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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Junta hat es vergeigt
Datum: 16. April 2021 um 13:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte, Militäreinsätze/Kriege, Wahlen
Verantwortlich: Redaktion
Die Maßnahmen der Militärjunta in Burma gegen die Zivilbevölkerung werden immer brutaler. Die Zahl der Todesopfer steigt täglich und dürfte zu dem Zeitpunkt, wo diese Zeilen geschrieben werden, die Zahl 800 erreicht haben. Die Zahl der verletzten und inhaftierten Putschgegner übersteigt diese Zahl noch um ein Vielfaches. Die Generäle sind außer sich vor Wut, weil es ihnen elf Wochen nach dem Putsch immer noch nicht gelungen ist, die Proteste zu unterdrücken und das Land unter Kontrolle zu bringen. Sie benehmen sich wie eine Besatzungsarmee im eigenen Land. Der Widerstand wird immer stärker und die Gegenregierung der CPRH gewinnt an Autorität. Eine neue burmesische Armee ist dabei sich zu formieren und liefert der Armee bereits jetzt tägliche Gefechte. Von Jinthana Sunthorn, Hong Kong. Übersetzung aus dem Englischen von der Redaktion.
Ein kurzer Rückblick
Am 8. November fanden, inmitten einer Pandemiewelle von Covid-19, Wahlen in Myanmar statt. Die von Friedensnobelpreisträgerin, Staatsrätin und Außenministerin Aung Suu Kyi geführte Partei NLD (National Ligue for Democracy), errang einen haushohen Sieg, ja sie konnte ihren Stimmenanteil von 2015 sogar noch erhöhen und errang über 80% der zu vergebenden Sitze.
Die vom Militär geschriebene und dem Volk aufgezwungene Verfassung von 2008 aber erlaubt es dem Militär, 25% der Sitze im Unter- und Oberhaus nach eigenem Gutdünken zu vergeben. Zudem stehen dem Militär, unabhängig vom Wahlausgang, die drei wichtigsten Ministerien Inneres, Verteidigung und Grenzangelegenheiten zu. Von diesen drei Ministerien geht die Staatsgewalt aus, das Innenministerium ist für die Verwaltung des Staates zuständig. Die restlichen, weniger wichtigen Ministerien wie Soziales, Familien, Arbeit usw. können die gewählten zivilen Parteien dann unter sich aufteilen.
Wir wollen das hier zum besseren Verständnis dafür, wie undemokratisch die Zusammensetzung der beiden Häuser in Myanmar bereits vor jeder Wahl ist, ein wenig aufdröseln: [1]
Das Unterhaus besteht aus 440 Abgeordneten und das Oberhaus aus 224 Abgeordneten, insgesamt also 664 Sitze. 25% davon sind also 110 resp. 56 Abgeordnetenmandate, die das Militär nach Belieben im Unter- und Oberhaus an seine Leute vergeben kann. Bleiben nach Adam Riese noch 330 resp. 168, insgesamt also 498 noch zu wählende Abgeordnetensitze. Das Militär schickte bei den Wahlen zudem eine eigene Partei, die USDP, ins Rennen um die noch zu vergebenden restlichen 75% der Sitze.
Nach Auszählung der Stimmen entfielen 258 + 138= 396 Sitze auf die Partei von Suu Kyi und nur 26+7=33 Sitze auf die USDP. Der Rest ging an zahlreiche Kleinstparteien, es waren über 90 (!) Parteien zugelassen. Das Militär, obwohl es weniger als 5% der Wahlstimmen auf sich vereinigen konnte, erhielt, weil es ja noch zusätzlich 110+56= 166 Abgeordnete ernennen darf, 199 von insgesamt 664 Sitzen, also 30%.
Die NLD hatte die Wahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen und hätte, wenn der Putsch sie nicht daran gehindert hätte, erneut die Regierung in Myanmar bilden können.
Das vorherrschende Wahlthema 2020 war die Beschränkung der Macht der Militärs gewesen. Bereits in ihrer ersten Legislaturperiode hatte die NLD-geführte Regierung eine wichtige Abteilung, das GAD, aus dem Innenministerium, das laut Verfassung dem Militär zusteht, ausgelagert und unter Aufsicht der Zentralregierung gestellt. Auch hatte die NLD erste Versuche unternommen, die Verfassung zu ändern und die Anzahl der vom Militär zu vergebenden Sitze bei zukünftigen Wahlen schrittweise zu beschränken, erst auf 15% und in Zukunft dann auf 5%. Myanmars Parlamentswahlen 2020 haben eine überwältigende Ablehnung der Wählerschaft an der Beteiligung des Militärs in der Politik offengelegt und der zukünftigen Regierung ein klares Mandat für weitere demokratische Reformen gegeben.
