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Titel: Wer aus dem Konsens ausschert, wird plattgemacht

Datum: 3. November 2021 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Wie schnell es gehen kann, heute vom größten deutschen Nachrichtenmagazin zum „Schwurbler“ und „Querdenker“ abqualifiziert zu werden, durfte nun auch der Fernsehphilosoph Richard David Precht erfahren. Der hatte sich in einem durchaus hörenswerten Podcast mit dem Talkshow-Moderator Markus Lanz nämlich „überraschenderweise“ einmal kritisch zur aktuellen Impfdebatte geäußert. Dies reichte dem SPIEGEL bereits aus, um frontal und unter der Gürtellinie mit einem Meinungsartikel gegen Precht zu schießen. Deutschland im Herbst 2021 – der öffentliche Meinungskorridor ist nicht etwa verengt, er existiert schlichtweg nicht mehr. Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Was haben Joshua Kimmich, Sahra Wagenknecht und Richard David Precht gemeinsam? Alle drei sind prominent, stehen damit im Rampenlicht und haben sich in der aktuellen Impfdebatte kritisch zum vorherrschenden Konsens geäußert. Was in normalen Zeiten bestenfalls ein Schulterzucken provozieren würde, gilt großen Teilen der Meinungsmacher in diesem Land heute offenbar als Hochverrat. Anders sind die hyperventilierenden Reaktionen auf die in allen drei Fällen legitimen Meinungen dieser drei Prominenten kaum zu erklären.

Precht schaffte es dabei sogar, den ehemals als seriös geltenden SPIEGEL zu einer „Abrechnung“ (sic!) zu motivieren, die im Grunde nichts anderes ist als eine sinnfreie Aneinanderreihung von Beschimpfungen und Beleidigungen, wie der Kollege Norbert Häring bereits festgestellt hat. Inhaltliche Aussagen in dieser Polemik: Fehlanzeige. Und wenn der Autor Marco Evers, der immerhin hauptberuflich als Redakteur des Wissenschaftsressorts im SPIEGEL tätig ist, doch mal inhaltlich wird, wird es auch gleich unfreiwillig komisch. So behauptet Evers doch beispielsweise tatsächlich, „die Zulassungsverfahren für die in Rekordzeit entwickelten Impfstoffe wurden nicht abgekürzt oder vereinfacht“. Es macht wohl heute, mehr als anderthalb Jahre nach dem Startschuss des abgekürzten und vereinfachten Zulassungsverfahrens (Quelle: Paul-Ehrlich-Institut) für die Coronaimpfstoffe, keinen großen Sinn, sich ernsthaft mit solchen Falschaussagen auseinanderzusetzen. Wir befinden uns – nicht erst seit Corona – in einer postfaktischen Welt und Medien wie der SPIEGEL haben sich zu Meinungsführern von alternativen Fakten entwickelt.

Interessanter ist schon die Frage, warum ausgerechnet Richard David Precht beim SPIEGEL derartige Beißreflexe auslöst. Seine Aussagen im kritisierten Gespräch mit Markus Lanz sind schließlich keinesfalls ein Frontalangriff auf die Coronapolitik der Regierung, die der SPIEGEL ja regelmäßig in devoter Vasallentreue verteidigt. Im Kern kritisiert Precht vor allem die Impfungen an Kindern, weist auf mögliche Langzeitfolgen der Impfung hin, sieht keine rechtliche Basis für den Staat, Druck gegen Ungeimpfte auszuüben, und beklagt die Einengung des Meinungskorridors. Dieser letzte Punkt ist es wohl auch, der bei den Meinungsmachern die Alarmglocken schrillen ließ. Zumal Precht ja eigentlich als einer „der Ihren“ galt, der sich vor nicht einmal einem Jahr noch brav und opportunistisch hinter die Coronapolitik der Regierung gestellt hat.

Und das ist wohl das eigentliche Problem. Joshua Kimmich ist ein junger Fußballer, der bislang nicht sonderlich verdächtig war, eine Rolle im gesellschaftlichen oder politischen Diskurs zu spielen. Sahra Wagenknecht gilt den Meinungsmachern ohnehin als Gegnerin. Aber wenn der Flötist des Orchesters plötzlich schiefe Töne spielt, stören Dissonanzen das harmonische Bild und der Konsens gerät ins Wanken.

So gesehen stellt die Polemik des SPIEGEL vor allem eine disziplinierende Maßnahme gegen einen der „Ihren“ dar. Man könnte es auch ein Exempel nennen, das an Precht statuiert wurde. Wer brav mitmacht, darf am Erwachsenentisch sitzen und wird „gefeatured“. Wer es jedoch wagt, den Konsens ins Wanken zu bringen und den Meinungskorridor zu öffnen, muss damit rechnen, plattgemacht und ausgestoßen zu werden.

Im Falle Precht ist das jedoch wenig wahrscheinlich. Seine große Stärke ist schließlich seine intellektuelle Flexibilität, sodass man davon ausgehen kann, dass er bereits in wenigen Wochen einmal mehr die Seiten wechselt, mit neuen steilen Thesen aus der anderen Richtung die Aufmerksamkeitsökonomie bedient und dann auch wieder wie ein verirrtes Schaf in die Herde aufgenommen wird. Also, alles gut! Nur der Meinungskorridor, der schließt sich weiter und weiter.

Titelbild: Screenshot SPIEGEL.de


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