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Titel: 120 Milliardengräber. Schulbau in Berlin ist lahm, kompliziert und so teuer wie nirgendwo.
Datum: 17. Juni 2021 um 9:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Interviews, Private Public Partnership
Verantwortlich: Redaktion
Der Hauptstadtsenat aus SPD, Linkspartei und Grünen wollte schnell und unbürokratisch ganz viele Schulen hochziehen. Vier Jahre nach dem Start des Projekts gibt es drei neue Lehranstalten, während für dutzende Vorhaben nicht einmal die Verträge gemacht sind. Auf Zack ist man dagegen beim Geldverbrennen: Schon jetzt hat sich die Kostenprognose fast vervierfacht. Läuft alles weiter außer Plan, könnte das Ganze am Ende 20 Milliarden Euro und mehr verschlingen. Das lohnt sich zwar nicht für die Berlinerinnen und Berliner. Dafür steht Banken, Baukonzernen und Beratern der fette Reibach ins Haus. Möglich machen das ein Privatisierungsmodell und eine Partei, die nach dem demokratischen Sozialismus strebt. „Das ist eines der größten Politblendwerke der letzten Jahrzehnte“, findet Carl Waßmuth vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Herr Waßmuth, sie ist das größte und ambitionierteste Investitionsprojekt des Hauptstadtsenats aus SPD, Links- und Grünen-Partei: Die Berliner Schulbauoffensive (BSO). In ihrem Rahmen sollten bis 2026 bei insgesamt rund 120 Bauvorhaben dutzende Lehranstalten entweder neu errichtet oder bestehende Standorte erweitert beziehungsweise saniert werden. Kosten sollte das Ganze 5,5 Milliarden Euro. Was ist von den schönen Plänen vier Jahre nach dem Start und dreieinhalb Monate vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus übrig?
Die Berliner Schulbauoffensive ist eines der größten Politblendwerke der letzten Jahrzehnte. Der Unterschied zwischen Ankündigung und Ergebnis könnte kaum größer sein: Es wurden bisher gerade mal drei Schulen gebaut. Und auch die hat man nur geschafft, weil sie schon unter der letzten Regierung begonnen worden waren. Zusätzliche Schülerinnen und Schüler wurden in uniformen Erweiterungsbauten untergebracht, die ein einziger Lieferant von der Stange liefert. Diese dürre Bautätigkeit ist unmittelbare Folge der Auslagerung des Schulbaus in ein Finanzprodukt. Statt zu bauen, hat man an über 120 Privatisierungsverträgen gestrickt.
In welche Sphären sehen Sie die Kosten entgleiten? Zuletzt musste der Senat auf eine parlamentarische Anfrage der CDU einräumen, dass am Ende mit mindestens 14,2 Milliarden Euro zu rechnen ist.
Die angekündigten Kosten – es wurde ja bisher kaum gebaut – sind desaströs hoch geworden. Das hat jedes Maß verloren. Schon bei den 5,5 Milliarden Euro haben viele gestaunt: So viel Geld soll nötig sein? Auf dem Landesausschuss der Linken im Jahr 2016 hatte sich jemand aus Thüringen gemeldet und berichtet, dass dort 40 Schulen gebaut worden waren – für unter einer Milliarde Euro. Die Zahl 14,2 Milliarden Euro stammt aus einer Anfrage zum Neubau. Es gibt noch eine weitere Anfrage zu Sanierungen: Noch mal fast fünf Milliarden Euro. Zusammen mit dem baulichen Unterhalt sind das über 20 Milliarden Euro. Wie soll man sich Projekte in solcher Dimension vorstellen?
Sagen Sie es?
Der Hauptstadtflughafen BER hat am Ende sieben Milliarden Euro gekostet. Oder Stuttgart 21: Da wird seit zehn Jahren der Tiefbahnhof gebaut. Die halbe Stadt wurde aufgerissen und untertunnelt. Wer in letzter Zeit da war, hat dieses Bild der Zerstörung vor Augen. Und trotzdem wurden dort „erst“ 3,5 Milliarden Euro verbaut, am Ende werden es vielleicht zehn Milliarden Euro sein, wenn alles in 15 Jahren fertig sein sollte. Und in Berlin 20 Milliarden? Also zweimal Stuttgart 21?
