NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Rauchsignale an die künftige Bundesregierung – Die kriminelle Szenerie und die verbrannte Erde in der Amazonien-Politik des Bolsonaro-Regimes

Datum: 20. August 2021 um 9:10 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte, Lobbyismus und politische Korruption, Ressourcen, Umweltpolitik
Verantwortlich:

Teil 2: Vernichtungsfeldzug im Auftrag der Militärs. Im ersten Teil dieser Untersuchung wurde das politische Umfeld und die kriminelle Karriere des vor Wochen amtsenthobenen ehemaligen Umweltministers Brasiliens, Ricardo Salles, skizziert. Sein Handeln prägte die weltweit verurteilte Amazonien-Politik des Bolsonaro-Regimes. Dass diese auf ein geopolitisches Konzept aus Zeiten der Militärdiktatur (1964-1985) zurückgreift, ist – von wenigen Beobachtern und Historikern abgesehen – in Europa weitgehend unbekannt. In ihren Anfängen beanspruchte diese militärische Doktrin die selbstverständliche, nationale Souveränität über die 5,5 Millionen Quadratkilometer großen Biotope. Zum anderen waren und sind den Militärs, trotz 35 Jahren zerbrechlicher Demokratie, keine Zweckbündnisse mit illegalen Holzfällern, Goldgräbern und Großgrundbesitzern und keine Verachtung gegen die indigenen Völker Amazoniens, ihre Territorial-Rechte und keine Verschwörungstheorien gegen ihre Beschützer wie die katholische Kirche, die Umweltverbände und Klima-Experten zu billig. Von Frederico Füllgraf.

Lesen Sie bitte hierzu auch den 1. Teil dieser kurzen Serie.

Amazonas-Militarisierung im Zeichen des rabiaten Neoliberalismus

Einen Monat vor dem Militärputsch des 31. März 1964 installierte die Armee in Manaus ihr Dschungelkriegs-Ausbildungszentrum (Centro de Instrução de Guerra na Selva/CIGS), das partisanenartige Truppenteile von Dschungelkämpfern ausbildet und seine Kurse auch ausländischen Armeen anbietet. Mit einer Machete als Symbol, wie die Kukri der britischen Gurkhas, und der Kampfdevise „Alles dem Amazonas, es lebe der Dschungel!“ begann in den 1970er Jahren die Militarisierung Amazoniens. Ihre ersten Ziele waren die logistische Eingliederung Amazoniens in das südostbrasilianische Fernstraßen-System mit dem Bau der sogenannten und inzwischen nahezu vom Dschungel überwucherten „Transamazonica“ sowie die forcierte „Akkulturation“ hunderttausender Indigener mit dem Überrennen und der Besetzung ihrer Territorien.

Die Folgen dieser zwischen 1995 und 2016 von demokratischen Regierungen zumindest eingedämmten „Flurbereinigung“ waren katastrophal. Doch das seit Januar 2019 amtierende Regime Jair Bolsonaro – das von 11.000 Militärs, darunter mehreren Generälen in Minister- und Leitungsposten, dirigiert wird und eine eindeutige Militär-Regierung darstellt – beschloss, den genozidalen und umweltvernichtenden Kurs in Amazonien mit einer ultra-neoliberalen „Entwicklungspolitik“ zu radikalisieren. Diese Offensive geschieht mit der systematischen Zerschlagung und Entmachtung der staatlichen Umweltschutz-Organe, der Legalisierung des Landraubs, der Ausdehnung gigantischer Viehweiden und Export-Monokulturen wie Soja sowie mit großflächigen Brandrodungen und dem illegalen Holzeinschlag und -schmuggel.

Diese Politik der verbrannten Erde ist allerdings kein ausschließlich einheimisches Phänomen, sondern involviert internationale Banken wie Barclays, Morgan Stanley, HSBC und Santander, die weltgrößten Hedge-Fonds sowie transnationale Konzerne der Nahrungs-, Futtermittel- und Holzindustrie mit Sitz in den USA, aber auch in einzelnen Ländern Europas. Denen fühlte sich der gestürzte Umweltminister Salles verbunden, als er wenige Monate nach Amtseinführung erklärte, „Amazonien braucht kapitalistische Lösungen“. Was im Verständnis des Politikers die Selbstverständlichkeit von Korruption und fortgesetzter krimineller Entscheidungen einschloss, deren Übermaß allerdings seinen Sturz herbeiführten.

