Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wir brauchen zur Rettung des Restes an Demokratie eine Art Wikileak zur Aufklärung über innere Vorgänge in D.
Datum: 30. November 2010 um 17:20 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Lobbyismus und politische Korruption, Medien und Medienanalyse
Verantwortlich: Albrecht Müller
Es ist interessant zu beobachten, wie sich ein wesentlicher Teil der deutschen Medien über die Veröffentlichung der diplomatischen Dokumente durch Wikileaks aufregen. Zum Beispiel in der Welt oder im ARD-Brennpunkt. Dazu hat ein NachDenkSeiten-Nutzer einen kritischen Brief an Ulrich Deppendorf geschrieben. Siehe Anlage. Auch wenn Indiskretionen nicht schön sind, ist zu beachten, dass die demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung weit gehend auf den Hund gekommen ist. Wer über viel Geld und publizistische macht verfügt, bestimmt darüber, was politisch geschieht. Die Medien werden ihrer Kontrollfunktion nicht gerecht, sie sind weit gehend in das Herrschaftssystem integriert, trotz gutem willen mancher Journalisten. Wir bräuchten deshalb eine Art WikiLeak für die Willensbildung im Inneren unseres Landes. Albrecht Müller.
Zunächst noch einige wenige Anmerkungen zum aktuellen Vorgang, der Veröffentlichung der Papiere der amerikanischen Diplomatie:
Warum reagieren Medien so empfindlich und kritisch auf die Veröffentlichung von Wikileaks?
Mit der Veröffentlichung wird sichtbar, dass die Mehrheit der Medien nicht mehr richtig recherchiert. Denn hier werden Informationen über Regierungen, Informationen über die Tätigkeit von Diplomaten und Geheimdienste offen gelegt, die offen zu legen eigentlich die Aufgabe der Medien wäre. Den Medien wird der Spiegel vorgehalten. Da die meisten Medienschaffenden Kritik nicht ertragen können, reagieren sie gereizt auf einen solchen Vorgang. Dann wird so jemand wie der Boss von Wikileaks schnell mal zum Anarchisten stilisiert, wie von Welt online am 29. November.
Manche Medien reagieren vermutlich auch deshalb so aggressiv, weil sie befürchten müssen, dass sehr bald auch ihre Verflechtung mit der Politik, mit den Geheimdiensten und mit großen Interessen sichtbar gemacht wird.
So kann man nur hoffen, dass bald einmal bekannt wird, welche Journalisten als Einflussagenten zum Beispiel der NATO oder des Berliner Verteidigungsministeriums agieren.
So kann man nur hoffen, dass bald und umfassend bekannt wird, welche Medien und Journalisten in Public Relations Aktionen und Kampagnen involviert und dafür engagiert sind.
Es wäre für uns alle ausgesprochen hilfreich, wenn wir wüssten, welche Medien und Journalisten direkt mit der Finanzwirtschaft verbunden sind.
Wir bräuchten eine Art Wikileak für unsere innere Hygiene. Vor allem für den Kampf gegen die politische Korruption und zur Neutralisierung des Versagens der Medien wäre eine solche Einrichtung Gold wert.
Dazu ein paar Beispiele:
Wenn die NachDenkSeiten die finanzielle und organisatorische Kraft hätten, um das spezielle WikiLeaks für Deutschland zu betreuen und zu betreiben, wäre das eine sehr nützliche Erweiterung. So sind wir alle auf die Initiative Anderer angewiesen. Vielleicht packen ein paar junge Deutsche das Projekt an oder helfen bei der Ausweitung des bisherigen WikiLeaks auf die deutsche Innen- und Gesellschaftspolitik.
Anlage:
ARD-Brennpunkt: Gefährliche Enthüllungen – Die Wikileak-Dossiers.
Moderation: Ulrich Deppendorf
Quelle: ARD-Aktuell
Brief von Gunnar Glitscher an die ARD:
Sehr geehrter Herr Deppendorf, sehr geehrte Damen und Herren,
natürlich muss man mit den Aktivitäten von WikiLeaks nicht einverstanden sein. Das bedeutet aber nicht, dass man als Journalist eine ARD-‘Brennpunkt’-Sendung zur Meinungsmanipulation einsetzen darf.