Noch im Oktober 2020 hatte der Landesrechnungshof (RHvB) die Gesamtausgaben in seinem Jahresbericht auf elf Milliarden Euro taxiert. Wie erklären Sie sich den neuerlichen und so massiven Kostenschub?
Von Anfang an ging es dem Senat nicht um Schulbau, sondern darum, ein gigantisch großes Finanzprodukt zu schaffen. In der Folge würden große Teile des Schulbaus privatisiert, zu handelbaren Finanzprodukten mit 37 Jahren Laufzeit gemacht. Das wurde harmlos „Einbindung der Wohnungsbaugesellschaft Howoge in die BSO“ genannt. Der Landesrechnungshof hat dieses Modell in seinem Jahresbericht aufs Schärfste kritisiert: Es wurde keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt, Alternativen wurden nicht einmal ermittelt, geschweige denn bewertet, nicht einmal der Bedarf wurde belastbar festgestellt. Das Howoge-Konstrukt nennt der Rechnungshof „neuartig, komplex, sehr langfristig angelegt und finanziell enorm bedeutsam“. Vor diesem Hintergrund schätzen die Finanzprüfer überschlägig, dass die Kosten sich verdoppeln, und kommen so auf elf Milliarden Euro.
Die neuen Zahlen vom Senat selbst sind vermutlich genauer. 20 Milliarden! Das muss sofort aufgeklärt werden, bevor auch nur eine einzige Unterschrift unter die Privatisierungsverträge kommt. Da ist mindestens ein Untersuchungsausschuss fällig, vielleicht sollte auch die Staatsanwaltschaft ermitteln. Ich selbst fände ein Bürgerinnen- und Bürgertribunal am besten. Es geht um die politische Verantwortung derer, die hier eng verwoben mit den Finanzmärkten aus der öffentlichen Daseinsvorsorge etwas Grausiges machen möchten.
Der Rechnungshof hat ferner die massiven Verzögerungen in der Bautätigkeit beanstandet. Dabei hatte sich der Senat die Howoge gerade dafür ins Boot geholt, damit alles schneller und effektiver vonstattengeht. Begründung: Das Land und die Bezirke könnten das alles nicht alleine schultern. Tatsächlich aber befindet sich noch kein einziges der rund 40 Howoge-Projekte in der Fertigungsphase.
Wir kennen das. Privatisierungsmodelle werden immer wieder mit tollen Versprechungen schmackhaft gemacht. Die Howoge hat nach knapp fünf Jahren immer noch nicht mit dem Bauen losgelegt. Manch eine Howoge-Schule soll sogar erst 2031 fertig werden – 15 Jahre nach dem Start der BSO. Das stellt den BER ein weiteres Mal in den Schatten, da hat es nur 14 Jahre und zwei Monate gedauert …
Die Senatsparteien, vorneweg Die Linke, die das Projekt maßgeblich forciert hat, nennt die Konstruktion eine öffentlich-öffentliche Partnerschaft (ÖÖP). Tatsächlich ist die Howoge ja auch eine Wohnungsbaugesellschaft in Landeshand. Warum also sprechen Sie von einer Privatisierung?
Weil über Erbbauverträge handelbare Finanzprodukte gebildet werden. Erzählt wurde, die Howoge als landeseigene Gesellschaft würde da irgendwas machen, was dann wiederum politisch steuerbar wäre. Aber die Howoge ist in Sachen Schulbau nur eine Briefkastenfirma, sie schließt für alles und jedes Verträge mit den eigentlich interessierten privaten Konzernen ab. Das bezahlt sie mit Steuergeld vom Land Berlin und muss dabei nicht nach dem Preis fragen. Berlin zahlt sozusagen jeden Preis. Das Modell folgt einem Vorschlag des Beratungskonzerns PricewaterhouseCoopers (PwC). Darin waren ÖÖPs als Weiterentwicklung von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) konzipiert worden. Dabei verlangt PwC ein zusätzliches Unternehmen, das privatrechtlich verfasst ist, aber der öffentlichen Hand gehört. Damit sollen ÖPPs stärker standardisiert und Kosten und Risiken für Kapitalanleger verringert werden. Matthias Kollatz ist ja direkt von PwC in sein Amt als Finanzsenator gewechselt, er war dort Senior Advisor, also Führungskraft und fraglos mit den ÖPP-Konzepten von PwC vertraut.
