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Titel: Nicht mehr für die Regierung spielen

Datum: 31. Mai 2021 um 12:00 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Kultur und Kulturpolitik, Wertedebatte
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Erneut gibt es zum Begriff „Brotlose Kunst“ etwas zu schreiben. Dieser Begriff ist immer schon – auch vor Zeiten der Pandemie – als ironisch, sarkastisch gemeintes Mittel der Geringschätzung gegenüber Kultur- und Kunstschaffenden verwendet worden. In der Pandemie wird der Freud’sche Versprecher täglich schmerzhaft spürbar, denn als systemrelevant gelten Menschen der Muse immer noch nicht. Doch die Künstler sind wichtig, sie sind Teil unserer Gesellschaft, mitten unter uns. Es muss aufhören, sie zu vergessen oder gering zu schätzen, wie es die Eliten tun, wie wir, die „normalen Bürger“ es auch tun. Künstler sind um unser aller Willen wichtig, so wie zum Beispiel die Musiker der Band Ruperts Kitchen Orchestra aus Berlin, eine Combo, die ganz nah und herzerwärmend an den Menschen mitten in der Hauptstadt das tägliche Brot „Kultur und Kunst“ ausliefert. Sie verdienen endlich Respekt und Wertschätzung sowie auskömmliche Bedingungen. Das sei gesagt, weil wir alle ja gerade viel darüber reden, wie es nach der Pandemie so viel besser weitergehen soll. Von Frank Blenz.

Lesen Sie dazu auch den Artikel „Brotlose Kunst“ von Frank Blenz.

Berlin, diese Stadt ist dann eine wunderbare Stadt, wenn ihre vielen Menschen ihre Stadt mit ihrer Fantasie, ihrer Zuneigung, ihren schönen Talenten bereichern (aber nicht, wenn sie sich an ihr und ihren Menschen bereichern). Es braucht nur die vielen kleinen Gesten, die alltäglichen Geschichten, die besonderen Momente, die es woanders so weit wenigere gibt, weil Berlin eben eine Millionenstadt ist, mit vielen Charakteren und vielen Lebensentwürfen. Dieser Schmelztiegel ist dann wunderbar, kommt in Wallung. Und genauso auf ihre Art bereichern die Stadt auch die Entwürfe von drei Menschen, die in ihrem Beruf als Musiker der Straßen der Hauptstadt stets ein Vehikel vor sich her schieben, das einer Mischform aus Lieferservicemobil und Alternativurlaub-Bike ähnelt. Doch liegen auf dem roten Fahr-Transport-Gerät Instrumente und soundtechnische Ausrüstungen, um in der City von Charlottenburg bis zum Alexanderplatz, von Kreuzberg bis Pankow schnell herumzukommen und vor Ort spontan eine “Freiluftkonzertsituation” aufzubauen: mitten in der Stadt, gleich an einer Kreuzung, auf einer schönen Wiese, an einem Spielplatz, in einem Park, an einem Fußgängerweg. Die drei Menschen, Sänger und Gitarrero Leo, Bassistin Conny und Drummer Andy, sind Musiker, die sich „Ruperts Kitchen Orchestra“ nennen und bei ihren Auftritten zum Weltumarmen und Leben feiern aufrufen und oft damit Erfolg haben. Der Sound ihrer eigenen Songs, der aus ihren Stimmen klingt, aus Fingern hervorzupft, dazu ihre Bewegungen, ihr feines, homogenes Zusammenspiel, der ist überaus rhythmisch, lebensfroh, melodiös und ja auch eigenwillig. Der Berliner Fan sagt trocken dazu: „Echt knorke, funky klingt ditte!“

Ja, es klingt wie im Märchen, Livemusik in Berlin machen, für die Leute, für Lebensqualität sorgen, eine Metropole bereichern. Allein ist ihr Handwerk eines, das viele Kunst- und Kulturschaffende, dennoch an den Rand gedrängt in einem der reichsten Länder der Welt, ausüben müssen. Denn eine Lobby gibt es – auch für das Ruperts Kitchen Orchestra – nicht. Es sind Künstler halt, wird oft lapidar gesagt, was sie machen, ist brotlose Kunst, weil die fern von Profitstreben und fern der angepassten Leistungsverwertungsgesellschaft entsteht. Vor und in und nach der Pandemie. Man fragt sich: Soll dies aber so bleiben bis zum Sanktnimmerleinstag, dieses Leben am Rand samt fehlender Wertschätzung? Nein, dazu bedarf es der Debatte, der Forderungen nach einer umfangreichen Bestandsaufnahme, das findet auch das Trio Ruperts Kitchen Orchestra. Es war Zeit für ein Gespräch mit dem Trio bevor das Konzert beginnt. So stellte ich den Künstlern ein paar schlichte Fragen, um mich ihnen zu nähern: „Wie erlebt Ihr Berlin in der schlimmen Zeit? Wie schafft Ihr es, den Leuten doch ein Lächeln abzuringen? – Wo ward Ihr letztens – in welchem Park?“

