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Titel: Brutus Liefers

Datum: 26. April 2021 um 9:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Strategien der Meinungsmache
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„Brutus, auch du!“, rief der Überlieferung nach der große Kaiser Cäsar, kurz bevor er tot zu Boden sank. Kurz zuvor hatte eine Gruppe von Senatoren ihm die Dolche in den Leib gerammt – und unter ihnen eben auch jener Brutus, manche sagen, sein Freund, manche sagen gar, es sei sein Sohn gewesen, jedenfalls ein enger Vertrauter. Seitdem ist der Ausruf des römischen Kaisers zum Sinnspruch der Enttäuschung über einen Menschen geworden, dem man vertraut hatte, von dem man gemeint hatte, Werte und Ziele zu teilen und der nun plötzlich etwas getan hat, was man als „Stich ins Herz“ empfindet. Nun hatte Cäsar nicht mehr genug Zeit, um über die Frage zu reflektieren, ob der Fehler vielleicht bei ihm selbst gelegen haben könnte, ob er selbst womöglich in den letzten Monaten etwas getan haben könnte, was den wohl Vertrauten gegen sich aufgebracht hat. Bekanntlich verschied er wenige Sekunden, nachdem er den Satz gesprochen hatte, der ihn bis heute überdauert, und man muss auch zugeben, dass der Moment, in dem man von Messerstichen übersät zu Boden sinkt, nicht eben der Zeitpunkt ist, an dem man zu selbstkritischer Reflexion neigt. Von Jörg Phil Friedrich.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Anders liegen die Dinge, wenn man heute gewahr wird, dass einer, den man schätzte, urplötzlich unter Leuten auftaucht, die man doch eigentlich verachtet. So scheint es seit Donnerstagabend vielen Menschen in diesem Lande zu gehen, die die Videos von 53 Schauspielern gesehen haben, in denen diese ironisch, sarkastisch oder satirisch den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung „zustimmen“ – und sich damit natürlich genau gegen diese Maßnahmen, jedenfalls in der derzeitigen Umsetzung, stellen.

Ich gestehe, mich beim Anschauen der Filme köstlich amüsiert zu haben und das Gefühl gehabt zu haben, dass hier auf mal bitter-ironische, mal heiter-satirische Weise Probleme des derzeitigen Umgangs mit der Pandemie in Politik und Alltag verhandelt wurden. Aber meine Kompetenz ist nicht die der Kunstkritik, ich kann die Qualität und Umsetzung der Werke nicht professionell analysieren und beurteilen, sondern nur ganz intuitiv Beifall klatschen. Was ich hier versuchen will, ist, zu untersuchen, was die Reaktionen über den Zustand des öffentlichen Diskurses und des demokratischen Selbstverständnisses in diesem Land sagen.

Da ist zunächst das, was man als Cäsar-Brutus-Syndrom bezeichnen kann. Wenn eine geschätzte Person etwas tut, was man „nicht von ihr erwartet hätte“, dann wird das nicht zum Anlass genommen, die eigenen Erwartungen, womöglich die eigenen Überzeugungen zu prüfen, sondern nur dazu, diese Person nun neu einzusortieren. Im besten Fall sind die Schauspieler „den Rechten“ auf den Leim gegangen, im schlimmsten Fall sind sie eben „in Wirklichkeit“ selbst Rechte, man hat sich nur in ihnen geirrt.

Dieses Urteil ist aber genau besehen unlogisch. Warum sollte jemand, dem man bisher vertraute, mit dem man vielleicht sogar befreundet war, sich nun plötzlich als ein ganz Anderer erweisen, von dem man durch einen Abgrund getrennt ist? Wäre es nicht sinnvoller, zu diskutieren, an welcher Stelle, in welcher Frage genau man die Welt verschieden sieht? Wäre das nicht der Weg, die eigenen Urteile zu prüfen und zugleich mit dem, der da so überraschend eine ganz andere Sicht auf die Dinge hat, im Gespräch zu bleiben?

