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Titel: „Spanien befreite Mexiko vom Terror der Azteken” – Vox, die „Madrider Charta“, die AfD und die rechtsradikale Offensive in Lateinamerika

Datum: 11. November 2021 um 14:23 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ideologiekritik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Länderberichte, Rechte Gefahr
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Mit der Gründung des „Forums von Madrid“ und der Unterzeichnung einer sogenannten „Madrider Charta“ im Oktober 2020 begann in Spanien eine von der einheimischen Vox-Partei eingeleitete politische Offensive rechtsradikaler Parteien und faschistischer Politiker in Richtung Lateinamerika. Ihre Kampfansage, so die knapp 100 UnterzeichnerInnen, gelte den „kommunistischen Regimen“, die in der sogenannten „Iberosphäre“ vom „Drogenhandel finanziert“ seien. „Iberosphäre“ ist skurriles „Neusprech“ des baskischen Vox-Vorsitzenden Santiago Abascal, der die iberische Halbinsel und das gesamte, von Spanien und Portugal „zivilisierte“ Lateinamerika meint. Indes, welches Weltbild vereint die rechtsradikale Internationale? Von Frederico Füllgraf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mit ihren geräuschvollen Auftritten gegen Migranten aus Ländern mit muslimischer Mehrheit und gegen „Gender-Ideologie“ – also Feminismus und Rechten von LGBT+-Minderheiten – avancierte Vox zum Sprachrohr der extremen Rechten in Spanien. Als diese Werte in den hispanoamerikanischen Raum ausstrahlten, wurden sie von vielen rechtsradikalen bis faschistischen Strömungen Lateinamerikas, die sich bisher der offenen Nachahmung des ultrakonservativen Trumpismus schämten, als ihr Spiegelbild erkannt. Das gewaltsame Vorgehen und die Mauer der Regierung Donald Trump gegen verarmte Migranten aus Zentralamerika an der Grenze zu Mexiko hat ultrakonservative „Eliten“ und die ihnen nachlaufenden Mittelschichten gegen die sich nach 2018 zuspitzende Migrationswelle von hunderttausenden HaitianerInnen und Millionen VenezolanerInnen in Südamerika auf den Plan gerufen. Im nordchilenischen Iquique fand kürzlich eine ausländerfeindliche Kundgebung statt, die in der physischen Bedrohung und Verbrennung von venezolanischen Migranten-Zeltlagern durch Rechtsradikale gipfelte.

Doch werden Vox und ihre Verbündeten nicht allein von neuzeitlichem Fremdenhass und mittelalterlicher, verlogener Familienmoral angetrieben. Das Ressentiment-Paket hat politisch-ökonomische Konturen, die als Kampfprogramm des autoritären, gewaltbereiten Flügels des neoliberalen Branchen- und Finanzsystems erkennbar sind. Vox, den Deutsch-Chilenen José Antonio Kast, Jair Bolsonaro sowie die deutsche AfD eint die Überzeugung, das Privateigentum könne nur mit der Zertrümmerung des sozialen Wohlfahrtsstaates, der Installierung des „Minimalstaates“ und der absoluten Vorherrschaft des Marktes geschützt werden. Wikileaks enthüllte Mitte des laufenden Jahres, dass hinter der Mehrheit der rechtsradikalen Parteien militante, neoliberale Denkfabriken, Millionäre und Milliardäre die Strippen ziehen; von Vox, über Bolsonaro, bis hin zur AfD.