Nach dieser erneuten, noch größeren Wahlniederlage nach 2015 sah das Militär seine Felle den Bach hinunterschwimmen. Der Oberbefehlshaber der Armee, der Faschist und Kriegsverbrecher General Min Aung Hlaing, der kurz nach den Wahlen pensioniert wurde, hatte nach seiner Pensionierung das Amt des Staatspräsidenten angestrebt, um den Einfluss der Tatmadaw auf Politik und Wirtschaft gegen alle Demokratiebestrebungen wirksam zu verteidigen. Das Wahlergebnis machte seine Hoffnungen zunichte.
Nach dem Sieg der NLD begann die Tatmadaw damit, die Wahlen als gefälscht zu bezeichnen und von der Wahlkommission eine Neuauszählung zu fordern, was diese aber ablehnte. Die Tatmadaw hat nie Beweise für Wahlfälschungen erbracht und die Wahlen wurden auch international als legitim anerkannt. Das Wahlresultat ist zudem dermaßen eindeutig, dass keine Rede davon sein kann, dass die NLD die Wahlen nur durch Wahlfälschung gewonnen hätte. Wir möchten an dieser Stelle noch anmerken, dass unseres Erachtens nach das Militär in keinem Parlament der Welt, auch nicht in Myanmar, etwas zu suchen hat.
Da die Tatmadaw nun befürchten musste, auf längere Sicht vollständig aus der Politik entfernt zu werden und damit auch ihrer Möglichkeiten, den Staat weiterhin unkontrolliert auszusaugen, [3] nahm sie die von ihr unbewiesene Behauptung einer Wahlfälschung am ersten Februar dieses Jahres zum Vorwand, das neugewählte Parlament am Tag seiner ersten Sitzung in der neuen Zusammensetzung am Tagen und damit an der Ernennung einer neuen Regierung zu hindern. Stattdessen zogen sie es vor, die Parlamentssitzung zu verhindern und ihre bekanntesten politischen Gegner kurzerhand zu verhaften. Bereits zuvor hatte die Tatmadaw gefordert, die Zusammenkunft des neuen Parlaments bis nach einer Neuauszählung der Wahlstimmen zu verschieben. Wo und wann denn nun genau Wahlfälschungen stattgefunden haben sollten, legten sie wohlweislich nie offen, es blieb bei der vagen Anschuldigung, aber sie deuteten an, dass sie andernfalls die Macht ergreifen würden, was dann auch geschah.
Aber das Militär hatte nicht mit den heftigen Reaktionen und den Protesten der Bevölkerung gerechnet. Nachdem der erste Schock überwunden war, formierte sich der Widerstand. Als erste begannen verschiedene Berufsgruppen, darunter vor allem Ärzte und Krankenhauspersonal, Lehrer und öffentliche Bedienstete, zu streiken und gründeten die Bewegung des zivilen Ungehorsams (CDM). Zu ersten Massenkundgebungen kam es wenige Tage später. Es dauerte aber noch bis zum 21. Februar, bevor das Militär begann, gezielt mit scharfer Munition auf die Demonstranten zu schießen. Die Tatmadaw ist seither nur noch in der Lage, ihre Herrschaft durch die brutalsten Maßnahmen aufrechtzuerhalten.
Wir wollen hier nicht mehr alle Etappen der Eskalation der Gewalt aufzählen. Die NachDenkSeiten haben seit Beginn des Putsches regelmäßig davon berichtet, Weiteres kann und konnte man in den täglichen Nachrichtensendungen im Fernsehen und in der Presse verfolgen.
Die Situation der Tatmadaw wird immer aussichtsloser
Ein vorläufiger Höhepunkt der Gewalt war der 27. Februar, der Tag der Streitkräfte, an dem das Militär sich selber mit einer großen Militärparade in Naypyidaw feierte und den Tag mit einem Blutbad mit mehr als hundert erschossenen Demonstranten ausklingen ließ.