Genau dies ist heute jedoch geschehen.
Statt den Zuschauer umfassend zu informieren, wurde über weite Strecken beschwichtigt und Meinungsmache betrieben, um dann am Ende in den Raum zu stellen, WikiLeaks ginge es vorrangig um die Erhöhung des Spendenaufkommens.
Um es deutlich zu sagen: Ich zahle die Rundfunkgebühren nicht dafür, um mir von Ihnen, Herr Deppendorf, einreden zu lassen, WikiLeaks sei kriminelle Organisation aus Vergewaltigern und Spendenbetrügern, die versucht, die Welt ins Chaos zu stürzen.
Mit keinem Wort wurde auf die von der US-Außenministerin Außenministerin angeordnete Ausspähung von UNO-Repräsentanten eingegangen. Mit keinem Wort wurde beim Einspielen des Haubschrauber-Videos erwähnt, dass bei diesem Einsatz zahlreiche irakische Zivilisten ermordet wurden. Und von – Zitat – ‘Liebeserklärungen’ kann auch bei humorvoller Betrachtung der katastrophal schlechten Vertrauenslage zwischen Regierungen ja wohl keine Rede sein.
Statt der verlogenen Schadensbegrenzung-Rhetorik des amerikanischen Botschafters in Berlin, Herrn Murphy breiten Raum zu gewähren, hätte in der knappen Sendezeit z. B. auf die Problematik eingegangen werden müssen, die sich aus der Tatsache ergibt, dass das angeblich so hervorragende Verhältnis der Regierungen Deutschlands und der Vereinigten Staaten von Amerika bereits VOR den WikiLeaks-Veröffentlichungen keineswegs von gegenseitigem Respekt und Vertrauen getragen war.
Dies nun nicht nur zu ahnen, sondern zu wissen, ist das Verdienst von WikiLeaks. Als mündiger Bürger bin ich WikiLeaks für die geschaffene Klarheit dankbar.
Herr Deppendorf, als Journalist ist es nicht Ihre Aufgabe, Hofberichterstattung für Regierungen zu betreiben, indem Sie unangenehme Fakten unterdrücken oder durch Beschönigung verkleistern.
Ihre Aufgabe ist es, die Öffentlichkeit ungefiltert zu informieren. Heute Abend haben Sie das Gegenteil getan.
Sie versuchten, die Öffentlichkeit – also auch mich – zu manipulieren und gegen WikiLeaks aufzubringen. Warum? Sie werden verstehen, dass ich darüber gleichermaßenbesorgt wie verärgert bin.
Dass man auch anders über die durch die WikiLeaks-Veröffentlichungen entstandene Situation berichten kann, bewies – ebenfalls heute Abend – die Sondersendung nach der 19-Uhr-Ausgabe des ZDF-‘Heute-Journals’. Dort wurde explizit erwähnt, dass Frau Clinton in Stasi-Manier Bespitzelungen hochrangiger Diplomaten durchführen ließ.
Mein Rat: Bemühen Sie sich um ein politisches Amt, dort braucht man Leute, die wissen, wie man die Faktenlage ‘frisiert’.
Ihre Reputation als Journalist ist heute Abend im ARD-‘Brennpunkt’ buchstäblich ‘verbrannt’, es könnte aber immerhin der Beginn einer Karriere als ‘transatlantischer Spin-Doctor’ gewesen sein. Denn einige werden die von Ihnen moderierte Sendung mit Wohlgefallen verfolgt haben und sich zu gegebener Zeit bedanken. Guten Erfolg!
Mit freundlichen Grüßen,
Gunnar Glitscher
P.S. Ich erlaube mir, eine Kopie dieses Schreibens der Redaktion der ‘Nachdenkseiten’ (www.nachdenkseiten.de) zukommen zu lassen. Auch andere Fernsehzuschauer werden verärgert bemerkt haben, was Sie mit Ihrer Sendung beabsichtigten.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=7587