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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ausgeschlossen aus der schönen neuen Welt
Datum: 19. März 2021 um 11:35 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Medien und Medienanalyse
Verantwortlich: Jens Berger
Wer sich Google, Apple und Co. ausliefert, könnte schon morgen in einem kafkaesken Albtraum aufwachen. Google, Microsoft, Apple und Co. machen uns das Leben leichter – es ist ja auch verführerisch, sich auf die meist kostenlosen Dienste der IT-Monopolisten einzulassen, mit denen sie ihre Nutzer immer tiefer in ihr Ökosystem ziehen. Familienbilder, gekaufte Software, Filme und Musik liegen in der Cloud, selbst in moderner Hardware, wie Computer, Smartphones oder Medienplayer, sind die Ökosysteme dieser Unternehmen fest integriert. Das ist bequem für den Nutzer. Doch was passiert, wenn man aus welchen Gründen auch immer von den Herren der modernen Vernetzung aus dieser schönen neuen Welt ausgeschlossen wird? Das geht nämlich schneller, als einem lieb ist. Man muss nur – auch unwissentlich – gegen die intransparenten „Nutzungsbedingungen“ verstoßen. Und schon ist die digitale Existenz vernichtet und auch die Folgen für die reale Existenz können vernichtend sein. Als Nutzer sind wir dem hilflos komplett ausgeliefert. Das Beste wäre es wohl, dem Lockruf zu widerstehen und so viel digitale Selbstbestimmung wie möglich zu bewahren. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Schöne neue Welt! Die für teures Geld gekaufte Musik und die in bester UHD-Qualität verfügbaren Blockbuster liegen in der Cloud bei iTunes. Problemlos kann man mit jedem Endgerät, von der Apple-TV-Box am heimischen Fernsehgerät, über das iPhone, den iMac bis hin zur Apple Watch, auf seine multimedialen Schätze zurückgreifen. Und wer Apple nicht mag, findet im Google-Universum vergleichbare Angebote unter anderen Namen. Auch der e-Commerce-Gigant Amazon hat ein maßgeschneidertes Angebot. So einfach war Entertainment noch nie! Und um die Sache noch einfacher zu machen, sollte man sich natürlich auf eines dieser Ökosysteme beschränken. Wenn der gesamte Content aus einer Hand kommt, ist die Vernetzung schließlich erst perfekt.
Und wer mit der Zeit geht, hat seine gesammelten alten Familienfotos bereits digitalisiert und auf Apple, Google oder Amazon Fotos hochgeladen. Die neuen digitalen Fotos liegen da ja ohnehin schon. Der früher noch teure Speicherplatz ist entweder kostenlos oder spotbillig und es ist ja auch wunderbar bequem, von allen denkbaren Endgeräten auf die gleiche Online-Bibliothek zurückzugreifen. So kann man der Oma auf dem Smartphone ohne Aufwand die Urlaubsfotos zeigen und wenn Oma auch ein Smartphone hat, die Abzüge auch gleich digital mit ihr teilen. Da schlägt nicht nur das Techie-Herz doch gleich höher.
Gibt es heute noch jemanden, der Software auf antiquierten Datenträgern hat? Ach was, wofür gibt es denn die bequemen App-Stores? Apple, Google und Microsoft machen uns das Leben ja so viel einfacher und haben es so „ganz nebenbei“ geschafft, ein Vertriebsmonopol zu erlangen und halten bei jedem Kauf oder Abo die Hand auf. Nicht umsonst sind diese Konzerne die wertvollsten Konzerne der Welt. Und je stärker sie uns in ihr Ökosystem hineinziehen, desto wertvoller werden sie. Stellen Sie sich vor, Sie könnten ihre Kleidung oder Nahrung nur noch bei drei verschiedenen „Super-Händlern“ kaufen. Für digitale Inhalte sind diese Vertriebsmonopole heute schon Realität.
Doch je mehr wir uns in die Ökosysteme der Monopolisten begeben, desto abhängiger werden wir auch von ihnen. Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie hätten Ihre gesamte Musik- und Filme-Sammlung sowie Ihre Fotos und Ihre über die Jahre gekaufte Software in der Cloud von Apple oder Google und plötzlich hätten Sie keinen Zugriff mehr darauf. Und das geht schneller, als es uns lieb sein kann. Wenn Sie Microsofts Windows 10 benutzen, wurden vielleicht auch Sie vom System dazu „überredet“, den Nutzeraccount auf Ihrem heimischen Rechner mit einem Microsoft-Konto zu verknüpfen. Was Ihnen Microsoft verschwiegen hat: Wenn Ihr Microsoft-Konto aus welchen Gründen auch immer gesperrt wird, kommen sie nur noch mit Tricks auf Ihren eigenen Rechner. Und wenn Sie Ihren Rechner auch beruflich nutzten? Pech gehabt! Apple, Google und Microsoft können Ihnen Ihren Account nämlich ohne Rücksprache sperren. Die undurchsichtigen und mehrere hundert Seiten umfassenden Nutzungsbedingungen der Giganten lassen dies ausdrücklich zu.
