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Titel: Fritz Glunks „Schattenmächte“ – ein Buch passend zur aktuellen Diskussion um den „Great Reset“
Datum: 28. März 2021 um 11:45 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Innen- und Gesellschaftspolitik, Lobbyismus und politische Korruption, Rezensionen
Verantwortlich: Redaktion
Unter Corona-Maßnahmenkritikern wird seit einiger Zeit die These diskutiert, inwieweit mit der aktuellen Corona-Politik auch der „Great Reset“ umgesetzt werden soll, eine Art großer gesellschaftlicher Neustart, hinter dem der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, steckt. Wesentliche Bestandteile dieses „Great Reset“ sind die Verlagerung von politischer Macht hin zu überstaatlichen Institutionen (Global Governance), eine starke Einflussnahme von privaten Großkonzernen auf die Gesetzgebung (Korporatismus) sowie die Digitalisierung aller Lebensbereiche (Künstliche Intelligenz, Tracking, Digitale Identitäten, usw). Von Thomas Trares.
Tatsächlich gab es diese Entwicklungen auch schon vor Corona. Den Aspekt des Global Governance etwa hat der Literaturwissenschaftler und Gründungsherausgeber des politischen Magazins „Die Gazette“, Fritz Glunk, in seinem 2017 erschienenen Buch „Schattenmächte – Wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen“ aufgegriffen. Was diese Schattenmächte ausmacht, beschreibt Glunk wie folgt:
„Es gibt eine unbekannte, nirgendwo registrierte Anzahl formloser Gruppen (in internationalen Handelsverträgen nur ´bodies´ genannt), in denen, jeweils für eine Branche, Wirtschaftsvertreter und staatliche Behörden zusammensitzen und globale Regeln und Normen (transnationale Regime) festlegen; die Gruppen sind ungreifbar und formlos, sehr oft nicht einmal eine rechtsfähige Organisation; ebenso informell sind auch ihre Beschlüsse oder Beinahe-Beschlüsse oder Vereinbarungen, die dann als ´soft law´ oder noch weicher als Empfehlung oder Meinungsäußerung auftreten, manchmal auch beides gleichzeitig; keine dieser Gruppen ist gewählt oder abwählbar oder einer demokratischen Kontrolle unterworfen; manche der so global verabredeten Normen werden, so wie sie sind, de facto oder de jure zu geltendem Weltwirtschaftsrecht.“ (S. 134)
Einem britischen Handbuch zufolge soll es mehr als 2.000 solcher „Schattenmächte“ geben. Die bekanntesten sind laut Glunk die G20, also die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, sowie der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht. Beide haben in der Aufarbeitung der Finanzkrise eine wesentliche Rolle gespielt. Laut Glunk handelt es sich bei der G20 jedoch um einen rein privaten Club von Regierungschefs ohne Organisation, Adresse, Weisungsrecht oder Mandat. Auch der Basler Ausschuss hat weder eine Telefonnummer noch eine eigene Adresse, ist aber die „weltweit wichtigste normgebende Instanz für die Bankenregulierung“. Der Ausschuss war verantwortlich für die Regelwerke Basel I bis Basel III, also für die Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften der Banken.
Interessant ist auch, dass viele dieser „Schattenmächte“ aus dem Pharmasektor kommen. Besonders hervorzuheben ist hier die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use (ICH). Gegründet wurde die ICH 1990 in Brüssel, und zwar von den Zulassungsbehörden der Europäischen Union (EU), Japans und den USA sowie den jeweiligen Spitzenverbänden der Pharmaindustrie. Ziel war es, die Zulassungsbedingungen für Medikamente weltweit zu harmonisieren. Damit war die ICH die erste Gruppe überhaupt, in der die Exekutive sich mit der privaten Wirtschaft zusammengesetzt hat, um globale Standards zu setzen. „Zum ersten Mal trat hier eine Wirtschaftsbranche, die Pharmaindustrie, als ´global player´ in Erscheinung“, sagt Glunk.
