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Titel: Forum Schule – Das schreiben uns die Eltern
Datum: 25. Mai 2021 um 10:38 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bildungspolitik, Familienpolitik, Gesundheitspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Nach wie vor wird in Deutschland zu wenig über die Herausforderungen und Nöte der Familien und der jüngeren Generation gesprochen, die die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung mit sich bringen. Hier finden Sie eine Zusammenfassung dessen, was Eltern uns über das zurückliegende Corona-Jahr und die aktuelle, nach wie vor völlig zukunftsungewisse Phase geschrieben haben. Viele machen sich große Sorgen um die psychische und körperliche Gesundheit ihrer Kinder und verzweifeln angesichts der Innovationsunfähigkeit unseres Schulsystems. Von Sandra Reuse.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Eltern und Kinder bzw. Familien waren bzw. sind die Personengruppe, die in der Pandemie eines der größten Päckchen zu schultern hatte – sieht man von den schwer Erkrankten sowie den überlasteten Ärzten und dem Pflegepersonal einmal ab. Zwar waren einige wenige Eltern vielleicht in der komfortablen Lage, sich angesichts geschlossener Schulen etwas weniger Hektik im Alltag und mehr gemeinsame Zeit mit den Kindern leisten zu können. Für eine privilegierte Minderheit mit dem nötigen finanziellen Handlungsspielraum hatten die Schul- und Kitaschließungen daher vermutlich auch teilweise positive Aspekte.
Doch für die große Mehrheit der Familien war das zurückliegende Jahr äußerst belastend, kräftezehrend und mit Sicherheit eines nicht: gesund. Die viele Zeit in der Wohnung und vor den Bildschirmen, die vielen Quarantäne-Phasen, die Hunderttausenden von Schülern auferlegt wurden, der Mangel an Bewegung, frischer Luft und Tageslicht, vielleicht noch schwerwiegender die fehlenden Sozialkontakte und die daraus erwachsende lähmende Traurigkeit der Jüngsten werden immer noch zu wenig problematisiert. Zwar gab es erst kürzlich Meldungen vor einer möglicherweise in den Kinder- und Jugendpsychiatrien stattfindenden Triage, die Warnungen vor schwerwiegenden psychischen Folgen der Corona-Maßnahmen für Jüngere gibt es aber schon viel länger (so wurde z.B. eine erste Zusammenfassung der so genannten COPSY-Studie des UKE Hamburg-Eppendorf bereits im Sommer 2020 publiziert). Umso fassungsloser sind viele Eltern, dass es nach wie vor keine beherzten Rücknahmen der rigiden Einschränkungen im Bildungs-, Betreuungs- und Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche gibt – oder wenigstens innovative Übergangslösungen.
„Ich höre inzwischen erschreckend viel von psychischen Problemen bis hin zu Suizidgedanken bei Jugendlichen in meinem persönlichen Umfeld“, schreibt eine Mutter an das Forum. „Ich frage mich, ob wir diese Probleme, die wir da produzieren, jemals wieder zurück drehen können“.
Entwicklungsrückschritte, Gewichtszunahmen, teilweise schwerwiegende psychische Probleme
Eltern, aber auch Erzieher und Lehrer berichten, dass Kinder und Jugendliche in den zurückliegenden Monaten teilweise Rückschritte in ihrer Entwicklung durchgemacht haben. Erlerntes wurde vergessen, soziale und motorische Kompetenzen gingen verloren, von Teenagern gerade erkämpfte Freiräume hörten auf zu existieren – teilweise von einem Tag auf den anderen. Viel stärker betont werden sollte in der Corona-Debatte, wie elementar eine aktiv und fröhlich verlebte Jugendzeit der rund 14 Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu beurteilen ist und welche Langzeitschäden für die jüngere Generation möglicherweise drohen. So ist zum Beispiel bekannt, dass eine in der Kindheit erworbene Adipositas oft zum Dauerproblem wird und das durchaus – durch Folgekrankheiten – die Lebenszeit verkürzen kann. Auch psychische Belastungen, Drogenkonsum und Essstörungen haben nicht selten Langzeitfolgen. Nach wie vor wird in Deutschland zu wenig über das Leid und die Probleme der Familien und der jüngeren Generation gesprochen, die die Corona-Maßnahmen mit sich bringen.