Wie ein Polizeikommissar in Amazonien die Umtriebe der „Holz-Gang“ zu Fall brachte und strafversetzt wurde

Derjenige, der es wagte, die dubiosen Einkünfte und Geschäfte von Ricardo Salles auszuleuchten und ihm die Rote Karte zu zeigen, war der Kommissar der brasilianischen Bundespolizei (PF), Alexandre Saraiva. Ihm gelang es, den Umweltminister als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu überführen, die mit internationaler Verflechtung für illegalen Holzeinschlag in Amazonien und dessen illegalen Export nach Übersee mit millionenschweren Gewinnen verantwortlich gemacht wird.

Bereits im April 2021 erläuterte Saraiva in einer Anhörung der brasilianischen Abgeordnetenkammer die Anschuldigungen gegen Salles als Ermittlungsergebnis von „Unternehmen Handroanthus“. Unter diesem Codewort hatte der Kommissar Ende 2020 eine Einsatzgruppe der brasilianischen Bundespolizei (PF) befehligt, die an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Amazonas und Pará gewaltige 213.000 Kubikmeter Holz illegal gefällter, botanischer Urwaldriesen – wie dem bis zu 30 oder sogar 35 Meter hohen, laubabwerfenden und intensiv gelb blühenden Handroanthus impetiginosus, in Brasilien als Ipê bekannt – beschlagnahmte. Die Ermittlungen wiesen Landraub, illegale Abholzung, Urkundenfälschung – und schlimmer: Holzeinschlag in gesetzlich verordneten Naturschutzgebieten – nach. Saraiva nannte Salles einen „Umweltkriminellen“. Doch kaum einen Tag, nachdem der Kommissar die Klage beim Obersten Gerichtshof (STF) mit der Forderung nach sofortiger Entlassung des Umweltministers eingereicht hatte, wurde ihm das Amt des Polizei-Intendanten für den Bundesstaat Amazonas entzogen und Saraiva in die Provinz Rio de Janeiros strafversetzt.

Die Repressalien des Polizeikorps gegen ihren eigenen Beamten offenbarten die seit April 2020 anhaltende politische Kontrolle der dem Justizministerium unterstellten PF mit der Nominierung ihres neuen Direktors durch Bolsonaro, der damit die Ermittlungen gegen sich selbst und seine vier Söhne stoppte. Die gegen Saraiva gesponnene Intrige begann im Februar 2021, als ein Landesrichter im Bundesstaat Pará tägliche Geldstrafen von umgerechnet 33.000 Euro gegen jeden Polizeibeamten verhängte, der unter dem Kommando Saraivas an der Mega-Holzbeschlagnahme beteiligt war. Im Klartext: Unter dem Bolsonaro-Regime werden Polizeibeamte bestraft, weil sie ihre Pflicht erfüllen. Der Richter hatte unter Druck von Salles und Bolsonaro die hanebüchene Begründung aufgestellt, die Beschlagnahme der kriminellen Holzbestände hätten „Eigentumsrechte“ verletzt. Ein Bundesgericht in Brasilia hatte immerhin den Mut und widerrief die Entscheidung wegen eines „Zuständigkeitskonflikts“.

Kommissar Saraiva – ein Polizist mit Doktortitel für nachhaltigen Umweltschutz – stand nicht nur institutionell, sondern physisch auf der Abschussliste der Holzschmuggler-Mafia. Im September 2019 leitete der von der Polizei ins Visier genommene Holzfäller Roberto Paulino ein Foto des Kommissars an einen Gesprächspartner namens Guga per WhatsApp weiter. Seine Bildzeile: „Ziel muss umgelegt werden“.

