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Titel: Schweden am Ende der dritten Corona-Welle – eine Zwischenbilanz
Datum: 19. Mai 2021 um 10:00 Uhr
Rubrik: Gesundheitspolitik, Länderberichte
Verantwortlich: Redaktion
Die dritte Welle ist gebrochen. Nicht nur in Deutschland, auch in Schweden. Der Frühling kommt langsam auch im hohen Norden an und ein saisonaler Effekt wird ja kaum noch bestritten und so gaben die schwedischen Gesundheitsbehörden nun, nach zweimaliger Verschiebung, auch die Lockerungspläne ab Juni bekannt. Zeit für eine ausführliche Bilanz, denn fatale Auswirkungen dieser dritten Welle gibt es in Schweden nicht. Diese hohe Fall-Welle wird weder als Corona-Todeswelle noch in der aktuellen Gesamtsterblichkeit Schwedens abgebildet, was die Untauglichkeit der Inzidenz als alleiniges Maß für Maßnahmen einmal öfter unter Beweis stellt. Und noch viel interessanter: Trotz „Rekordfallzahlen“ und damit Inzidenz sind im Jahr 2021 bisher bevölkerungsbereinigt sechs Prozent weniger Schweden gestorben, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Demgegenüber wurden aber 5621 neue „Corona-Tote“ seit Neujahr gezählt. Von Henning Rosenbusch.
Dabei bleiben die Unterschiede zwischen Schweden und Deutschland im Umgang mit der Corona-Pandemie bestehen. Nicht nur in Sachen Maßnahmen, denn trotz der erneuten Verabschiedung eines Pandemiegesetzes (es gab ein ähnliches Gesetz für Stockholm während der ersten Welle, das ebenfalls nicht für härtere Maßnahmen genutzt wurde) zu Beginn des Jahres 2021 gibt und gab es (wieder) weder einen Lockdown, noch Maskenpflicht, noch komplette Schulschließungen: „Wir glauben, wir erreichen mit Freiwilligkeit genauso viel, wie andere Länder mit Restriktionen“, wiederholte Staatsepidemiologe Anders Tegnell erst kürzlich wieder sein Mantra seit Beginn der Pandemie. Und die Zahlen, zumindest diejenigen abseits der Inzidenzen und Neuinfektionen, geben ihm immer mehr recht.
Die Freiheitsbewegung „Frihetsrorelsen“
Darum soll es hier auch ausführlich gehen, aber dazu später, bleiben wir zuerst bei Unterschieden: Es formiert sich in Schweden langsam, aber stetig auch eine neue Opposition, sowohl gegen die bestehenden Maßnahmen und Empfehlungen als auch gegen die Massenimpfung. Aber diese Kritiker kommen – wie zuvor auch schon die der anderen Seite, die schärfere Maßnahmen einfordern – relativ ungehindert und oft auch ohne moderierte Abwertungen zu Wort. Selbst mit Filip Sjöström, der als Anführer der „ Frihetsrorelsen (Freiheitsbewegung) – für Freiheit und Wahrheit“ gilt, werden regelmäßig in unterschiedlichen Medien Wortlautinterviews geführt, wobei er selten als „Foliehatt“ (Aluhut) vorgestellt wird. Und auch Demonstrationen finden statt, obwohl sie verboten sind, worauf Sjöström bei entsprechenden Anmeldungen auch immer wieder hingewiesen wird. Im öffentlichen Raum, also auch an der frischen Luft, dürfen sich seit Oktober und weiterhin nicht mehr als acht Personen treffen. Darauf angesprochen antwortete Anders Tegnell für die Gesundheitsbehörden: „Da müssen Sie die Regierung fragen, diese Einschränkung kommt nicht von uns.“
Sjöström ließ es bisher darauf ankommen, obwohl ihm mehrfach Strafen im vierstelligen Euro-Bereich angedroht wurden. Zuletzt waren am 1. Mai je nach Schätzung zwischen 1000 und mehr als 2000 Menschen in Stockholm auf der Straße. Die Polizei versuchte die Versammlung schnell aufzulösen, aber von entsprechenden Durchsagen ließen sich die Protestierenden nicht abhalten. Einzelne Teilnehmer wurden daraufhin abgeführt, zu Gewalt kam es jedoch nicht. Kein Pfefferspray, keine Wasserwerfer. Solche Bilder gegen eine friedliche Protestbewegung will man in Schweden ganz offensichtlich nicht produzieren. Auf die Frage von Medien und Behörden, ob er Zusammenstöße mit der Polizei verantworten könne, antwortet Sjöström immer gleich: „Meine Linie gegenüber der Polizei ist klar: Nach dem Polizeigesetz soll der Aufwand der Polizei in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen. Ein Eingriff, der keinen gesellschaftlichen Nutzen schafft, sollte einfach vermieden werden.“ Vielleicht auch, weil Sjöström gute Argumente auf seiner Seite hat, was die Corona-Bilanz Schwedens mit seinem auf Freiheit und Eigenverantwortung basierenden Weg angeht.