Luke Kurtis ist genau dies passiert. Der IT-Manager hatte, ohne es zu wissen, einen gefälschten Gutschein für die Online-Stores von Apple gekauft. Ohne Vorankündigung sperrte Apple ihm daraufhin seinen Account. Die ganze Musik, die ganzen Filme, die ganzen Fotos … weg. Schlimmer noch: Da die Apple-Betriebssysteme Updates der gekauften Software nur über den Apple-Store zulassen, konnte Kurtis nun auch seine privat und beruflich genutzte Software nicht mehr updaten und einige Programme versagten daher kurze Zeit später ihren Dienst. Das digitale Flugticket ließ sich nicht mehr vorzeigen, die beruflich genutzte Konferenzsoftware nicht mehr starten. Die gesamte teure Hardware, vom iPhone über diverse Abspielgeräte bis zum teuren Profirechner, waren nun teurer Schrott.
Wäre Kurtis nicht zufälligerweise auch der IT-Chef des wichtigen Tech-Portals Quartz, hätte Apple seinen Account, trotz mehrfacher Beschwerden beim Support, wohl bis heute nicht wiederhergestellt. Da Kurtis aber eine Mail an Apple-Chef Cook schrieb und der offenbar Angst vor noch schlechterer Presse hatte, ließ er seine Beziehungen spielen und den Account von Kurtis wiederherstellen. Wäre Kurtis ein normaler Nutzer, wäre er auf dem Schaden sitzengeblieben. Er spricht dabei von alleine 15.000 US$ für Medieninhalte und Software und eine nicht näher bezifferte, aber sicherlich um einiges höhere Summe für die teure Apple-Hardware. Kein Pappenstiel.
Auch Google ist bekannt dafür, Accounts ohne plausiblen Grund zu sperren oder gar zu deaktivieren. Einem Mitarbeiter des deutschen IT-Portals Giga wurde beispielsweise vorgeworfen, „pornografische Inhalte“ zu besitzen; dies verstoße gegen die Nutzungsbedingungen. Eine Support-Hotline gibt es für solche Fälle bei Google nicht, der betroffene Nutzer muss sich stattdessen mit den Beschwerdealgorithmen herumschlagen; ein Kampf, der kafkaeske Formen annehmen kann – vor allem dann, wenn Google sich weigert, den Grund für die Kontensperrung zu belegen oder auch nur zu benennen. Auch das ist keine Kleinigkeit, ist das Ökosystem von Google doch in der vernetzten Welt omnipräsent.
Wer sich auf die Google-Welt einlässt, nutzt Gmail für seine Korrespondenz, den Google-Play-Store für Software und Apps, den Google-Chrome-Browser als Schnittstelle zum Web und die diversen Mediendienste von Google für seine Musik, Filme und Fotos. Auch YouTube gehört zu Google und mit dem Verlust des Google-Accounts sind sämtliche erstellten YouTube-Inhalte ebenfalls im digitalen Nirwana verschwunden. Besonders pikant – wer die bequeme Möglichkeit nutzt, sich von Google Chrome die Passwörter für alle möglichen Online-Angebote speichern zu lassen, ist ohne Google-Account von allen Angeboten ausgesperrt, die eine Eingabe des Passworts verlangen. Noch schlimmer ist es für diejenigen, die die Möglichkeit nutzen, sich über ihren Google-Account bei Angeboten zu identifizieren. Diese Nutzer verlieren ohne Google-Account ihre komplette digitale Identität.
Ein drastisches Beispiel für die Folgen dieser Sperrungen ist ein Nutzer, der sich via Twitter als „Chris“ bezeichnet. Der arme Knabe nutzte nämlich auch den Bezahldienst Google Pay, über den er unter anderem seine Rechnungen und Schulden bezahlte. Doch wenn der Google Account deaktiviert ist, funktioniert natürlich auch das nicht mehr. Besonders tragisch: Chris ist nach eigenem Bekunden zurzeit arbeitslos und hat ohne seinen Gmail-Account nun auch keinen Zugriff auf seine laufenden Bewerbungen. Warum Google seinen Account deaktiviert hat, weiß Chris bis heute nicht.