Landraub, Urkundenfälschung und Schmiergeld: die kriminelle Vereinigung der Holzschmuggler

Kommissar Saraivas Ermittlungen waren professionell. Seit Monaten beobachtete sein Team Satellitenaufnahmen von illegalen Landnahmen mit schwerem Gerät wie Traktoren, Schleppern und Kränen. Doch es fehlten Spuren vom Bestimmungsort der riesigen Holzeinschläge. Die erhielt der Polizist aus den USA. Die US-Botschaft in Brasília schickte der PF und Richter Alexandre de Moraes vom Obersten Gerichtshof (STF) eine Warnung des US Fish and Wildlife Service (FWS) vor „unangemessenen Handlungen oder korruptem Verhalten“. Hintergrund bildete die Beschlagnahme von drei Containern mit Holz aus Brasilien durch den FWS im Hafen von Savannah, Bundesstaat Georgia. Der Holzlieferung aus Amazonien fehlten die erforderlichen Papiere über Ursprung und Nachhaltigkeits-Urkunden, die vom FWS in Brasilien angefordert und vom mit Militärs besetzten Ibama als angebliche „Vergessenheit“ entschuldigt und mit gefälschten Angaben nachgereicht wurden.

Einer der Hauptanklagepunkte gegen die Holzfäller und die Beamten ist eine am 25. Februar 2020 vom Ibama-Direktor Eduardo Bim unterzeichnete Mitteilung, womit die Verpflichtung, internationale Holzexporte nur mit besonderen Genehmigungen zu erlauben, aufgehoben wurde. Die Aufhebung erfolgte auf Antrag des brasilianischen Verbandes der Forstkonzessionär-Unternehmen (Confloresta) und des Verbandes der holzexportierenden Industrien des Bundesstaates Pará (Aimex). Saraivas Ermittlungen gegen beide Verbände bestätigten zahlreiche Vorrecherchen von internationalen Umweltorganisationen wie Mongabay, dass die Holzschmuggler mit Wissen der Behörden in ihren Ausfuhrpapieren die Namen bestimmter Baumsorten fälschten, um damit das Rodungs- und Handelsverbot für besonders geschützte Arten wie der Handroanthus impetiginosus zu unterlaufen.

Der FWS-Beamte Bryan Landry aus Savannah verdächtigte jedoch auch die internationale Logistik- und Transportfirma Tradelink „und/oder Beamte, … die die Erzeugung und den Export von Holzprodukten aus dem Amazonasgebiet regeln“ und regte die Zusammenarbeit bei „Ermittlungen über den grenzüberschreitenden Handel mit Holzprodukten und den damit verbundenen Verbrechen oder möglicher Korruption, die von Personen in den USA oder Brasilien begangen wurden“, an. Woraufhin Richter de Moraes die sofortige Entlassung von zehn Mitarbeitern des brasilianischen Umweltministeriums (MMA) und des ihm unterstellten Fachinstituts Ibama, die Offenlegung des Steuer- und Bankgeheimnisses von Minister Ricardo Salles sowie Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebefehle an seinen Adressen in São Paulo und Pará anordnete. Nach Angaben der PF soll Salles 14 Millionen brasilianische Reais (zum Umrechnungskurs von Anfang 2020 circa 2,8 Millionen Euro) als Bestechungsgelder der Holzschmuggler eingesteckt haben.

Sein kriminelles Vorgehen ging jedoch so weit, dass er den Agenten des Geheimdienstes (Abin) André Heleno Azevedo Silveira zum Koordinator des Umwelt-Aufsichtsamtes ernannte, um „eine eventuelle Untersuchung durch die Bundespolizei zu sabotieren“. In seiner Entscheidung erklärte der Hohe Richter de Moraes, dass die Ermittlungen der Bundespolizei „handfeste Beweise für eine Kette komplexer Verhaltensweisen“ offengelegt hätten, an denen öffentliche Bedienstete und juristische Personen mit der klaren Absicht beteiligt seien, Holz brasilianischen Ursprungs eine Legalität zuzuschreiben, die von den US-Behörden bemängelt wurde, was zeige, dass die Ermittlungen grenzüberschreitende Folgen haben“.