„Corona-Zahlen“ nur, wenn sie ins Narrativ passen
Und damit kommen wir zu den „Corona-Zahlen“, aber nicht wie die Tagesschau am 5. Mai, die sich ganz ähnlich wie in der Berichterstattung über Deutschland momentan auf zwei Zahlen beschränkt: die kumulierten Toten seit über einem Jahr als absolute Zahl (14000), ohne in ein Verhältnis, beispielsweise zur Bevölkerung, gesetzt zu werden, und natürlich die Inzidenz, die in Schweden seit 2. November über den kompletten Winter hinweg doppelt bis dreifach so hoch war wie in Deutschland. Bis dahin waren die beiden Länder, was Fallzahlen angeht, in etwa auf einem Niveau. Die Entwicklung der Corona-Toten im Vergleich zu Deutschland wird ebenso wenig thematisiert wie ein Blick auf die Gesamtsterblichkeit der beiden Länder. In diesem Zusammenhang sei ein wichtiges Zitat eines Gesundheitswissenschaftlers, von Martin Sprenger, Autor und Mediziner an der Medizinischen Universität Graz mit den Schwerpunkten Public Health, Primärversorgung und Prävention bei Talk im Hangar 7 (Servus TV) über Alternativen zum Lockdown wiederholt: „Die Übersterblichkeit ist der härteste Parameter, den wir haben, weil man eben nicht mehr darüber diskutieren muss, ob mit oder an Covid-19 verstorben.“ Und die Übersterblichkeit, oder auch Untersterblichkeit, die gab es 2020 offensichtlich beispielsweise in Ländern wie Finnland oder Dänemark, wird auch in Zukunft vielleicht der wichtigste Parameter bleiben, denn sie bezieht die gesundheitlichen, oft aber langfristigen Nebenwirkungen und Kollateralschäden von Lockdown, Ausgangssperren und Schulschließungen ein.
Doppelt und dreifach so hohe Testzahlen wie Deutschland
Da Schweden sich an die weltweiten WHO-Vorgaben hält, wird jeder, der 28 Tage vor seinem Tod positiv auf Corona getestet wird, als Corona-Toter gezählt und natürlich wird auch in Schweden jeder Krankenhauspatient (mehrfach) getestet. Deshalb macht es immer Sinn, auch einen Blick auf die Testzahlen zu werfen, denn am positiven Test hängt auch in Schweden sowohl die Einschätzung der Gefahrenlage als auch alle weiteren Zahlen wie Krankenhauseinweisungen mit positivem Test, Intensivbelegung mit positivem Test und auch Tote mit positivem Test: Zum gleichen Zeitpunkt, am 2. November, als sich die Fallzahlen/Einwohner in Schweden vom deutschen Niveau entkoppelten, verdoppelten die Skandinavier auch ihre Tests/Einwohner im Vergleich zu Deutschland. Fortan und bis heute verlaufen die Kurven sowohl der Tests als auch der Fälle auffällig parallel, wobei Schweden fast durchweg mindestens doppelt so viel testete, zuletzt wieder mit zunehmendem Abstand zu Deutschland. Eine diesbezügliche Einordnung der vergleichsweise hohen Inzidenzen, die bei der Berichterstattung etablierter deutscher Medien nicht stattfindet, da wird dann nur getitelt „Schweden besorgt über Rekordinzidenz“ und „trauriger Rekord in Europa“.