Die mangelnden Sozialkontakte der Kinder bereiten vielen Eltern die größten Sorgen
Es gibt viele Eltern, die sich derzeit große Sorgen um ihren Nachwuchs machen, und gleichzeitig schon lange überfordert sind mit dem, was sie zusätzlich als Betreuer, Motivator, Technik-Administrator und vor allem Ersatz-Lehrer leisten sollen. Eine Zuschrift an das Forum:
„Als Vater von zwei Kindern (eines in der 3. Klasse, eines in der Kita) aus NRW gibt es für mich nur einen Wunsch und eine Perspektive: sofort zurück zum vollumfänglichen Präsenzunterricht und zur vollen Betreuung. Zwar sind meine Frau und ich beide im Home-Office (was nach nunmehr einem Jahr auch so schon anstrengend und problematisch genug ist, da eine Trennung von Arbeit und Privatem nur schwer möglich und der andauernde Aufenthalt in einer kleinen Wohnung durchaus bedrückend ist), (…) die gleichzeitige Betreuung der Kinder und berufliche Arbeit ist schlichtweg nicht angemessen zu leisten. Sowohl die Kinder als auch wir leiden unter diesem Zustand mittlerweile erheblich: Die Kinder sind unausgelastet und unzufrieden, weil ihnen Freunde fehlen und wir – zumindest während unserer Arbeitszeit – uns nicht angemessen mit ihnen beschäftigen können. Wir als Eltern sind öfter als zuvor gereizt und nervlich angespannt, weil wir merken, dass wir den Kindern nicht die besten Möglichkeiten bieten können und unseren beruflichen Aufgaben nicht gerecht werden. Und auch wenn wir versuchen, so viel wie möglich raus zu gehen und schöne Sachen zu unternehmen: den Wegfall aller Freizeitaktivitäten (Schwimm- und Tanzunterricht, Turnen) können wir ebenfalls nicht ersetzen.“
Es sind die mangelnden Sozialkontakte der Kinder, die aus Sicht der Eltern die schwerwiegendsten Probleme mit sich bringen. Ohne Gleichaltrige fehlt die Motivation zum Lernen, zur Bewegung, ja schon dazu, morgens aufzustehen. Am besten ging es offenbar noch denjenigen Kindern und Jugendlichen, die auf bereits bestehende Freundschaften zurückgreifen konnten und denen es erlaubt und möglich war, sich zu treffen – wenn auch ggf. nur zu zweit. Doch diese Konstellation traf nur für einen Bruchteil der Jüngeren zu: Die Angst vor dem Virus und vor allem die auch durch die Medien stark betonte Gefahr, andere zu gefährden, hielt offenbar nicht wenige Kinder von Treffen ab und manche offenbar auch davon, überhaupt nach draußen zu gehen. In der Schule – wenn sie denn stattfindet – war und ist der unbeschwerte Umgang miteinander ebenfalls belastet:
Ein Vater schreibt:
„Meine Kinder sind zu Außenseitern geworden, denn die meisten Kinder aus ihren Klassen ‚teilen‘ die Ängste ihrer Eltern, vor dem Virus, vor der Ansteckungsmöglichkeit, vor allem die der Großeltern. Meine Kinder würden lieber ohne Maske und ohne Tests die Schule besuchen, ich bestärke sie in dem Wunsch – dadurch sind sie von der großen Gemeinschaft der Gleichaltrigen ausgeschlossen. Es gab schon die Situation in der Schule meines Sohnes, dass manche Kinder andere Kinder beleidigen und niedermachen, nur weil sie keine FFP2-Maske haben.“
Erstklässler und Schüler, die gerade an weiterführende Schulen gewechselt sind, sind oft besonders einsam
Eine Mutter schreibt:
„Mein Sohn (7) ist dieses Schuljahr eingeschult worden. Mehr oder weniger normale Schule gab es bis Oktober, wobei auch da 1/3 der Zeit mit Sich-Aufstellen und Händewaschen verbracht wurde. Seit November Wechselmodell. Kein Online-Unterricht, sondern nur Arbeitsblätter ausfüllen. Ich bin fürs Homeschooling zuständig. Freunde hat er in der Schule nicht gefunden, da viel zu wenig Kontakt. Im Hort musste er von Anfang an Maske tragen, Abstand einhalten und nach jedem Spiel Händewaschen….“
Für die jüngsten Schulkinder war der Präsenzunterricht offenbar zumindest an einigen Schulen vor allem virusvermeidend, aber nicht kindergerecht gestaltet. Gemeinsames Spielen auf dem Schulhof, genügend Pausen vom Maskentragen, Gelegenheiten zum Essen und Trinken – alles entweder verboten oder aufgrund der Hygieneregeln faktisch unmöglich. Entsprechende Berichte liegen dem Forum Schule vor, leider nicht wenige. Viele Eltern – auch die älterer Schüler – schrieben uns, dass ihre Kinder unter solchen Umständen nicht in den Präsenzunterricht zurückkehren wollen, zudem litten manche auch körperlich unter dem Maskentragen (berichtet wird von Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten).
