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Titel: Rauchsignale an die künftige Bundesregierung – Die kriminelle Szenerie und die verbrannte Erde in der Amazonien-Politik des Bolsonaro-Regimes
Datum: 14. August 2021 um 16:23 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Lobbyismus und politische Korruption, Rechte Gefahr, Schadstoffe
Verantwortlich: Redaktion
Teil 1: Vom Abgang Ricardo Salles‘ zur Nachfolge Joaquim Leites. Ende des vergangenen Monats Juni wurde nach zweieinhalb Jahren langer, einheimischer und internationaler Empörung Jair Bolsonaros Umweltminister Ricardo Salles seines Amtes enthoben. Doch nicht etwa allein als Folge der genannten Proteste, sondern vor allem wegen der Polizei-Ermittlungen. Die Affäre liest sich wie ein filmreifes Drehbuch mit weltumspannender Szenerie und Akteuren, doch die Hauptfigur gibt höchstens den Schurken eines billigen Krimis her. Salles, so bewies Polizeikommissar Alexandre Saraiva, handelte als Mitglied einer internationalen Waldrodungs- und Holz-Schmugglerbande. Ausgerechnet ein Umweltminister als Holz-Schmuggler? Von Frederico Füllgraf.
Die Korruptions-Anklagen gegen Salles sind keine Ausnahme. Dutzende Ermittlungen gegen die vier Söhne Bolsonaros, zahlreiche Militärs – darunter mehrerer in ein milliardenschweres, illegales Geschäft mit Covid-19-Impfstoffen involvierter Generäle und hoher Offiziere – prägen den heruntergekommenen Ruf des Bolsonaro-Regimes. Nach neuesten Erhebungen sind mindestens 70 Prozent der BrasilianerInnen von der Korruption in der Regierung überzeugt; eine Erkenntnis, die im Hinblick auf die seit mehr als 15 Jahren anhaltenden, hanebüchenen und kriminellen Umtriebe des Familien-Clans Bolsonaro nur zögernd international wahrgenommen wird.
Das Investigativ-Portal Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) begriff immerhin vor einem Jahr die Machenschaften des ehemaligen Fallschirmjägers und verlieh Bolsonaro den verächtlichen Titel der korruptesten Persönlichkeit des Jahres 2020. Die in- und ausländische Öffentlichkeit gab sich anfangs verblüfft, hatte doch der Regierungschef seine Präsidentschaftskandidatur 2018 mit lautstarken Korruptionsvorwürfen gegen die linke Arbeiterpartei (PT) und ihren ehemaligen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva angetreten, den moralisierenden Anspruch der „radikalen Korruptionsbekämpfung“ erhoben und ausgerechnet Lulas unsauberen Scharfrichter Sérgio Moro zum Justizminister nominiert. Eine von langer Hand inszenierte Farce, wie das kritische brasilianische Parlaments-Nachrichtenportal Congresso em Foco die Betrügereien und Bereicherung des Faschisten beschrieb und ihn als „einen Mythos auf tönernen Füßen“ bezeichnete.
Salles ging, Leite kam – mehr vom Selben?
Das brasilianische Portal für Umwelt-Journalismus Conexão Planeta nannte Salles „den übelsten Umweltminister Brasiliens“, die Journalisten-Genossenschaft Journalistas Livres bezeichnete seinen Abgang als „Sturz eines Serienkillers“. Durch Salles entlassene Wissenschaftler im seit zwei Jahren von Militärs kontrollierten Umwelt-Fachinstitut Ibama erblicken in Joaquim Leite, dem von Salles selbst empfohlenen Freund und Nachfolger im Ministeramt, nichts als die Fortsetzung des Umweltdesasters: „Mehr vom Selben“.