Immerhin eine wichtige Tatsache – und das ist, siehe zuvor Tagesschau, keine Selbstverständlichkeit – wird im Nebensatz genannt: „Tatsächlich bleibt die Zahl der Todesfälle relativ niedrig. Dies ist den Behörden zufolge auch der Impfung der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu verdanken.“ Moment! Bedeutet dies nicht, dass die zuvor genannte und als Katastrophe beschriebene Rekordinzidenz Schwedens spätestens während der dritten Welle nicht mehr mit den fatalen, den schlimmsten Auswirkungen einer Pandemie, den Todesfällen korreliert? Schon während der zweiten Welle ab November hatten die Schweden trotz doppelt so hoher Inzidenzen leicht weniger Corona-Tote im Verhältnis zur Einwohnerzahl zu beklagen als Deutschland. Alleine diese Tatsache stellt die Inzidenz als maßgebliche Zahl für die Schwere von Lockdowns und Maßnahmen doch sehr in Frage. Schweden liegt mit seiner Strategie „Risikogruppen zuerst“ im Übrigen in Sachen Impfquote knapp hinter Deutschland.
Dabei bleiben Betrachtungen der Gesamtsterblichkeit, gerne auch über verschiedene Zeiträume, doch eher eine Seltenheit und dabei sollte das doch, gerade wenn es um Länder wie Schweden geht, interessant sein, weil mehr Freiheit, Freiwilligkeit und Eigenverantwortung, also offene Schulen und Geschäfte, erhebliche Kollateralschäden an Demokratie, Gesellschaft, Wirtschaft und nicht zuletzt auch psychischer und physischer Gesundheit ersparen. Kinder stehen dabei weiterhin im Zentrum der Debatte in Schweden (neu dazu kam in den letzten Tagen die Impffrage) und das Vermeiden von Schulschließungen wird von den Gesundheitsbehörden Schwedens vehement verteidigt.
Vor dem Jahreswechsel wurden die Regeln zwar etwas verschärft, doch Staatsepidemiologe Anders Tegnell setzt weiterhin vor allem auf (oftmals auch lokal beschränkte) Empfehlungen, etwa was das Tragen von Masken betrifft. Cafés und Lokale, Friseure, Einkaufszentren und Fitnessstudios sind in Schweden mit wenigen Einschränkungen weiterhin geöffnet, auch Kindergärten, und in Schulen bis zur neunten bzw. zehnten Klasse wird fast durchweg vor Ort unterrichtet.
Die Gesundheitsfolgenabschätzung
Grund dafür ist der von Beginn an „ganzheitliche“ Ansatz der schwedischen Gesundheitspolitik: Der Schutz vor Krankheiten wird immer auch im Zusammenspiel mit anderen Risiken für die Gesundheit bedacht. So betonte Chefvirologe Tegnell wiederholt, dass ein Lockdown große psychologische Schäden anrichten könne, die etwa zu Alkoholmissbrauch oder Depressionen führen. Des Weiteren hätten die Kinder ein Recht auf Bildung. Auch der Chef der schwedischen Gesundheitsbehörden, Johan Carlson, unterstützte Tegnell immer wieder mit diesen Argumenten. Was in Schweden stattfand und weiterhin stattfindet, nennen Gesundheitswissenschaftler wie Sprenger „Gesundheitsfolgenabschätzung“ und er wunderte sich schon als Mitglied (er trat später aus eigenem Antrieb zurück) der österreichischen Coronavirus-Taskforce, warum diese nicht gar fortlaufend stattfindet: „Die Gesundheitsfolgenabschätzung erkennt frühzeitig positive und negative gesundheitliche Auswirkungen von Projekten und politischen Maßnahmen.“ International oder bei der WHO ist die Gesundheitsfolgenabschätzung als „Health Impact Assessment” bekannt. Man könnte es auch Güterabwägung oder Risiko-Nutzen-Rechnung nennen. Wir erinnern uns, Stephan Kohn (SPD) soll so etwas im Frühjahr 2020 versucht haben. Der Cicero schrieb im Mai 2020 in einem Interview mit Matthias Schrappe (ehem. stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung im Gesundheitswesen): „Der Referent im Innenministerium wirft der Regierung vor, der Lockdown sei ein Fehlalarm gewesen. Die Kollateralschäden seien größer als der Nutzen. Der Mann wurde beurlaubt. Doch renommierte Wissenschaftler geben ihm in einigen Punkten Recht.“