Das Menü ist aber nicht komplett. Die Rechtsextremisten rufen zum Kampf gegen einen geisterhaften „Kulturmarxismus“ auf, „der das gesamte Bildungssystem und die Medien beherrscht“, und servieren ihren Anhängern einen zugleich frechen wie lächerlichen Geschichts-Revisionismus. Abascals Vox scheute sich nicht davor, am vergangenen 13. August in die Welt zu twittern, „An diesem Tag, vor 500 Jahren, gelang einer Truppe von Spaniern unter der Führung von Hernán Cortés und einheimischen Verbündeten die Kapitulation von Tenochtitlán. Spanien hat es geschafft, Millionen von Menschen aus dem blutrünstigen und terroristischen Regime der Azteken zu befreien.“ Verlogener kann die Conquista nicht umgedeutet und zynischer die weiße „Überlegenheit“ nicht vorgetragen werden. Eineinhalb Jahre zuvor hatte Jair Bolsonaro folgende Perle von sich gegeben: „Schritt für Schritt wird der Indianer zu einem menschlichen Wesen wie wir“. Der deutsch-chilenische Rechtsradikale Kast nimmt seit seinem Debüt in der Politik die blutige Militärdiktatur General Augusto Pinochets in Schutz, die sich der Ermordung von mindestens 4.500 Oppositionellen schuldig machte, und stellt, ohne mit der Wimper zu zucken, die reale Geschichte auf den Kopf: „In der Militärregierung wurde viel für die Menschenrechte anderer Menschen getan“.

Die ideologische Kriegserklärung der „Madrider Charta“ muss allerdings als unmissverständliche Reaktion auf die aufeinanderfolgenden Wahlsiege von drei progressiven Präsidentschaftskandidaten der Region verstanden werden, nämlich des Mexikaners Andrés Manuel López Obradors im Dezember 2018, des Argentiniers Alberto Fernández im Dezember 2019 und des Bolivianers Luis Arce im November 2020.

„Narco-Kommunismus“, eine venezolanische Intrige mit US-Involvierung

In dem Pamphlet „Carta de Madrid“ lasen sich diese Wahlsiege so:

„Ein Teil der (F. F.: lateinamerikanischen) Region wird von kommunistisch inspirierten, totalitären Regimen entführt, die vom Drogenhandel und Drittstaaten unterstützt werden. Sie alle unter dem Dach des kubanischen Regimes und von Initiativen wie dem São-Paulo-Forum und der Puebla-Gruppe, die die Machtzentren unterwandern, um ihre ideologische Agenda durchzusetzen. Die Bedrohung beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Länder, die unter dem totalitären Joch leiden. Das ideologische und kriminelle Projekt, das die Freiheiten und Rechte der Nationen unterjocht, zielt darauf ab, in andere Länder und Kontinente einzudringen, um freiheitliche Demokratien und Rechtsstaatlichkeit zu destabilisieren.“

Die in der deutschen Übersetzung hervorgehobenen Satzteile verdeutlichen Ausschweifungen im Diskurs der Rechtsradikalen, vor allem atemberaubende Lügen und hirnverbrannte Paranoia. „Der Narkosozialismus zieht sich durch Lateinamerika und lässt sich auch in Chile nieder“, war bereits am 18. Dezember 2019 der Titel einer Fake News der rechtsradikalen spanischen Gazette AlNavío mit Vox-Nähe. Der Text unterstellte, die damaligen sozialen Proteste im Andenland seien von „Narcos“, also Drogen-Kartellen, inszeniert worden.

Indes, woher stammt der Vorwurf der Involvierung progressiver Parteien und Regierungen in den Drogenhandel? Seine Schlüsselfigur ist der venezolanische Generalmajor Hugo Armando Carvajal, genannt „El Pollo“ (Das Huhn), dessen Anschuldigungen auf einen Deal mit der US-Justiz abzielen. Von 2004 – mit einer kurzen Unterbrechung im Jahr 2012 – amtierte Carvajal bis 2018 als Chef des Militärischen Geheimdienstes (DGCIM) der Regierungen Hugo Chávez und Nicolás Maduro, zuletzt auch als Abgeordneter der Regierungspartei PSUV. Mit der überraschenden Bekanntgabe seiner Unterstützung des Putschisten Juan Guaidó brach Carvajal 2019 mit der Regierung Maduro und floh nach Spanien, von wo Venezuela vergeblich seine Auslieferung wegen Landesverrats beantragte.

