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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 23. November 2010 um 8:45 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Verwirrung um Terrorwarnungen; Irland-Krise; Portugal steht vor dem Kollaps; Finanzkrise kostet jeden Deutschen im Schnitt mehr als 9.000 Euro; Binnenmarkt reloaded; Insider-Verdacht an der Wall Street – “Wie ein Raubüberfall”; Exporte um jeden Preis; Bundesagentur bedauert Kürzungen; 594 Euro Mindest-Regelsatz für Hartz IV gemäß Bundesverfassungsgerichtsurteil; Rente mit 67? Aber gerne!; Arbeitslosigkeit von Älteren um 50 Prozent höher als offiziell benannt; wenn Krankheit in den Ruin führt; europäische Patientengruppen: Fragwürdiges Finanzgebaren; Gemeinwohl hat Vorrang; Datteln entzweit das Rot-Grün-Bündnis; Paul Krugman – Ungenutzte Macht; NATO: Afghanistan für Kinder sicherer als London oder New York; Die Angst der Grünen vor dem FDP-Effekt; Liz Mohn als „Integrations-Victoria“; Deutschland verletzt völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Bildung; WDR 5-Thementag – Schattenreich Lobbyismus. (JB/WL)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung WL: Ich saß gestern von Istanbul kommend fast 4 Stunden im Flugzeug. Mangels Alternative konnte ich nur die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung von vorne bis hinten durchlesen. Aufmacher: „Polizei rüstet sich für Anschlag“, Seite 2 ganzseitig: „Warum wird einer Islamist?“, Seite 3 ganzseitig „Die Terroristen könnten schon da sein“.
Ich kam aus der Türkei und es waren viele orientalische Fluggäste an Bord. Da musste ich in der F.A.S. lesen: „Terrorgefahr konkret wie nie.“, die „deutlichste Terrorwarnung in der Geschichte der Bundesrepublik“ oder „Der 22. November ist der Tag an dem eine Gruppe von Terroristen in Deutschland einreisen soll, um hier ein Blutbad anzurichten.“
Ich muss zugeben, dass ich nach der Lektüre dieser Artikel bei mir selbst gegen das aufkommende Gefühl ankämpfen musste, jeder mit einer orientalischen Kopfbedeckung, einem Vollbart oder einem baumwollenen Hemdenanzug könnte in seiner Plastiktüte ein Päckchen Sprengstoff mit sich führen. Und das, obwohl ich nun mehrere Tage die Freundlichkeit, die Hilfsbereitschaft und die Friedfertigkeit von Menschen dieser äußeren Erscheinung erfahren hatte, obwohl ich viele Moscheen besucht hatte und dabei eine unverkrampfte Frömmigkeit (es war gerade der höchste Feiertag der Muslime, das „Opferfest“) von Muslimen erlebt hatte.
Wie muss eine solche Berichterstattung erst auf Menschen wirken, die keine ganz überwiegend so angenehmen Erfahrungen mit orientalischen bzw. islamischen Menschen gemacht haben, denen die Mützen oder der Hemdenanzug oder der Vollbart und dazu noch die Sprache einfach nur fremd sind. Sie müssen doch in einen Angstreflex verfallen oder gar einen wahnhaften Angstzustand geraten, aus dem sie sich rational oder aufgrund von Erfahrung gar nicht mehr befreien können.
Nun will ich die Bedrohung durch Terroristen wirklich nicht verharmlosen, was ich anprangere ist eine Berichterstattung über Terrorismus, die sich nachrichtlich auf „Sicherheitskreise“, auf „Terrorismus-Fachmänner“, auf anonyme „Behörden“ oder auf nicht näher qualifizierte Quellen des Bundeskriminalamtes stützt. Warum werden nicht wenigstens die deutschen Quellen benannt? „Stecken“ die Informanten ihre Hinweise unerlaubterweise an die Presse durch? Wo bleibt dann die Intervention der jeweiligen Behördenleiter? Wie sollen Sicherheitsbehörden ihre Aufklärungsarbeit verrichten, wenn die angeblichen Attentäter ihr Einreisedatum, ihren Anreiseweg oder ihre Anschlagsziele vorher in der Zeitung nachlesen können?