Die Fangarme illegaler Amazonas-Erzeugnisse in der EU

Dass europäische, darunter auch deutsche, Firmen an der Beute beteiligt sind, ist seit Jahren bekannt. Die deutsche NGO Germanwatch hinterfragte die Einfuhrpraxis europäischer Unternehmen in ihrer Untersuchung. Ein Amnesty-Bericht aus dem Jahr 2018 warnte, dass 11 EU-Länder zwischen März 2016 und September 2017 immense 9.775.376 Kubikmeter Ipê-/Handroanthus-Holz mit gefälschten Ursprungsangaben aus Amazonien erhielten. Frankreich importierte das größte Volumen, gefolgt von Portugal, Belgien und den Niederlanden.

Selbst der staatliche Sender Deutsche Welle verwies bereits 2019 darauf, dass europäische Firmen mit „dubiosen Lieferanten“ zusammenarbeiten und über ihre Lieferketten an illegalen Abholzungen beteiligt sind. Den Verdienst an den Erkenntnissen besaß allerdings die Umweltorganisation Amazon Watch. In ihrem Bericht Complicity in Destruction („Komplizenschaft in der Zerstörung II: Wie nördliche Verbraucher und Finanzierer Bolsonaros Überfall auf den brasilianischen Amazonas fördern“) gelang der Nachweis, dass zwischen 2017 und 2019 das brasilianische Holzhandels-Unternehmen Benevides Madeiras zwei Sendungen mit jeweils 266 und 125 Tonnen Holz an die französischen Firmen Guillemette & Cie und Groupe Rougier exportiert hat. Offenbar kümmerte es die französischen Firmen wenig, dass Benevides-Eigentümer Arnaldo Betzel eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 500.000 Euro wegen illegaler Rodungen zahlen musste.

Amazon-Watch gelang ferner der Beweis, dass auch Importeure in Belgien, Holland und Dänemark illegal erzeugtes Holz von Benevides Madeiras gekauft haben. Der Import illegal gewonnener Naturprodukte bleibt nicht auf Holz allein begrenzt, er umfasst Fruchtfleisch, Rindsleder und Mineralien. Das umstrittene deutsche Unternehmen Açai GmbH – das die junge deutsche Smoothy-Kundschaft mit Bio-Fruchtgetränken aus dem Amazonas-Dschungel versorgt – soll 2018 nach Erkenntnissen von Amazon-Watch und Mongabay im gleichen Zeitraum mindestens 9 Tonnen Fruchtfleisch von Argus, einer anderen Firma Betzels, importiert haben. Auch die deutsche Automobilindustrie stattet ihre mit fossilen Brennstoffen angetriebenen Luxusfahrzeuge mit Leder von Viehherden auf geraubten und brandgerodeten Ländereien aus, weshalb die Deutsche Umwelthilfe erst kürzlich, mitten in der Covid-19-Pandemie, die „Aktion gegen schmutziges Amazonas-Leder“ initiierte.

Szenerie der Verwüstung, oder: Wer kommandiert Brasiliens Amazonien-Politik?

Nichts, was in Amazonien passiert, ist Zufall. Seit mehr als 50 Jahren fügen sich die Ereignisse in das auch von Bolsonaro befolgte Skript der Militärs ein. So war es bei der Nominierung Ricardo Salles‘ und so ist es ebenso bei der Einsetzung seines Nachfolgers Joaquim Leite zum neuen Umweltminister.

Der Betriebswirt Leite entstammt einer traditionellen Großgrundbesitzer-Familie aus dem Kaffeeanbau in São Paulo, die seit Jahren ein 532 Hektar großes Stück Land der Indigenen-Ethnie der Jaraguá streitig macht. Nach Angaben der Nationalen Indianer-Stiftung (Funai) zertrümmerten Angestellte der Familie Leite gar Häuser einzelner indigener Familien und versuchten, sie zu vertreiben. Mit diesem Familien-Hintergrund diente der neue Minister 23 Jahre lang als politischer Berater des Verbandes der brasilianischen Großgrundbesitzer (Sociedade Rural Brasileira/SRB) und übernahm nach Bolsonaros Wahl zunächst die Leitung der Forstabteilung und dann das Sekretariat für Amazonien und Umweltdienste im Umweltministerium (MMA).

Wenn im MMA von „Forstpolitik“ die Rede ist, so ist vor allem Amazonien mit seinen 5,2 Millionen km2, also 61 Prozent der brasilianischen Landesfläche, gemeint, die die Hälfte Europas ausmacht. „Herr“ über dieses gigantische Territorium mit der größten biologischen Artenvielfalt des Planeten ist Bolsonaros Vize, General Hamilton Mourão.