In Spanien wurde die US-Drogenüberwachungsbehörde (DEA) auf den Flüchtling aufmerksam, für dessen Festnahme als einer der meistgesuchten Beschuldigten die US-Justiz bereits Jahre zuvor ein millionenschweres Kopfgeld ausgesetzt hatte. Carvajal wird Drogenhandel, Geldwäsche und Zusammenarbeit mit der längst aufgelösten kolumbianischen Guerilla-Organisation FARC beim Drogenschmuggel in die USA vorgeworfen. Audrey Strauss, Staatsanwältin im Südbezirk von New York, behauptete, Carvajal sei auch für das Tragen und den Einsatz von Maschinengewehren und „zerstörerischen Geräten zur Unterstützung von Drogen-Terrorismus“ verantwortlich.

Obwohl er von der DEA gesucht wurde, lehnte die spanische Justiz die Auslieferung Carvajals an die USA zunächst ab. Die spanische Staatsanwaltschaft im Anti-Drogen-Ressort legte jedoch Berufung ein und das Plenum des Obersten Gerichtshofes widerrief den Beschluss vom November 2019. „Huhn Carvajal“ erfuhr den Beschluss durch die Presse und verschwand. Seitdem und trotz der 10 Millionen Dollar US-Prämie für die Bekanntgabe seines Aufenthaltsortes blieb der Venezolaner untergetaucht, bis die Polizei ihn Anfang September 2021 in der Torrelaguna-Straße Madrids erneut verhaftete und die spanische Justiz nun in seine Auslieferung einwilligte.

Mit Blick auf seine Vorladung vor US-Gerichte, von denen er Strafmilderung erwartet, packt der Ex-Geheimdienstler seitdem kapitelweise angebliche Staatsgeheimnisse aus, darunter filmreife, angeblich kriminelle Geldschiebereien des Iran an die Regierung Maduro, womit nicht nur linke Parteien und die Präsidentschaftskandidaten Argentiniens, Brasiliens, Boliviens, Kolumbiens und Mexikos, sondern auch die linke spanische Regierungspartei Podemos finanziert worden seien. Beweise? Wozu? Gegenwärtig reichen tausendfach verbreitete Fake News in rechtsradikalen Netzwerken als „Beweise“. So regierte Donald Trump die USA, so haust Jair Bolsonaro in Brasilien. Mehrere Beschuldigte, darunter Podemos und der besiegte kolumbianische Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro, kündigten Strafanzeige gegen Carvajal an.

Zusammen mit der kürzlich erfolgten Festnahme des kolumbianischen Unternehmers im venezolanischen Auftrag, Alex Saab Morán, auf den Kapverden und dessen völkerrechtswidriger Auslieferung an die US-Justiz wegen Verstoßes gegen die Venezuela-Sanktionen der USA – ein Verstoß, der als „Geldwäsche“ umgedeutet wird – erhoffen sich US-Justiz und Regierung Joe Biden allen Anzeichen nach ein spektakuläres „Venezuela-Tribunal“ mit Nebenhandlungen gegen die demokratisch gewählten progressiven Regierungen der Region. Apropos „Venezuela-Tribunal“: Die Hälfte der „Madrider Charta“-UnterzeichnerInnen gehören zur ultrarechten venezolanischen Opposition um Juan Guaidó.

Rechtsradikaler Kreuzzug gegen progressive Regierungen und bevorstehende Wahlen

Seit Carvajals ersten „Enthüllungen“ im Jahr 2019 gelang es den Ideologen in einem schmutzigen Kreuzzug, das groteske Phantombild vom „Narco(Drogen)-Kommunismus“ in konservativen Medien zu installieren. Kaum war die „Madrider Charta“ im Umlauf, legte Anfang Oktober 2021 das vorbestrafte ehemalige Model und Vox-Aktivistin Cristina Segui mit einem Interview für das private brasilianische Fernsehnetz Record nach und beschuldigte Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva sowie seine Arbeiterpartei (PT), vom „Drogenhandel finanziert“ zu sein. Das kurze und bündige Dementi des Beschuldigten und seiner Partei bezeichnete den Vorwurf als lächerlich, doch die Antwort wurde vom Sender zensiert.