Stattdessen konnten wir in den letzten Tagen Stellungnahmen lesen und hören, die eher vermuten lassen, dass man die eigene Meinung gegen den Einbruch des Undenkbaren schützen will, und sei es um den Preis der Verhinderung jeder weiteren Möglichkeit der Diskussion.

Wenn der Feind dich lobt…

Wohl das häufigste Argument, das gegen die Schauspieler vorgebracht wurde, war der „Beifall von der falschen Seite“. Sie hätten den Coronaleugnern und Querdenkern, den Rechtsextremen und der AfD Munition geliefert, war zu lesen. Der Applaus von den falschen Leuten solle ihnen zu denken geben, er würde doch zeigen, dass sie eine falsche These vertreten und dass die ganze Aktion ein Fehler war.

Ganz davon abgesehen, dass dieses Argument auf die Schrift „Wem nützt es?“ des russischen Revolutionärs Wladimir Iljitsch Lenin zurückgeht und dass es tatsächlich ein beliebtes Totschlagargument gegen jede Kritik in den sogenannten sozialistischen Gesellschaften war, ist es natürlich geeignet, tatsächlich jeden konstruktiven Streit um politische Maßnahmen unmöglich zu machen. Selbstverständlich werden die radikalen Gegner einer Demokratie immer einer Kritik am aktuellen Zustand zustimmen. Ihnen gelingt damit zweierlei: Sie können ihre Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten demonstrieren und sie können den konstruktiven Streit zwischen Demokraten zum Grundsatzstreit über das ganze System zuspitzen. Nebenbei können sie natürlich auch immer darauf rechnen, dass Demokraten sich mit kritischen Einschätzungen zurückhalten, aus Angst vor der Zustimmung durch die „falschen Leute“ – das wiederum können genau diese Leute dann nutzen, um sich selbst zum Sprecher dieser Kritik zu machen.

Man kann also nur verlieren, wenn man aus Sorge vor dem Beifall aus der falschen politischen Ecke etwas ungesagt lässt, was gesagt werden müsste. Das heißt nicht, dass es mich z.B. kalt lässt, wenn ich sehe, dass Leute meine Tweets teilen, mit denen ich eigentlich nichts zu tun haben will. Es ist immer Anlass zur Reflexion über eigene Formulierungen, aber auch über die gesellschaftliche Situation. Wie steht es um die Demokratie, wenn es möglich ist, dass ihre Feinde sich als ihre letzten Verteidiger aufspielen können? Man kann auch sagen: Gerade dann, wenn das möglich ist, müssen wir die Kritik umso lauter selbst benennen. Der Dichter Volker Braun brachte es in einem seiner „Berichte von Hinze und Kunze“ so auf den Punkt: Als Kunze eine Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen äußerte, erwiderte Hinze: „Aber diese Frage stellen hieße, den Staat in Frage stellen!“ Worauf Kunze zurückgab „Wenn das so wäre, müsste man die Frage wirklich stellen.“

Ohrfeigen und Verhöhnung

Fast ebenso häufig war in den letzten Tagen zu hören und zu lesen, dass die Videos eine „Ohrfeige für das Pflegepersonal auf den Intensivstationen“ und eine „Verhöhnung der Opfer der Pandemie“ seien. Da es in keinem Video, soweit ich das überblicke, überhaupt um die Situation in Krankenhäusern oder um die Folgen der Krankheit ging, muss man zunächst schlicht feststellen, dass dieses Argument selbst eine Instrumentalisierung der Pflegekräfte in Krankenhäusern und der Erkrankten, der Verstorbenen und deren Hinterbliebenen ist. Ob irgendjemand von diesen Menschen sich von einem der Videos verletzt fühlt, können nur diese Personen selbst sagen, ob die Würde von Todesopfern verletzt wurde, können deren Familienangehörige vielleicht beurteilen, aber kein Kommentator, kein Karikaturist und erst recht kein Twitterer, der meint, das Schicksal der Betroffenen für seinen Kampf gegen angeblich rücksichtslose Schauspieler benutzen zu dürfen.

