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Titel: Der Bundestag und die Kriegsgefahr in der Ost-Ukraine
Datum: 27. April 2021 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Bundestag
Verantwortlich: Redaktion
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu hat die Manöver an der russisch-ukrainischen Grenze am 22. April zwar für beendet erklärt, doch unter russischen Spitzenbeamten und Politologen mehren sich die Stimmen, die Kiew mit einer schnellen und harten Maßnahme drohen, sollte die ukrainische Armee die Volksrepubliken Donezk und Lugansk angreifen. Ebenfalls am 22. April gab es im Bundestag eine „Aktuelle Stunde“ zum Thema „Wachsende Gefahr einer Eskalation in der Ostukraine“ . Die Redner von SPD, CDU/CSU, FDP und Die Grünen waren sich einig: In scharfen Worten verurteilte man „die Eskalation von Seiten Russlands“ in der Ost-Ukraine und forderte „Solidarität mit der Ukraine“. Vertreter von Die LINKE und AfD machten bei dieser Einseitigkeit nicht mit und setzten eigene Akzente. Von Ulrich Heyden, Moskau.
Schon in der einleitenden Rede von Michael Roth (SPD), Staatssekretär im Auswärtigen Amt, gab es wüstes Gepolter gegen Russland:
„Die russische Führung tritt zunehmend aggressiv auf, betreibt insbesondere gegen Deutschland üble Desinformationskampagnen, setzt den kritischen Teil der russischen Zivilgesellschaft massiv unter Druck und destabilisiert eine gesamte Region.“
Die Sprecher der Parteien lasen mit künstlich verstärktem Stimmeinsatz ihre Reden vom Blatt. Das Ganze hatte etwas vom Hornberger Schießen. Denn eineinhalb Stunden vor der Bundestagsdebatte wurde über russische Agenturen bekannt, dass der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu die russischen Militärübungen entlang der russisch-ukrainischen Grenze für „erfolgreich abgeschlossen“ erklärt hatte.
Bis zum 1. Mai würden die Einheiten in ihre Kasernen zurückkehren, so der russische Verteidigungsminister. Schoigu erklärte, „ich meine, dass die Ziele der plötzlichen Prüfung vollständig erreicht wurden. Die Streitkräfte demonstrierten ihre Fähigkeit der sicheren Verteidigung des Landes.“ Die russischen Streitkräfte reagieren „auf alle Veränderungen der Lage nahe der russischen Grenze.“
Niemand sagte etwas zum Boykott des Minsker Abkommens durch die Ukraine
Auffällig war, dass keiner der Redner in der Bundestagsdebatte auf die Einzelheiten des Minsker Abkommens einging. So ersparten es sich die Redner, fair zu analysieren, wer das Minsker Abkommen seit 2015 konsequent boykottiert. Bis heute hat die Ukraine – wie im Abkommen vorgesehen – nicht ihre Verfassung dahingehend geändert, Donezk und Lugansk einen Autonomie-Status zu ermöglichen. Auch eine Amnestie für Bürger der Volksrepubliken hat die Ukraine bis heute nicht beschlossen.
Doch das Schlimmste ist, dass führende Politiker der Ukraine die „Nützlichkeit“ des Abkommens von Minsk für die Ukraine öffentlich infrage stellen und seit Monaten zusätzliche Forderungen stellen. So will Kiew durchsetzen, dass die Wahlen in den Gebieten um Donezk und Lugansk erst stattfinden, nachdem ukrainische Grenzbeamte die Kontrolle der Grenze zwischen Russland und den abtrünnigen Gebieten übernommen haben. Im Minsker Abkommen steht, dass die Wahlen vor der Übernahme der Grenzkontrolle durch die Ukraine stattfinden sollen.
Was in der „Aktuellen Stunde“ im Bundestag außerdem nicht zur Sprache kam, war der ukrainische Militäraufmarsch im Donbass und die zunehmenden Beschießungen der Volksrepubliken. Unterdessen wurde bekannt, dass die Ukraine seit dem 23. April nördlich der Krim, im ukrainischen Cherson-Gebiet, eine Militärübung durchführt.
Welche Strategie hat die ukrainische Militärführung?
Am 25. März billigte Präsident Wolodymir Selenski die neue ukrainische Militärdoktrin. In dem Dokument heißt es, die Ukraine habe nicht genug Geld, um mit Russland eine militärische Kräfte-Parität zu erreichen. Alle Hoffnungen lägen auf der Hilfe durch Nato-Länder.
