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Titel: „Der Staat braucht das Geld der Reichen nicht“ – Interview mit Maurice Höfgen über progressive Reformpolitik und die MMT

Datum: 9. April 2021 um 10:56 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Interviews, Rente, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Von ihren Anhängern wird die Modern Monetary Theory (MMT) gerne als das neue wirtschaftspolitische Wundermittel angepriesen. Man müsse nur die Staatsausgaben richtig justieren und schon sind alle Probleme gelöst, von der Vollbeschäftigung bis zur Preisniveaustabilität. Der Ökonom und Betriebswirt Maurice Höfgen hat in seinem Buch „Mythos Geldknappheit“ eine progressive Reformagenda auf Basis ebenjener MMT skizziert. Höfgen ist zwar wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Partei Die Linke im Bundestag, doch mit vielen Vorschlägen liegt er konträr zu linken Positionen. Dazu haben ihn die „NachDenkSeiten“ befragt. Die dazugehörige Buchrezension finden Sie hier. Von Thomas Trares.

Herr Höfgen, können Sie einmal kurz erklären, was ist denn das Besondere an der MMT?

Die MMT ist die Denkschule, die unser heutiges Geldsystem am besten beschreibt und darauf eine makroökonomische Theorie aufbaut. Sie liefert quasi ein Handbuch zum Umgang mit dem Geldsystem. Ohne die MMT sind wir wie ein Autofahrer, der mit seiner Gangschaltung nicht umgehen kann und sein Auto ständig abwürgt. Die Folge: Wir leben ökonomisch gesehen unter unseren Verhältnissen. Arbeitslosigkeit, Armut und marode Infrastruktur sind Ausdruck falscher Wirtschaftspolitik. Das Kernproblem: Wir richten unsere Wirtschaftspolitik danach aus, Staatsdefizite und Schulden zu vermeiden. Aus MMT-Sicht ist das Quatsch. Es muss genau andersherum sein. Die Wirtschaftspolitik muss an den zuvor genannten Problemen ausgerichtet werden. Das Staatsdefizit und der Schuldenstand sind zweitrangig.

Offenbar haben dies aber auch im politisch linken Lager nicht alle verstanden. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass sich auch Linke, sozialdemokratische, aber auch grüne Parteien zu häufig an die Mythen des ökonomischen Mainstreams klammern und/oder sich neoliberaler Sprache bedienen.

Ja, leider. Zu oft bedient man sich konservativer, gar neoliberaler Begriffe und Denkmuster. Nehmen wir mal den Begriff „Steuergeld“, der auch von linker Seite inflationär benutzt wird. Die Realität ist: Steuergeld gibt es nicht. Der Staat hat sein eigenes Geld, das seine Zentralbank für ihn theoretisch unbegrenzt erzeugen kann. Der Begriff „Steuergeld“ verschleiert das. Die Botschaft: Geld ist knapp und wenn der Staat Geld ausgeben will, muss er es woanders, z.B. beim Steuerzahler, wegnehmen. Damit stärkt man die Erzählungen konservativer Parteien, die sich für die Schwarze Null und Generationengerechtigkeit völlig zu unrecht auf die Schulter klopfen.

Bleiben wir mal beim Thema Staatshaushalt. Hier vertreten Sie ja einerseits traditionell linke Positionen wie die Abschaffung der Schuldenbremse, andererseits liegen Sie auch häufig konträr. Eine Abgabe für Superreiche zur Finanzierung der pandemiebedingt steigenden Staatsschulden etwa halten Sie nicht für zielführend. Warum nicht?

Hier muss ich etwas differenzieren. Ja, ich kritisiere die klassische linke Robin-Hood-Mentalität. Wir müssen nicht erst den Reichen das Geld vom Konto räumen, damit der Staat genug Geld für seine Ausgaben hat. Der Staat braucht das Geld der Reichen nicht. Wir könnten etwa heute schon in moderne Infrastruktur investieren! Allerdings haben wir in Deutschland ja die Schuldenbremse im Grundgesetz. Sie ist pandemiebedingt zwar ausgesetzt, soll aber 2022 wiederkommen. Dann muss der Gürtel enger geschnallt werden, dann droht der Kürzungshammer für Investitionen und den Sozialstaat. Um das – unter Einhaltung der irrsinnigen Schuldenbremse – zu verhindern, ist die Forderung nach einer Vermögensabgabe sinnvoll. Hier hat die LINKE neulich einen guten Vorschlag gemacht. Für mich ist der wichtigste Grund für die Besteuerung von Vermögen aber die Reduzierung von Ungleichheit und der Schutz der Demokratie vor zu viel politischer Macht der Vermögenden.