Warum wird derzeit ausgerechnet Lula von den Angreifern ausgesucht? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen. Sollte die bezweifelte Neubewerbung Jair Bolsonaros für das Präsidentenamt überhaupt im November 2022 stattfinden, würde Lula nach jüngsten Umfragen von Ende September 2021 Bolsonaro mit einer Differenz von mehr als 25 Prozentpunkten (48:23) bereits in der ersten Wahlrunde schlagen.

Doch ein ganzes Jahr davor, nämlich Ende November 2021, finden in Chile Präsidentschaftswahlen statt. Die durch sechs Anwärter pulverisierte Wahlkampagne führte der ehemalige linke Studentenführer Gabriel Boric Font als Favorit. Bis die Kandidatur des konservativen Sebastián Sichel wegen Korruptionsvorwürfen einbrach, wovon der ultrarechte Pinochet-Bewunderer und Präsidentschafts-Bewerber José Antonio Kast profitierte und zum Frontalangriff auf Boric überging, den er öffentlich des Drogen-Konsums anprangerte.

Kurzes Intermezzo: die Achse Vox mit Chiles Rechtsradikalen

Kast, das sollte man wissen, ist einer der wenigen chilenischen Signatare der „Madrider Charta“ und unterhält engste Kontakte zu Abascal und Vox. Seit 2019 betreiben beide Parteiführer intensiven persönlichen und Twitter-Verkehr. „Aus Chile, beste Grüße an @Santi_ABASCAL und die ganze Familie von @Vox_es bei den Wahlen an diesem Sonntag in Spanien. Möge es ein großer Triumph für die Rechte ohne Komplexe sein!“, twitterte Kast am Vorabend der Wahlen vom April 2019, bei denen Vox 15 Prozent der Stimmen erzielte und mit 52 Sitzen als drittstärkste Fraktion in das spanische Parlament einzog.

Genau zwei Monate später traf sich Kast mit Abascal in Spanien. Mit medienwirksamem Lächeln, Umarmungen und Händedruck beschworen beide Rechtsradikale „die Notwendigkeit, die Hegemonie der Linken in Kultur, Bildung oder Rechtsstaatlichkeit einzudämmen, …. den kulturellen Marxismus zu stoppen oder gemeinsame Werte zwischen Bruderländern wie Spanien und Chile zu verteidigen“. Doch drei Monate zuvor, im März 2019, hatte Vox bereits Javier García, Mitglied des politischen Ausschusses, als Emissär nach Chile entsandt. Kast betonte bei der Gelegenheit, „Vox steht für den Wandel in Spanien und wir teilen einige der Vorschläge, die sie verteidigen. Für uns ist es wichtig, ausländische Erfahrungen zu analysieren und zu sehen, wie wir sie in Chile anwenden können.“

Indes nahmen an dem rund zweistündigen Treffen auch Abgeordnete des konservativsten Flügels der Regierungskoalition Sebastián Piñeras teil, der García einen Brief mit einem Grußwort Abascals überbrachte. Wer diese TeilnehmerInnen aus der Regierungskoalition waren, wurde damals nicht bekannt. Doch siehe da, zwei Jahre später, im Oktober 2021, richtet sich Teresa Marinovic – Pinochet-Anhängerin, Kast-Verbündete und Abgeordnete von Piñeras Partei in der seit Mai 2021 tagenden Verfassunggebenden Versammlung – erneut an Vox mit der Bitte um „Beratung“. Diese leistete die Vox-Landesvorsitzende des Distrikts Madrid, Rocío Monasterio.

Im Klartext: Abascals Vox berät Chiles militante Pinochet-Anhänger, wie sie die Mehrheit der Demokraten und Linken in der Verfassunggebenden Versammlung torpedieren können. Dem durch rechtsradikale Provokationen konfliktbeladenen Konvent bleiben knappe neun Monate Zeit für die Ausarbeitung des neuen Grundgesetzes, das den neoliberalen durch einen Wohlfahrtsstaat ersetzen will. Doch Kast hat bereits gedroht: Sollte er gewählt und im März 2022 als Präsident vereidigt werden, könnte er über Nacht den Konvent auflösen und die seit 1988 in Kraft befindliche Pinochet-Verfassung weiter geltend machen.