Seither ist die Situation immer weiter eskaliert. Die Brutalität der Sicherheitskräfte nimmt täglich zu. Sollten sie überhaupt jemals Skrupel gehabt haben, so haben sie jetzt alle abgelegt. Die Vorgehensweise gegen die Demonstranten wird immer aggressiver. Die Generäle schäumen vor Wut, weil das Volk sich nicht unterkriegen lässt. Je härter die Sicherheitskräfte jedoch gegen die Demonstranten vorgehen, desto erbitterter wird deren Entschlossenheit, nicht aufzugeben, bis die Tatmadaw endgültig besiegt sind. Dieses Mal wollen sie die Sache zu Ende bringen. Selbst ein militärischer Sieg der Junta würde keine Stabilität in Myanmar bringen, der Widerstand wird trotzdem weitergehen.
Das Militär hat inzwischen begonnen, Luftangriffe gegen die Zivilbevölkerung zu fliegen, und bereits tausende Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Sie sind auf der Flucht, entweder im eigenen Land, im benachbarten Thailand, Indien oder Bangladesch.
Die Junta setzt zudem auf Ausgangssperren und Internetabschaltungen, um die Kommunikation zwischen ihren Gegnern einzuschränken. Seit Neuestem befehlen sie den Haushalten, ihre Satellitenschüsseln zu entfernen, damit sie möglichst wenig Informationen bekommen. Die Satellitenschüsseln seien nicht lizenziert und sie drohten damit, rechtliche Schritte einzuleiten, wenn sie feststellen, dass die Satellitenschüsseln noch da seien, wenn sie das nächste Mal zur Inspektion kommen. Die Polizei beschlagnahmt Berichten zufolge alle Satellitenschüsseln in den Geschäften.
Haftbefehle wurden gegen 40 bekannte Schauspieler, Models und Social-Media-Influencer ausgestellt, von denen die meisten bereits untergetaucht sind. Sie werden beschuldigt, Informationen zu verbreiten, die zu einer Meuterei in den Streitkräften führen könnten.
Unterdessen berichteten staatliche Medien, dass 19 Personen von einem Militärgericht wegen Raubes und Mordes zum Tode verurteilt wurden. Sie wurden beschuldigt, einen Offizier verprügelt und seinen Freund, einen Informanten, totgeschlagen zu haben. 17 von ihnen wurden in Abwesenheit verurteilt, es fand kein Gerichtsprozess statt.
Die Führerin der NLD, Aung San Suu Kyi, wurde mit einer neuen Anklage belegt. Sie wurde nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen, seit sie in den frühen Morgenstunden des 1. Februar festgenommen wurde. Sie ist jetzt in insgesamt sechs Fällen angeklagt, haltlose Anschuldigungen, zu denen der Besitz von Sprechfunkgeräten gehört. Wenn die Junta nicht gestürzt wird, wird sie den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen.
Die Gewalt ist in den letzten Tagen weiter eskaliert und das Kriegsrecht wurde über viele Townships verhängt. Am 11. April erschossen die Tatmadaw 80 Menschen in Bago, in der Nähe von Rangun. Damit stieg die Todesrate auf über 700, wenn dieser Beitrag erscheint, werden es bereits 800 oder mehr sein. Es vergeht kein Tag, an dem die Menschen nicht auf die Straße gehen, und es vergeht kein Tag, an dem die Tatmadaw keine Demonstranten erschießen oder sie verhaften und zu Tode prügeln. Ärzte in den privaten Krankenhäusern werden verprügelt, entweder weil sie verletzte Regierungsgegner behandeln oder weil sie sich weigern, Angehörige der Sicherheitskräfte zu behandeln. Sanitäter werden daran gehindert, Verletzte zu bergen, Menschen verschwinden spurlos und ohne Nachricht. Es ist wie zu den Zeiten der südamerikanischen Diktaturen, von Guatemala über Chile bis nach Argentinien und Haiti.
Viele Demonstranten verteidigen sich mit Barrikaden, Steinschleudern, Pfeilen und Molotow-Cocktails. „Wenn wir nicht zurückschießen, werden die Demonstranten leicht getötet und die Proteste werden in unserer Gemeinde aufhören”, sagt ein Demonstrant auf den Barrikaden und fügt hinzu, dass der bewaffnete Widerstand sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten stattfinde. „Polizei und Soldaten müssen das Volk fürchten. Die Polizei hat Angst vor Gewehren und traut sich nicht, wahllos auf die Menschen zu schießen, weil sie wissen, dass die Menschen zurückschießen werden,” sagte er.
