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Titel: Schade, dass wir nicht von Clowns regiert werden!

Datum: 8. April 2021 um 9:14 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Während in Deutschland bereits über eine weitere Verschärfung des Lockdowns debattiert wird, öffnen in Großbritannien nächste Woche landesweit wieder die Kneipen und Restaurants und für den Juni haben die Briten bereits das komplette Ende aller Corona-Maßnahmen angekündigt. 1:0 für das Land, das – will man unseren Leitartiklern Glauben schenken – von einem Clown regiert wird. Was waren unsere Meinungsmacher nicht stolz auf unsere Kanzlerin: Eine Wissenschaftlerin, ja sogar eine Physikerin, sei sie! Gut, dass wir nicht von Clowns und Populisten regiert werden! Gerade in der Pandemie! Nur leider scheint das Virus diese Elogen nicht mitbekommen zu haben. Eine Glosse von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Am Montag, den 12., werde ich selbst in eine Kneipe gehen und vorsichtig, aber unwiderruflich, ein Bier an meine Lippen führen“. Dieser Satz stammt – man ahnt es bereits – von Boris Johnson. Und man kann dem jovialen Dickerchen mit dem wirren blonden Haarschopf durchaus abnehmen, dass er dies – natürlich vor laufenden Kameras – auch tun wird. Hierzulande wäre so etwas auch ohne Corona kaum denkbar. Oder können Sie sich vorstellen, dass die sauertöpfische Pfarrerstochter jemals eine Kneipe von innen gesehen hat?

Aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Schließlich sind die Deutschen, allen voran ihre Meinungsmacher, ja gerade so stolz auf ihre „Mutti“, weil sie das Land mit preußischem Pietismus führt. Hier die kühle Physikerin, dort der Clown. Ein Populist sei er sogar – die schlimmste Beschimpfung im Wortschatz der deutschen Leitartikler. Quer durch die Talkshows der Republik feierte das mediale Establishment daher auch unsere Kanzlerin im letzten Jahr für ihre vermeintlich so wunderbare Performance in Zeiten der Pandemie. Die MS Deutschland habe die Untiefen und Stromschnellen besser gemeistert als der Vergnügungsdampfer MS Britannia. Dass die Lotsin dafür „unnötigen Ballast“ wie Kinder, Künstler, Gastronomen, Hoteliers und Grundrechte über Bord geworfen hat, wurde bestenfalls als Petitesse betrachtet. Nur gut, dass wir nicht von Clowns und Populisten regiert werden!

Heute stellt sich die Lage ein wenig anders dar. Im Land der Physikerin starrt man auf Inzidenzen und hat die Impfkampagne so richtig schön vergeigt. Die deutsche Professionalität, wegen der uns angeblich die ganze Welt beneidet? Ein Mythos, der vor allem von unseren Leitartiklern viel zu oft hochgehalten wird. Stand heute haben gerade mal 12,7% der Einwohner im Land der Physikerin ein Impfangebot erhalten. Im Land des Clowns sind es Stand heute 60,2%. Mussten auf dem Höhepunkt der Pandemie in Großbritannien noch mehr als 4.000 Menschen pro Tag mit einem Corona-Zusammenhang ins Krankenhaus eingewiesen werden, sind es heute weniger als 300. Die Intensivstationen sind bereits wieder auf Vor-Corona-Niveau angelangt und die Todeszahlen streben so langsam gegen null. In Deutschland drehen derweil die Intensivmediziner an der Alarmismusschraube – bald seien die Stationen voll. Nun ja.

An oder mit Covid-19-Verstorbene pro 100.000 Einwohner im Sieben-Tages-Schnitt, UK und Deutschland

Und selbst die bei den deutschen Politikern und Journalisten so beliebten Inzidenzwerte sind im Land des Clowns trotz britischer Mutante auf rasanter Talfahrt. Nun kann man (anders als ich) die Impfkampagnen als solche ja durchaus kritisch sehen – wenn man, wie die deutsche Politik, jedoch voll auf eine erfolgreiche Impfkampagne setzt, muss man sich auch genau daran messen lassen. Und wenn man das tut, muss man dann auch eingestehen, dass der Clown die Sache offenbar um Längen besser hinbekommen hat als die Physikerin.

Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner im Sieben-Tages-Schnitt, UK und Deutschland

Im Land, das sich selbst als Maß aller Dinge versteht und vor Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit kaum mehr laufen kann, dürfte diese Erkenntnis jedoch auf taube Ohren stoßen. Es kann halt nicht sein, was nicht sein darf. Doch die Zahlen sprechen da eine klare Sprache und eigentlich sind Physiker ja – anders als Leitartikler – dafür bekannt, nackte Zahlen verstehen zu können.

Boris Johnson ist übrigens nicht der einzige Clown, über den sich das politische und mediale Establishment im letzten Jahr vom hohen Ross herab lustig gemacht hat. Auch Donald Trump wurde hierzulande ja wahlweise als dummer August oder gar vorsätzlicher Mörder am eigenen Volk dargestellt, da seine Corona-Politik im Land der Physiker und Bürokraten auf massive Ablehnung stieß. Auch der amerikanische Clown setzte jedoch früh auf eine gut organisierte Impfkampagne und überließ dabei die Logistik sogar ganz nach dem Motto „Schwerter zu Spritzen“ dem wohl professionellsten Logistikunternehmen der Welt – dem US-Militär. Stand heute ist jeder dritte US-Amerikaner geimpft. Die Pandemie hat in den USA ihren Schrecken verloren und zahlreiche Bundesstaaten haben die Maßnahmen bereits heruntergefahren, Baseballspiele finden wieder in vollen Stadien statt. Die Lorbeeren dafür erntet nun freilich Trumps Nachfolger Biden. Der ist zwar kein Physiker, aber dafür zumindest gelernter Anwalt, was in Deutschland ja paradoxerweise als Qualifikation für höhere Ämter durchgeht. Ohne die Vorarbeit des Clowns wäre dieser Erfolg jedoch undenkbar.

So sitzen wir heute im Land der Physikerin und in den Talkshows werden wir gefragt, ob wir den totalen Lockdown wollen; wenn nötig totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können. Wir machen uns auf den nächsten Lockdown bereit, während im Land der Clowns die Menschen schon wieder ihr Bier in der Kneipe genießen und seltsame Sportarten wie Cricket oder Baseball im Stadion verfolgen können. Aber hey, wir sind die Besten der Besten der Besten! Und wir werden ja zum Glück nicht von Clowns, sondern von einer Wissenschaftlerin, einer Physikerin sogar, regiert! Was für ein Glück wir doch haben.

Ceterum censeo: Liebe Leser, dies ist eine Glosse, die zum NachDenken und Reflektieren einladen soll. Natürlich sind weder Boris Johnson noch Donald Trump Politiker, wie man sie sich wünschen könnte und wahrscheinlich ist der Erfolg der beiden Länder bei der Impfkampagne vor allem auf professionelle Behörden und weniger auf die Staatschefs selbst zurückzuführen. Es sollte an dieser Stelle auch nicht darum gehen, das komplexe Thema Corona in allen Nuancen zu analysieren. Manchmal ist es jedoch sinnvoll und – hoffentlich auch für die Leser – amüsant, denen, die vom hohen Ross herab mit dem Finger auf andere zeigen und sie als Clown bezeichnen, den Spiegel vorzuhalten.

Titelbild: Netzfundstück


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