Davon abgesehen behauptet das Argument, wenn es überhaupt einen Sinn hat, dass die satirisch angegriffenen Maßnahmen der Regierung sowie das ironisch aufs Korn genommene Verhalten von Medien und Bevölkerung irgendwie hilfreich für die Betroffenen, die Pflegekräfte und die Kranken seien. Die Videos behaupten aber gerade das Gegenteil: Sie wollen zeigen, dass gerade die Maßnahmen und das Verhalten, über das sie sich lustig machen, eben nicht nützlich sind. Ein Beispiel: Wenn Jan Josef Liefers in seinem Video ironisch kritisiert, dass die Regierung nur auf wenige ausgesuchte Spezialisten hört und nicht die Breite der Expertise einbezieht, die zur Verfügung steht, dann steht er gerade auf der Seite der Betroffenen, denen auf der Basis der ganzen Vielfalt wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen viel besser geholfen werden könnte. Wer versucht, diese Kritik zu unterdrücken und gar nicht erst zur Sprache kommen zu lassen, indem er mit dem „Argument“, da würden Opfer verhöhnt, die Diskussion sozusagen schon im Ansatz abschneiden will, tut am Ende das, was er den Machern der Videos vorwirft: Er kümmert sich einen Dreck darum, was den Betroffenen wirklich helfen würde, er instrumentalisiert sie nur für sein eigenes politisches oder aufmerksamkeitsökonomisches Interesse.

Sowohl das politische Handeln der Regierung als auch das Verhalten der Menschen muss kritisch begleitet werden, und da ist das Mittel der satirischen Zuspitzung genauso geeignet wie das des philosophischen Essays. Nur wenn sich alles, was in dieser Gesellschaft passiert, in der Kritik bewährt, kann es am Ende auch das sein, was angemessen und nach menschlichem Ermessen das Beste für alle Betroffenen ist. Wer solche Kritik schon im Ansatz verhindern will, verhindert, dass gerade das geschieht, was für die Betroffenen gut, angemessen und akzeptabel ist.

Privilegiert und arriviert

Ein weiterer Versuch der Gegner der Aktion, die teilnehmenden Schauspieler zu diskreditieren, ist, dass es sich bei ihnen doch um privilegierte Stars und arrivierte Prominente handeln würde. Eigentlich ist es dieses „Argument“ gar nicht wert, überhaupt diskutiert zu werden, weil es behauptet, dass bestimmte Personen, nur weil sie gerade nicht selbst betroffen sind, sich nicht zu einem Thema äußern dürften, dass Menschen, die sozial abgesichert seien, sowieso keine ernsthaften Probleme haben und sich schon gar nicht zu ernsthaften Problemen äußern dürften. Das ist schon deshalb absurd, weil die meisten, die sich so äußern, selbst in der gleichen oder womöglich besseren sozialen Lage sind wie die Schauspieler – auf jeden Fall aber ebenfalls sozial abgesichert und wenig selbst betroffen sein dürften. Womöglich haben viele Menschen auch völlig falsche Vorstellungen von den Einkünften von Schauspielern jenseits der Star-Prominenz.

Gern wird zudem noch behauptet, die Schauspieler hätten nur wieder einmal Aufmerksamkeit erregen wollen und in den Medien auftauchen wollen, ein Vorwurf, der ebenso absurd ist, weil die so erreichte Aufmerksamkeit gerade für diese Personen, die auf Sympathie und positive Wahrnehmung angewiesen sind, natürlich auch ein besonderes Risiko ist.