Der wegen Putschaufrufen während der Regierungszeit von Präsidentin Dilma Rousseff strafversetzte und danach pensionierte, rechtsradikale Militär belebte den in den 1990er Jahren geschaffenen, jedoch seit Jahrzehnten dahindämmernden Amazonien-Rat (Conselho da Amazônia Legal) wieder und besetzte ihn – unter Ausschluss der wissenschaftlichen Fachinstitute des MMA sowie jeglicher Umweltverbände der Zivilgesellschaft – mit 19 fachunkundigen, ignoranten Militärs. In der Praxis bedeutet dies seit Anfang 2020, dass die Amazonien-Politik des MMA dem Kommando der Streitkräfte unterstellt ist, von denen ohnehin 9 Generäle und Oberste seit Bolsonaros Amtsübernahme die Schlüsselpositionen des Ministeriums besetzen.

Das Resümee der kurzen Amtszeit Mourãos und seiner Uniformierten liest sich wie ein Kriegsbericht:

  • Die illegale Inbesitznahme von rechtlich geschütztem Land im brasilianischen Amazonien hat um 56 Prozent zugenommen und erreichte im Jahr 2020 die Ausdehnung von nahezu 12 Millionen Hektar; die vierfache Bodenfläche Belgiens. Nach Angaben des Instituto Socioambiental (ISA) stieg die kriminelle Praxis zwischen 2018 und 2020 in Gebieten mit nachhaltiger Nutzung um 274 Prozent, in streng geschützten Einheiten um 46 Prozent und um 31 Prozent auf indigenem Land.
  • Die Entwaldung Amazoniens durch Holzeinschlag und Brände betrug nach Angaben des brasilianischen Raumforschungsinstituts (INPE) 7.500 Quadratkilometer im Jahr 2018. Doch 2019, dem ersten Amtsjahr Bolsonaros, erweiterten sich Kahlschlag und Brände auf 10.100 Quadratkilometer und erreichten 2020 eine Gesamtfläche von 11.000 Quadratkilometern.
  • Nach Auswertung der Aufnahmen des satellitengestützten Amazonas-Überwachungssystems (Prodes) schlussfolgerte das Amazonische Forschungsinstitut (Ipam), dass im Jahr 2019 35 Prozent des illegalen Holzeinschlags und der Brände im Amazonasgebiet vom Landraub verschuldet wurden; Tendenz steigend.
  • Den Katastrophenmeldungen fehlte noch – wie der brasilianische Volksmund sagt – „die Kirsche zur Krönung der Torte“. Die landete eine Forschungsgruppe der Polytechnischen Schule an der Universität São Paulo (USP). Nach ihren Untersuchungen habe zwischen 2017 und 2020 die vom illegalen Bergbau und den Goldgräber-Aktivitäten verursachte Entwaldung in Amazonien um 90 Prozent zugenommen.
  • Während der ersten 18 Monate von Bolsonaros und Salles‘ Amtsgeschäften wurden nach Angaben der internationalen Menschenrechts-Organisation Global Witness in Brasilien, insbesondere in Amazonien, 24 UmweltschützerInnen, darunter 10 indigene, ermordet.

Doch siehe da: „Hamilton Mourãos intensiver Terminkalender und Freundschaft mit Bergbauunternehmern“. So betitelte die Investigativ-Plattform Observatório da Mineração (Bergbau-Observatorium) eine Reportage über die Interessenkonflikte, gar persönlichen Freundschaften des Amazonien-Generals mit zum Teil ausgesprochen kriminellen „Garimpeiros“ (Goldgräbern). Ihr Kopf ist der legendenumwobene José Altino Machado, der bereits in den 1970er und 1980er Jahren mit Waffengewalt auf das Territorium des Yanomami-Stammes vordrang und mit seinem Goldgräber-Syndikat gegenwärtig 450 (vierhundertfünfzig!) Flugzeuge und hunderte inoffizielle, zumeist illegale Landepisten im amazonischen Regenwald unter seinem Kommando hat. Machado schlug in den 1970er Jahren die ersten Pisten in den Dschungel, von denen erst später ein Teil von den Streitkräften genutzt wurde. Seit dem Amtsantritt Mourãos als Amazonien-Ratsvorsitzender traf sich der General viermal mit Machado. In den Gesprächen ging es um die erwähnte Legalisierung des Goldgräber-Raubbaus und Umweltvernichtungszugs auf indianischem Gebiet; eine Agenda, der die Abgeordnetenkammer noch bis Ende 2021 zustimmen soll.

