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Titel: „Emotionale Nähe in dieser auf Distanz getrimmten Gesellschaft generieren“

Datum: 10. November 2021 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Interviews, Kultur und Kulturpolitik
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In Anbetracht der schwierigen aktuellen Situation vieler Musikerinnen, Musiker und der mit ihnen verbundenen Berufe haben sich unter dem Namen „Netzwerk Musik in Freiheit“ eine größere Zahl von Musikern und mit ihnen verbundene Berufe zusammengeschlossen und ein Manifest veröffentlicht. Die Gruppe besteht aus professionellen Musikern aller musikalischen Genres, aus Angehörigen renommierter Orchester, Bands und Ensembles, aus Solisten, Musikschaffenden und Lehrenden. Das Manifest ist auch auf den NachDenkSeiten veröffentlicht worden. Wenn Sie ebenfalls unterzeichnen wollen, dann finden Sie alles Notwendige auf der Internetseite musik-in-freiheit.de. Mit Roger Hanschel und Attila Benkö, zwei der Aktivisten von „Netzwerk Musik in Freiheit“, hat Frank Blenz für die NachDenkSeiten ein Interview geführt.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mit Blick auf eine geradezu lähmende Ohnmacht bei vielen Bürgern des Landes, zu denen die Musiker zählen, gegenüber den fortlaufenden Maßnahmen der Regierenden und deren Institutionen, steht Ihr Manifest, deutlich aussprechend, wie schlimm die Lage ist. Haben Sie dennoch Hoffnung, dass trotz allem Ihr Engagement Erfolge mit sich bringt, welche aktuell und welche perspektivisch?

Hanschel und Benkö: Wir können uns ein Leben ohne Hoffnung nicht vorstellen. Leider stellt sich uns die Lage so dar, dass berechtigte Sorgen aus der Gesellschaft heraus, aber auch von uns Musikern in unserem Manifest formuliert, keine Resonanz und Widerhall finden in den Behörden und der Regierung. Seit 19 Monaten erleben wir sich immer verschärfende Maßnahmen, die nun an einem Punkt angelangt sind, an dem wir sagen müssen: Die Spaltung der Gesellschaft ist vollzogen und manifestiert sich bereits regional in 2G-Regelungen. Unsere Hoffnung ist, mit unserem Anliegen in die Breite der gesellschaftlichen Öffentlichkeit gehen zu können und zum Nachdenken und offenem Diskurs anzuregen. Unser Netzwerk ist unpolitisch und bildet einen Querschnitt der Gesellschaft ab. Darin liegt unsere Stärke. Die überaus positive Resonanz auf unser Manifest zeigt uns, dass wir einen verwundeten Nerv in der Gesellschaft getroffen haben, den es nun zu heilen gilt.

Sie schreiben, dass viele Musiker den Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage erleben. Wie sieht das konkret aus und können sie dennoch mit Hilfe Ihres Netzwerkes Linderung erwirken?

Hanschel und Benkö: Musiker, die nicht in Festanstellungen sind und beispielsweise in Orchestern Vertretungen machen, erleben mit aller Härte, dass sie nur noch geimpft engagiert werden und anderweitig nicht mehr eingeladen werden. Auch hier entsteht eine Spaltung der Gesellschaft. Es wird jeglicher Datenschutz ausgehebelt, indem Musiker telefonisch von öffentlichen Konzert-Veranstaltern nach ihrem Impfstatus abgefragt werden und von der Liste als Gastmusiker gestrichen werden, wenn sie nicht die erwünschte Antwort „geimpft“ parat haben.

Auch herrscht diesbezüglich im ganzen Land Willkür, da manche Orchester solche Ausgrenzungen nicht akzeptieren und Produktionen gewährleisten, bei denen alle Mitwirkenden getestet werden. Wenn alle getestet werden, ist das doch im Sinne der Gleichbehandlung viel besser. Viele Jazzclubs haben bereits auf 2G umgestellt, das bedeutet für viele Musiker, dass bei diesen Veranstaltern ein Engagement ausgeschlossen ist. Wir als Netzwerk haben selbstverständlich zunächst keine Lösung für diese Probleme parat, sondern können im Moment den Mitgliedern eine Plattform zum Austausch geben und Ihnen das Gefühl geben, nicht allein zu sein mit den Problemen. Konkrete Hilfen und Unterstützung werden daraus erwachsen.