Familien sind aus dem Rhythmus geraten – seit mehr als einem Jahr
Die Schule war und ist für alle Familien mit Schulkindern der große Taktgeber im Alltag. Die Schule bestimmt, wann Familien frühestens oder spätestens aufstehen, zu Bett gehen, wann Eltern in ihren Jobs arbeiten und wann sie sich um ihren Nachwuchs kümmern. Auch wann Familien in den Urlaub fahren dürfen und wie viel Zeit sie am Wochenende miteinander verbringen, hängt von der Schule ab – und von den Aufgaben, die die Schule den Kindern und Eltern für deren so genannte Freizeit überträgt.
Seit mehr als einem Jahr ist dieser Takt durcheinander und Familien geraten aus dem Tritt. Schüler werden abends nicht mehr müde und morgens nicht mehr wach. Die Eltern, die im Homeoffice arbeiten können, versuchen das Arbeitspensum, das sie tagsüber nicht schaffen, nachts oder frühmorgens aufzuholen. Die überwiegende Mehrheit der Mütter und Väter kann jedoch nicht jeden Tag zu Hause arbeiten und muss ihre Kinder daher tagsüber sich selbst überlassen.
Das ist für diese Eltern – vor allem wenn es sich um Alleinerziehende handelt oder wenn Eltern merken, dass der Nachwuchs mit dem Distanzlernen nicht klarkommt – äußerst belastend. Auf der verzweifelten Suche berufstätiger Eltern nach Betreuung und Unterstützung für ihre Schulkinder kamen offenbar nicht wenige Omas und Opas zum Einsatz – u.a. wurde dem Forum ein Fall bekannt, demzufolge eine Oma seit Beginn des 2. Lockdowns an vier Tagen die Woche quer durch Berlin zu ihren drei Enkeln reist, um diese beim Homeschooling zu begleiten – den 5. Werktag braucht sie in Kombination mit dem Wochenende, um sich wieder zu erholen.
Eine andere Großmutter schrieb an das Forum:
„Keine Maßnahme an keiner Schule wird verhindern, dass alte und schwerkranke Menschen ein schwaches Immunsystem haben und deshalb anfällig für alle möglichen Viren sind. Gegenteilige Behauptungen wurden längst zigfach widerlegt. Das Leid, das unseren Kindern angetan wird, ist nicht nur unerträglich sondern auch vollkommen sinn- und nutzlos. Ich schäme mich zutiefst für meine Generation“.
Hier finden Sie weitere Beiträge zum Forum Schule von Eltern und Großeltern.
Als nächsten Schritt stellen wir Vorschläge und Forderungen von Eltern, Lehrern und Schülern und weiteren Akteuren zum weiteren Vorgehen für das Bildungs- und Freizeitgeschehen von Kindern und Jugendlichen zusammen und möchten mit Ihnen diskutieren, wie es am besten weitergehen kann.
Titelbild: Sharomka / Shutterstock
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