%, wie es sich in der aktuellen Staatsschuldenquote ausdrücke.
Allerdings seien die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen seit Mitte der 90er Jahre zurückgefahren worden, wodurch der staatliche Vermögensbestand in Relation zum BIP von 47% (1995) auf 41% (2005) sank. Das staatliche Nettovermögen sei von einem Anteil von 52% am BIP sogar auf sechs Prozent (2009) zusammengeschmolzen, weil Geldvermögensbestände (vor allem Unternehmensbeteiligungen, also das „Tafelsilber) abgebaut worden seien und weil im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise der Staat in erheblichem Umfang Kredite und Eigenkapitalhilfen vergeben habe, um z.B. Banken zu retten.
Der Autor Stefan Bach geht auch auf die vielfach als Horrorszenario an die Wand gemalten „impliziten Staatsschulden“ ein, also auf mögliche Finanzierungsdefizite in den umlagefinanzierten sozialen Sicherungssystemen (Rentenversicherung, Beamtenversorgung, gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung) durch die demografische Alterung. Anders als die Vertreter des demografischen „Alarmismus“ weist er jedoch darauf hin, dass solche Prognosen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet seien, weil sie maßgeblich auch vom Produktivitätswachstum, von den Zinsen, der Demografie selbst (also etwa der Zuwanderung) und vor allem auch von der Erwerbsbeteiligung (also auch der Erwerbslosigkeit) abhingen. Diverse Renten- und Gesundheitsreformen hätten die künftigen Versorgungsversprechen bereits reduziert und schließlich könnten auch die Beitragssätze oder die Anteile der Steuerfinanzierung erhöht werden. Auch müsse man die „Steuerguthaben“ durch die nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften oder die Besteuerung durch die Auflösung von Vermögenswerten im Alter berücksichtigen. All das würden die einschlägigen Szenariorechnungen nicht ausreichend berücksichtigen.
Im Rahmen einer umfassenden Generationenbilanz müsse man die längerfristigen Vermögenseffekte des Staatsbudgets den privaten Vermögensverhältnissen gegenüberstellen. Im volkswirtschaftlichen Kreislauf gelte eben: Die Schulden des einen sind die Forderungen des anderen.
Nach den Berechnungen zur gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanz der privaten Haushalte mache das private Nettovermögen im engeren Sinn aktuell (2009) 307 Prozent des BIP aus, das summiere sich auf 7.370 Milliarden (also über 7 Billionen) Euro. Zusammen mit dem übrigen Nettovermögen kämen die privaten Haushalte sogar auf ein gesamtes Nettovermögen von 405 Prozent des BIP oder 9 700 Milliarden Euro.
Demgegenüber nähme sich die explizite Staatsschuldenquote (2009) in Höhe von 73 Prozent des BIP (1 760 Milliarden Euro) recht moderat aus. Insoweit bestehe auch noch Spielraum für die Abdeckung der impliziten Staatsverschuldung.
Bemerkenswert sei ferner, dass sich das gesamte private Nettovermögen in Deutschland bezogen auf das BIP im Zeitraum von 1991 bis 2009 um 99 Prozentpunkte erhöht habe.
Die privaten Haushalte insgesamt hätten den Anstieg der Staatsverschuldungsquote in Höhe von 38 Prozentpunkten beziehungsweise den Abbau des staatlichen Nettovermögens von 46 Prozentpunkten des BIP durch eigene Kapitalbildung deutlich überkompensiert, selbst wenn man nur auf das private Nettovermögen im engeren Sinn abstelle.
Der Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Vermögens äußere sich auch in anhaltenden Leistungsbilanzüberschüssen.
Insgesamt stelle sich somit die intergenerative Belastungswirkung des öffentlichen Gesamthaushalts in Deutschland aus makroökonomischer Perspektive durchaus entspannt dar. Die Bürger hätten die finanzielle Auszehrung ihres Gemeinwesens durch private Vermögensbildung ausgeglichen und insoweit für künftige Steuererhöhungen oder Kürzungen von Staatsleistungen vorgesorgt.
Das Problem sei allerdings, dass die Betroffenheit von künftigen Steuererhöhungen oder von Kürzungen der Staatsleistungen recht unterschiedlich sei und vor allem der Nettovermögensbesitz sehr ungleich verteilt sei: 30 Prozent der Bevölkerung besitzen über 90 Prozent des Vermögens und die reichsten zehn Prozent gar über 60 Prozent.
Die ständig beschworene intergenerative Belastung durch die Staatsverschuldung sei nicht das Problem, sondern die intragenerativen Belastungswirkungen (also zwischen Arm und Reich), wenn etwa zur Refinanzierung der Staatsschulden Steuern erhöht oder öffentliche Leistungen gekürzt werden müssten.
Dieser Konflikt zwischen Arm und Reich zeigt sich z.B. beim unlängst verabschiedeten Sparpaket, wo die großen weitgehend Vermögen unangetastet blieben und über ein Drittel der Last von den Ärmsten der Armen getragen werden muss.
Im Ergebnis spricht sich der Autor zwar auch dafür aus, zumindest die Quote der expliziten Staatsverschuldung in Relation zum Sozialprodukt nicht weiter zu erhöhen. Dies wird aber weniger aus volkswirtschaftlichen Fakten abgeleitet als vielmehr auf den eher psychologischen Effekt des „Vertrauens“ in die nachhaltige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.
Bei der Rückführung der Staatsverschuldung spricht sich die Studie für einen Mix aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen aus. Unbegründet bleibt allerdings, warum sich eine Erhöhung der Konsumbesteuerung (Mehrwertsteuer, Energiesteuer) weniger negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken soll, als Erhöhungen bei den direkten Steuern. Immerhin weist Bach jedoch darauf hin, dass indirekte Steuererhöhungen Personen mit niedrigem Einkommen relativ stärker belasten und für diejenigen, die auf eine Grundsicherung angewiesen seien, Probleme bereiteten.