„Das kann mir aber doch nicht passieren“, werden einige sagen. Weit gefehlt! Ein Foto, das den „Nippel“ einer weiblichen Brust aufblitzen lässt? Nach Ansicht der puritanischen IT-Spießer aus den USA ist dies Pornographie und ein eindeutiger Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen. Die allermeisten Nutzer, die von derartigen Sperrungen betroffen sind, wissen überhaupt nicht, was sie „falsch“ gemacht haben sollen, wie die Süddeutsche Zeitung in einem lesenswerten Beitrag zum Thema resümiert. Und oft hat man auch gar nichts „falsch“ gemacht. Die Algorithmen, die automatisiert einen Verstoß feststellen und ahnden, sind nämlich weit davon entfernt, korrekt zu arbeiten. So sperrte der schlaue Google-Algorithmus beispielsweise erst neulich eine ganze Schar von YouTube-Kommentatoren, die auf ein Video frenetisch mit „Emojis“ reagierten. Googles allwissende Rechner hielten sie für Bots und löschten gleich erst einmal die kompletten Accounts. Dumm gelaufen.
Herausfinden werden die meisten Opfer ohnehin nie, warum sie gesperrt oder ihre Konten gar deaktiviert wurden. Wenn einem die Stadtwerke den Strom abdrehen oder die Bank die EC-Karte sperrt, hat man einen Ansprechpartner, der sich um die Sache kümmern und im Falle eines Fehlers diesen schnellstmöglich korrigieren kann. Die IT-Giganten sind zwar die wertvollsten Unternehmen der Welt, eine Support-Hotline, die ihren Namen verdient, haben sie jedoch allesamt nicht; von einer auch physisch präsenten Beschwerdestelle ganz abgesehen. Noch schlimmer ist jedoch, dass diese Unternehmen sich auch rechtlich in solchen Fällen vor ihren Kunden verstecken. Gehen Sie doch einmal zu Ihrem Anwalt und bitten ihn, eine Unterlassungsklage gegen Google einzureichen, weil der Konzern Ihnen Ihren Account gesperrt hat. Viel Spaß! Das kann teuer und sehr langwierig werden. Und Sie haben ja ohnehin keinen rechtlichen Anspruch auf die Nutzung dieser „kostenlosen“ Dienstleistungen. Wenn Google und Co. Sie nicht als Kunden wollen, haben Sie halt Pech gehabt. Digitale Existenz ade!
Diese Willkür ist auch politisch brisant. Mittlerweile wissen wir ja alle aus leidvoller Erfahrung, wie rigoros und intransparent Facebook und YouTube mit angeblichen Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen umgehen. Tobias Riegel hatte erst vor wenigen Tagen auf den NachDenkSeiten auf diese Praxis hingewiesen. Seien Sie also vorsichtig! Widersprechen Sie bloß nicht den Positionen der WHO zu Impfstoffen! Verbreiten Sie keine „Verschwörungstheorien“ oder besser gesagt das, was die „Faktenchecker“ von YouTube dafür halten! Seien Sie am besten stets „auf Linie“ und vermeiden Sie es, kritisch zu denken und dies dann auch noch über einen von Google überwachten Kommunikationskanal kundzutun. Sonst könnte schon morgen Ihre digitale Existenz vernichtet sein. Ihr Smartphone? Nicht mehr nutzbar. Ihre Passwörter und Zugangsdaten zur digitalen Welt? Verschwunden. Ihre Musik, Ihre Filme und Ihre Kindheitserinnerungen, digital gespeichert in den Clouds der Monopolisten? Ausradiert. Ihre Schnittstelle zur digitalen Kommunikation mit Geschäftspartnern oder Kunden? Gesperrt. Und Sie können nichts dagegen tun.
Wirklich nicht? Doch. Je weniger Sie solche Angebote – und seien sie auch noch so bequem – nutzen, desto unabhängiger sind Sie natürlich vor dieser Willkür. Bewahren Sie sich also ihre digitale Selbstbestimmung und zeigen Sie den Monopolisten so gut es irgendwie geht die kalte Schulter. Sonst könnten Sie schon morgen ein moderner Josef K. in einem kafkaesken Albtraum sein.
Titelbild: Fernando Cortes/shutterstock.com
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