„Die Brandrodungs-Saison beginnt bereits und trotz (Anm. F. F.: angeblich vorhandener) finanzieller Ressourcen ist keine Zeit mehr, Feuerwehrleute auszubilden und einzustellen. Die Brandbekämpfungs-Maßnahmen des Ibama erfordern Planung. Es nützt nichts, zwar Geld, aber keinen Plan zu haben“, kritisiert die ehemalige Funktionärin Suely Vaz. Die ehemalige Umweltministerin in der Regierung Lula da Silva, Marina Silva, gibt sich pessimistisch. Es sei möglich, dass Leite nach der durch Salles verursachten Demontage der Umweltpolitik jetzt nur noch „die Insolvenzmasse“ verwalten werde. Im internationalen Maßstab diskreditiert, habe das Bolsonaro-Regime den Klimawandel geleugnet und die Einfrierung des (Anm. F. F.: von Norwegen und Deutschland finanzierten) Amazonien-Fonds hinnehmen müssen. Um eine auch noch so schüchterne Kursänderung mit der teilweisen Rücknahme der Umweltvernichtung zu wagen, müsste Leite gegen den Präsidenten antreten, bezweifelt Marina Silva.
Ricardo Salles: Lebenslauf eines „Regime Changers“ und vorbestraften Schmiergeld-Empfängers
Der gestürzte Umweltminister entstammt einer Juristen-Familie im Bundestaat Sao Paulo und belegte nach eigenen Angaben ein Jura- und ein Aufbaustudium der Verwaltungswissenschaften an der Stiftung Getulio Vargas (FGV). Fast sieben Jahre lang glaubte man, Salles habe einen Master-Abschluss von der ruhmumworbenen US-Universität Yale erworben. Nachdem jedoch die Universität 2019 bestritt, dass Salles dort jemals studiert habe, behauptete der Vita-Fälscher, sein Pressereferent habe die Informationen „missverständlich“ übernommen und verbreitet.
Salles Werdegang war bis zu seiner Nominierung durch Bolsonaro indes der Lebenslauf eines Verlierers. Er wechselte viermal seine Parteizugehörigkeit, machte drei Anläufe (2006, 2010 und 2018) für eine parlamentarische Karriere mit Landtags- und Abgeordnetenkammer-Kandidaturen und verlor alle drei. Sein bekanntestes Wahlplakat bildete Gewehrpatronen ab und machte 2018 den kriminellen Aufruf zur Erschießung von Wildschweinen, Linken und Landlosen. Das gefiel dem frischgewählten Jair Bolsonaro, einem Waffennarren, der bereits als Abgeordneter bedauerte, dass die Militärdiktatur nicht „mindestens 30.000 (Oppositionelle) über den Haufen geschossen hat“, und kurz nach Amtsantritt Gesetze für die massive Selbstbewaffnung der „guten Menschen“ erließ.
Auch gefiel Bolsonaro Salles‘ rechtsradikale Karriere. Diese begann im Jahr 2006, als er mit vier Kumpanen die Agitprop-Gruppe „Endireita Brasil“ („Brasilien, wende Dich nach rechts“) gründete und im Bündnis mit ultrarechten, radikal neoliberalen Think Thanks wie den „Instituten“ Millenium und Mises zum Sturz des damals in erster Amtszeit (2003-2007) regierenden Präsidenten Lula aufrief. Die dazu erforderliche subversive Ausbildung hatte der falsche Yale-Magister beim US-Think-Tank The Leadership Institute absolviert. Die Internet-Präsenz des Instituts legt im Zugangslink Wert auf sein Ziel, nämlich das „Training konservativer Aktivisten“. Die Gründung erfolgte im Jahr 1979 durch Morton Blackwell, einem ultrarechten, ehemaligen Mitarbeiter Ronald Reagans und gegenwärtigen Mitglied des Ständigen Regelausschusses der Republikaner.