Auf den Barrikaden wird weiterhin mit einschüssigen Gewehren, Schrotflinten, aber auch mit AK47- und M16-Sturmgewehren sowie mit Molotow-Cocktails und Handgranaten und zur Not sogar mit Pfeil und Bogen Widerstand geleistet. Hier Aufnahmen vom 27. März in Rangun.
Keine burmesische Regierung, weder die englischen Kolonialherren noch die NLD-geführte Regierung und auch nicht die die Tatmadaw, waren je in der Lage, ganz Myanmar zu kontrollieren, und sie werden es auch jetzt nicht können. Die ethnischen Minderheiten bewohnen etwa die Hälfte des Landes und deren Armeen kontrollieren weite Teile ihres Territoriums. (siehe Karte).
Diese Armeen gehen inzwischen zur Guerillataktik über. Sie greifen täglich irgendwo im Land Polizeiposten und Militärstützpunkte der Tatmadaw an oder legen einen Hinterhalt. Sie haben manche Stützpunkte bereits erobert und zahlreiche Soldaten und Polizisten dabei getötet.
Die farbigen Gebiete werden weitgehend von den EAO’s kontrolliert
Am 4. April führten Demonstranten sogar einen Gefangenenaustausch mit den Sicherheitskräften durch.
Die Parallelregierung nimmt Gestalt an
Am 31. März hat das CPRH [4] angekündigt, dass das Projekt einer Interimsregierung der nationalen Einheit auf der Grundlage einer vereinbarten föderalen Demokratiecharta vor der Vollendung steht.
Das Komitee besteht hauptsächlich aus Abgeordneten der National League for Democracy (NLD), die in den allgemeinen Wahlen von 2020 gewählt wurden, aber wegen des Putsches vom 1. Februar ihren Sitz nicht einnehmen konnten. Das CPRH werde daran arbeiten, die Junta zu stürzen, indem sie alle Mittel einsetzt: politisch, wirtschaftlich, sozial, über die Außenpolitik, durch Diplomatie und auch militärisch. Gleichzeitig hat sie die Verfassung von 2008 für aufgehoben erklärt und eine föderale Demokratiecharta vorgestellt, die allen Akteuren der Opposition, einschließlich der ethnischen Minderheiten, eine Plattform bieten soll, um sich zu einigen und zusammenzuarbeiten. In Rangun feuerten die Menschen daraufhin unter Jubel Feuerwerkskörper ab und in mehreren Städten verbrannten sie öffentlich Kopien der Charta von 2008. Die CPRH hat alle Mitglieder der Sicherheitskräfte aufgefordert, mit ihren Waffen überzulaufen, und alle Staatsbediensteten aufgefordert, nicht mehr für die Junta zu arbeiten. Wer die Junta weiterhin unterstützt, wird nach einem Sieg der Volksallianz zur Rechenschaft gezogen werden.
Gestern hat das CPRH bekanntgegeben, dass es bereits am heutigen Freitag eine Liste der neuen Kabinettsmitglieder vorstellen wird. Das Interimskabinett wurde mit Zustimmung der ethnischen bewaffneten Organisationen (EAOs) gebildet und wird auch Minister aus deren Mitte beinhalten.
Als nächstes sollen nun gesetzgebende und gerichtliche Organe gebildet werden. Auch soll ein nationaler Konvent zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die erst nach einem nationalen Referendum angenommen werden soll, gebildet werden. Das Interimskabinett wurde nach einer Reihe von Treffen zwischen den derzeitigen CPRH-Mitgliedern und den Führern verschiedener EAOs und ethnischer politischer Parteien gebildet, die nach dem offiziellen Auslaufen der früheren NLD-Regierung am 31. März stattfanden. Die Regierung der nationalen Einheit wird die ethnischen Minderheiten einschließen, die föderale Demokratiecharta, die am 1. April veröffentlicht wurde, sieht ein Myanmar mit Autonomie für seine ethnischen Minderheiten vor.
Die Rolle des CPRH muss es jetzt sein, den Einigungsprozess der verschiedenen Interessengruppen und ethnischen Minderheiten voranzutreiben, die Aktivitäten der CDM zu koordinieren, sich um die diplomatische Anerkennung des Auslandes als legitime Übergangsregierung Myanmars zu bemühen und sich um die Finanzierung des Aufstandes sowie um die Versorgung der Streikenden und der sich im Aufbau befindlichen Armee zu kümmern.
Fast alle wichtigen bewaffneten ethnischen Gruppen haben sich inzwischen hinter das CPRH gestellt. Sie bekommen immer mehr Zulauf von den Menschen, die aus den großen Städten aufs Land fliehen und gegen die Junta kämpfen wollen.