Was könnte an einer Howoge-Schule künftig anders laufen als an jenen in bezirklicher Regie?
Das Augenfälligste ist ihr Geisterstatus: Diese Schulen gibt es nicht und wird es auch lange nicht geben. Und doch kosten sie uns Milliarden. Sie sind sozusagen vor allem ein Riesenloch im Landeshaushalt, durch das Geld und demokratische Kontrolle abfließen. Die Howoge-Schulen sind Pfand in der Hand der beteiligten privaten Finanzinstitute. Nur mit Hilfe der Immobilien und Erbbauverträge können die Verträge geschlossen werden, die Privaten über Jahrzehnte den sicheren und regelmäßigen Zufluss an Steuergeldern zusichern. Für den künftigen Schulbetrieb ist das auch bedrohlich: Die ökonomische Verwertung dominiert künftig die Nutzung. Das bedeutet: Sparen bei der Instandhaltung, Vermietung abends und am Wochenende. Zu Geld machen lassen sich auch der Pausenhof, die Parkplätze und vieles mehr.
Sie haben den Vergleich mit ÖPPs gezogen. Auch dabei laufen die Kosten in unschöner Regelmäßigkeit komplett aus dem Ruder, insbesondere bei Straßenbauprojekten.
Tatsächlich ist das beim Berliner Schulbau eine Form von ÖPP, nicht nur etwas Vergleichbares. Die Beraterbranche hat ÖPPs weiterentwickelt und empfiehlt, das jetzt ÖÖP zu nennen. Das ist ein „Re-Branding“: anderes Brandzeichen, aber dieselbe Melkkuh, wie sich bei den Autobahnen zeigt. Da hatte der Bundesrechnungshof immer wieder Kostenüberschreitungen festgestellt, im Durchschnitt um 35 Prozent. Wobei dort noch keines der Projekte das Ende der 30-Jahres-Laufzeit erreicht hat, da kommen sicher noch weitere Kosten. ÖPPs sind ja keine Erfindung von Bürgerinnen und Bürgern, das haben die Finanzwirtschaft und die Bauindustrie ausgeheckt, als eine Art Abonnement auf unsere Steuergelder.
Und wer alles verdient am Berliner Schulbau mit oder anders: Was lässt die Ausgaben für die BSO so durch die Decke gehen?
Zu allererst verdienen die Finanzinstitute durch die teuren Kredite, die in den Konstrukten versteckt sind. Allein die Zinsen erreichen schnell mal die Hälfte der Investitionssumme. Dann kommt die Bauindustrie, die bei ÖPPs keine Konkurrenz durch das mittelständische Bauhandwerk fürchten muss. Da sind drei oder vier Baukonzerne, wenn die sich einig sind, können die Mondpreise aufrufen. Mit diesem Geld bezahlen sie auch eine kleine Legion an Beratern und Anwälten, die dafür sorgen, dass immer schon das nächste Modell in der Pipeline ist. Und die öffentliche Hand muss ebenfalls Berater und Anwälte bezahlen, um die enorm komplexe Ausschreibung zu bewältigen. Bei der BSO geht es allein um mehr als 120 Verträge! Und glauben Sie nicht, dass das immer dieselben Verträge sind. Jede Schule ist anders, jedes Grundstück anders geschnitten und alles ist irgendwie kostenwirksam und muss genau austariert werden.
Woher nehmen Sie Ihre Kenntnisse?
