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Titel: „Querdenker“ und die Flut: Ein Kampfbegriff als Mehrzweckwaffe
Datum: 26. Juli 2021 um 11:29 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Tobias Riegel
Die Wut von Flutopfern entsteht angeblich nicht zuerst durch mangelhafte staatliche Organisation – sondern dieser Unmut wird von „Querdenkern“ erst „geschürt“. Die Berichterstattung der letzten Tage: Es werden Sündenböcke markiert, Symptome zu Ursachen erklärt und die Realität von manchen Medien auf den Kopf gestellt. Der Begriff „Querdenker“ erfährt eine Erweiterung. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Angriffe auf Flut-Helfer sind abzulehnen. Selbst wenn große Wut über zunächst ausbleibende Unterstützung aus Sicht mancher betroffener Bürger nachvollziehbar ist, so sollte sie nicht die Mitarbeiter des Technischen Hilfswerkes treffen, denn die sind nicht Ursache des Chaos: Ihr teils spätes Eingreifen ist ein Symptom, das seine Ursache vor allem im Versagen staatlicher Organisation hat.
Aggressionen von Flutopfern sind aber angesichts eines großen materiellen Verlustes (oder Schlimmerem) in Verbindung mit ausbleibender Hilfe bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar – diese Ausbrüche sind Verzweiflungstaten. Ein Problem für die verantwortlichen Politiker und Journalisten stellte es in den vergangenen Tagen dar, „alternative Gründe“ für diese Verzweiflung zu nennen, damit diese Gründe nicht in der Politik gesucht werden.
Sündenbock „Querdenker“
Hier kamen die „Querdenker“ medial ins Spiel. Der Unmut der von den Fluten betroffenen Bürger entsteht nach einer in den letzten Tagen dominanten Deutung nicht zuerst durch mangelhaftes staatliches und mediales Verhalten – sondern dieser Unmut wird von „Querdenkern“ erst „geschürt“. Symptome werden durch diese Sichtweise zu Ursachen erklärt. Ursache des Bürgergrolls sind demnach nicht Staatsversagen und ausbleibende Hilfe, sondern die „perfide“ Propaganda der Querdenker als Reaktion darauf.
Diese verdrehte Sündenbock-Argumentation erinnert an die Begründung zur geheimdienstlichen Überwachung des Portals KenFM: „Ein Teil der sogenannten alternativen Medien“ würde „regelrecht die politische Entfremdung schüren und [damit] das Vertrauen [in den Staat] untergraben“. Jens Berger hat dazu geschrieben :
„Es sind also nach Ansicht des Inlandsgeheimdienstes nicht etwa die Regierung oder die Politik, sondern kritische Medien dafür verantwortlich, dass immer mehr Bürger sich politisch entfremden. Ein Satz, den wohl auch jeder Diktator unterschreiben könnte.“
Die wahren Gründe der Wut: „Kein Trinkwasser, kein Strom“
Dominant waren in den vergangenen Tagen Äußerungen von Sabine Lackner, Vize-Präsidentin des Technischen Hilfswerks (THW). Ihr zufolge sollen, wie Medien berichten, ehrenamtliche Helfer des THW, das mit insgesamt 4000 Kräften in den Katastrophengebieten aktiv ist, mitunter unfreundlich empfangen worden sein. „Das geht dann soweit, dass unsere Helferinnen und Helfer beschimpft werden“, sagte die Vize-Präsidentin des THW, Sabine Lackner, am Samstag im RTL/ntv-„Frühstart. „Wenn sie mit Einsatzfahrzeugen unterwegs sind, werden sie mit Müll beschmissen“, fügte Lackner hinzu.
Hinter den Angriffen würden vor allem Querdenker oder Menschen aus der Prepper-Szene stecken, die sich „als Betroffene der Flutkatastrophe ausgäben“, so Lackner. Es würde von diesen Menschen bewusst Stimmung gemacht. Immerhin wird auch von ihr zugestanden, es gebe auch „einige frustrierte Flutopfer“ neben den Schauspielern von „Querdenken“.
Und dann kommt Lackner zu dem Punkt, der die Wut der betroffenen Bürger wohl tatsächlich (und ganz ohne Hilfe der „Querdenker“) in die Höhe treibt:
„Lackner zufolge haben in den Flutgebieten rund 30.000 Menschen derzeit kein Trinkwasser, keinen Strom oder müssen auf beides verzichten. (…) Einige Orte seien lange komplett abgeschnitten gewesen“
Die Medien und die Stimmungsmache
Dass es tatsächlich fragwürdiges politisches Personal gibt, das nun mit der Not der Menschen sein Süppchen kochen will, soll hier keineswegs ausgeschlossen werden. Die Dominanz der Berichterstattung mit dem allzu engen Fokus auf angebliche „Querdenker“ als Quelle der Bürgerwut ist aber als unseriös und durchschaubar abzulehnen. Die Polizei wollte in ersten Stellungnahmen die Schilderungen des THW nicht bestätigen. So twitterte die Polizei Koblenz:
„Wir selbst haben erst aus den Medien von diesem angeblichen Vorfall erfahren und dies sofort beim THW und unseren Polizeikräften überprüft. Derzeit können wir die Schilderungen in keiner Weise bestätigen. Sollte die Polizei von einem solchen Vorfall Kenntnis erhalten werden wir sofort und mit aller Entschiedenheit dagegen vorgehen. Unsere Helfer angreifen geht nämlich gar nicht!“
Diese unklare Situation hielt viele Medien aber nicht davon ab, die Steilvorlage des THW und andere Vorfälle zu nutzen, etwa den „Tagesspiegel“, den NDR, die „Morgenpost“, die „Tagesschau“, das Portal „web.de”, die „Tagesthemen“ und viele andere. Die „taz“ spricht im Zusammenhang von Flut und „Querdenkern“ gar von einer „braunen Flut“.