Was kann das Ausland tun?
Alle wohlmeinenden Appelle und alles gute Zureden des Auslandes an die Junta wird vergebens sein. Die Junta wird nicht aufgeben, sie muss besiegt werden. Dasselbe gilt auch für die Volksallianz. Auch wenn sie besiegt werden sollte, so wird der Widerstand in irgendeiner Form weitergehen. Die Junta wird das Land nie mehr befrieden, egal was passiert, sie hat alle ihre Karten bei der Bevölkerung verspielt.
Die westlichen Regierungen müssen jetzt das CPRH als legitime Vertreterin Myanmars anerkennen und damit ihr den Zugang zu öffentlichen Geldern ermöglichen, die im US-Bankensystem eingefroren sind. Das von der CPRH ernannte Kabinett hat sich immer als Übergangsregierung bezeichnet, die für die inhaftierten NLD-Minister einspringt. Das Mandat der alten NLD-Regierung lief am 31. März aus, Myanmar hat damit keine vom Parlament gewählte Regierung mehr. Das ändert die Situation in dem Sinn, dass auch die vorher im Parlament vertretenen Anhänger der Tatmadaw jetzt kein Mandat mehr haben. Alle Diplomaten Myanmars im Ausland sind jetzt theoretisch ohne Legitimation.
Die meisten Regierungen werden versucht sein, abzuwarten, wie breit die CPRH eine Dachregierung zusammenstellen kann, um auch zu sehen, ob sie eine Chance hat, zu überleben.
Die Basis der CPRH-Interimsregierung befindet sich in den thailändischen Grenzgebieten. Das macht sie teilweise abhängig von der thailändischen Regierung, die es zulassen muss, dass Waren, Gelder und Menschen über die Grenze kommen. Zurzeit wird die CPRH fast ausschließlich durch die Karen National Union (KNU) versorgt. Die KNU hat langjährige Beziehungen zur thailändischen Militärhierarchie. In der Zukunft könnte die politische Haltung der thailändischen Regierung aber ein Problem werden. Sie hat sicherlich kein Interesse an einem Sieg in Myanmar, denn sie muss befürchten, dass ein Sturz der Militärjunta auch einen belebenden Einfluss auf die Protestbewegung in Thailand haben könnte. Die thailändische Regierung ist selber nur eine Scheindemokratie unter militärischer Vorherrschaft. Aber sie hat auch kein Interesse an einem Zermürbungskrieg der Tatmadaw gegen die KNU an ihrer Grenze zu Myanmar, was Zehntausende von Zivilisten vertreiben und als Flüchtlinge über die thailändische Grenze treiben würde. Gegen den Willen der thailändischen Regierung oder wenigstens ihre Duldung wird die CPRH aber kaum überleben können
Verhandlungen mit den Tatmadaw?
Die fünf Jahre der von der der NLD geführten Regierungskoalition mit den Tatmadaw waren im Grunde genommen nichts anderes als fünf Jahre Verhandlungen über den Übergang von einer Militärdiktatur zu einer Zivilregierung. Die Tatmadaw hatten sich darauf eingelassen, weil sie gehofft hatten, den schlechten Ruf, den Militärdiktaturen auf der politischen Bühne nun einmal haben, durch die Bildung einer Scheindemokratie zu übertünchen und dabei trotzdem die Kontrolle über das Land zu behalten. Das Instrument hierfür sollte die Verfassung sein, die sie wenige Jahre vorher selber geschrieben und mit Tricks und Drohungen durchgesetzt hatten und die sicherstellen sollte, dass sich an den wahren Machtverhältnissen in Myanmar nicht ändern werde.
Egal wer die Wahlen gewinnt, würde gezwungen sein, mit den Tatmadaw zusammen zu regieren, die Tatmadaw ist immer mit in der Regierung, unabhängig von irgendwelchen Wahlergebnissen. Wobei die Tatmadaw zudem noch die Schlüsselministerien und Schlüsselpositionen behalten und damit die wahren Herren Myanmars bleiben. Der zivile Teil der Regierung würde unter dieser Verfassung, die zu ändern die Tatmadaw mit ihrem Vetorecht jederzeit verhindern können, nur das Feigenblatt einer de facto Militärregierung sein. Frau Suu Kyi und die von ihr geführte NLD haben sich auf das Spiel eingelassen. Als die Tatmadaw, die nie die Kontrolle über das Land abgegeben hatten, und auch nicht vorhaben, das jemals zu tun, zu dem Schluss kam, dass sie riskierten, auf lange Sicht von einer Zivilregierung ins Abseits gedrängt zu werden, haben sie das Rad wieder zurückgedreht und den Putsch vom 1. Februar organisiert.