Der Einsatz der Armee seit gerechtfertigt, wenn es „einen von außerhalb provozierten und unterstützten militärischen Konflikt auf dem Territorium der Ukraine gibt“, heißt es in dem Dokument.
Nach dieser Logik wäre ein Angriff der ukrainischen Armee auf die Volksrepubliken schon jetzt gerechtfertigt. Nach Kiewer Lesart handelt es sich bei den Volksrepubliken ja um von Moskau initiierte Gründungen und nicht um Konstrukte, die sich nach einem Aufstand der örtlichen Bevölkerung gegen das nationalistische Regime in Kiew bildeten.
In dem Dokument heißt es: Ein Krieg auf ukrainischem Territorium werde beendet „durch die Beteiligung der internationalen Gemeinschaft unter für die Ukraine günstigen Bedingungen“. Kiews militärische Strategie ist darauf ausgerichtet, westliche Staaten in den Konflikt mit Russland hineinzuziehen.
Der Erfolg der ukrainischen Strategie hänge ab „von der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung der Ukraine durch die internationale Gemeinschaft in der geopolitischen Auseinandersetzung mit der Russischen Föderation.“ Kiew sei auch bereit zu kämpfen, „wenn die Ukraine in einen internationalen militärischen Konflikt, insbesondere zwischen Staaten mit Nuklearwaffen“, gerät.
Moskau droht mit schnellem, hartem Vorgehen bei Angriff auf Volksrepubliken
Obwohl die russischen Militärmanöver offiziell beendet sind, ist die Lage zwischen der Ukraine und Russland weiterhin angespannt und kann sich jederzeit zu einem militärischen Konflikt zwischen den beiden Staaten entwickeln.
Dass die Geduld Moskaus mit Kiew allmählich zu Ende geht, zeigen die Erklärungen russischer Spitzenbeamter und Politologen in den letzten Wochen.
Am 8. April hatte der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung, Dmitri Kosak, erklärt, wenn Kiew die Kriegshandlungen im Donbass aufnehme, sei das „der Anfang vom Ende“ für die Ukraine. Russland sei in diesem Fall gezwungen, seine Bürger zu schützen.
Bis Februar 2021 hatten mehr als 600.000 Einwohner der Volksrepubliken russische Pässe erhalten.
Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte am 21. April in seiner Rede vor der Föderalen Versammlung zum Verhältnis Russlands zum Westen, wenn „eine rote Linie überschritten wird, die wir selbst festlegen, wird die Antwort asymmetrisch, schnell und hart sein“.
Auf die Realität in der Ost-Ukraine übertragen, bedeuten diese Worte mindestens die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch Russland, worauf vermutlich eine Eingliederung der beiden Subjekte in die Russische Föderation folgen wird.
Nicht auszuschließen wäre bei einem größeren Konflikt auch ein Vorstoßen der russischen Streitkräfte in weitere südöstliche Gebiete der Ukraine. Ähnlich hatten die russischen Streitkräfte 2008 im georgisch-russischen Krieg um die abtrünnige georgische Provinz Südossetien agiert. Russische Panzer waren damals bis kurz vor Tbilissi gekommen, waren dann aber umgekehrt. Die seit 1991 abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien erkannte Russland 2008 als unabhängige Staaten an.
Deutsche Politiker erregen sich über die „Selbstermächtigung“ und das Ignorieren internationaler Vereinbarungen durch den russischen Präsidenten. Über das Verhalten der USA und ihrer westlichen Verbündeten wird dagegen stillschweigend hinweggegangen.
Wenn man über Selbstermächtigung spricht, dann müsste man zuerst die USA nennen, die seit 2001 Schritt für Schritt alle Rüstungskontrollverträge aufkündigte, die Nato nach Osten ausdehnte und den Staatsstreich in Kiew politisch unterstützte.
Es gibt in Russland auch Stimmen, die ein schnelles Zuschlagen in der Ukraine fordern, weil die Situation jetzt noch strategisch günstig sei. So empfiehlt etwa der russische Politologe und Ukraine-Experte Rostislaw Istschenko in einer Analyse, nicht lange zu warten, sondern jetzt militärisch zu handeln. „Solange die Ukraine existiert – so lange gibt es ein Aufmarschgebiet für antirussische Provokationen.“ „Früher oder später“ würden die USA „Kiew zwingen, gegen Russland zu kämpfen“, aber dann werde „die Situation für Russland nicht so günstig sein wie jetzt“.
