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Titel: „Vermutlich sind Sie auch einfach nur ein konservativer Zeitgenosse, der zu träge für Veränderungen ist“

Datum: 7. August 2021 um 11:45 Uhr
Rubrik: Gleichstellung, Ideologiekritik, Rezensionen
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Steigt Ihr Blutdruck auch jedes Mal, wenn Sie das Radio einschalten und Begriffe hören wie „Arbeitgebende“, „Forschende“ oder „Studierende“? Und fühlen Sie sich auch manchmal an die bürokratische Sprache von DDR-Medien erinnert, wenn unsere Medien in einem Beitrag penibel bei jeder Benennung einer Personengruppe die weibliche und männliche Form anführen (z. B. „die Kultusministerinnen- und Kultusminister-Konferenz“ anstatt einfach nur „die Kultusministerkonferenz“)? Dann werden Sie Freude an dem Buch haben, das Ihnen unser Rezensent Udo Brandes vorstellen möchte. Es heißt: „Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören“. Geschrieben hat es Fabian Payr.

Seit geschätzt etwa zwei Jahren kann man beobachten, dass immer mehr Verwaltungen, Behörden, Ministerien und natürlich insbesondere Hochschulen auf den Genderzug aufspringen. Payr diagnostiziert, dass seit 2020 geradezu dammbruchartig das Gendern auch in den Medien auf dem Vormarsch ist:

„Anne Will gendert in ihrer Talkshow (‚Bund der Steuerzahler*innen‘), und Claus Kleber vom ‚heute-journal‘ tut es auch. Beschwerden empörter Zuschauer gehen bei den Fernsehsendern ein, aber auch Lob dafür, dass die Öffentlich-Rechtlichen endlich die Notwendigkeit einer Sprache erkannt hätten, die Frauen ‚sichtbar‘ macht“ (S. VIII).

Das Buch von Fabian Payr richtet sich an alle, die sich die Frage stellen, ob sie beim Gendern mitmachen sollen oder nicht. Dabei vertritt er offen und klar einen kritischen Standpunkt zum Gendern:

„Vielleicht sind Sie noch unentschlossen und möchten das Für und Wider gegeneinander abwägen. Ratgeber, die die Notwendigkeit einer ‚geschlechtergerechten‘ Sprache darlegen und ihre verschiedenen Techniken im Detail erläutern, gibt es zur Genüge. Dieses Buch hingegen verfolgt einen kritischen Ansatz: Beabsichtigt war keine Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Argumenten, sondern eine vorrangig kritische Auseinandersetzung mit den Grundprämissen des Genderns. (…) Vielleicht fühlen Sie sich unter Druck gesetzt, diese Sprachformen zu übernehmen, oder Sie befürchten als Chauvi zu gelten, wenn Sie dem Zeitgeist nicht in sprachlicher Form Tribut zollen. Vielleicht sind Sie irritiert vom Sprachumbau, den Gendern mit sich bringt und von der Robustheit, mit der dieser in gewachsene Sprachstrukturen eingreift. Ihnen fehlen aber die Argumente, wenn man Ihnen vorhält, Sie würden mit traditionellem Deutsch Frauen in die Unsichtbarkeit verbannen. Und was erwidern Sie, wenn man Ihnen sagt, dass Menschen sich beim generischen Maskulinum nur Männer vorstellen können?“ (S. X).

Als Mann haben Sie mit Kritik ohnehin schlechte Karten

Und mit ironischem Unterton beschreibt Payr die Schwierigkeiten einer Kritik am Gendern, wenn man männlichen Geschlechts ist:

„Als Mann haben Sie ohnehin schlechte Karten, wenn Sie Kritik gegen das Gendern vorbringen. Denn den Verfechtern des Genderns ist klar, dass Sie als Mann einfach um ihre lieb gewordenen Privilegien fürchten. Sie haben es sich in einer sexistischen Sprache gemütlich eingerichtet und empfinden das lästige Möbelrücken in ihrer Sprachbehausung nun als Zumutung. Vermutlich sind Sie auch einfach nur ein konservativer Zeitgenosse, der zu träge für Veränderungen ist“ (S. XI).

Nun, was auch immer Ihre Motive gegen das Gendern sind, wenn Sie denn gegen das Gendern sind: Im Buch vom Fabian Payr finden Sie viele gute Argumente für Ihren Standpunkt. Hier einige seiner Thesen kurz auf den Punkt gebracht:

  • Gendern ist sexistisch.
  • Gendern ist verfassungswidrig.
  • Es gibt keine belastbaren wissenschaftlichen Argumente fürs Gendern und auch keine empirischen Belege für die These, dass sich über die Veränderung der Grammatik gesellschaftlicher Wandel erzielen lässt.
  • Gendern hat keinen nachweisbaren Nutzen, im Gegenteil: Gendern ist konraproduktiv, weil es von vielen als übergriffig und bevormundend empfunden wird.
  • Gendern betont die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, statt sie zu überwinden.
  • Auf der Ebene der Kommunikation ist Gendern dysfunktional, weil es vom Wesentlichen ablenkt.
  • Die Praxis des Genderns ist demokratisch nicht legitimiert, dennoch kann man in einigen Lebensbereichen einen Zwang zum Gendern beobachten.
  • Die Genderpraxis der öffentlich-rechtlichen Medien ist belehrend und elitär. Sie ignoriert die geringe Akzeptanz des Genderns in der Bevölkerung.