Nach der ICH wurden weitere ähnliche Organisationen gegründet, für Medizingeräte etwa die Global Harmonisation Task Force (GHTF) und für Kosmetika die International Cooperation on Cosmetics Regulation (ICCR). Ferner existiert seit 2013 das International Pharmaceuticals Regulators Forum (IPRF), quasi als eine Art Konkurrenz zur ICH. Und nicht zuletzt erwähnt Glunk noch die Innovative Medicines Initiative (IMI). Diese soll die Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen. Sie wird je zur Hälfte finanziert von der EU und der Pharmaindustrie, also aus öffentlichen und privaten Mitteln gemeinsam. Letztlich kann die hohe Präsenz solcher Schattenmächte im Pharmasektor nicht wirklich überraschen, denn die Pharmaindustrie zählt neben dem Finanzsektor zu den am stärksten regulierten Branchen überhaupt.
Drei Dinge sind nun charakteristisch für das Wirken dieser Schattenmächte: Erstens wird die parlamentarische Demokratie von diesen schlichtweg umgangen. Glunk spricht hier auch von „Entparlamentarisierung“. Zweitens tritt neben das öffentliche und private Recht ein dritter Rechtsbereich, nämlich das Recht, das die Schattenmächte selbst geschaffen haben. Ein Beispiel dafür sind die Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA. Und drittens handelt es sich bei den Schattenmächten ausdrücklich um keine internationalen, sondern um „transnationale“ Gebilde. Glunk schreibt zu diesem Punkt:
„Was die genannten ´bodies´ jedoch aus sich herausstülpen, ist – unter Beihilfe nationaler Exekutiven oder nicht – gerade kein internationales Abkommen, kein Abkommen zwischen Staaten, sondern für den jeweiligen Sachzusammenhang ein Bündel von Regeln und Vorschriften, die sich ein Wirtschaftssektor selbst verleiht und die weltweit für alle Produzenten dieses Sektors Geltung beanspruchen. Aus diesen Gründen wird ein Rechtsbereich solcher Art ´transnational´ genannt.“ (S. 46)
Eng verwandt mit dem Agieren dieser transnationalen Regime ist der Begriff „Global Governance“, der heute auch im Zusammenhang mit dem „Great Reset“ öfter auftaucht. Laut Glunk ist der Begriff schon vor einigen Jahren auch in der deutschsprachigen Politikdiskussion heimisch geworden. Global Governance bezeichnet demnach „Verfahren und Wirkungen eines neuartigen Regierens, das nicht mehr allein von (gewählten) Regierungen ausgeht“. Und weiter schreibt Glunk: „In der zustimmenden Verwendung von ´Global Governance´ wird als selbstverständlich unterstellt, dass der traditionelle demokratische Staat unfähig ist zur Steuerung (auch ´Lenkung´) einer Gesellschaft oder zur Lösung der Weltprobleme.“ (S.127)
Das Phänomen des selbstgeschaffenen Rechts ist insofern nicht neu. Die Anfänge reichen sogar zurück bis zur römischen Republik. Im späten Mittelalter bezeichnete man dann die zahlreichen Regeln und Gebräuche im europäischen Fernhandel als „Lex mercatoria“ (Recht der Handelskaufleute). Und im Jahr 1929 schrieb der deutsche Rechtsgelehrte Gustav Radbruch: „So erhofft der Kaufmann sich selber sein Recht, wo Gesetzesrecht schweigt oder seine Rechtssätze hinter abweichender Vereinbarung zurücktreten läßt.“
Doch mit der Globalisierung, also seit rund 20 bis 30 Jahren, hat die Macht jener „informellen Gruppen“ weiter zu- und die der nationalen Parlamente abgenommen. Glunk schreibt:
„Die Rolle des Staates ist geschrumpft oder gar auf dem Weg in die Obsoleszenz. Einst bestimmte er die umfassende Rechtsordnung, ist nun aber bei den transnationalen Regimen, besonders deutlich in deren ´hybriden´ Formen, auf das Ausbalancieren, das faktisch gleichberechtigte Aushandeln von Wirtschaftsinteressen reduziert.“ (S.55)
Fritz R. Glunk, Schattenmächte – Wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen, dtv Verlagsgesellschaft, 2017, Softcover, 192 Seiten, 12,90 Euro
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