Man stelle sich nur für einen Augenblick vor, welcher Aufschrei durchs Land ginge, wenn aus Finanzämtern solche Indiskretionen über das Steuergebaren von Steuerhinterziehern in die Medien gerieten.
Jeder der aus einer Sicherheitsbehörde solche Informationen preisgibt, gefährdet die Sicherheit, weil er potentielle Terroristen vorwarnte. Hier müssten die Geheimdienstchefs oder der Chef des BKA zur Verantwortung gezogen werden, dass ihre Behörden ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung darstellen.
Da werden in den Medien Terrorszenarien, wie etwa ein „Mumbai-Anschlag“, irgendwelche Videos oder „Broschüren“ die der Al Quaida (was ist das eigentlich) zugeschrieben werden über verrückteste Anschlagsszenarien zur Nachricht erhoben (an einem Pick-UP-Geländewagen sollen „vorne, hinten und auf beiden Seiten Stahlklingen, am besten von einem Metzger“ angebracht werden). Halten solche Journalisten (die sich häufig noch „Terrorexperten“ nennen lassen) wirklich gefährliche Attentäter für tatsächlich so doof? Wo bleibt da ihre sonstige Skepsis gegenüber Interneteinträgen, wo bleibt die Quellenangabe?
Statt recherchiert, wird kolportiert.
Bei der Ankunft betrat ich einen Polizeistaat. Schon an der Gangway Polizisten mit Maschinengewehr als Passkontrolle. Nochmalige Passkontrolle im Flughafengebäude, lange Schlangen davor, Polizisten mit schusssicheren Westen und mit der Waffe im Anschlag dahinter. Als ganz normaler Fluggast musste man nicht etwa das Gefühl von Sicherheit sondern den Eindruck bekommen, man sei ein verdächtiger Schwerverbrecher.
An der Gepäckausgabe habe ich mit einzelnen (deutschen) Mitreisenden gesprochen. Die meisten hatten Angst. Angst von einem islamischen Land kommend nach Deutschland einzureisen, weil es dort angeblich eine Bedrohung durch Islamisten gibt.
Wie es dazu kommt, dass in Deutschland – wenn man den Medienberichten folgt – „die deutlichste Terrorwarnung in der Geschichte“ ausgegeben werden musste, wird von niemand gefragt. Die Frage nach den Ursachen war auch der F.A.S. keine einzige Zeile wert.
Übrigens: Im gesamten ersten Teil ging es außer in der Anzeige der Kanzlerin nicht um Finanz-, Bildungs-, Energie- oder Gesundheitspolitik. Die Terrorgefahr und die neue Sicherheitsstrategie der NATO verdrängen alle Probleme, die die Menschen in ihrem Alltag berühren.
Angst macht eben blind. Blind auch vor Telefonüberwachung, Online-Durchsuchung, Datenspeicherung und Fingerabdrücken.
Und das ist wohl der Sinn, warum Angst geschürt wird.
Dazu auch:
Terror und die deutschen Medien
Geht es nach den Aussagen von Innenminister Thomas de Maiziere, sollte den Deutschen spätestens letzte Woche klar geworden sein, dass der Terror auch in ihrem Land lauert. Bei der Verbreitung der bevorstehenden Terrorgefahr, fanden die politischen Entscheidungsträger willfährige Verbündete: die Medien.
Aus dem Bündnis zwischen Politikern und Journalisten heraus folgte eine Medienberichterstattung, die eine ihrer Kernaufgabe in weiten Teilen nicht mehr erfüllte: nämlich Informationen nach journalistischen Gesichtspunkten wie Abgewogenheit und kritischer Distanz aufzubereiten und den Rezipienten zugänglich zu machen.
Spekulationen ersetzten die harten Fakten, Terrorhysterie verdrängte Sachlichkeit. Im Zentrum der medialen Berichterstattung der vergangenen Tage stand eine Bombe, die keine war, sowie ein Terrordiskurs, in dem der Konjunktiv über die Grenzen des journalistisch Zumutbaren strapaziert wurde. Eine Auseinandersetzung mit der “Terrorberichterstattung” der deutschen Medien stimmt nachdenklich: Sollte es in Deutschland tatsächlich zu den angekündigten Terroranschlägen kommen, ist mit einer Presse zu rechnen, die eine noch stärkere Allianz mit dem politischen Feld eingehen wird, als sie es im Vorfeld bereits getan hat. Es sind fatale Konsequenzen für die Berichterstattung zu erwarten.