Payr ist dabei aber durchaus kein rigoroser Antifeminist mit Schaum vor dem Mund:

„Der feministischen Sprachkritik verdanken wir durchaus sinnvolle Impulse für unseren Sprachgebrauch. Wenn wir heute Begriffe wie Bürgermeisterin, Bundeskanzlerin, Kauffrau, Fachfrau verwenden, so tun wir das mit großer Selbstverständlichkeit und wissen gar nicht mehr, dass es früher einmal üblich war, Frau Bundeskanzler oder Frau Bürgermeister oder Erna Kögel ist Kaufmann zu sagen. Auch dem Fräulein weinen wir keine Träne hinterher. Wir sagen Feuerwehrleute (statt Feuerwehrmänner) oder Wahlleute (statt Wahlmänner) und das ist gut so. Das ist auch eine Form des Genders und damit kann – ja sollte – jeder leben können. (…) Viele der heutigen Sprachmodifikationen schießen jedoch erheblich über das Ziel hinaus. Diesen extremen Eingriffen in die Sprache gilt die Kritik dieses Buches. Gendern in seiner heutigen Ausprägung ist weitgehend nutzlos, beschädigt die Sprache und spaltet die Gesellschaft“ (S. XI-XII).

Warum das grammatische Maskulinum nicht auf das biologische Geschlecht verweist

Der Irrtum der Anhänger des Genderns ist, dass das grammatische Geschlecht (= Genus) auf das biologische Geschlecht verweist. Das ist falsch. Das Maskulinum in der deutschen Sprache ist ein sogenanntes unmarkiertes Genus:

„Es kann männliche Personen bezeichnen, aber auch Menschen ungeachtet ihres Geschlechts (inklusive Nutzung). Man bezeichnet das Maskulinum daher auch als das ummarkierte Genus. Die Theorie der ‚Markiertheit‘ geht auf den Sprachwissenschaftler Roman Jacobsen zurück, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgezeigt hat, das die unmarkierten Formen in den Sprachen stets das Allgemeine, Unspezifische bezeichnen. Im Deutschen übernimmt bei den grammatischen Geschlechtern das Maskulinum diese Funktion“ (S. 13-14).

Die grundsätzliche Eignung des Maskulinums zum geschlechtsabstrahierenden Sprechen kann man bei einer Vielzahl von Begriffen sehen, die neben Personen auch Gegenstände bezeichnen. Alle diese Wörter werden gebildet, indem an ein Verb die Silbe -er angehängt wird. Wer, so Payr, auf der Suche nach „Männerspuren“ in der deutschen Sprache sei, könne fälschlicherweise auf die Idee kommen, die angehängte Silbe -er (die grammatische Bezeichnung dafür ist „Suffix“) sei immer ein Männersuffix. Dies trifft aber nicht zu, was folgende Beispiele zeigen, bei denen das Wort jeweils eine Person, aber auch einen Gegenstand bezeichnet: Der Flieger (Flugzeug); der Rechner (Computer); der Hörer (Telefonhörer); der Mäher (Rasenmäher).

„Bei diesen Wörtern, die Gegenstände bezeichnen, ist offensichtlich, dass diese nichts „Männliches“ (im Sinne von ‚Sexus‘) an sich haben. Es handelt sich ja um Dinge. Hier zeigt sich erneut, was Unmarkiertheit des Maskulinums bedeutet: geschlechtlich unspezifisch. (…) Es ist genau diese Unmarkiertheit des Maskulinums, die es ermöglicht, dass Wörter wie Lehrer, Bürger, Einwohner generisch verstanden werden“ (S. 15; mit „generisch“ ist gemeint: unspezifisch in Bezug auf das biologische Geschlecht; UB)

„Kopfkino“: Sehen wir nur Männer beim generischen Maskulinum?