Mit Salles‘ Ämtern als persönlicher Berater und Landes-Umweltminister des Gouverneurs São Paulos, Geraldo Alckmin, leuchteten die gelben und roten Lichter der Justizbehörden auf. Die Justiz warf dem Anwalt und Politiker vor, Landkarten des Managementplans für Várzea do Rio Tietê – einem Umweltschutzgebiet mit 7.400 Hektar, das 12 Gemeinden im Großraum São Paulo umfasst – zugunsten eines an dem Naturpark interessierten Bauunternehmens gefälscht zu haben. Die Staatsanwaltschaft erhärtete die Anklage mit dem Verdacht, Polizisten und Kommissare seien von Salles zum Schweigen befehligt worden.
Richter Fausto José Martins Seabra verurteilte den Angeklagten 2018 zur Zahlung einer Geldstrafe und zum Entzug seiner politischen Rechte für die Dauer von drei Jahren. Darauf folgten Meldungen in den konservativen Medien El País und O Globo über Salles‘ Erwerb von zwei Luxus-Immobilien, eine davon im Wert von umgerechnet einer Million Euro. Trotz der ersten Vorbestrafung wurde Salles von dem im Oktober 2018 gewählten Präsidenten Jair Bolsonaro zum Umweltminister berufen. Ein schwerer Schlag gegen die Ethik. Selbstverständlich mit Rückendeckung Bolsonaros legte Salles Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein und wurde tatsächlich im März 2021 von Richter Nogueira Diefenthäler freigesprochen.
„Terminator“, die „Gift-Muse“ und der Pestizide-Schock
Die Nominierung Salles‘ und die Ernennung der Abgeordneten Tereza Cristina C. da Costa Dias zur Landwirtschaftsministerin war ein strategischer Doppelzug des Bolsonaro-Regimes. Voraussetzung für Salles‘ Nominierung war unter anderem seine mit dem zuvor gefeuerten Außenminister Ernesto Araújo militant geteilte Leugnung des menschenverursachten Klimawandels. Diese Leugnung bestätigte er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen vom 30. September 2019 sowie durch seine Treffen mit der rechtsradikalen US-Climate-Change-Denier-Szene.
Wiederum da Costa Dias‘ Verdienst in den Augen der Militärs und Bolsonaros war ihr Status als Großgrundbesitzerin und Angehörige erzkonservativer Gouverneure des zentralbrasilianischen Mato Grosso. Sie amtierte bis 2018 als Vorsitzende der sogenannten „parlamentarischen Front der Landwirtschaft und Viehzucht“ (Frente Parlamentar Agropecuária/FPA), die im brasilianischen Parlament eine machtvolle Lobby von mehr als 200 Abgeordneten und Senatoren stellt, die eng mit der Agrarindustrie verbunden sind oder sie als Großgrundbesitzer vertreten.
Als umweltfeindliche Erstmaßnahme hatte Bolsonaro kurz nach seiner Wahl im Dezember 2018 vorgeschlagen, das Umweltministerium in das Landwirtschaftsministerium einzugliedern und ihm unterzuordnen, machte nach wenigen Tagen jedoch einen Rückzieher und schwor Salles auf die erwünschte Linie der Agrarlobby ein. Diese wünschte sich schwere Bewaffnung gegen Landlose und Indigene, die Befreiung von Umwelt-Gutachten für die Expansion ihrer Soja-Monokulturen, frei grasender Viehherden und Waldrodungen sowie die Abschaffung indigener Stammes-Territorien, einen Freibrief auf deren Besetzung durch Großgrundbesitzer und die Zulassung dutzender Pestizid-Sorten.
Damit hatte Salles keine Probleme, schließlich war er über Jahre hinweg als Anwalt des machtvollen Verbandes der Großgrundbesitzer (Sociedade Rural Brasileira/SRB) tätig gewesen, der die genannte Lobby im Parlament steuerte, und erhielt als Anerkennung seiner Dienste eine umgerechnet 400.000 Euro schwere Finanzierung seiner 2018er Wahlkampagne; die zwar scheiterte, doch zum viel bedeutenderen Ausgleich wurde der korrupte Rechtsradikale von der tonangebenden SRB-Lobby ins Ministeramt gehievt.