Und somit kommen wir zum „härtesten Parameter, den wir haben“ (Sprenger), zur Übersterblichkeit oder Gesamtsterblichkeit während der Pandemie, die eben jeden Todesfall erfasst, auch durch gesundheitliche Kollateralschäden von Maßnahmen – und wer will hier schon Unterschiede machen? In einem früheren Artikel haben wir die von verschiedenen Universitäten berechnete Gesamtsterblichkeit für das Jahr 2020 betrachtet, wobei Schweden, ganz gleich welche Quelle, immer im hinteren Drittel der EU landete, was die Übersterblichkeit betrifft. Dabei ist der Vergleichszeitraum wohl der wichtigste Faktor: Im vergangenen Jahr hatte Schweden um diese Zeit im April und Mai aufgrund mit oder an Corona Verstorbener eine hohe Übersterblichkeit vorzuweisen und später dann im Sommer Untersterblichkeit, aber beispielsweise im vorletzten Jahr, 2019, gab es insgesamt eine Rekorduntersterblichkeit in Schweden. Der Durchschnitt der Jahre 2015-2019 unter Einbezug des Bevölkerungswachstums hat sich bei den meisten Medizinstatistikern durchgesetzt.
Und hier sind die so berechneten schwedischen Zahlen für 2021:
Januar: +10%; Februar: -8 Prozent; März 2021: -13 Prozent; April 2021: -13 Prozent. Insgesamt ergibt das nach den Zahlen der schwedischen Statistikbehörde SCB eine Untersterblichkeit für die ersten vier Monate des Jahres 2021 von sechs Prozent im Vergleich mit dem Zeitraum von 2016-19, wobei hier dann die zahlreichen Corona-Toten aus dem Januar, der ja noch zur zweiten Welle gezählt wird, miteinberechnet sind. Während der sogenannten dritten Welle weist Schweden aber aktuell weiterhin eine signifikante Untersterblichkeit aus. Das relativiert die zuletzt „katastrophale Rekordinzidenz“ Schwedens doch stark. Die offiziellen Gesamt-Todeszahlen sind eher erfreulich niedrig.
Und selbst der Einwand „Longcovid“ lässt sich mit schwedischen Zahlen zum ausbezahlten Krankengeld entkräften, laut Inzidenz und PCR-Tests war der Erreger in Schweden ja weit verbreitet: „Die Anzahl der Krankheitsausfälle ist gestiegen, aber die meisten Krankheitszeiträume waren kurz, was trotz der anhaltenden Pandemie zu einer niedrigeren Krankengeldquote führte. Die Krankengeldquote sinkt seit Juli 2020 langsamer, ist aber in den letzten drei Monaten im Wesentlichen unverändert.“ Und weiter heißt es da: „Seit März 2020 hält die Corona-Pandemie im Lande an. Nach einem dreimonatigen Anstieg, als die Pandemie Schweden erreichte, begann der Krankenstand im Juli wieder zu sinken und ging seitdem langsam weiter zurück.“ Der hauseigenen Grafik der schwedischen Sozialversicherungsbehörde „Försäkringskassan“ zufolge hatte die Pandemie jedenfalls kaum Auswirkungen auf die Entwicklung der Krankheitstage insgesamt.
Krankheitstage pro Mitarbeiter und Jahr im Schnitt. Quelle: Schwedische Sozialversicherungsbehörde
Tegnell, der selbst kaum bis gar nicht mit diesen Zahlen und Betrachtungen hausieren geht, warnte vor der dritten Welle und behielt recht, was die Inzidenz betrifft. Auf den Intensivstationen kamen dabei jedoch selbst in Stockholm, wo es zuletzt wieder brenzlig geworden sein soll, beim Vergleich der zweiten und dritten zur ersten Welle im Frühjahr 2020 ein Drittel weniger Fälle an und in der Gesamtsterblichkeit werden die Corona-Toten momentan gar nicht abgebildet.