Wir haben umfassende Belege gesammelt, die wir auch immer wieder an die Abgeordneten schicken. Das Problem bei Privatisierungen ist: Sie schaden immens, aber eben immer erst viel später. Vorher werden tolle Dinge versprochen. Wenn Sie die verantwortlichen Politiker in ferner Zukunft mit der harten Privatisierungsrealität konfrontieren wollen, sind die längst nicht mehr im Amt, sondern auf einem gut versorgten Posten in der Privatwirtschaft. Oder sie deckt bereits der grüne Rasen. Trotzdem kann man solche Vorhaben solide bewerten: Man sieht sich einfach an, wie die bisherigen Projekte gelaufen sind und ob die neuen genauso angelegt sind.
Und ist die Einbindung der Howoge genauso angelegt?
Ja, ist sie, wir haben alle relevanten ÖPP-Merkmale. Aber selbst wer sich nicht mit ÖPP auskennt, kann das Vorhaben gut einschätzen. Es gibt zwei wichtige Kriterien: Geschwindigkeit und Kosten. Viele Schulen sind überfüllt. Liefert das Howoge-ÖPP-Modell schnell Entlastung? Nein, es hat fünf Jahre Verzug verursacht. Ist das Howoge-ÖPP-Modell günstiger? Nein, das Ganze kostet mehr als das Doppelte wie im Bundesdurchschnitt. Maßgebend sind die Kosten pro Schulplatz: Wenn man alles einrechnet, was man zur Verteidigung des Howoge-ÖPP-Modells anführen kann – Inflation, Sporthallen, das Berliner Baupreisniveau –, dann kostet ein Howoge-Schulplatz knapp 70.000 Euro, aber sonst im Bundesdurchschnitt bloß 30.000 Euro.
De facto verschlingt ein Howoge-Schulplatz sogar knapp 95.000 Euro: Gesamtkosten geteilt durch die Zahl der neu geschaffenen Schulplätze. Die Howoge saniert auch Schulen, da ist der Kostenunterschied noch krasser. Wir haben alle verfügbaren Daten bereits 2019 untersucht und jetzt im Rahmen einer Kurzstudie zur BSO-Bedarfsermittlung aktualisiert.
In der Studie liefern Sie überdies Belege dafür, dass die Senatskanzlei für Bildung mit ihren Prognosen zur Entwicklung der Schülerzahlen weit übers Ziel hinausgeschossen ist. Warum meinen Sie, dass das kein Ausrutscher war?
Das ist sogar die Hauptaussage der Studie. Es ist ÖPP-typisch: Zu Beginn wird der Bedarf maßlos übertrieben. Bei den Autobahnen wurde immer wieder ein massives Verkehrswachstum unterstellt. Ein kleiner Knick im Zuge der Finanzkrise hat umgehend den ÖPP-Betreiber „A1 Mobil“ zu Milliarden-Nachforderungen veranlasst. In Berlin wurde die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 dazu benutzt, allen weiszumachen, die Schülerzahlen würden explodieren. 2015/2016 hatte man geflüchtete Kinder und Jugendliche in sogenannte Willkommensklassen aufgenommen. Da kamen in einem Schuljahr auf einmal 4.500 Schülerinnen und Schüler mehr als geplant. Der Senat hat dann eine Prognose vorgelegt, die implizit besagt, dass dieser Trend sich fortsetzt.
Genau das begründete dann die „Einbindung der Howoge“. Damit sollte der Bau von 20.000 Schulplätzen ausgelagert werden, anders würde man das nicht schaffen, hieß es. Zehn Jahre lang neue Willkommensklassen waren aber völlig übertrieben. Statt 84.000 Neuzugänge sind 54.000 realistisch, wie sich auch an den aktuellen Zahlen zeigt. Dass die Senatsprognose von 2016 kein Ausrutscher war, sieht man gleich mehrfach: Zum einen klammerte sich der Senat so lange wie irgend möglich an seine falschen Prognosen, auch als die längst von der Realität überholt waren. Wir haben das sehr genau dokumentiert. Vor allem aber wurden die 20.000 Howoge-Schulplätze auch dann nicht fallengelassen, als der Senat mit den realen Zahlen konfrontiert wurde. Die Howoge-Schulplätze braucht man jetzt ja gar nicht. Unser Glück im Unglück ist: Die Verträge sind noch nicht unterschrieben.