Aber all das kann dahingestellt bleiben, weil natürlich jede Person unabhängig von ihrer Bekanntheit und der Zahl der Zimmer ihrer Wohnung oder der Zahl der Ferienhäuser, die sie besitzt, ein Recht darauf hat, sich in der öffentlichen Debatte zu äußern. Wenn Liefers darüber geklagt hätte, dass er am Set einen Mindestabstand zum Kameramann einhalten muss oder Tukur gejammert hätte, dass derzeit keine Bettszenen gedreht werden – dann hätte man das als „Jammern auf hohem Niveau“ angreifen können. Aber darum ging es den Schauspielern ja ersichtlich gerade nicht, es ging ihnen um Entwicklungen in der Gesellschaft, die vor allem den Spitzenstars aus rein ökonomischer Sicht vermutlich egal sein könnten – die ihnen aber Sorgen machen und die sie dazu veranlasst haben, das Risiko des öffentlichen Ansehens- und Sympathieverlustes einzugehen, ein Risiko, dass gerade Stars nicht gleichgültig sein kann. Umso höher sollten wir, unabhängig davon, ob wir mit den Aussagen übereinstimmen oder nicht, diese Aktion schätzen.

Denn in der Mediengesellschaft ist es wichtig, dass gerade prominente Leute, die nicht Politiker oder Experten sind und in Fragen einer Pandemie eben am ehesten auch ganz einfache Leute sind, den Mund aufmachen und das sagen, was ihnen Sorge bereitet und Angst macht. Sie werden gehört, über das, was sie sagen, spricht man, und es kann nicht einfach beiseite geschoben werden. Es wäre klug, wenn diese Menschen viel mehr zu Worte kämen, sie sind dem Denken des Normalbürgers viel näher als der wissenschaftliche Experte oder die Politikerin. Schauspielerinnen und Künstler überhaupt mögen auch in einer speziellen Blase leben, aber sie sind so politisch oder unpolitisch, so naiv oder gebildet wie die Programmiererin und der Verkäufer, die Busfahrerin und der Lehrer – sie erhalten in der Mediengesellschaft aber mehr Aufmerksamkeit. Deshalb sollten wir dankbar sein, wenn sie das Risiko eingehen und ihre Fähigkeiten nutzen, das auszusprechen, was ihnen auf der Seele liegt.

Warum überhaupt der Aufschrei?

Zum Schluss die Frage: Warum überhaupt gab es diesen empörten Aufschrei über diese Aktion von gut 50 Schauspielern? Daran, dass die Regierung und die Medien satirisch kritisiert wurden, kann es nicht liegen, denn das ist inzwischen wohlfeil, politische Satire, die sich über die Bundesregierung lustig macht, gibt es im Überfluss, ohne dass da jemand fragt, ob es gelungen oder angemessen ist – auch zum Thema Corona-Maßnahmen.

Der wunde Punkt, den diese Aktion getroffen hat, ist ein anderer: Uns, die wir uns an die Regeln halten, auch wenn sie absurd sind, die wir brav tun, was die Regierung verordnet, die wir einigen Experten an den Lippen hängen und andere beschimpfen, weil sie etwas anderes sagen, die wir dem unkritischen Journalismus ebenso unkritisch lauschen, wird der satirische Zerrspiegel vorgehalten. Es gibt wohl nur wenige, die die Fähigkeit besitzen, sogleich zu sagen: „Ok, das ist ein bisschen oder ganz schön übertrieben, aber hier und da ist da was Wahres dran, ich muss da mein eigenes Verhalten kritisch überdenken“. Ganz natürlich ist es, auf ein solches – zudem satirisch verfremdetes – Spiegelbild mit Ablehnung zu reagieren. Der Aufschrei ist also verständlich, und die hier dargestellten Mechanismen der Zurückweisung sind es auch. Bleibt zu hoffen, dass es nicht dabei bleibt, dass die, die sich heute noch empören, nach ein paar Tagen noch mal auf die Videos schauen können und mit etwas Gelassenheit fragen, was denn Wahres dran ist an diesen Karikaturen und warum man da überhaupt so aggressiv reagiert hat.

Titelbild: rudall30/shutterstock.com


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