Quelle: Telepolis
Dazu:
Anmerkung Jens Berger: Da steht dann wohl Aussage gegen Aussage. Es ist natürlich verständlich, dass Westerwelle und Hoyer die Iren zu einer Anhebung der Körperschaftssteuer antreiben wollen, schließlich leidet auch (aber nicht nur) Deutschland unter dem Steuerdumping der Iren. Umso erstaunlicher, dass dieses Thema offensichtlich bei den direkten Verhandlungen überhaupt nicht zur Sprache kam. Ferner stellt sich die Frage, wie Irland überhaupt Pläne für eine Haushaltskonsolidierung aufstellen will, ohne die Steuern zu erhöhen.
Anmerkung Jens Berger: Dass Ein-Euro-Jobs sehr wohl reguläre Arbeitsplätze verdrängen und Langzeitarbeitslose nur selten in den ersten Arbeitsmarkt bringen, wissen nicht Nachdenkseiten-Leser, sondern auch der Bundesrechnungshof.
Anmerkung Jens Berger: Man muss die SPIEGEL-Online-Redakteurin Lisa Erdmann wahrlich um ihr klares und einfaches Weltbild beneiden. Erst Bummelstudent und dann revolutionärer Greis, der gegen die Staatsmacht aufbegehrt – so geht das ja nun nicht, lieber Rentner in spe! Wer demonstrieren kann, kann auch arbeiten. Schließlich ist für viele Schauspieler und Musiker mit 66 Jahren auch noch lange nicht Schluss. Im Gegenteil, die kommenden Senioren könnten, so weiß Frau Erdmann, sogar froh sein, wenn sie nicht in Rente gehen müssen, schließlich tun sie so ja was Sinnvolles. Ob der Bandarbeiter, die Klofrau oder die Politesse nun so viel Sinn in ihrer Arbeitstätigkeit sehen, spielt da ebenso wenig eine Rolle, wie die Frage, ob körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten überhaupt von Senioren ausgeübt werden können. Schließlich macht uns Jopi Heesters ja vor, dass man auch mit 106 Jahren noch fröhlich seine Arbeit verrichten kann. Wenn man aus einem fernen Land kommt und Erdmanns Artikel liest, könnte man glatt glauben, die Deutschen werden zwangsverrentet. Dem ist natürlich nicht so, jeder Rentner kann auch heute schon so lange arbeiten, wie er Lust und Laune hat, womit der Inhalt des Artikels schon einmal nicht stichhaltig ist. Wahrscheinlich war der Artikel ohnehin als Glosse gedacht und der Chef vom Dienst hat ihn lediglich versehentlich im Politik-Ressort eingestellt.
Anmerkung Jens Berger: Da bleibt dem FTD-Leitartikler die Spucke weg. Da will eine Partei doch tatsächlich Besserverdiener zur Kasse bitten um den Sozialstaat “auszubauen”. Ei der Daus! Das hört sich ja irgendwie links an, was die Grünen da fordern. Aber keine Angst, liebe FTD. Den Grünen droht nicht der FDP-Effekt, sondern eher der SPD-Effekt – vor den Wahlen links blinken, um dann mit Vollgas halbrechts abzubiegen.
Anmerkung WL: Es ist bezeichnend für die politische Haltung der Deutschen Zeitungsverleger, dass der „Integrationspreis“ des Verbandes Deutscher Zeitungsverleger (VDZ) nun gerade an Liz Mohn ging. Und es zeigt das falsche Spiel das hier getrieben wird, dass nun gerade Liz Mohn, die mit dem Anti-Integrations-Buch Sarrazins aus der zu ihrem Bertelsmann-Konzern gehörenden DVA-Verlag Millionen gescheffelt hat, mit einem „Integrationspreis“ ausgezeichnet wurde: Hetze gegen Türken und Araber, damit auch noch Geld machen, ein paar heuchlerische Phrasen über Integration dreschen und sich dafür von den Verlegerkollegin feiern zu lassen.
Man beachte nur einmal in der angebotenen Bildfolge, wer sich zu dieser doppelbödigen Selbstbeweihräucherung alles eingesellt hat.
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