Die Einbindung der Howoge wurde seinerzeit ja auch damit rechtfertigt, dass die Regularien der Schuldenbremse eine rein staatliche Finanzierung nicht erlaubt hätten. Mittlerweile sprechen wir von womöglich 20 Milliarden Euro. Wie sollen die, also rein haushaltsrechtlich, überhaupt bezahlt werden?
Das mit der Schuldenbremse war ja immer schon fragwürdig. Der Staat hat kein Geld mehr, um die erforderlichen Schulen zu bauen, also bildet man einen Schattenhaushalt? Davon bekommt man ja auch kein Geld, im Gegenteil, das kostet extra. Völlig absurd wurde das Ganze angesichts der Überschüsse von 2017 und 2018: Da hatte Berlin plötzlich zwei Milliarden mehr als geplant. Mit diesem Geld hätte man alle Schulen bauen können, die benötigt werden.
Aber nehmen wir mal an, es wäre wirklich kein Geld für den Schulneubau dagewesen. Dann hätte man das öffentlich sagen und die Leute vor die Wahl stellen müssen: „Die Verfassung garantiert Euren Kindern das Recht auf Bildung, aber unser Haushalt setzt stattdessen auf Straßenbau. Was sollen wir machen: Die Verfassung ändern oder den Haushaltsplan?“ Ich denke, die Antwort wäre klar gewesen. Die Menschen nehmen das Recht auf Bildung ernst. In Berlin wurde die Fortsetzung des Präsenzunterrichts gerichtlich durchgesetzt, gegen Bildungssenatorin Sandra Scheeres.
Und nun kommt der Knaller: Gerade durch die Howoge-Einbindung ist das Geld demnächst wirklich alle. Die Kosten der Corona-Krise kommen dann noch dazu. Wer also heute irre teure 37-Jahres-Verträge im Schulbau abschließt, verhindert künftig Schulbau, denn jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden, entweder für 20.000 Howoge-Schulplätze oder für 50.000 klassische Schulplätze. Man muss wissen: Die Howoge veranschlagt für 40 Prozent der geplanten neuen Kapazitäten 75 Prozent der Mittel.
Und Sie meinen, dass alles oder vieles könnte das Land sich sparen, wenn es gleich auf eigene Faust baut?
Das Ganze ist so unnötig und schädlich wie andere Privatisierungen auch. Die Bezirke haben ja gebaut! Das Land Berlin hat selbst auch gebaut, wenn auch vergleichsweise wenig. Aber trotzdem: Wir haben in vier Jahren 20.000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler aufgenommen, dieses Jahr kommen noch einmal 5.000 dazu. Und das ganz ohne oder trotz des Howoge-Rummels. Der hat enorme Kräfte in der Bauverwaltung gebunden, für gar nichts. Die Bezirke waren innovativ und haben die sogenannten fliegenden Klassenzimmer entwickelt, günstige Erweiterungsbauten aus Holz.
Gleichwohl bleibt noch das Problem der personell leergefegten Planungs- und Bauämter sowie der vollen Auftragsbücher der Bauwirtschaft. Haben Sie dafür auch eine Lösung in petto?
Als wir 2019 das erste Mal die Mehrkosten durch die Howoge errechnet haben, kam heraus: Für die Mehrkosten von 800 Millionen Euro hätten über 1.000 Beschäftigte eingestellt werden können, die in der öffentlichen Verwaltung zehn Jahre lang den Schulbau vorantreiben. In einem Brandbrief haben die Baukammer, die Architektenkammer, der Bund Deutscher Baumeister, die Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg sowie der Architekten- und Ingenieurverein Anfang des Jahres von Finanzsenator Kollatz gefordert, die Personalausstattung der Bezirke und der Genehmigungsbehörden zu stärken. Allein 30 Stellen sind offen. Das liegt auch an der Einstufung dieser Stellen: Da wird einem Architekten mit langjähriger Berufserfahrung etwas angeboten, was einem Berufsanfänger entspricht, Ingenieure sollen bezahlt werden wie jemand im Sekretariat. Da kommt keiner, da helfen auch keine Krokodilstränen. Frankfurt am Main hat gezeigt, dass man für Schulbau Leute bekommt und zügig bauen kann. Das ginge in Berlin auch – wenn man wollte.
