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Titel: „Objektiver“ Journalismus: Wenn Til Schweiger sich mit einem „Corona-Schwurbler“ trifft.
Datum: 15. Juni 2021 um 11:00 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Schauspieler erntet Kritik. „Mein Held“: Plötzlich postet Til Schweiger ein Foto mit einem Corona-Schwurbler“ – so lautet die Überschrift eines prominent platzierten Artikels auf Focus Online. Sieht so etwa ein objektiver Nachrichtenjournalismus aus? Nein, so sieht es aus, wenn unter dem Deckmantel „Journalismus“ Stimmungs- und Meinungsmache betrieben wird. Gerade lässt sich wieder beobachten, wie Medien eine Empörungswelle anstimmen und Journalismus auf eine ziemlich schamlose Weise instrumentalisieren. Dieses Mal soll der Schauspieler Til Schweiger von der Welle weggespült werden. Der Grund: Er hat sich einen „falschen“ Helden gesucht, meinen Medien. Dabei hat Schweiger auf seine Art und Weise auch nur das getan, was im Journalismus von heute die Regel ist – er hat seine sehr subjektive Haltung gezeigt. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Der Journalismus befindet sich in einem desolaten Zustand. Das pfeifen längst die Spatzen von den Dächern. In früheren Zeiten waren immerhin noch ernsthafte Bemühungen zu erkennen, zumindest im Nachrichtenjournalismus Objektivität vorzutäuschen. Doch längst betreiben viele Journalisten immer schamloser und offensichtlicher eine Stimmungs- und Meinungsmache, die sich an ihrem eigenen Weltbild orientiert.
Nun trifft es also wieder einen Prominenten, der sich aus Sicht des Haltungsjournalismus wohl zu etwas „Ungeheurem“ hat hinreißen lassen. Vor kurzem hat Nena es gewagt, sich bei den „Falschen“ zu bedanken („Danke Kassel“), heute bezeichnet der Schauspieler Til Schweiger doch tatsächlich den „Falschen“ als Helden. Auf Instagram veröffentlichte der Tatort-Kommissar die Botschaft: „barefood boat mit meinem helden boris reitschuster“. Dazu gibt es ein entsprechendes Bild, das Schweiger mit dem Journalisten Reitschuster zeigt. Nun gilt es zu wissen: Reitschuster stellt auf der Bundespressekonferenz immer wieder kritische Fragen an die Regierung zur Corona-Politik und dabei eckt er – zum Unmut auch anderer Journalisten – ziemlich oft an. Nun kann man die Person Boris Reitschuster und seine Arbeit sehr wohl kritisch sehen. Solange er noch seine russlandfeindlichen Tiraden publizierte, hielt sich die Kritik seiner Kollegen jedoch in Grenzen. Noch kurz vor Corona wurde er sogar von den Grünen und der BILD hofiert. Kam sein Russlandkritik beim Establishment noch gut an, änderte sich dies, als er eine kritische Position zur Corona-Politik einnahm.
Offensichtlich sympathisiert Schweiger mit der Arbeit von Reitschuster. Soweit also alles völlig in Ordnung. Warum auch nicht? Gar kein Problem. Man muss weder Schweigers noch Reitschusters Meinung teilen. Also eigentlich. Uneigentlich ist es aber dann doch ein Problem. Nämlich aus Sicht der stets um „maximale Objektivität“ bemühten Medien.
Mit einem sauberen Nachrichtenjournalismus haben die Überschriften so viel zu tun, wie „unsere“ Polit-Talkshows mit echter Meinungsvielfalt: nichts. Zum Offensichtlichen: „Corona-Schwurbler“, „Querdenken-Journalist“ oder „Coronaverharmloser“ sind stark negativ besetzte Zuschreibungen, die nachrichtenjournalistisch nicht zu vertreten sind. Was soll bitte ein „Corona-Schwurbler“ sein? Ist ein Corona-Schwurbler jemand, der die These vertritt, das Virus könnte aus einem Labor stammen? Ist ein Corona-Schwurbler ein Bürger, der die ja nicht so völlig in Abrede zu stellende Auffassung vertritt, auch in einer Pandemie dürften „Grundrechte keinen Ausschalter“ haben – so wie unsere ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger? Genauso die Bezeichnung „Querdenker-Journalist“. Was soll das denn jetzt sein? Ist Reitschuster jetzt offiziell Teil „der Querdenker“, steht er irgendwo auf einer entsprechenden Gehaltliste und macht „Journalismus“ bzw. Pressearbeit für Veranstalter der Querdenker-Demos?
Das wäre mir neu. Oder ist damit gemeint, dass Reitschuster aufgrund seiner kritischen journalistischen Berichterstattung in Sachen Corona-Maßnahmen eine „ideologische Nähe“ zu den Querdenkern hat, weil er mit „ihnen“ die ein oder andere gemeinsame Positionen teilt?
Wenn die Überschrift das meint (und davon ist auszugehen), dann frage ich mich, wie Medien über die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin, Tina Hassel, berichten müssten. Wir erinnern uns an ihren Tweet:
Frische #grüne Doppelspitze lässt Aufbruchsstimmung nicht nur in Frankreich spüren. #Habeck und #Baerbock werden wahrgenommen werden! #Verantwortung kann auch Spaß machen u nicht nur Bürde sein Wichtiges Signal in diesen Zeiten! #bdk18
Müsste sie konsequenterweise demnach nicht als „Grünen-Journalistin“ von jenen Medien angeführt werden, die Reitschuster als „Querdenken-Journalist“ bezeichnen? Und was ist mit all den anderen Journalisten, von denen gewisse politische Positionierungen (oder „Haltungen“) bekannt sind?