Kommen wir zur Altersvorsorge. Hier spricht sich die Linke ja für eine Stärkung der gesetzlichen Rente aus. Sie sagen aber, dass sowohl die kapitalgedeckte, aber auch die umlagefinanzierte Rente am Kern der Sache vorbeigehen. Stattdessen fordern Sie ein staatliches, universelles Single-Payer-System. Was genau soll das denn sein?

Der Staat garantiert jedem eine Rente, die seinen individuellen Lebensstandard im Alter absichert – ohne Versicherungsbeiträge einzuziehen. Falls zur Konjunktursteuerung notwendig, wird die Einkommensteuer angepasst. Das wäre ein deutlich einfacheres System, was den Menschen auch mehr Sicherheit brächte, weil dann eben niemand sich über leere Töpfe beklagen könnte. Mein Vorschlag aus dem Buch bezog sich allerdings nicht konkret auf unser deutsches System. Hier würde ich im engen realpolitischen Rahmen auch erst einmal die gesetzliche, umlagefinanzierte Rente stärken.

Aber wir diskutieren auch bei der Zukunft der Rente zu häufig über die falsche Frage. Alle sorgen sich wegen der alternden Gesellschaft und ob bloß genug Leute in den Rententopf einzahlen, damit später genug Geld zum Ausschütten da ist. Die wesentliche Frage, ob wir auch mit alternder Gesellschaft den Lebensstandard erhalten oder verbessern können, ist die nach der Produktivität und Auslastung der Wirtschaft. Geld können wir immer erzeugen und verteilen, Güter und Dienstleistungen aber nicht. Wer sich also Sorgen um die Rente macht, der sollte für eine Investitionsoffensive und Vollbeschäftigungspolitik eintreten.

Auch beim Euro vertreten Sie konträre Ansichten. Insbesondere schließen Sie ein Auflösen der Währungsunion nicht aus. In Ihrem Buch schreiben Sie beispielsweise, dass sich die europäische Linke auch mit der Einsicht, dass die Eurozone nicht zeitgerecht und tiefgreifend genug zu reformieren ist, auseinandersetzen muss.

Das Eurokonstrukt ist seit seiner Geburt dysfunktional. Es produziert Massenarbeitslosigkeit, soziale Härten und marode Infrastruktur. Damit ist es auch ein Konjunkturprogramm für rechte Parteien. Ich sage immer: Wer sieht, was das Eurokonstrukt, seine Institutionen und politischen Akteure zum Beispiel mit Griechenland angestellt haben, der kann der Eurozone aus linker Sicht keinen idealistischen Blankoscheck ausstellen.

Wir haben zwei Lösungswege: Das dysfunktionale Konstrukt korrigieren oder das Projekt Währungsunion beenden. Beides wäre technisch möglich und auch unabhängig von der Frage, ob man die politische Union und Kooperation fortsetzt. Ich bin skeptisch, ob man zeitgerechte Korrekturen hinbekommen kann. Und ich bin realistisch, dass ein Austritt oder Ende nicht unbedingt zu besserer Wirtschaftspolitik in den Ländern führt. Aber, ja, ich finde, man sollte beides in Betracht ziehen.

Nun zum Kernstück der MMT-Reformagenda, der Jobgarantie. Das klingt ja zunächst einmal sehr sinnvoll. Kritiker verweisen jedoch darauf, dass es diese Jobgarantie schon einmal in der UdSSR, DDR und anderen realsozialistischen Staaten gab. Zudem wird bezweifelt, ob der Staat überhaupt in der Lage ist, sinnvolle und erfüllende Jobs zu kreieren.

Ein universelles Jobangebot zu einem sozialverträglichen Mindestlohn als letztes Puzzlestück einer progressiven Vollbeschäftigungspolitik, wie ich es vorschlage, hat damit nichts zu tun. Natürlich ist der Staat dazu in der Lage, gute und erfüllende Jobs zu schaffen. Der Aufbau der Jobgarantie wäre zudem möglichst dezentral, d.h. die Jobs werden von den Kommunen und für die Kommunen geschaffen. Ich bekomme für den Vorschlag sehr viel positives Feedback. Die Menschen, mit denen ich darüber spreche, verbinden die Jobgarantie mit einer positiven Vision – und das weit über das linke Spektrum und die Akademikerblase hinaus. Ich wette, dass jedem, der über sinnvolle gemeinnützige Tätigkeiten nachdenkt, gleich eine ganze Reihe von passenden Jobs einfällt.