„Wir treten zurzeit viel zu wenig live auf, unsere Situation ähnelt der all derer, die zurzeit Kunst live darbieten. Zeitweise wagen wir uns, mutig und überzeugt von der Qualität der frischen Luft, vereinzelt zur Straßenmusik heraus. Wir verraten unsere Standorte ungern, man will es nicht glauben, aber die freundlichen Herrschaften des Berliner Ordnungsamtes sind erklärte Fans und “followen” uns auf den einschlägigen Social-Media-Portalen, um gegebenenfalls die “unsachgemäße Nutzung des Berliner Straßenlandes” zu monieren. Live-Musik ist wahrhaftig, da sie genau jetzt in diesem Moment passiert, jeder Song ist anders und öffnet das Herz bei dem, der sich angesprochen fühlt. Man ist verbunden, das ist Liebe, oder man fühlt sich auch mal erkannt und ist sauer, auch das ist Liebe… ein Lächeln kann man nicht abringen. Es ist einfach da oder eben nicht. Unser Ziel ist es, den Song so gut zu performen, dass der Zuhörer vergisst, dass den Song ja auch jemand spielt, damit er sich voll und ganz darauf einlässt und sich fallen lässt. Dafür sind wir da…“

Wertschätzung sieht anders aus, hört man von der Band, deren Konzerte in und für die Stadt als „unsachgemäße Nutzung des Berliner Straßenlandes“, so die Sprachregelung der Behörden für Kultur, für Musik im urbanen Raum, bezeichnet werden. Was die Künstler nicht davon abhält, ihr Berlin dennoch voller Leidenschaft vital zu halten. Hoffnung äußern sie an die Adresse der Entscheidungsträger:

„Wir haben unser Ziel stets im Auge, weiterhin Musik als unsere Berufung und unseren Beruf betrachten zu können. Das war in dieser unsäglichen Zeit denkbar schwer, wir sind eine Liveband. Unsere Hoffnung ist, dass sich in den vom Weg abgekommenen politischen Riegen irgendwann doch wieder etwas „zurecht ruckelt“.“

Mit „zurecht ruckelt“ meint Drummer Andy eine echte, ergebnisträchtige Aufmerksamkeit und endlich ein ehrliches Handeln für die Kultur, für die Kunst.  

„Wir haben vor zwei Jahren sogar noch zum “Offenen Tag der Bundesregierung” gespielt… das würden wir in der momentanen Situation strikt ablehnen.“

Etwas Unterstützung wenigstens erreichte die Band in der Pandemie, die indes immer noch nicht vorbei.

„Die GEMA hat ohne Bedingungen initiativ geholfen. An allen Antragsformularen für andere Unterstützungsformen sind wir aber schon beim Versuch gescheitert. Wir sind keine Papiertiger. Und ja, es gab auch Fans, die uns initiativ privat unterstützten.“

Aktionen wie „Rettet die Clubs“, „Wir machen dicht“ oder „Petition Kultur ins Grundgesetz“ finden die Musiker aus Berlin durchweg

„ehrenwerte Bemühungen, die vor allem die üble Lage der freiberuflichen und Selbstständigen ins Rampenlicht rücken können“.

Doch hoffnungsvoll sind die Künstler nicht, sie analysieren knallhart und nicht nur in Richtung Eliten.

„Was das alles am Ende bewirkt, bleibt abzuwarten. Sicher kann man aktuell nur sagen, dass Clubbetreibern und Künstlern gerade klar wird, wie egal Kunst, die nicht eine Wagneroper ist, doch Politikern zu sein scheint. Vielleicht wird auch damit das Bewusstsein des Publikums geschärft. Doch auch das Publikum weiß: Macht der eine Club zu, macht der nächste auf – wenn die Immobilie nicht als Spekulationsobjekt unbezahlbar wird. Kunst war nie ein Geschäft, es waren immer die Zwischenhändler, die eines daraus machten. Kunst ist, wenn wir mal die Definition Jonathan Meeses nehmen, ein Diktat, das dem Künstler im maximalen Dienen ihrer zur Höchstleistung bringt. Und Andy sagt: Ich mache keine Musik, um Geld zu verdienen. Trotzdem bedeutet das nicht, dass sie nichts kostet, wenn sie jemand, bei der Musik auch nur für eine Stunde, für sich haben möchte. “Spotify” ist ein Paradebeispiel für missachtete Kunst seitens der Bevölkerung, und ein Geniestreich seitens der Musikindustrie – hier bekommt der Pöbel für einen schlappen Abopreis von 9,99 die Musik der ganzen Welt zum Konsum angeboten. Und jeder Künstler, der ja auch nur als selten besonders hinterfragtes Individuum zu betrachten ist, spielt mit, weil man das Spiel eben so spielt. Getragen von einer Hoffnung, die sich ohne geldgeiles Management nicht erfüllt.”