Ziel der von den USA gesteuerten Provokationen in der Ukraine sei der Stopp von North Stream 2.
Die LINKE – nicht kalt, nicht heiß
Was mich an der Rede von Heike Hänsel (Die Linke) in der „Aktuellen Stunde“ wunderte, war Folgendes: Gleich im ersten Satz ihrer Rede forderte die Abgeordnete im Namen ihrer Partei den Rückzug der Truppen von beiden Seiten der Grenze, also auch der russischen Truppen, die sich auf russischem Territorium befinden.
Ist das nicht Merkel „light“? Die Bundeskanzlerin forderte am 8. April in einem Telefongespräch mit Wladimir Putin den Abzug der russischen Truppen im Bereich der russischen Grenze, womit ja unterstellt wird, Russland heize den Konflikt mit Truppenverlegungen auf dem eigenen Gebiet an.
Ist etwa auch die Partei Die LINKE der Meinung, dass Russland mit Truppenbewegungen auf dem eigenen Gebiet den Konflikt im Donbass schürt?
Die Forderung vom Truppenabzug auf beiden Seiten vernebelt, worum es im Donbass geht: Um eine von der ukrainischen Armee seit Februar 2021 ausgehende Eskalation gegen die Volksrepubliken und eine Reaktion von russischer Seite, die Truppen konzentriert, für den Fall, dass die Ukraine in den Volksrepubliken einmarschiert.
Ukrainische Militärführung bereitet Angriff vor
Dass sich Kiew auf einen Einmarsch in die Volksrepubliken vorbereitet, wurde vom ukrainischen Oberbefehlshaber Ruslan Chomtschak am 30. März in einem Interview mit der Journalistin Alesija Bazman ohne Umschweife verkündet. Chomtschak erklärte:
„Natürlich bereiten wir uns auf einen Angriff vor. Wir haben Erfahrung in der Führung des Krieges im Osten der Ukraine.“ Weiter sagt Chomtschak, „wenn wir heute gegen die kämpfen, die dort sind, dann haben wir natürlich viele Chancen, die Ziele zu erreichen. Wir wissen, wer gegen uns kämpfen wird. Wir haben das 2014 gesehen.“
Staatsminister Michael Roth verschwieg die aggressiven Absichten der Ukraine gegen die Volksrepubliken in seiner Bundestagsrede komplett. Stattdessen bezeichnete der Staatssekretär Russland als den Alleinschuldigen an der gefährlichen Lage. Roth erklärte:
„Es gibt keine Hinweise auf ukrainische Planungen für eine Offensive gegenüber den abtrünnigen Gebieten im Donbass. Ukrainische Regierungsvertreter, aber auch der Generalstabschef, haben wiederholt klargestellt: Die Ukraine plant keine militärischen Aktionen, sondern sie arbeitet weiter an einer diplomatischen Lösung des Konflikts.“
Doch das Gegenteil ist der Fall. Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte hatte am 30. März in dem erwähnten Interview gesagt:
„Die ukrainischen Streitkräfte bereiten sich auf verschiedene Varianten vor, auch auf einen Angriff. Wir bilden Trainingsbasen, Partner helfen uns. Anders geht es nicht. Wenn sie mich heute fragen, ob wir bereit sind? Wir sind bereit.“
Für den Plan eines Angriffs auf den Donbass gäbe es einen Befehl des Präsidenten, aber man müsse die Folgen und die Möglichkeiten des Staates berechnen.
“Für ihn (den Präsidenten) gibt es kein Problem, den Einsatzbefehl zu geben. Man muss nur die Folgen, die Kräfte, die Reserven und die Möglichkeiten des Staates berechnen. Donezk ist eine Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern, wenn wir zum Angriff übergehen. Das heißt, es gibt das Risiko, das viele Zivilisten sterben. Man muss die Risiken abschätzen, wer gegen uns kämpfen wird.“
Das ist eine Anspielung darauf, dass der ukrainischen Armee außer den 28.000 Soldaten der Volksrepubliken (ukrainische Schätzung) möglicherweise auch eine unbekannte Zahl russischer Soldaten gegenüberstehen werden.
Aufrüstung der Ukraine durch westliche Staaten
Statt einen beiderseitigen Truppenabzug zu fordern, wäre es besser gewesen, wenn die Rednerin der Partei Die LINKE aufgezeigt hätte, dass die USA und andere Nato-Staaten die Ukraine als Aufmarschgebiet gegen Russland aufbauen.