Die Jobgarantie steht aber auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zum bedingungslosen Grundeinkommen, weil es sich dabei um zwei konkurrierende Konzepte der sozialen Absicherung handelt. Hier hat ein Leser der NachDenkSeiten beispielsweise gefragt, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, wie bei der Jobgarantie den Bezug von Sozialleistungen mit Arbeitszwang zu verknüpfen. Beim bedingungslosen Grundeinkommen gehe es dagegen darum, so weit wie möglich sich selbst zu verwirklichen, ohne den Druck des Arbeitszwangs. Was antworten Sie dem Leser?

Vorab: Ein universelles Jobangebot zusätzlich zum gegenwärtigen System hat nichts mit Zwang zu tun. Ich bin außerdem für eine solidarische Mindestsicherung als Überwindung von Hartz IV. Der zentrale Unterschied zwischen Jobgarantie und bedingungslosem Grundeinkommen ist doch, dass die Jobgarantie uns einen Einschluss in die Produktionswelt ermöglicht, während das bedingungslose Grundeinkommen nur einen Zugang zur Konsumwelt schafft. Wenn ich 1.200 Euro Grundeinkommen beziehe, kann ich damit bei Amazon shoppen, aber keiner garantiert mir, dass ich in meiner Umgebung einen erfüllenden Job zu würdigen Konditionen bekomme.

Kritik an der MMT kommt aber auch von Klimaschützern und Postwachstumsökonomen. Der Hauptvorwurf lautet hier, dass die MMT nicht mit der Wachstumslogik bricht, sondern im Gegenteil sogar auf eine Vollauslastung der Ressourcen setzt.

Die Kritik finde ich nicht stichhaltig und die Postwachstumsrhetorik eine politische Sackgasse. Die MMT macht ja erst einmal ein makroökonomisches Argument. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist eine Verschwendung der Ressource Arbeitskraft. Die Personen könnten arbeiten und unseren Lebensstandard erhöhen. Die ökologische Frage ist ja eher, was wir produzieren. Ich bin total für weniger fossile Energie, Massentierhaltung und so weiter. Dafür braucht es aber Politik und Regulierung. Darüber sagt die MMT als makroökonomische Theorie nichts. Das muss man also trennen.

Warum ist Postwachstumsrhetorik eine politische Sackgasse? Für die Mehrheit ist Wirtschaftswachstum positiv konnotiert. Es bedeutet Jobs, Einkommen und Sicherheit. Genau das, was viele in Folge des Neoliberalismus verloren haben. Wenn wir die Wirtschaft ökologisch umrüsten wollen, dann müssen wir die Menschen mitnehmen. Arbeitslosigkeit zugunsten der Umwelt ist genau das Gegenteil davon. Ebenso wie individuelle Konsumkritik als erhobener Zeigefinger.

Ihre Vorschläge mögen ja im Einzelnen gut begründet sein. In der Summe würden Sie aber mit der MMT ja die gesamte Wirtschaftspolitik komplett vom Kopf auf die Füße stellen. Wäre ein solcher Komplettumbau des Geld- und Finanzsystems nicht viel zu riskant? Und welche Maßnahme würden Sie als erste ergreifen, wenn Sie nach der Bundestagswahl im September wirtschaftspolitischer Berater der neuen Bundesregierung werden würden?

Klar, meine Reformvorschläge sind nicht als Gesamtpaket gedacht, das wir morgen umsetzen können. Ich will viel eher zeigen, was möglich wäre, und neue Ideen einbringen. An Tag 1 würde ich für eine Anhebung von Hartz-IV, Grundsicherung und Kurzarbeitergeld sowie eine Reform der Einkommensteuer zur Entlastung unterer Einkommen plädieren. Das ist gut für die Konjunktur und hilft sofort da, wo der Schuh derzeit am meisten drückt. Perspektivisch brauchen wir schnellstmöglich einen Green New Deal, der Vollbeschäftigung und Investitionsoffensive kombiniert. Das kann die Wirtschaft nachhaltig aus dem Corona-Tief führen.

Titelbild: Bakhtiar Zein/shutterstock.com


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