Die Berliner Musiker verfolg(t)en und erleb(t)en es im Leben, im TV, im Internet, in dieser Pandemie: Engagierte, Fragen stellende Künstler werden beschimpft bis zum Rand ihrer Sicherheit, ihrer gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen Existenz. Orte ihres Schaffens sind alternativlos gesperrt, Auftritte selbst an freiluftigen Orten verboten. Man solle auf das Internet ausweichen, auf das Virtuelle, man könne ja das Konzertieren nach Hause zu den Fans streamen. Es soll indes Musiker, Theaterleute, Dichter geben, die keine Kameras, keine Technik usw. haben. Weil sie es bisher nicht brauchten. Weil sie nah am Menschen waren. Das Berliner Trio streamt(e), ja, gezwungenermaßen, sie kämpfen und wehren sich in der Pandemie gegen Stillstand. Doch steht auch fest, dass nicht wenige Menschen, der Kultur und der Kunst ergeben und beruflich damit verbunden, loslassen mussten oder es noch tun werden, weil der immer noch währende Notstand diesen Abschied erpresst.

Die Wunschliste der tapferen Band, die nicht aufgibt, ist dabei nicht opulent, obschon es viel zu verlangen gibt:

“Viel mehr als eine angemessene Entlohnung für sein Schaffen zu fordern, das war nie auf unserer Agenda – nun, wenn es etwas Aussichtsreiches zu fordern gäbe, so wäre es die baldige Aufhebung des faktisch vorhandenen Berufsverbotes für Künstler der verschiedenen Disziplinen. Als Bürger bitten wir doch sehr um eine lückenlose Aufklärung der wirren medialen Zahlenspiele, haben da aber wenig Hoffnung. Im Großen und Ganzen können wir nur sagen – es gibt genug Zahlen im Internet, die aussagen, dass da etwas faul ist im  Staate. Und eine „Tagesschau“ zu zitieren, bei der inzwischen um 30-Jährige vermehrt grammatikalische Fehler in Schlagzeilen schreiben, das ist unter unserer Würde“, so Andy.

Auftreten können, ein Auskommen sichern, Lokalitäten fördern, den Dialog zwischen Künstler und Publikum hegen und pflegen, Kultur und Kunst nicht als Accessoires behandeln, steht auf dem Forderungskatalog. In der Pandemie wurde oft und gern von „wie wollen wir nach der Pandemie leben“ gesprochen. Dass es so weiterzugehen scheint wie vorher und schlimmer noch, Wege beschritten werden, die fern einer gerechten Gesellschaft sind, stimmt die Musiker nachdenklich. Und doch hoffen sie darauf, dass aufgearbeitet wird, aufgeklärt wird, dass sie nach und nach wieder frei atmen und musizieren können. Die Ruperts-Kitchen-Orchestra-Musiker packen wieder die Instrumente aus, auf einem Platz mitten in Berlin. Charlottenburg. Die Sonne scheint, der Sommer wacht wohl doch endlich auf. Sie legen los mit Funkmusik. Der Basslauf läuft, der Gitarrenriff klingt knackig, die Trommeln tönen auf zwei und vier im Viervierteltakt leicht vorgezogen knorke und funky. Passanten bleiben stehen, es wird gewippt, es wird gelächelt. Andy: „Das Schöne an der Kunst ist, dass sie jeder selbst für sich interpretieren kann. Das wollen wir keinem wegnehmen.“  Sie, die Musiker, genießen die freundlichen Reaktionen der Leute, die endlich wieder eine kleine Bereicherung der Stadt erleben, die so lang verboten war. Das Trio ahnt bei allem Optimismus, bei aller guten, lässig dargebotenen Laune: Der Trend, dass Bereicherungen für Menschen zurückgedrängt und durch Bereicherungen an Menschen ersetzt werden, setzt sich derweil fort.

Und dann singt Frontmann Leo:

„Der Meeresspiegel übersteigt bald deinen Horizont – doch du sitzt nicht in unserem Boot, wenn das Wasser kommt.“

Ruperts Kitchen Orchestra:


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