Die Parlamentswahl in Berlin steht vor der Tür. Spielt das Thema überhaupt eine Rolle im Wahlkampf?
Also gerade formiert sich ein Bündnis, das berlinweit gegen Privatisierungen mobilisiert. Eine Woche vor der Wahl soll das in einer großen Demo münden. Die Leute haben die Schnauze richtig voll. Die Wohnungsprivatisierungen haben schwerste soziale Verwerfungen hervorgerufen. Das Wasser wurde hart zurückgekämpft und doch muss der Rückkauf von den Wasserkunden bis 2042 abbezahlt werden. Mit der S-Bahn steht trotzdem ein weiteres Privatisierungsvorhaben auf der Agenda: Bis zu elf Milliarden Euro Volumen, 30 Jahre Laufzeit und so weiter. Und wie bei den Wohnungen und beim Wasser ist die Berliner Linke wieder mit von der Partie. Die Linke wäre vermutlich gut beraten, endlich Harald Wolf zu überwinden. Aber auch die Grünen müssen aufpassen. Die dachten lange, es reicht, wenn die anderen schlechte Politik machen. Und jetzt sind sie es selber. Die grüne Verkehrssenatorin vollstreckt die S-Bahn-Privatisierung nach einem neoliberalen Masterplan wie aus dem Lehrbuch von Milton Friedmann.
Müsste die künftige Landesregierung bei der BSO so weiter verfahren, wie es Rot-Rot-Grün bisher gemacht haben?
Die künftige Landesregierung kann einfach die Unterschrift unter die Verträge verweigern. Damit hört ja nicht alles auf, im Gegenteil, damit werden erhebliche Ressourcen frei, um den Schulbau zu beschleunigen.
Aber auch mit der CDU und der FDP dürfte es kaum besser werden. Die Freidemokraten wünschen sich eine „Infrastrukturgesellschaft Schule“ wie in Hamburg und nach dem Vorbild der Autobahngesellschaft des Bundes. Wen sollte man dann noch wählen, wenn man keine Privatisierer ans Ruder bringen will?
Man muss was wählen. Und man sollte Privatisierer abstrafen, auch wenn dann andere drankommen können. Wahlniederlagen sind wichtig. Die SPD musste Schröder und Sarrazin loswerden. Gut, jetzt haben sie Olaf Scholz und Franziska Giffey. Damit die richtigen Schlüsse gezogen werden, müssen wir mehr machen als alle vier beziehungsweise fünf Jahre wählen. Wir müssen vor den Wahlen Druck machen: „Wir wählen euch nur, wenn …“ Und wir dürfen nach den Wahlen nicht nachlassen. Jede Privatisierung basiert auf einer Handvoll von einzelnen Beschlüssen, von denen jeder einzelne zwingend notwendig ist für das Gesamtwerk. Das sind Beschlüsse von Parteien und politischen Gremien, die sich alle auch nach der Wahl rechtfertigen müssen. Kippt es an einer Stelle, dann kippt alles, so wie beim verhinderten Bahnbörsengang 2008. Oder beim Berliner Wasser 2011. Wenn wir genügend Druck machen, können sich die Berliner Schulen 2021 in diese Erfolgsbilanz einreihen.
Titelbild: Photobank gallery/shutterstock.com
Zur Person: Carl Waßmuth ist von Berufs wegen Bauingenieur und Infrastrukturexperte. Er ist Mitbegründer, Vorstandsmitglied und Sprecher beim Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), der sich für die Demokratisierung aller öffentlichen Institutionen, insbesondere der Daseinsvorsorge, und für die gesellschaftliche Verfügung über Güter wie Wasser, Bildung, Mobilität und Gesundheit einsetzt. Der Verein war maßgeblich an der Volksinitiative „Unsere Schulen“ beteiligt, die sich gegen die von der Hauptstadtregierung aus SPD, Bündnis 90/die Grünen und der Partei Die Linke auf den Weg gebrachte „Berliner Schulbauoffensive“ (BSO) wendet.
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