Die Politik des Dialogs mit den Tatmadaw von Frau Suu Kyi ist grandios gescheitert. Jetzt ist Suu Kyi wieder eingesperrt und muss mit einer möglichen lebenslangen Haftstrafe rechnen. Ihre Unterstützer wurden festgenommen und gequält. Es bleibt nur noch die „traurige Erinnerung an eine zivile Regierung…, die den Erwartungen der Menschen, die 2015 für die NLD gestimmt haben, nicht gerecht wurde.“ (Bertil Lintner). Trotzdem bleibt Suu Kyi für die Menschen in Myanmar eine Ikone. Tausende sind jeden Tag auf den Straßen, halten ein Bild von ihr hoch und fordern ihre Freilassung. Das ist auch richtig so, die Inhaftierung von Frau Suu Kyi ist ungerecht und illegal. Trotzdem sollte man ihre Politik nach dem Sturz der Junta nicht fortsetzen. Die Tatmadaw müssen zur Rechenschaft gezogen und für immer aus der Politik verbannt werden.
Und nun kommen manche Schreiberlinge und schlagen vor, man müsse jetzt mit den Tatmadaw verhandeln, die Gefahr, dass sonst ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte, sei groß. Tatsache ist, dass der Bürgerkrieg in Burma schon seit mehr als 40 Jahren ununterbrochen andauert. Es gab nur eine Besserung während der 5 Jahre NLD-Regierung unter Suu Kyi, aber es gab nie eine Versöhnung mit den ethnischen Gruppen. Es gab lediglich einen Waffenstillstand, der mehr oder weniger auch eingehalten wurde. Der Waffenstillstand wurde 2015 von 10 ethnischen Gruppierungen, kurz vor Amtsantritt der NLD-Regierung von Suu Kyi, mit der Thein-Sein-Regierung vereinbart, nicht mit den Tatmadaw.
Die Grundlagen für den Waffenstillstand wurden von den Tatmadaw selber zerstört, jetzt, wo sie ihre eigene Regierung gebildet haben, indem sie zum Beispiel die Vertragspartner, die EAOs, mit der Luftwaffe angriffen und bombardierten.
Es gibt wenig Grund zu glauben, dass das Militär einen Rückzieher machen wird, wenn man sie nur nett genug darum bittet.
Den Leuten, die meinen, jetzt sei der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen, sei gesagt, dass die Tatmadaw nicht einmal die UN-Gesandte, Frau Christine Schraner Burgener, die letzte Woche in Bangkok war, zu Friedensgesprächen empfangen wollten. Man hat ihr die Einreise nach Burma verweigert. “Bin gerade zu Gesprächen in BKK angekommen. Ich bedaure, dass die Tatmadaw mir gestern antwortete, dass sie nicht bereit sind, mich zu empfangen. Ich bin zum Dialog bereit. Gewalt führt niemals zu friedlichen, nachhaltigen Lösungen,” schrieb Frau Schraner Burgener auf ihrem offiziellen Twitter-Account. UNO-Beamte sagen, dass die Gesandte nach Myanmar reisen möchte, um sich mit den Generälen persönlich zu treffen, aber ein Sprecher der Junta schloss dies aus.
Manche meinen auch, die ASEAN-Staaten, wo Myanmar Mitglied ist, sollten Verhandlungen mit der Junta aufnehmen. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borell schlägt das vor, wahrscheinlich um die Verantwortung auf die ASEAN zu übertragen. Sie hoffen, die ASEAN könnten es richten. Und wenn nicht, kann man sie beschuldigen, es vergeigt zu haben.
Ein Gipfel der ASEAN zu Myanmar ist für Ende des Monats geplant, mehr als drei Monate nach dem Putsch und nachdem bereits 800 Menschen erschossen wurden. Der Block ist wegen der Krise tief gespalten, am Tag der Streitkräfte hatte etwa die Hälfte der ASEAN-Mitgliedsstaaten sogar Vertreter nach Naypyidaw geschickt, um mit den Generälen zu feiern. Das kommt de facto einer Anerkennung der Junta-Regierung gleich. Die ASEAN ist auf Konsens innerhalb ihrer Gruppe ausgerichtet und wird es vermeiden, sich in die „inneren Angelegenheiten“ Myanmars einzumischen. Frühere Verhandlungen zwischen den Außenministern der ASEAN über den Putsch in Myanmar führten nicht zu einer einheitlichen Politik.
