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Titel: Eine kleine Entstehungsgeschichte zur “verrohten und sozial vereisten gehobenen Mittelschicht”

Datum: 7. Dezember 2010 um 8:55 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Medien und Medienanalyse, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Den Nachdenkseitenbeitrag zu “Rohe Bürgerlichkeit und soziale Vereisung” finden Sie hier hier.
Ja, ich hatte es gleich vermutet, denn gute und kritische Artikel stehen – verbreitungshindernd – häufig gar nicht im Netz.
So fehlt auch heute der SZ-Artikel zur Sloterdijk-Debatte im Anschluss an die von Heitmeyer et.al. festgestellte „Verrohung“ – damals von den Medien mit großer Begeisterung trotz ihrer aggressiven gedanklichen Dürftigkeit vorangetrieben, sodass Wolfgang Lieb schrieb : “Wer gehofft hatte, Sloterdijks Provokation gegen den Sozialstaat in der wirtschaftsliberalen FAZ würde als das Krähen eines in die Jahre gekommenen eitlen Gockels abgetan, hat sich getäuscht. Der Hahn krähte offenbar auf einem großen Misthaufen, auf dem sich die selbsternannten Zeitgeistinterpreten wonnig suhlen und den Gestank der Jauche als Hauch einer neuen Epoche verkünden.”
Von Volker Bahl.

Der jetzige Artikel in der SZ (6.12.10 – Feuilleton, S. 12) zu “Peter Sloterdijk und die Verrohung des Bürgertums” stammt von einem Thomas Wagner, der auch ein Buch zur Sloterdijk-Debatte (zusammen mit Jan Rehmann) schrieb “Angriff der Leistungsträger” (Argument-Verlag). Nur ein wenig möchte ich daraus zitieren: “Der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer stellte am Freitag in Berlin eine empirische Studie vor, der zufolge sich Wohlhabende trotz der – durchaus massiven – Umverteilung von unten nach oben ungerecht behandelt fühlen. Während Arme sich in der ökonomischen Krise mit Hilfsbedürftigen solidarisierten, sei dies in den höheren Einkommensgruppen weniger der Fall. Heitmeyer sprach von einer “rohen Bürgerlichkeit”, die auch in den Thesen Sloterdijks zum Vorschein komme. Erst neulich habe dieser in der “Zeit” wieder nachlegen dürfen, sagte Heitmeyer zum Ende seines Vortrages. Manchmal verstehe er die Welt nicht mehr – auch die Zeitungswelt nicht.”

Aber dieser Trend – durch Sloterdijk nur verstärkt – ist ja älter und hat tiefere politische Ursachen. Schon im Januar 2008 konnte Heitmeyer bei der Vorstellung der “Deutschen Zustände – Folge 6” feststellen, dass mit dem Wandel von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft eine Ökonomisierung des Sozialen mit negativen Folgen für “Überflüssige” und “Nutzlose” einhergehe.

Damals stellte der SPD-Abgeordnete Ottmar Schreiner – als einer der letzten Aufrechten – fest, dass dieses Ergebnis kein Wunder sei und auch nicht vom Himmel gefallen , sondern durch die nach Hartz benannten Arbeitsmarktreformen der Rot-Grünen Bundesregierung herbeigeführt worden sei. (siehe auch sein Buch “Die Gerechtigkeitslücke” – Wie die Politik die Gesellschaft spaltet)

Ottmar Schreiner zitiert zur Umverteilung Harald Schumann und Christiane Grefe (“Der globale Countdown”):
“Während ihrer sieben Jahre in der Regierung betrieb die Sozialdemokratie eine radikale Umverteilung von unten nach oben. Um zeitweilig bis zu 26 Milliarden Euro jährlich senkte die Schröder-Regierung die Steuerlast für Konzerne, Kapitalgesellschaften und Besserverdiener, während sie gleichzeitig die Unterstützungsleistungen für Arbeitslose zusammenstrich… Parallel dazu betrieb die Regierung eine Lohnsenkung auf breiter Front.”

Mit der jetzigen Studie wird also nur noch die Zuspitzung dieses vorhandenen – politisch neoliberal verursachten – Trends in der aktuellen Krise mit ihrer weiteren Verunsicherung festgehalten sowie.

Interessanterweise hat ein weiterer medial enorm aufgeplusterter “Diskurs” nämlich der von Sarrazin mit seinem aggressiven Feindbild – als Ergänzung zu Sloterdijk – keinen direkten Einfluss auf diese “Verrohungs-Ergebnisse” mehr haben können, da diese Befragungen vor dem Erscheinen durchgeführt worden waren – aber Sarrazin setzt eben geschickt auf diese vorhandene Stimmung beim gehobenen Bürgertum auf – oder wie Wolfgang Lieb das so plastisch ausgedrückt hatte : “Die Bildzeitung benutzte Sarrazin wie ein Bauchredner seine Puppe“.


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