General Mourão, sollte man wissen, ist der brasilianische Ansprechpartner für die Verwendung des Milliarden Euro schweren Amazonien-Fonds, mit dem Norwegen (1,3 Milliarden Euro) und Deutschland (35 Millionen Euro) die Brandrodungen auf null reduzieren und den Schutz der indigenen Bewohner und der Artenvielfalt des weltweit größten Regenwald-Biotops in partnerschaftlicher Zusammenarbeit sicherstellen wollten. Doch im August 2019 kam es zwischen Salles und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wegen Zunahme der Brände und des Holzeinschlags, also wegen Nichteinhaltung des Fonds-Vertrags, zum Dissens. Seitdem liegen der Löwenanteil aus Norwegen und die deutsche Zusage auf Eis. Salles, Bolsonaro und Mourão besaßen doch die Frechheit vorzuschlagen, der Fonds solle Großgrundbesitzer „entschädigen“, die zum Verlassen des von ihnen geraubten Landes aufgefordert wurden. Ein knappes Jahr nach dem Eklat verkündete Mourão im Mai 2020 die „Wiederbelebung“ des Fonds, nun unter neuer, eigener Regie. Doch die Botschafter Norwegens und Deutschlands machten dem General klar, dass das negative Image der Regierung Bolsonaro ein starkes Hindernis für die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit darstelle.

Was ist von Mourão und Leite zu erwarten?

Was müssten Leite und Mourão an Salles‘ Amazonien-Politik „korrigieren“, was ist von ihnen zu erwarten, fragten sich in den vergangenen Wochen zahlreiche in- und ausländische Publikationen.

Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache, weshalb zur ihrer Kaschierung Salles während jener skandalumwobenen Kabinettssitzung des Bolsonaro-Regimes eine Metapher der Viehzüchter verwendete, als er den Staatschef dazu aufrief, die „Herde durchs Gestrüpp zu peitschen“. Der Gangster mit Schlips und Kragen meinte das Unterlaufen der Umweltgesetze, die gewaltsame Besetzung indigener Territorien, d.h. die Ermunterung zur und Legalisierung der Kriminalität. Damit sollte der von den ehemaligen Ministern Bento Albuquerque (Bergbau und Energie) und Sergio Moro (Justiz) eingeleitete Kurs fortgesetzt und verschärft werden, der mit einem Gesetzesentwurf von 2020 die „Regulierung“ des Bergbaus in indigenen Gebieten beschlossen hatte; gegen den ein Jahr später immerhin die Staatsanwaltschaft eine Klage wegen Verfassungswidrigkeit erhoben hat.

Doch Bolsonaros „Umwelt-Agenda“ zielt auf erweiterte Zerstörung, mit deren „Durchpeitschen“ er seinen Verbündeten Arthur Lira, den Präsidenten der Abgeordnetenkammer, beauftragte. Lira erkannte die Dringlichkeit und es gelang ihm, schon in den ersten August-Tagen eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer für die Legalisierung des Millionen Hektar schweren Landraubs zu finden. Die demokratische und linke Opposition protestierte lauthals, doch sie befand sich in der Minderheit. Der Gesetzesentwurf weilt nun im Senat und könnte dort ebenso abgesegnet werden.