Außerdem haben viele der Führer der Region selber kaum die Priorität, demokratische Ideale aufrechtzuhalten. Sie bringen selber ihre Gegner zum Schweigen und schlagen Protestbewegungen gewaltsam nieder, wie jetzt wieder in Thailand. Der Premierminister von Thailand ist selbst ein Putschgeneral. Erwartet man ernsthaft von solchen Leuten, sie würden die Junta in Myanmar verurteilen und für Demokratie kämpfen? „Stabilität“ in Burma, ja, das wollen alle. Von den USA über Europa bis nach Asien und Japan. Die Stabilität, die sie meinen, heißt, dass man weiter ungestört Geschäftsbeziehungen mit Burma pflegen kann. Es hatte ja vor Kurzem noch so schön ausgesehen: Burma unter der Führung einer Friedensnobelpreisträgerin, nach langen Jahren der Militärdiktatur, endlich auf dem Weg zur Demokratie. Und nun das. Das Kapital aber fragt nach Rendite, nicht nach Moral.
Wer in Burma gerade regiert, ist für die Heuchler unwichtig, auch wie es den Menschen dort geht. „Stabilität“, die braucht man fürs Geschäft und für das „Weiter so“. Das Orchester spielt derzeit disharmonische Töne. Das irritiert die Tänzer. Für die Kellner haben sie sich nie interessiert.
Im UNO-Sicherheitsrat halten China und Russland die Hand über die Generäle und vereiteln jede konkrete Maßnahme gegen sie. Es bleibt bei kraftlosen Worthülsen. Besonders jetzt wäre z.B. die Verhängung einer Flugverbotszone über den Gebieten der ethnischen Minderheiten, dort wo auch viele Mitglieder der neuen Interimsregierung Zuflucht gefunden haben, ein Gebot der ersten Stunde. Auch der UN-Botschafter von Myanmar, der kürzlich in den internationalen Schlagzeilen war, weil er treu zur CPRH steht, fordert eine Flugverbotszone.
Da China und Russland wahrscheinlich auch in nächster Zukunft weiterhin ihr Veto im UNO-Sicherheitsrat einlegen werden, um Myanmars Generäle zu schützen, könnten die einzelnen Länder sich dafür entscheiden, die Angelegenheit offen in der UNO-Generalversammlung zu diskutieren, was den Druck auf die Vetomächte Russland und China erhöhen würde.
Viele Maßnahmen wie ein Waffenembargo, weitreichende Sanktionen und die Suspendierung der Einkommensströme der Junta müssen aber nicht durch den UN-Sicherheitsrat gehen. Es gibt viele andere Möglichkeiten für die einzelnen Länder, Maßnahmen zu ergreifen, um die Mörder zu stoppen. Myanmars Öl- und Gassektor müsste zudem jetzt dringend mit Sanktionen belegt werden, um die Einkommensströme der Junta einzuschränken. Aber der französische Konzern TOTAL, um nur diesen hier zu nennen, weigert sich, die Erdgasförderung im Golf von Martaban einzustellen, obwohl das von den Aufständischen seit Langem gefordert wird. Das dort geförderte Erdgas wird vorwiegend zur Stromherstellung verwendet. Das CPRH hat die Stromkunden aufgefordert, ihre Stromrechnungen nicht mehr zu bezahlen, um der Junta weitere finanzielle Mittel zu entziehen, während zu gleicher Zeit Total sowie auch andere internationale Konzerne aus der Branche weiterhin brav ihre Steuern an die Junta bezahlen, Geld, das dem Volk und nicht der Junta gehört. Es ist frustrierend, dass Nachbarn wie China, Indien und südostasiatische Nationen kaum Druck auf die Junta ausüben und nur heiße Luftblasen verströmen. “Es ist nicht die Frage, ob sie es tun können, sondern warum sie es nicht tun,” so Dr. Sasa, ein Verbündeter der CPRH.
Die internationale Gemeinschaft muss jetzt alle wirtschaftlichen, rechtlichen und diplomatischen Mittel einsetzen, um das Militär in Myanmar zu isolieren. Untätig zu bleiben heißt, Partei gegen das Volk von Myanmar zu ergreifen. Die Militärs in Burma hoffen nur darauf, dass die Welt untätig bleibt.