Vox & „Darth Vader“: die AltRight-Szene und Steve Bannon als „Ratgeber“

Kürzlich nahm der republikanische US-Senator Ted Cruz an einer von Vox veranstalteten Videokonferenz teil und lobte mit glühenden Worten die „gemeinsamen Werte“ zwischen ihm und Abascal. Cruz gehört zum rechtsradikalen Lager der Republikaner, dass sich seit der Wahlniederlage Donald Trumps Ende 2020 um stärkere internationale Vernetzung beziehungsweise um die Wiederaufnahme bisher loser Bündnisse bemüht. Die Ultrarechten der USA verteilen sich als buntscheckige Falange innerhalb der Republikanischen Partei und in der militanten AltRight-Bewegung. Mit Gründung der CPAC (Conservative Political Action Conference) Anfang des neuen Jahrtausends durch die American Conservative Union Foundation (ACUF) vernetzten sie sich zunächst mit den Evangelikalen der USA und anschließend mit den Ultrakonservativen Europas (Víctor Órbans Fidesz, Österreichs FPÖ, Marine Le Pens Rassemblement National, Alexander Gaulands/Alice Weidels AfD).

Eine Schlüsselrolle übernahm indes Trumps ehemaliger Chef-Stratege Steve Bannon. Zwei Jahre zuvor, nachdem er sein Amt in der Regierung Trump verloren hatte, mietete der ehemalige Goldman-Sachs-Operator ein Schloss als rechtsradikale Kaderschmiede in Italien und startete die Vernetzung mit Italiens, Ungarns und Spaniens Ultras. Bannons Verbindungen zu Vox begannen am Vorabend der spanischen Wahlkampagne von 2019. Nachdem Bannon öffentlich seine Unterstützung für die Partei angekündigt hatte, bat Vox ihn um Rat bei dem, was er am besten beherrscht: politische Kommunikation in sogenannten alternativen Medien und sozialen Netzwerken – also eine Wahltechnik, die sowohl mit Big Data als auch mit Micro-Targeting (Algorithmen oder individualisierte Wählerwerbung durch Auswertung von demografischen Daten) arbeitet.

Dafür reiste im April 2018 Rafael Bardají, Mitglied des Nationalen Exekutivkomitees von Vox, nach Washington, um Bannon sowie andere Mitglieder der US-Regierung zu treffen. In einer damaligen Erklärung unterstützte Bannon die spanische Vox als „eine Partei, die auf der Souveränität und Identität des spanischen Volkes basiert und bereit ist, seine Grenzen zu verteidigen“. Bardají ließ sich feierlich mit Bannon für die Medien ablichten. Anschließend reiste Iván Espinosa de los Monteros, stellvertretender Sekretär für internationale Beziehungen von Vox, in die USA. Ziel der Reise war die Vernetzung mit der rechtsradikalen Latino- und Hispano-Szene Washingtons, New Yorks und Miamis, und dann der „Rundgang mit dem Hut“, also der Spendenaufruf unter den in den USA lebenden spanischen Millionären.

Zweites Intermezzo: Steve Bannon hilft Bolsonaro zum Wahlsieg

In jenen Tagen, zwei Monate vor der ersten Wahlrunde der Präsidentschaftskampagne in Brasilien, traf Bolsonaros Sohn Eduardo Anfang August 2018 in den USA zu einer Beratung mit Bannon ein. Einzelheiten des in New York stattgefundenen Gesprächs wurden selbstverständlich nicht bekannt, jedoch konnte Bolsonaros Sohn sich weder Eitelkeit noch Verplapperer verkneifen, als er in den Medien verbreitete, Bannon habe praktische Hilfe für Bolsonaros Wahlkampagne versprochen. Der Ex-Trump-Stratege bestritt, Jair Bolsonaros Wahlkampf unterstützt zu haben, obwohl er immerhin eine Art „informelle Beratung der Familie“ nicht verheimlichte. Sodann übernahm Eduardos Bruder, Stadtrat Carlos Bolsonaro, mit landesweiter Rekrutierung von Bloggern und Hackern den Aufbau des sogenannten „Hasskabinetts“ als digitales Unterstützungsnetzwerk für die Internetkampagne seines Vaters.

