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Titel: Spahn, Sterbehilfe, Selbstherrlichkeit

Datum: 25. Februar 2021 um 11:25 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, Gesundheitspolitik
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Sterbewillige werden von der Bundesregierung wie Bittsteller behandelt – das ist skandalös: Es werden noch immer pauschal die Medikamente verweigert, ebenso wie gesetzgeberische Reaktionen auf das Urteil des Verfassungsgerichts. Derweil hat Jens Spahn angeblich einen eigenen – „heimlichen“ – Gesetzentwurf erarbeiten lassen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Thema Sterbehilfe erregt nach wie vor die Gemüter. Aktueller Stein des Anstoßes ist ein angeblich von Gesundheitsminister Jens Spahn „heimlich“ vorbereiteter Gesetzentwurf zum Thema. Dieser sei entgegen seiner Ankündigungen am Parlament vorbei initiiert worden, was eine gravierende Täuschung bedeute, so Kritiker. Dieser Vorgang kommt noch zum selbstherrlichen Verhalten des Ministers in der Vergangenheit hinzu: Vor allem die pauschale Verweigerung der Mittel zum Zweck der Selbsttötung gegenüber Sterbewilligen ist empörend.

Fremdbestimmtes Sterben geht gegen die Menschenwürde

In der Sendung „Scobel“ auf 3sat war selbstbestimmtes Sterben kürzlich Thema. Rechtsprofessor Reinhard Merkel hat dort nochmals betont, dass der Begriff der Autonomie eben kein abstrakter Fetisch ist, sondern er grundlegend mit der Menschenwürde verbunden sei. Er zitiert einen US-Rechtsphilosophen mit eindringlichen Worten:

„Jemandem eine Weise des Sterbens aufzunötigen, die anderen zusagt, die er selbst aber als Widerspruch zu seinem Leben empfindet, ist eine düstere Form der Tyrannei.“

Es ist aber wichtig, zu betonen, dass das auch in die andere Richtung gilt: Niemand darf von seiner Verwandtschaft oder durch gesellschaftliche Zwänge in den Tod getrieben werden! Diese Möglichkeit muss der Gesetzgeber unbedingt ausschließen, was aber auch im Rahmen einer liberalen Regelung zur Sterbehilfe möglich ist.

Zu diesem Schutz vor einem destruktiven Sog durch das Angebot der Sterbehilfe äußerte sich dieser Tage das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und forderte „Schutzräume vor geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe“. In katholischen Alten- oder Pflegeheimen dürfe es keine „organisierte Suizidbeihilfe als Regelangebot“ geben, sagte ZdK-Präsident Thomas Sternberg nach einer Mitteilung des ZdK vom Montag, so dpa. Es gehe darum, der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ einen Riegel vorzuschieben.

Der Kampf-Begriff von der „geschäftsmäßigen“ Sterbehilfe

Zum teilweise als Kampf-Vokabel genutzten Ausdruck „geschäftsmäßig“ sei hier betont: Diese Redewendung bezieht sich nicht auf eventuelle Profite, die auf dem Rücken der Sterbewilligen gemacht würden. „Geschäftsmäßig“ hat im genutzten juristischen Sinne nichts mit Geld zu tun, sondern ist die Definition für Handlungen, die „auf Wiederholung angelegt“ sind. Zum Vorwurf der Geldmacherei sei ergänzt, dass auch Organisationen von Sterbehilfe Betriebskosten haben, die aufgewendet werden müssen. Außerdem wäre der „Profit“ der Helfer von Sterbewilligen verschwindend gering im Vergleich zu den Summen, die in der Apparatemedizin zur „Lebensverlängerung“ umgesetzt werden.

Ein seit 2015 bestehendes Verbot der „geschäftsmäßigen“ Sterbehilfe hatte das Verfassungsgericht Anfang vergangenen Jahres gekippt, da es laut Gericht das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzte. Viele Kritiker des aktuell ungeklärten und für Sterbewillige unwürdigen Zustands fordern darum gesetzlich geregelte Sicherheiten für die Sterbehilfe noch in dieser Legislaturperiode: sowohl für die Inanspruchnahme von Suizidhilfe als auch für das Recht zur Hilfeleistung – mit entsprechenden Regularien wie ärztliche Dokumentationspflichten und psychosozialen Beratungsangeboten. Dazu gehört etwa die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr, die an einer interfraktionellen Initiative zum Thema gearbeitet hat, der auch Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (LINKE) angehören.