Aufstieg der Autokratie in Südostasien
Am Tag der Streitkräfte hat das Militär mehr als 100 seiner eigenen Bürger erschossen. Weit davon entfernt, die Brutalität öffentlich zu verurteilen, posierten die Militärs der Nachbarländer, unter ihnen Russland, China, Indien, Thailand und Vietnam, mit den Generälen und legitimierten damit ihren Putsch.
Der Putsch in Myanmar fühlt sich an wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Ob in Thailand, auf den Philippinen, in Malaysia und in Kambodscha, überall ist die Demokratie auf dem Rückzug. Klar, so richtig hat die Demokratie dort nie geblüht, aber wenn es noch bis vor wenigen Jahren so schien, als ob die Situation sich allmählich bessern würde, so ist jetzt fast überall Rückschritt erkennbar. Die Opposition wird zunehmend mundtot gemacht und sitzt, von korrupten Richtern verurteilt, im Gefängnis. Die Medien sind handzahm geworden, sie bringen nur noch, was der Regierung nicht weh tut, und berichten über Belangloses. Der UN-Sicherheitsrat wird, egal um welches Land es geht, entweder von den USA, Großbritannien und Frankreich, oder aber wie jetzt bei Myanmar, von Russland und China durch das Veto eines der beiden Blöcke an entscheidenden Maßnahmen gehindert.
“Die Ära der regionalen Machthaber – sie sind alle Männer – ist zurückgekehrt“, schrieb die Bangkok Post am letzten Dienstag. „Die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Flüchtlingsstroms aus Myanmar, im Herzen Asiens, könnte Südostasien destabilisieren. Schon jetzt drängen sich Tausende an der Grenze zu Thailand, was die Befürchtung hervorruft, dass sie Covid-19 mit sich bringen werden.“
Myanmar ist von Covid-19 viel schlimmer betroffen als Thailand, die Grenzen zwischen Thailand und Burma sind seit April letzten Jahres deswegen geschlossen. Inmitten der aktuellen Bürgerkriegswirren wird sich die Krankheit mit Sicherheit noch schneller in Myanmar ausbreiten, die Bekämpfung der Pandemie steht jetzt mit Sicherheit nicht an oberster Stelle der Prioritäten der Junta. Und der Opposition fehlen die Mittel dazu.
“Die Demokratisierung nimmt weltweit Schaden”, sagt Thitinan Pongsudhirak, Direktor des Instituts für Sicherheit und internationale Studien an der Chulalongkorn Universität in Bangkok. “Das Wiederaufleben des Autoritarismus in Südostasien ist Teil dieses allgemeinen Rückzugs und Rollbacks.”
Südostasien wird von alten Männern regiert, aber mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 30. Viele haben studiert und sind mit der Welt vernetzt. Ein Sieg der neuen Interimsregierung in Myanmar und ein neuer Demokratisierungsprozess auf einer föderalen Grundlage könnte den Trend umkehren, die Entschlossenheit der neuen jungen Generation stärken und den Menschen in der Region zeigen, dass sich doch etwas ändert, wenn man dafür kämpft.
Myanmars Reformen im letzten Jahrzehnt kamen jungen Menschen zugute, die sich eifrig mit der Welt verbinden. In Thailand stellen sich dieselben jungen Menschen gegen die alten Dinosaurier im Militär und im Netzwerk der Monarchie. “Die Jugend Südostasiens, diese jungen Digital Natives, verachten von Natur aus den Autoritarismus, weil er nicht mit ihrem demokratischen Lebensstil übereinstimmt. Sie werden nicht aufgeben, sich zu wehren”, sagt Herr Thitinan. “Deshalb ist der Autoritarismus in der Region, so schlimm die Dinge jetzt auch scheinen mögen, kein Dauerzustand.”
Titelbild: Robert Bociaga Olk Bon/shutterstock.com
[«1] Unterschiedliche Zeitungen nennen geringfügig andere Zahlen. Wir berufen uns hier auf Wikipedia, 2020 Myanmar General Election. Zu bemerken sei, dass 22 Sitze nicht vergeben wurden, weil in verschiedenen Regionen aus Sicherheitsgründen keine Wahlen stattfanden.
[«2] Nachdenkseiten: Bürgerkrieg in Burma Teil 1
[«3] Nachdenkseiten: Blutsonntag in Myanmar
[«4] Nachdenkseiten: Bürgerkrieg in Burma Teil 2
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=71634