Zusammen versetzten Salles und da Costa Dias Brasilien einen niemals zuvor gekannten Pestizid-Schock. In ihrem ersten Interview verkündete die Ministerin bereits mit Hinweis auf den Gesetzesentwurf 6299/2002 (Spitzname: „Das Giftgesetz“), die Regeln für den Pestizidgebrauch sollten „flexibilisiert“ werden, obwohl zwischen 2015 und 2018 die Zahl der jährlichen Neuzulassungen bereits von 139 auf über 450 Pestizidstoffe gestiegen war. Dem folgte im ersten Halbjahr der Bolsonaro-Regierung bereits die Freigabe von 86 neuen Giftstoffen.
Unearthed, die Greenpeace-Plattform für investigativen Journalismus, und der Schweizer NGO Public Eye gelang der Nachweis, dass zwischen 2015 und 2018 in Brasilien mehr als 1.200 Pestizide und Unkrautvernichtungsmittel freigegeben wurden, darunter 193 mit in der EU verbotenen Wirkstoffen. Mit einem Umsatzwert von mehr als 20 Milliarden US-Dollar für die Chemiekonzerne – darunter vor allem die deutschen Firmen Bayer und BASF – war Brasilien unter der Regierung Michel Temer bereits zum weltweit größten Pestizidverbraucher aufgestiegen. Nahezu zwei Drittel der brasilianischen Ausgaben für hochgefährliche Pestizide (HHP) flossen in die gigantischen Sojaplantagen des Landes. Diese sind exportorientiert und decken die weltweite Nachfrage nach Tierfutter für Hühner, Schweine, Kühe und Fische.
Inmitten der Covid-19-Pandemie genehmigte das Bolsonaro-Regime mit den Unterschriften von Salles und da Costa Dias zunächst weitere 118 neue Pestizide, jedoch Ende 2020 erreichte die Liste neu zugelassener Marken die schwindelerregende Zahl von 493 neuen Agrargiften. Mit der Bewilligung von nahezu 1.000 (eintausend!) Pestizid-Handelsmarken innerhalb von zwei Jahren brach das Regime sämtliche vorherigen Rekorde und gilt als weltweiter Spitzenreiter des Pestizid-Einsatzes. Etwa die Hälfte aller seit Bolsonaros Amtsantritt zugelassenen Produkte und Wirkstoffe werden vom Pesticide Action Network (PAN) auf der Liste hochgefährlicher Agrargifte aufgeführt.
Das war das Verdienst des Duos Salles und da Costa Dias. Ersterem wurde bereits 2019 von brasilianischen Umweltschützern der unehrenhafte Titel des „Terminators, des Zerstörers der Zukunft“ und der Ministerin von Medien der Spitzname „Die Gift-Muse“ verliehen. Was Salles im August 2019 mit den Chemiegiganten Bayer und BASF während seines Deutschland-Aufenthaltes aushandelte, sollten die beiden Unternehmen allerdings bei Gelegenheit klarstellen.
Dass der korrupte Ex-Umweltminister regelrecht von krimineller Energie angetrieben wird, dokumentiert ein gefilmtes Regierungstreffen vom 22. April 2020. Da wendete sich Salles an Jair Bolsonaro und sprach eine freche Empfehlung aus, die Gesetze zu brechen: „Lasst uns die Gelegenheit nutzen, dass die Presse nur von der Pandemie redet, um unsere ´Herde´ durchs Gestrüpp zu peitschen, all diese gesetzlichen Regelungen können uns mal den Buckel runterrutschen…“. Gemeint war die Beschleunigung einer Vernichtungs-Agenda in der Abgeordnetenkammer, die ab Mitte 2021 weittragende, noch katastrophalere Folgen für Natur und Mensch in Amazonien haben wird, wie in Teil 2 dieser Analyse dokumentiert wird.
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