Ergänzend plädiert die Studie für eine stärkere Belastung der höheren Einkommen und Vermögen, die in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen haben. Vorzugsweise kämen dafür die Erbschaftssteuer oder eine einmalige Vermögensabgabe auf den bestehenden Vermögensbestand in Betracht. Angesichts der stark konzentrierten Vermögensbestände privater Haushalte könnten hier schon geringe Steuersätze, selbst bei höheren persönlichen Freibeträgen ein beachtliches Steueraufkommen erzielen.
Die Studie unterstützt somit die Ende Oktober gestartete Initiative „Vermögenssteuer jetzt!“, die bisher 16.000 Personen unterzeichnet haben und die ich selbst auch nachdrücklich unterstütze.
Die Initiative soll eine breite gesellschaftliche Unterstützung und politischen Druck für die Einführung einer Vermögensteuer entwickeln. Unsozialen Leistungskürzungen in Bund, Ländern und Gemeinden soll eine klare und gerechte Alternative entgegen gesetzt werden. Diese Forderung „Vermögensteuer jetzt!“ soll besonders auch in die kommenden Wahlkämpfe in Ländern und im Bund eingebracht werden.
Eine solche öffentliche Kampagne „von unten“ ist umso dringlicher, als in den Mainstream-Medien eine Besteuerung großer Vermögen geradezu ausgeblendet wird. Dies spiegelt sich ganz aktuell auch darin wieder, dass von dieser Studie des DIW – anders als wenn etwa dessen Chef Klaus Zimmermann eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent fordert http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,627364,00.html – in den sog. Leitmedien kaum Notiz genommen wird.
Im Gegenteil: die konservative Presse packt ihre seit Jahren abgedroschenen Pseudoargumente aus.
So etwa „Die Welt“, deren Kommentatorin kein noch so hohles Stereotyp auslässt, um gegen die Studie zu polemisieren. Dorothea Siems stellt gleich zu Beginn ihres Leitkommentars auf Seite 1 der internationalen Ausgabe der „Welt“ die Wirklichkeit wieder einmal auf den Kopf und redet von „Umverteilung“. Sie meint allerdings nicht die empirisch unbestreitbare Umverteilung von unten nach oben, sondern suggeriert ihren Lesern als verliefe die Umverteilung gerade umgekehrt.
Dabei wendet sie einmal mehr die uralte Täuschung an, wonach die „Mittelschicht“ für den „übersteuernden und an vielen Stellen ineffizienten Staat“ berappen müsse. Die Kommentatorin macht sich dabei den „Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Ulrike Herrmann) zu nutze, wonach die Mehrheit der Deutschen egal, wie viel sie verdient, oder gleichgültig, wie viel eigenes Vermögen sie besitzt, sich nicht nur zur Mittelschicht zählt, sondern sogar an einen (völlig unerreichbaren) Aufstieg nach oben glaubt und sich immer noch viele – obwohl das ihr Status gar nicht hergibt – „fast reich“ fühlen.
Siems verbreitet natürlich auch wieder einmal die Falschbehauptung, wonach die Staats- und Abgabenquote steige, dies obwohl selbst sie wissen müsste, dass die Staatsquote von 49,3 (1996) auf 43,9 Prozent (2008 – also vor der Krise) gefallen ist [PDF – 9.0 KB]. Sie täuscht ihre Leser auch darüber, dass gerade die Reichen bei den von ihr beispielhaft für die Erhöhung der Abgabenquote angeführten höheren Krankenkassenbeiträgen wegen des Freibetrags sich aus der Solidargemeinschaft herausstehlen können. Sie erwähnt natürlich auch nicht, dass bei der letzten Gesundheits“reform“ der Arbeitgeberanteil auf 7,3 Prozent gedeckelt worden ist und künftig alle Kostensteigerungen allein aus dem Geldbeutel der Arbeitnehmer bezahlt werden müssen.
Und natürlich darf auch das Argument nicht fehlen, dass eine höhere Besteuerung der Großen Vermögen, weil sie oft in Unternehmerhand seien, Arbeitsplätze gefährdeten. Dass die Vermögenszuwächse (und Gewinne) in den letzten Jahren eher als Investitionen oder – noch schlimmer – als spekulative Anlagen im Ausland gelandet sind und eher dazu beigetragen haben bei uns Arbeitsplätze abzubauen, leugnet die Autorin natürlich, geschweige denn, dass sie zur Kenntnis nimmt, dass die ständigen Leistungsbilanzüberschüsse (also Geld das ins Ausland floss) uns über die Euro-Krise wieder bitter aufstoßen.
Zum Schluss darf natürlich die Behauptung nicht fehlen, dass die Öffentliche Hand ihren Bürgern verglichen mit vielen anderen Staaten „schon tief genug in die Tasche“ greife. Dass die Steuerquote in Deutschland mit 23,1 % im internationalen Vergleich (Bundesfinanzministerium S. 8 [PDF – 1.1 MB] am unteren Ende liegt, müsste die Autorin wissen.
Auch dass die tatsächlich bezahlte Steuerbelastung auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen auf weit unter 20 Prozent gesunken ist, müsste ihr bekannt sein.
Quelle: Lorenz Jarass [PDF – 42.7 KB]
Man darf also davon ausgehen, dass hier bewusst die Unwahrheit geschrieben wurde oder dass die ideologische Verblendung die Wirklichkeit ausblendet.
Dieser Kommentar ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie versucht wird, die öffentliche Meinung zu manipulieren.
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