Es war die abscheulichste Kampagne aller Zeiten. Unter anderem verbreiteten Bolsonaros Hassprediger, sein Rivale der Arbeiterpartei (PT), Fernando Haddad, habe als ehemaliger Bildungsminister der Regierung Lula (2003-2010) Lehrbücher für den Sexualkunde-Unterricht herstellen lassen, in denen Kinder zum Fellatio durch Babyflaschen mit Saugkappen im Format des männlichen Geschlechtsorgans sowie zur Homosexualität angestiftet worden seien. Fake News wie diese wurden millionenfach per WhatsApp, Telegram und Facebook unter ein Publikum – vor allem Evangelikale – verbreitet, das keine Zeitung liest und glaubt, der gesamte Medienbetrieb sei „kommunistisch unterwandert“.

Seit Mitte 2019 laufen die ein ganzes Jahr unterbrochenen, jedoch 2021 wieder aufgenommenen Fake-News-Ermittlungen der Justiz, die sich im Obersten Gerichtshof (STF) auch auf Bolsonaro ausdehnen. Gegen mindestens ein Dutzend Mitglieder des „Hasskabinetts“, das sein Büro im Präsidentenpalast in Brasilia hatte, wurden Anklagen und Festnahmen verordnet, darunter Haftbefehle mit Auslieferungsantrag gegen zwei in die USA Geflüchtete. Dem ehemaligen Kommissar der Bundespolizei und rechtsradikalen Abgeordneten Fernando Francischini wurde gar das Mandat entzogen.

„Finsternis ist gut“, sagte einst Bannon mit zynischem Unterton und setzte noch einen drauf: „Dick Cheney, Darth Vader, Satan. Das ist Macht“. Bannon fiel im August 2020 zwar in Ungnade, als ihm vorgeworfen wurde, 1 Million Dollar an Spenden für den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko für persönliche Ausgaben entwendet zu haben. Doch seine Devise machte Schule. Im Oktober 2018 wurde Bolsonaro zum Präsidenten Brasiliens gewählt. Ein Jahr später, im November 2019, erzielte die spanische Vox 15 Prozent der Stimmen und versprach die zerbrechliche spanische Demokratie zur Hölle zu machen, was ihr bisher gelang.

Der AfD-Besuch bei Bolsonaro

Zwischen der deutschen AfD und der spanischen Vox entwickelte sich seit dem Einzug Letzterer ins spanische Parlament ein reger Austausch. Die AfD feierte 2019 den Wahlerfolg von Vox mit dem Verweis, es bestünden „große Parallelen“ zwischen den beiden Parteien, etwa im „Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus“ (sic!), Multikulturalismus, „Gender-Ideologie“ und eine „immer aggressivere EU“. Ferner begrüßten die deutschen Rechtsradikalen „den effektiven Schutz der spanischen Grenzen (die zum größten Teil auch Schengen-Außengrenzen sind) durch Vox sowie ihren Kampf für das Recht auf Leben, Familie“ usw.

Ebenso wie Vox holte sich auch die AfD Steve Bannon als „Berater“ an Bord, als dieser 2019 auf Europa-Tour ging und nach der Europawahl mit kriegslüsternen Worten – „jeder Tag in Brüssel (wird) Stalingrad sein“ – der EU den Kampf ansagte. Zunächst traf Bannon in Weimar den AfD-Spitzenkandidaten Jörg Meuthen, sodann lud die AfD ihn mit unzulässiger Umgehung des zuständigen Ausschusses zur „1. Konferenz der freien Medien“ (sic!) in den Bundestag ein. Was die AfD aber von Bannon erwartete, war ein Vortrag zum Thema „Erfolgreich Kampagnen führen“. Der Berliner Tagesspiegel betitelte einen ausführlichen Bericht über das Treffen mit den Worten „Steve Bannon auf Deutschland-Tour: Ein rechtes Netzwerk gegen das vereinigte Europa“.