Hintergeht Spahn das Parlament?

Nun gibt es aber die aktuellen Vermutungen, das Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn hätte seinerseits einen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe vorbereitet – sozusagen „heimlich“. Das könnte eine indirekte Täuschung des Parlaments bedeuten: So hätte der Minister in der Vergangenheit immer beteuert, eine Neuregelung der Suizidhilfe müsse aus der Mitte des Bundestages hervorgehen, wie etwa der „Humanistische Pressedienst“ (HPD) berichtet. Demnach kritisierte Helling-Plahr, Spahn habe „still und leise höchst selektiv vornehmlich konservative Verbände zu Stellungnahmen aufgefordert. Dem Parlament aber hat er die Einsichtnahme in diese Dokumente verwehrt“.

Das Bundesministerium für Gesundheit erklärte dagegen laut „Ärztezeitung“, man habe lediglich auf Basis von Stellungnahmen von Verbänden und Organisationen einen „hausinternen Arbeitsentwurf“ ausgearbeitet – damit sei aber keineswegs eine abschließende Positionierung der Regierung verbunden. Kritiker sind von dieser Erklärung nicht überzeugt.

Der Gesundheitsminister und die Selbstherrlichkeit

Besonders skandalös und selbstherrlich: Laut Ärztezeitung werden immer noch Anträge von sterbewilligen Bürgern, die Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung erwerben möchten, vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) pauschal abgelehnt. Dies treffe aktuell auf 136 von 209 Anträgen zu, die endgültig abgewiesen wurden. In 45 Fällen wurden bereits Widersprüche zurückgewiesen, weitere Verfahren sind vor Gericht anhängig. Katrin Helling-Plahr beklagt, das Vorgehen des Gesundheitsministers sei „an Unverfrorenheit nicht zu überbieten“. Sie ergänzt:

“Das darf man ihm nicht durchgehen lassen. (…) Das neuerliche Vorgehen Spahns reiht sich ein in eine ganze Kaskade von Ungeheuerlichkeiten des Ministers zu Fragen der Suizidhilfe. Erst missachtet er ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und lässt betroffene schwer und unheilbar Kranke eine Show-Prüfung absolvieren, nur um dann alle Anträge auf Erlaubnis zum Erwerb eines tödlichen Medikaments ablehnen zu lassen, obwohl er weiß, dass ihnen ein höchstes Gericht dieses Recht bestätigt hat. Und nun verweigert er sich durch seine Hinterzimmerpolitik einer mit offenem Visier geführten Debatte zur Frage der Suizidhilfe.”

Den interfraktionellen Entwurf eines Gesetzes zur Sterbehilfe von SPD, LINKE und FDP findet man unter dieser Adresse. Eine kleine Anfrage der FDP zu den angeblichen aktuellen Gesetzesplänen von Jens Spahn findet sich unter dieser Adresse.

Sterbewillige: Bittsteller in den Mühlen von Behörden und Justiz

Die aktuelle Klage eines sterbewilligen Ehepaars auf Erhalt der Medikamente wurde gerade abgewiesen – weil der Gesetzgeber sich bisher weigert, eine gesetzliche Grundlage auf Basis des Urteils des Verfassungsgerichts zu schaffen, wie etwa die ARD beschreibt: Die Richter selbst könnten nicht zu Gunsten des Ehepaars entscheiden, weil die Bundesregierung bisher keine gesetzliche Grundlage für die legale geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid geschaffen habe. Entschiede man doch, griffe man dem Primat der Politik vor – das verbiete sich aber. Obwohl das Seniorenehepaar nun in allen Instanzen gescheitert sei, hätten ihm die Verfassungsrichter aber Mut gemacht: Ihre Chancen, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden, hätten sich durch das Urteil vom Februar 2020 wesentlich verbessert.

Das ist einerseits gut – andererseits erspart es nicht die Fortsetzung einer unwürdigen Bittstellerei, so die ARD:

„Die beiden Eheleute, die vor drei Jahren Goldene Hochzeit feierten, müssen sich nun noch einmal in die Mühlen von Behörden und Justiz begeben.“

Titelbild: Motortion Films / Shutterstock


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