Dafür gibt es ja zahlreiche Belege: Der vom Westen 2014 politisch unterstützte Staatsstreich in der Ukraine, Manöver von Nato-Ländern mit ukrainischen Truppen seit 2014 und die Lieferung von Javelin-Panzerabwehrraketen und Hummer-Jeeps aus den USA.
Die ukrainische Internetplattform Zensor.net berichtete, dass die Ukraine 2020 Verträge und Memoranden über den Kauf von zahlreichen Marine-Schiffen mit einer Summe von 3,7 Milliarden Dollar abgeschlossen hat. Dabei geht es um fünf Korvetten, acht Raketen-Boote, 39 Patrouillen-Boote und eine Anti-Schiffsrakete. Lieferanten sind die USA, Frankreich, Türkei und Großbritannien.
Von der Türkei kaufte die Ukraine bereits 2019 die ersten vier Bayraktar-B2- Kampfdrohnen. Insgesamt will man 48 dieser Drohnen anschaffen oder in Lizenz bauen. Die Bayraktar-Drohnen waren im Krieg um Berg-Karabach entscheidend für den Sieg von Aserbaidschan über Armenien.
Auch die Bundeswehr ist in der Ukraine aktiv, indem sie seit Jahren ukrainische Soldaten – darunter auch Rechtsradikale – mit hochmodernen Lazarettflugzeugen zur Behandlung aus der Ukraine nach Deutschland ausfliegt. Ich frage mich, warum werden nicht auch Soldaten der Volksrepubliken zur Behandlung nach Berlin ausgeflogen?
Kramp-Karrenbauer und Röttgen für Waffenlieferungen an die Ukraine
Unterdessen meldete die F.A.S, die Ukraine habe um deutsche Waffen zur Verteidigung gebeten. Man wünsche sich Flugabwehr, Teile von Schiffsabwehr-Raketen und Minenräumgerät. Kiew habe auch um gebrauchte deutsche Korvetten gebeten.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer habe sich für den Wunsch „offen“ gezeigt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen, sagte der Zeitung, „da Russland mit Krieg droht, wäre es falsch, die Lieferung rein defensiver Waffensysteme jetzt auszuschließen.“
Warum macht man um die Volksrepubliken einen Bogen?
Merkwürdig fand ich, dass die Rednerin der Partei Die LINKE in der Bundestagsdebatte zwar vom berechtigten Sicherheitsbedürfnis Russlands sprach, aber mit keinem Wort das Sicherheitsbedürfnis der Menschen in den Volksrepubliken erwähnte.
Leider ist dieses „Aussparen“ der Volksrepubliken mit ihren 3,6 Millionen Einwohnern nicht neu. Offenbar fürchten die Abgeordneten der LINKEN, wieder in das Schussfeld deutscher Medien zu kommen, die jede bekannte Person, welche die Krim oder die Volksrepubliken besucht, als Unterstützer des „Putin-Regimes“ und der „Warlords im Donbass“ an den Pranger stellt.
Ebenso erging es den Abgeordneten Wolfgang Gehrke und Andrej Hunko, als sie 2015 LKWs mit von Deutschen gespendeten medizinischen Hilfsgütern für ein Kinderkrankenhaus in die Volksrepublik Donezk begleiteten. Dass Gehrke und Hunko auf einem Foto mit dem Oberhaupt von Donezk, Aleksandr Sachartschenko, zu sehen waren, war nach Meinung des „Tagesspiegel“ der Beweis, dass die Partei Die LINKE „Warlords“ unterstützt.
Seit dieser Attacke der Mainstream-Medien hat es keine Besuche von Bundestagsabgeordneten mehr in den Volksrepubliken gegeben. Dabei wären Besuche von Bundestagsabgeordneten in den Volksrepubliken ein ganz realer Schutz für die Menschen vor Ort. So ein Besuch würde Öffentlichkeit schaffen. Die Abgeordneten könnten aus eigener Anschauung berichten, was sie in den Volksrepubliken gesehen haben und was die einfachen Menschen erzählen.
Die deutschen Hilfsorganisationen Friedensbrücke e.V. und „Aktionsbündnis Zukunft Donbass“ liefern seit mehreren Jahren mit Lastern ausrangierte Krankenhausausrüstung und andere humanitäre Hilfe in die Volksrepubliken. Auch diese humanitäre Hilfe, über welche die großen Medien nicht berichten, verdient die Aufmerksamkeit und Unterstützung durch die Partei Die LINKE.
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