Ihrem Manifest weht im Netz teils ein rauher Widerspruch entgegen, so schreibt ein Leser, dass (Zitat) „vor anderthalb Jahren, als die ‚Querdenken Bewegung‘ gegen diese total überzogenen Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf jeden Einzelnen gewarnt haben, diese auch von sogenannten Kulturschaffenden auf das Übelste beschimpft wurden. Jetzt wo die merken, dass die von der Regierung verarscht wurden und die versprochenen Hilfen ausbleiben, kommen die ins Jammern.“ Was entgegnen Sie solchen Wortmeldungen?

Hanschel und Benkö: Wir vertreten keine homogene Berufsgruppe, sondern Menschen, deren Kritik vom Anfang der Krise an ungehört blieb. Wir Musikerinnen und Musiker sind in der Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse genauso heterogen wie alle anderen. Wir haben von Anfang an nicht gejammert, sondern haben wie andere Berufsgruppen auch unter Beweis gestellt, dass wir willens sind, die Maßnahmen mitzugehen und im Sinne der Infektionsvermeidung kreativ an Lösungen zu arbeiten, wie ein Konzertbetrieb möglich ist. Studien belegen, dass Konzertveranstaltungen unter Hygienemaßnahmen keine Hotspots/Superspreader-Events waren und sind.

Musikerinnen und Musiker gehörten mit zu den ersten Berufsgruppen, die in den Lockdown geschickt und mit Berufsverboten belegt wurden. Nun müssen wir aber feststellen, dass alle diese Maßnahmen immer weiter verschärft werden, anstatt sie zu lockern. Zahlreiche sogar preisgekrönte Studien an renommierten Institutionen wie etwa der Bauhaus-Universität Weimar zeigen, dass z.B. Blasinstrumente überhaupt keine sogenannten „Virenschleudern“ sind, da nur Luftschwingungen durch die Instrumente verstärkt werden wie bei Lautsprechern. Diese und andere Tatsachen werden von der Politik und den Mainstreammedien völlig gegenüber der Öffentlichkeit verschwiegen und die Musiker stattdessen mit absurdesten Maßnahmen wie dem Überstülpen von Frauenstrumpfhosen über die Trichter der Instrumente ihrer langjährig erarbeiteten Spielfähigkeit beraubt.

Welche konkreten Forderungen stellen Sie an Verantwortliche, welche Maßnahmen fern derer, die aktuell angeordnet werden, würden helfen, die Lage der Musiker und des Publikums zu verbessern?

Hanschel und Benkö: Es wäre nach dem Ermessen unseres Netzwerkes für die Verantwortlichen wirklich an der Zeit, sich dazu zu bekennen, dass Kunst, Kultur und eben auch die Musik zum kulturellen Erbe unserer Gesellschaft gehören. Aktuell dient sie ihnen aber eher als nettes Beiwerk, um sich auf großen Festivals kulturinteressiert, medienwirksam dem Volk zu zeigen.

Einwurf Benkö: Das Leben besteht nicht nur aus den Bayreuther und Salzburger Festspielen.

Hanschel und Benkö: Klar ist, dass auch wir Musikerinnen und Musiker einen großen, nicht zu unterschätzenden Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Soziale Nähe ist für den Menschen ein wichtiges Lebenselixier. Dies gilt für uns Profis in U- und E-Musik genauso wie für die zahlreichen Menschen in den bundesweit hoch ambitionierten Laienensembles.

Wie bereits erwähnt wünschen wir uns einen offenen Diskurs darüber, wie Kulturveranstaltungen für alle auch in Zeiten von Corona möglich sind. Die Bereitschaft zur Entwicklung von Aufführungskonzepten, die jenseits von medizinischen Voraussetzungen einen freien Zugang für alle zu Veranstaltungen ermöglichen, ist von unserer Seite aus vorhanden. Viele unserer bereits auf ca. 700 Mitglieder angewachsenen Initiative sind höchst kreativ darin, gesellschaftsfähige Konzertformate zu entwickeln, in denen die Kommunikation zwischen Zuhörern und Musikern im Vordergrund steht. Die Bereitschaft, emotionale Nähe in dieser auf Distanz getrimmten Gesellschaft zu generieren, ist unserer Ansicht nach die wirksamste Medizin, welche wir anbieten können und wollen.

Titelbild: Christian Bertrand / Shutterstock


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