Die Anhänger des Genderns verweisen stets darauf, dass Menschen bei Wörtern wie Lehrer, Bürger, Einwohner etc. nur an Männer denken würden. Stimmt das wirklich? Payr stellt sehr schön dar, dass die entsprechenden Studien, auf die Befürworter des Genderns verweisen, wissenschaftlich unhaltbar sind, da sie nicht das getestet haben, was im täglichen Sprachgebrauch stattfindet. Sein Kernargument: Das Maskulinum wird in der Sprachpraxis durch seinen Kontext bestimmt und verständlich. Sätze wie „Ärzte sollten sich mehr Zeit für ihre Patienten nehmen“ oder „Bäcker müssen mitten in der Nacht aufstehen“ oder „Die Zuschauer waren begeistert von der Aufführung“ würden nicht dazu führen, dass Menschen vor ihrem geistigen Auge nur Männer sehen würden:

„Alle diese Aussagen werden von Mitgliedern unserer Sprachgemeinschaft ohne Mühe so verstanden, wie sie gemeint sind: als allgemeine Aussagen über bestimmte Menschengruppen, die sich aus allen Geschlechtern zusammensetzen. (…) Das bedeutet nicht, dass Menschen beim inklusiven Maskulinum nie an Männer denken; es heißt eben nur auch nicht, dass das generische Maskulinum vorrangig im Sinne von ‚männlich‘ interpretiert wird. Und ob wir an Männer oder Frauen denken, hängt auch von vielen außersprachlichen Faktoren ab. Wir werden bei Mitarbeiter der Müllabfuhr natürlich an Männer denken, weil wir noch nie Frauen auf einem Müllwagen gesehen haben; und wer bei Grundschullehrer nur an Männer denkt, hat lange keine Schule mehr von innen gesehen“ (S. 30).

Der Sexismus der Feministinnen

Payr verweist darauf, dass die von Feministinnen beabsichtigte „Sichtbarmachung von Frauen“ durch weibliche Formen auch ganz anders wahrgenommen werden könne. Eines seiner Beispiele ist Großbritannien. Dort vermeidet man, oder genauer: die Frauen dort vermeiden es, für sich gesonderte weibliche Formen zu verwenden:

„Und darum ziehen viele Frauen im Königreich mittlerweile das Wort actor der actress vor und den comedian der comedienne, und den author der authoresse. Mit britischem Pragmatismus greifen die Frauen zur gleichen Form, die auch die Männer benutzen“ (S.60).

Er nennt weitere Beispiele aus Italien, Frankreich und Schweden. Ich selbst kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich erntete einmal Gelächter, als ich eine italienische Ärztin mit einer weiblichen Form bedachte und als „medica“ bezeichnete. Das Wort gibt es im Italienischen nicht.

Payr fragt deshalb zu Recht:

„Bringt der Rückgriff auf die gleiche Form, die auch Männer benutzen, nicht sogar den Gedanken der Gleichberechtigung besser zum Ausdruck als eine spezielle weibliche Form?“ (S. 61).

Er beantwortet diese Frage mit einem Zitat der italienischen Ministerin für Gleichstellung, Stefania Prestigiacomo. Diese schrieb 2014:

„Ich würde das Wort ministra (Ministerin) vermeiden. Es klingt schlecht und es schwingt eine unterschwellige Ironie mit, als würde es sich in diesem Fall um eine Art Betriebsunfall handeln“ (S. 61).

Und Payr hat noch ein gutes Argument: Mit dem Gendern werde ein Narrativ über Frauen etabliert, das man eigentlich überwunden glaubte: Dass nämlich Frauen schwache, schutzbedürftige Wesen seien, die jederzeit wieder Opfer werden können, wenn sie nicht durch fortschrittliche Sprachregelungen davor bewahrt würden, in der Unsichtbarkeit zu verschwinden:

„Das ist das reaktionäre Narrativ der schwachen Frau, die dazu verdammt ist, auf ewig Opfer zu sein. Braucht die moderne, selbstbewusste, starke Frau gendergerechte Schutzmaßnahmen? Ist sie ohne Gendersprache, Quote, Frauenreferate und Gleichstellungsbeauftrage gänzlich außerstande, sich im Leben zu behaupten? Welch ein trauriges Frauenbild! Und welch ein trauriges Männerbild!“ (S. 64).

Resümee

Das Buch von Fabian Payr ist wissenschaftlich fundiert und in einer gut verständlichen Sprache geschrieben. Soweit er sprachwissenschaftliche Fachbegriffe nicht vermeiden konnte, hat er diese erklärt. Im Anhang findet sich zudem ein ausführliches Glossar zu jedem Fachbegriff. Am Ende jedes Kapitels bekommt der Leser in einem Kasten eine kurze Zusammenfassung des Kapitels. Und es gibt auch ein ausführliches Literaturverzeichnis. Das Buch ist für jeden, der sich mit dem Thema Gendern auseinandersetzen will, eine wahre Fundgrube und das bisher Beste, was ich zu dem Thema gelesen habe.

Fabian Payr: Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören, Springer-Verlag, 1. Auflage 2021, 192 Seiten, 19,99 Euro


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