Weil sowohl Intensiveinweisungen als auch Inzidenz in den letzten drei Wochen stabil fallen, wurden nun auch, nach zweimaliger Verschiebung, die ersten Öffnungsschritte verkündet: Ab Juni dürfen Restaurants und Bars wieder bis 22.30 Uhr statt bis 20 Uhr öffnen und auch Alkohol ausschenken. Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit und überhaupt alle Maßnahmen können, so empfehlen es die Gesundheitsbehörden um Tegnell und Carlson, aufgehoben werden, wenn beispielsweise in ganz Schweden unter 100 positiv getestete Patienten in Krankenhäusern liegen, unter 25 auf Intensivstationen, mindestens 70 Prozent der Erwachsenen (!) die erste Impfdosis erhalten haben und die 14(!)-Tages-Inzidenz unter 50 liegt. Nachdem auch die schwedische Impfkampagne nicht wie zuerst erhofft vorankommt, dürften diese Ziele alleine deshalb frühestens im Spätsommer erreichbar sein. Wenn überhaupt. Denn Schweden testet weiterhin sehr viel, findet dabei aber immer weniger Menschen, deren positiver Test letztlich schwere gesundheitliche oder gar fatale Auswirkungen für sie hat.
Wenn in einem Land wie Schweden, das ja aufgrund seines Sonderweges beachtenswert sein muss, während einer Pandemie über vier Monate seit Januar sechs Prozent weniger Menschen starben, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Wenn es in einem solchen Land ohne Lockdown, ohne komplette Schulschließungen und ohne Maskenpflicht im gesamten Zeitraum der Pandemie von über einem Jahr mittlerweile weniger Corona-Tote pro Einwohner als im Schnitt aller EU-Länder gibt. Dann ist es mindestens irreführend, dies weiterhin als „Versagen“ oder „Katastrophe“ zu verkaufen.
Sebastian Rushworth, der Arzt aus einer Notaufnahme in Stockholm, der hier auf den NachDenkSeiten schon mehrfach zu Wort kam und kürzlich sein in Schweden in Rezensionen überwiegend (hoch-) gelobtes Buch (Amazon hatte sich zuerst geweigert, das Buch zu vertreiben, verkauft es nun aber doch: mehr im Link) zur Pandemie veröffentlichte, kommt auch immer mehr in schwedischen Gastbeiträgen, wie zuletzt zusammen mit 28 weiteren praktizierenden Ärzten im Göteborgs-Posten gegen weitere Maßnahmen oder gar Lockdowns und für einen vorsichtigen Umgang mit den neuartigen Impfungen, zu Wort. Sowohl im Buch als auch immer wieder zuletzt in Interviews fordert Rushworth für jede Maßnahme eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“, eine Gesundheitsfolgenabschätzung. Er sagt zur Auslastung der Krankenhäuser im vergangenen Winter in Stockholm Sätze, die man zuletzt immer wieder auch in Deutschland vernommen hat:
„Die schwedischen Intensiv- oder auch Beatmungskapazitäten haben aufgrund von Einsparungen in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen. Die Intensivstationen sind heutzutage immer nahezu voll, das ist der Normalzustand während der Saison.“
Filip Sjöström, der ungekrönte Anführer der Freiheitsbewegung, kennt die Argumente der kritischen schwedischen Ärzte nur zu gut. Auch das Buch „Flocken“ vom bekannten schwedischen Journalisten Johan Anderberg gibt der Protestbewegung mit seiner guten Bilanz des schwedischen Sonderweges Auftrieb. So hat die „Frihetsrorelsen“ ganz selbstbewusst schon die nächsten Demonstrationen „für Freiheit und Wahrheit“ für den 6. Juni angekündigt.