Bannons Hybris löste sich in Luft auf, doch seine „Beratung“ intensivierte die weltweite Vernetzung und zeigte Wirkung: Nie zuvor wurden in der politischen Debatte mit der Nutzung sozialer Netzwerke und deren Ausstrahlung auf konservative Medien auf niederträchtigstem Niveau so viel Hass und Lügen verbreitet. Beispielhaft dafür sind die jüngsten Auftritte deutscher Rechtsradikaler in Brasilien.

Zunächst ging dort die AfD-Vizepräsidentin Ende Juli 2021 an Land. „Braungebrannt bei Bolsonaro“, spottete das Wochenmagazin Stern. Der Titel des Kurzberichts krönte über einem Foto, auf dem der ehemalige brasilianische Fallschirmjäger mit aufgesetztem, freudestrahlendem Grinsen das Ehepaar von Storch in seinen Armen hält. Die von Sven von Storch herausgegebene rechtsradikale Postille Freie Welt feierte die Begegnung: „Beatrix von Storch besucht Präsident Jair Bolsonaro“. Wie Kast ist auch von Storch ein Deutsch-Chilene, der die AfD-Politikerin, geborene Herzogin von Oldenburg, heiratete. Brasilianische Medien hielten die familiäre Pointe für denkwürdig, dass Beatrix von Storchs Großvater, Johann Ludwig „Lutz“ Graf Schwerin von Krosigk, in den 1930er Jahren als Hitlers Reichsminister der Finanzen amtierte.

Sven von Storch stammt ebenfalls aus norddeutschem, jedoch nach Chile geflüchtetem Adel und widmete sich nach der Vermählung mit der Herzogin dem Aufbau einer der erstaunlichsten Datenbanken der rechtsradikalen Szene, wozu die Propaganda-Gazette Freie Welt gehört. Ihre Überschrift erklärte den Besuchszweck der von Storchs beim Bolsonaro-Clan: „Stärkere Vernetzung der konservativen Kräfte auf internationaler Ebene“. Der Besuch – nicht nur Jair Bolsonaros, sondern seines Sohnes Eduardo, als Strippenzieher internationaler Vernetzungen, und der rechtsradikalen Abgeordneten Bia Kicis – löste in Brasilien harsche Kritik aus. Gleisi Hoffmann, Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT), hatte auf Twitter protestiert, das Treffen „mit einer nationalsozialistischen deutschen Parlamentarierin ist erbärmlich“. Die von Storchs und Bolsonaros hätten vieles gemein: „Fremdenfeindlichkeit, Hassrede und antidemokratische Haltung. Wir können nicht zulassen, dass diese Art von Politik hier Fuß fasst“.

Die progressive brasilianische Bewegung „Juden für die Demokratie“ warnte vor „der Belastung der kollektiven Erinnerung an den Holocaust in Brasilien und für unsere eigene Demokratie“. Worauf die von Storchs in der Freien Welt mit blankem Hass reagierten: „Die PT hat ihre Wurzeln in der marxistischen Guerilla und regierte Brasilien 2011-2016 unter Präsidentin Dilma Rousseff, die 2016 wegen Korruption ihres Amtes enthoben wurde“. Der zweizeilige Absatz verbreitete zugleich zwei freche Lügen: Weder hat die PT ihre Wurzeln in der „marxistischen Guerilla“, sondern in der Gewerkschaftsbewegung und den katholischen Basisgemeinden der 1980er Jahre, noch wurde Präsidentin Dilma Rousseff wegen Korruption, sondern mit einer gerichtlich erwiesenen falschen Anklage wegen angeblicher Etatüberziehung ihres Amtes enthoben und Jahre später von dem Vorwurf freigesprochen.