Die Helfer und das Chaos
Die wahren Gründe für die Verzweiflung der Menschen, die sich leider auch in Aggressionen Bahn brechen kann, liegen jedoch mutmaßlich nicht zuerst bei der „Querdenker“-Propaganda, sondern woanders, Jens Berger hat sie gerade in diesem Artikel beschrieben:
„Die freiwilligen Helfer, die aus ganz Deutschland kamen, wurden in den ersten Tagen nicht als willkommene Hilfe, sondern als Problem gesehen. So wurden ganze Einheiten der freiwilligen Feuerwehren vom Krisenstab wieder weggeschickt und Helfer, die teils mit eigenem schweren Gerät kamen, nicht durchgelassen. Wer helfen wollte und sich bei der offiziellen – meist nicht funktionierenden – Hotline meldete, kriegte erst gar keine Antwort. Und wer durchkam und eine Antwort erhielt, dem wurde gesagt, man brauche ihn nicht. Aus den Kreisen der Landräte wurde sogar kommuniziert, man empfinde die Helfer als „Störung“.
Wer sich dennoch nicht abschrecken ließ, arbeitet vor Ort selbstorganisiert und auf eigene Faust. So waren es in den ersten Tagen auch fast ausschließlich Landwirte mit ihrem Gerät und zahlreiche Bauunternehmer, die die so wichtigen Arbeiten in die eigene Hand nahmen, während unzählige Feuerwehrleute und THW-Kräfte, die allesamt helfen wollten, in Massen auf dem Nürburgring warteten und nicht eingesetzt wurden.“
„Querdenker“: Ein Kampfbegriff als Allzweckwaffe
Der ursprünglich positive Begriff „Querdenker“ wurde in den vergangenen Monaten feindlich aufgeladen. Er ist nun ein Kampfbegriff. Es gibt im Moment wenige öffentliche Zuschreibungen, die für die Betroffenen härtere Auswirkungen haben kann – bis hin zu Jobverlust und sozialer Ausgrenzung. Und für viele Lockdown-Verteidiger dient der Begriff als zentrale Projektionsfläche, gegen die es sich zu versammeln gilt und angesichts derer man sich seiner „richtigen“ Position versichern kann.
Ich fühle mich bei vielen der bekannteren, aktiv organisierten „Querdenker“ politisch nicht zu Hause, von einigen Überschneidungen bei Anti-Lockdown-Forderungen abgesehen. Die in den letzten Monaten erlebte Diffamierung der Gruppe durch zahlreiche Journalisten und Politiker ist aber – vor allem in ihrer unseriösen Verallgemeinerung – strikt abzulehnen.
Die Verknüpfung von gesundheitlichen Themen mit dem Attribut „rechtsextrem“ muss als propagandistisches Meisterstück bezeichnet werden. Ebenso die unseriösen, aber medial geglückten Verallgemeinerungen: Inzwischen kann man als Journalist fast ungestraft alle Kritiker der Corona-Politik pauschal als „Querdenker“ bezeichnen – durch die vorgelagerte giftige Propaganda schwingen dann Beleidigungen als „verrückt“ oder „extremistisch“ unausgesprochen mit. Gleichzeitig wurde es medial etabliert, dass „Querdenker“ pauschal unter Naziverdacht stehen.
Durch diese beiden unseriösen und unzutreffenden Verallgemeinerungen und Verknüpfungen ist ein weites Feld der „Kontaktschuld“ eröffnet worden: Der Kampfbegriff „Querdenker“ kann nun als Allzweckwaffe genutzt werden. Er ist nicht mehr nur die allzu pauschale Bezeichnung für alle, die Kritik an der Corona-Politik äußern. Inzwischen soll der Begriff anscheinend alle Bürger negativ bezeichnen (über Corona hinaus), die nicht an der Seite der Regierung marschieren – und seien es Flutopfer.
Gute Demos, schlechte Demos
Die Diffamierung ist so weit geglückt, dass man den „Querdenkern“ auch Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit einfach wegnehmen kann, ohne dass dieses skandalöse Vorgehen noch einen Skandal verursacht. So wurden laut Medienberichten gerade wieder Demos verboten, etwa in Kassel. Gleichzeitig dürfen aber andere, große Demonstrationen stattfinden, etwa der CSD in Berlin. Das ist eine willkürliche „Zuteilung“ der Grundrechte, abhängig von den politischen Inhalten: Alle Demos sollten ohne „Corona-Auflagen“ stattfinden dürfen. Aber es gibt eben “Gute Demos und schlechte Demos“. Man darf gespannt sein, wie mit der „Querdenker“-Demo am 1. August in Berlin verfahren wird.
Titelbild: 2M media / Shutterstock
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