„Brasília befiehlt den Vormarsch des Bergbaus und der Entwaldung in Brasilien“, so der Titel einer umfassenden, dramatischen Reportage vom laufenden August 2021 des Indianischen Missionsrates der Katholischen Kirche (CIMI), der über Jahrzehnte vom österreichischen Bischof und Verfolgten der Militärs Erwin Kräutler geleitet wurde. „Da der internationale Goldpreis einen historischen Höchstwert erreicht, bewegt der Dollar die Flussufer im Amazonas. In der Abgeschiedenheit der Wälder wird der Handel mit Schmerzen und Leben bezahlt“. Die Vereinten Nationen forderten Ende Juli die brasilianische Regierung dazu auf, die Eskalation der Gewalt gegen die indigenen Völker Amazoniens zu beenden. Doch wie so oft zuvor stellte sich das Bolsonaro-Regime taub. Und „peitscht“ ungestört seine todbringende „Herde durchs Gestrüpp“.

Es ist August, eine neue Brandsaison beginnt, doch es gibt keinen Vorbeuge-Plan. Im Gegenteil, die Brandrodungen und Entwaldungen scheinen programmiert. Zwar kündigte General Mourão die Wiederaufnahme der 2020 inszenierten, angeblichen Brandbekämpfungs-Kampagne Verde Brasil („Unternehmen Grünes Brasilien“) an. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass der vergangene Einsatz mehrerer tausend Soldaten und Fluggeräte auf erbärmliche Weise scheiterte. Die Brandrodungen im vergangenen Jahr waren nach Angaben des Instituts für Weltraumforschung (Inpe) die größten seit 12 Jahren. Flächen, siebenmal so groß wie London, wurden in Schutt und Asche gelegt.

Funktionäre des Umweltministeriums, die den Militäreinsatz begleiteten, erklärten gegenüber der Agentur Reuters, das Scheitern war vorprogrammiert. Die Armee, so argumentieren sie, verfüge weder über Werkzeuge noch Denkweise oder Struktur, um diejenigen aufzuspüren und zu verfolgen, die für die Rodungen verantwortlich sind. Ihr Hauptziel, die Verteidigung der Nation, habe wenig Ähnlichkeit mit der polizei-technischen Erfahrung und dem forstwirtschaftlichen Know-how, das im tiefen Dschungel benötigt wird.

Doch auch Reuters erkannte, man solle sich von Inszenierungen nicht beirren lassen. Denn wie auch Bolsonaro ist die Mehrheit in der brasilianischen Armee von der Zwangsvorstellung der „wirtschaftlichen Ausbeutung Amazoniens“ besessen. Die Uniformierten scheinen im Taumelzustand, sie beten unentwegt die Leier vom „Potenzial des Regenwaldes als Flaggschiff des Wirtschaftswachstums“ herunter und argumentieren, die „Entwicklung“ des Regenwaldes könnte „ehrgeizige ausländische Mächte“ davon abhalten, dessen Bodenschätze – Land, Wasser und Mineralien – zu überfallen und sich anzueignen; so als ob der Überfall von internationalen Banken und Hedgefonds nicht längst geschehen ist.

Ein pensionierter General und Berater Bolsonaros schlug die Aufstauung eines Nebenflusses des Amazonas und die Erweiterung eines Getreideexportkorridors nach Surinam vor. Das Projekt solle die Bevölkerung des nördlichen Amazoniens verfünffachen, so der Militär. Doch der destruktive Größenwahnsinn wird auch von paranoiden Phantasien angetrieben. Durchgesickerte Geheimdokumente und Audios, zu denen das Investigativ-Portal The Intercept Zugang hatte, attestieren noch einmal den gestörten Geisteszustand Bolsonaros. Der täglich randalierende und Gift speiende Staatschef ist von der Wahnvorstellung (oder Lüge?) besessen, die VR China, Umwelt-Organisationen und die Katholische Kirche hätten sich mit dem Ziel verschworen, das Amazonas-Gebiet Brasilien zu entreißen. Weswegen es dringend kontrolliert und bevölkert werden müsse.

Bolsonaros persönlicher Zerstörungstrieb ist seit Jahren im In- und Ausland Gegenstand psychiatrischer Befunde und journalistischer Untersuchungen. Die Mehrheit attestiert dem 1978 unehrenhaft entlassenen, ehemaligen Fallschirmjäger eine Besessenheit, gar eine Perversion, Mensch und Natur Schaden zuzufügen. Doch wie der scharfsinnige Polonius schon im Shakespear‘schen Hamlet sinnierte, „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“.

Titelbild: Thammanoon Khamchalee/shutterstock.com


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=75322