Indes hat die Brasilien-Vernetzung der AfD unter anderem damit zu tun, dass seit dem Abtritt Donald Trumps dem Bolsonaro-Regime eine führende Stellvertreter-Rolle im Kampf der rechtsradikalen Szene gegen die Abtreibung und in der Genderfrage zugesprochen wurde. Dies bestätigte eine E-Mail Valerie Hubers, die während der Administration Trump im Weißen Haus unter dem Deckmantel der „weiblichen Gesundheitsfürsorge“ den weltweiten Kampf der Rechtsradikalen gegen die Abtreibung mitbestimmte, der auch vehement von der AfD mit den Worten „wir sind durch die Ideale der Verteidigung der Familie, des Schutzes der Grenzen und der nationalen Kultur geeint“, geführt wird.

Mit überschäumendem Hass und unter Verbreitung falscher Tatsachen schloss sich die Brasilien-„Berichterstattung“ der Freien Welt dem Frontalangriff des Bolsonaro-Regimes gegen die brasilianische Justiz an; eine Attacke, die vor Lächerlichem nicht zurückschreckt. Mit der Schlagzeile „Brasilien: Linker Richter lässt Trump-Berater Miller verhaften“ schrieben die von Storchs Anfang vergangenen September: „Die linke Stasi-Diktatur (sic!) greift auf der ganzen Welt um sich: Nach der erfolgreichen konservativen Messe CPAC Brazil wurde Trump-Berater und GETTR-Begründer Jason Miller von einem Anti-Bolsonaro Richter am Flughafen von Brasilia in Haft genommen und 3 Stunden lang verhört“.

Der betroffene US-AltRight bezeichnete die Festnahme umgekehrt als „Nazi-Methode“, doch gemeint ist der Hohe Richter Alexandre de Moraes, der seit Monaten im Obersten Gerichtshof (STF) als Berichterstatter der Polizei-Ermittlungen über die Verbrechen von Bolsonaros „Hasskabinett“ amtiert, Internet-Auftritte und Finanzierungsquellen rechtsradikaler Blogger blockierte und die Auslieferung flüchtiger Delinquenten, wie des sich in die USA abgesetzten Allan dos Santos, in die Wege leitete. Dos Santos, so viel ist bekannt, agierte unter Anleitung der Bolsonaro-Söhne Eduardo und Carlos, die wiederum als Akteure der Steve-Bannon-Gang bekannt sind, zu der auch Jason Miller gehört, der Trumps neues Netz- und Hetzwerk GETTR koordiniert. Richter Moraes interessierte sich zu Recht für Details dieser Hintergründe und ordnete ein Polizeiverhör Millers an. Die Beschimpfung Moraes‘ als „linken Richter“ einer „Stasi-Diktatur“ offenbart die hanebüchenen Entgleisungen der weltweiten rechtsradikalen Szene, ein Mix von geistiger Umnachtung, systematischer Lüge und Provokation.

Ein kurzer Rückblick auf Richter Moraes‘ Karriere reicht aus, um das Bolsonaro/AfD-Hirngespinst zu entlarven. Nicht nur weigerte sich der rechtsliberale Richter dreimal im Jahr 2018, Einsprüchen der gestürzten Ex-Präsidentin Dilma Rousseff gegen ihre Absetzung nachzugeben, sondern befürwortete auch energisch im STF die erst 2021 vom gleichen Hohen Gericht als illegal bezeichnete Verhaftung von Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva. Mutierte nun Moraes vom rechten ins „linke Lager“? Keineswegs. Mit etwa der Hälfte der 11 Hohen Richter des STF verkörpert Moraes allerdings die letzte Bastion der legalistischen, demokratisch ausgerichteten Konservativen gegen die Vorherrschaft und Willkür des faschistischen Bolsonaro-Regimes. Doch siehe da! Angezogen von der Festnahme Millers, empfing Mitte vergangenen Oktober Beatrix von Storch den Trump- und Bannon-Vertrauten und US-AltRight im Bundestag. Wieder lautete das Codewort „Konservative Kräfte weltweit vernetzen“.

Titelbild: Aitor Serra Martin/shutterstock.com


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