Als Leser kann man sich bei solchen Schlagzeilen nur noch am Kopf kratzen. Oder aber: Man fällt auf die Stimmungsmache, die hier ein Medium entfacht, rein. Wie von den NachDenkSeiten immer wieder im Detail aufgezeigt: Medien schüren Stimmung, sie setzen auf Meinungsmache durch die Sprache , die sie verwenden.
Stellen wir uns für einen Moment vor, wir hätten es mit Nachrichtenjournalismus zu tun. Dann würde die Überschrift lauten: „Til Schweiger veröffentlicht Foto von sich und einem Journalisten“. Das wäre ein saubere Überschrift – aus Sicht eines Nachrichtenjournalismus, der das tut, was er tun soll: Sachlich, wertneutral, objektiv zu informieren.
Beim Betrachten dieser Überschrift würde allerdings deutlich: Wir hätten es dann mit einer „Nachricht“ zu tun, die eher an eine Nichtnachricht erinnert. Til Schweiger veröffentlich ein Foto, das ihn zusammen mit einem Journalisten zeigt? Und? Weiter? Die „Nachricht“, das heißt: das, was den Lesern als „Nachricht“ verkauft wird, funktioniert nur, indem eine gewaltige Portion Emotionalität in die Überschrift gedreht wird. Allerdings: Nachrichtenjournalismus ist emotionsfrei. Emotionalität passt nicht zu Sachlichkeit. In der Überschrift des Focus-Online-Beitrages verbeißen sich regelrecht der professionelle Journalismus und der Weltbildjournalismus. Mit dieser Überschrift ist der Ton gesetzt. Der Leser hat im Grunde genommen schon gar keine Möglichkeit mehr, sich unbeeinflusst eine eigene Meinung zu bilden. Wenn Schweiger sich mit einem „Corona-Schwurbler“ trifft, dann kann das ja nur „schlimm“ sein. Schließlich: Wer trifft sich schon mit „Schwurblern“?
Überhaupt: Mit welch einer Selbstverständlichkeit angeblich so objektive Medien mit dem Begriff „Schwurbler“ selbst im Nachrichtenjournalismus hantieren, zeigt ein weiteres Mal auf, wie berechtigt die Kritik am „Journalismus“ ist. Erinnern wir uns: Der Tagesspiegel (Qualitätszeitung) hatte nicht einmal Berührungsängste, für seine „großartige“ Recherche zu der Protestaktion #allesdichtmachen mit einem „Recherchenetzwerk Antischwurbler“ zusammenzuarbeiten. Wie dem ehrwürdigen Blatt diese „Recherche“ dann auf die Füße gefallen ist, konnte eine staunende Öffentlichkeit verfolgen. Das sei aber nur am Rande angemerkt.
Der Focus-Online-Beitrag hat noch mehr zu bieten.
Til Schweiger posiert auf einem Instagram-Foto mit dem Journalisten und Blogger Boris Reitschuster. Dafür erntet der Schauspieler nun viel Kritik – denn der Mann, den er als seinen „Helden“ bezeichnet, ist stark umstritten.
Auch im Vorspann Stimmungsmache, die in einem nachrichtlichen Beitrag nichts verloren hat.
Wir achten auf den Begriff „umstritten“. Das ist eindeutig eine wertende Bezeichnung. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, ob eine Person faktisch „umstritten“ ist. Es geht viel mehr darum, dass Journalisten diesen uns so vertrauten Begriff hochmanipulativ einsetzen. Immer wieder ist zu beobachten, wie Medien bei Personen, gegen die sie etwas haben, den Begriff „umstritten“ in Stellung bringen. Wenn Journalisten über die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht „berichten“, ist es fast ein journalistisches „Muss“, sie als „umstritten“ zu apostrophieren. Journalisten setzen den Begriff allerdings nicht nur bei Personen ein, mit deren Ansichten sie über Kreuz liegen, sie verwenden ihn gerne genauso bei Nachrichten, die ihr Weltbild tangieren. Wir erinnern uns an den Beschluss eines Richters aus Weimar, der die Auffassung vertreten hat, dass Masken das Kindeswohl gefährden. Als Medien über den Beschluss „berichteten“, war immer wieder der Begriff „umstritten“ zu lesen. Interessanterweise bezeichneten Journalisten dann die Entscheidung des Oberlandesgerichts, den Beschluss aufzuheben, nicht als „umstritten“ (obwohl er das tatsächlich auch war bzw. ist). Objektiver Journalismus? Wer’s glaubt…!
Anders gesagt: Wollten Medien mit dem Begriff nicht manipulieren, müssten sie im Grunde genommen den Begriff permanent verwenden. Schließlich: Welcher Politiker, beispielsweise, ist nicht „umstritten“? Alle sind, je nach Betrachtung, irgendwie „umstritten“. Doch der Beitrag geht sprachlich noch ein Stück weiter. Reitschuster ist keiner, der einfach „nur“ „umstritten“ ist. Reitschuster ist „stark umstritten“ – meint die Nachrichtenseite. Frage: Ab wann ist denn jetzt, aus journalistischer Sicht betrachtet, ein Akteur „umstritten“, „stark umstritten“ oder „am stärksten umstritten“? Gibt es da irgendeinen für jedermann nachvollziehbaren und überprüfbaren Maßstab?
Oder entscheidet sich die Frage, ob jemand wie Reitschuster „umstritten“, „stark umstritten“ oder „am stärksten umstritten“ ist, daran, wie angefressen 30,5 „Haltungsjournalisten“ sind, weil ihre bisweilen arg naiven politischen Wirklichkeitsvorstellungen hinterfragt werden?
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