Titelbild: © Henning Rosenbusch
Anhang I:
Exkurs: Ein weiterer Sonderweg – der Umgang mit dem PCR-Test in Schweden
Auf der Webseite von Folkhälsomyndigheten, der schwedischen Gesundheitsbehörde, findet sich eine sehr interessante Anleitung, wie mit einem positiven PCR-Test umzugehen ist: Die Tests könnten nicht verwendet werden, um festzustellen, ob jemand infektiös ist, daher gibt es auch keine strikte Quarantäneverordnung: „Die Gesundheitsbehörde hat nationale Kriterien zur Beurteilung der Infektionsfreiheit bei Covid-19 entwickelt.
Die PCR-Technologie, die in Tests zum Nachweis von Viren verwendet wird, kann nicht zwischen Viren unterscheiden, die in der Lage sind, Zellen zu infizieren, und Viren, die vom Immunsystem unschädlich gemacht wurden, und daher können diese Tests nicht verwendet werden, um festzustellen, ob jemand infektiös ist oder nicht.
RNA von Viren kann oft noch Wochen (manchmal Monate) nach der Infektion nachgewiesen werden, das bedeutet aber nicht, dass eine Person noch infektiös ist. Es gibt auch mehrere wissenschaftliche Studien, die darauf hindeuten, dass die Infektiosität von Covid-19 zu Beginn der Krankheitsperiode am höchsten ist.
Die empfohlenen Kriterien für die Beurteilung der Infektionsfreiheit basieren daher auf einer stabilen klinischen Verbesserung mit Fieberfreiheit für mindestens zwei Tage und mindestens sieben Tage seit Beginn der Symptome. Bei ausgeprägteren Symptomen mindestens 14 Tage seit Krankheitsbeginn und bei den kränksten Personen eine individuelle Beurteilung durch den behandelnden Arzt. Die Kriterien wurden in Zusammenarbeit mit Vertretern der Fachgesellschaften für Infektionskrankheiten, klinische Mikrobiologie, Hygiene und Infektionskontrolle entwickelt. Sie wurden von der Gruppe zuletzt in ihrer Sitzung am 19. April 2021 im Hinblick auf die neuen Virusvarianten diskutiert. Die Einschätzung war dann, dass keine Aktualisierung erforderlich ist. Die Empfehlungen werden aktualisiert, sobald neue Erkenntnisse über die Infektiosität von Covid-19 verfügbar sind.“
Anhang II
Exkurs: Zur Vergleichbarkeit Schwedens mit den Nachbarn oder Deutschland
Als deutsches Bundesland im hohen Norden mit durchaus vergleichbarer eher mitteleuropäischer Bevölkerungsstruktur in Sachen Urbanisierungsgrad und bevölkerungsbezogene Dichte würde sich Schweden relativ unauffällig im Ländervergleich der Corona-Toten einreihen. Sachsen (2277 Corona-Tote/1 Millionen Einwohner), Thüringen (1857), Brandenburg (1440) und zuletzt auch Sachsen-Anhalt (1438) sind längst an Schweden (1385, Zahlen vom 10.Mai) vorbeigezogen. Der gerne vorgebrachte Vergleich Schwedens mit seinen skandinavischen Nachbarn alleine kann der Sache, wie auch Tegnell schon mehrfach dargelegt hat, aus mehreren Gründen nicht gerecht werden:
Der offensichtlich hohe Anteil nicht-europäischer Einwanderer auf den Intensivstationen Schwedens, aber auch Deutschlands ist ein politisches Minenfeld, denn obwohl Staatsepidemiologe Tegnell ja Selbstkritik übte, wurde ihm in den Mund gelegt, er hätte Einwanderer für die Ausbreitung des Virus beschuldigt. Dabei zeigt sich, dass es in Sachen Covid-19 auch in Deutschland zumindest einen Armutseffekt gibt. Und schon sind wir auch bei weiteren Risikofaktoren für schwere Covid-19-Verläufe: “Armut macht dick, unbeweglich und abhängig” (FAZ)“. Bewegungsarmut gilt sogar als höheres Risiko für Covid-19 als Fettleibigkeit, Bluthochdruck oder Rauchen. Und so spielen hier mehrere Faktoren ineinander.
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