Heute unter anderem zu folgenden Themen: Zahl der Privatinsolvenzen steigt; Tricks bei Hartz-IV-Bemessung bestätigt; Deutschland fehlen Zuwanderer; Arge zerstört selbstverwaltete Betriebe; Riester für die Pflege; Volksversicherung von Bild; Ärzte klagen über zu geringes Einkommen; Stoccarda 21; Klassismus; Nobelpreis für Wirtschaft; Friedensnobelpreis wieder ein Fehlgriff; Bachelor-Absolventen; gerecht geht anders; Unruhe im Steuerparadies; Wilfried Schmickler und Volker Pispers. (KR/WL)
- Zahl der Privatinsolvenzen steigt deutlich an
Etwa drei Millionen Haushalte in Deutschland sind insolvent. Während die Zahl der Firmenpleiten aktuell eine rückläufige Tendenz aufweist, steigt die der Privatinsolvenzen deutlich an, wie das Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) Anfang Oktober mitteilte.
Nach Untersuchungen des IFF stieg die Zahl der Privatinsolvenzen im ersten Halbjahr 2010 um 11,6% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dabei stieg auch die Zahl der Personen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit ins finanzielle Desaster rutschten – und die trotz der aktuell sinkenden Arbeitslosenzahlen. Besonders Alleinlebende und Alleinerziehende seien davon betroffen, so das IFF in seinem aktuellen Verschuldungsreport 2010. Der Report macht deutlich, dass damit die Auswirkungen der Finanzkrise, wie Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, mit Verzögerung in den Kassen der Haushalte angekommen sind.
Quelle: Telepolis
- Bundesregierung bestätigt Tricks bei Hartz-IV-Bemessung
Nur ein Viertel der Referenzgruppe in Lohn und Brot.
Jetzt ist auch die Bundesregierung mit der Wahrheit herausgerückt: Die von ihr neu festgelegten Hartz-IV-Regelsätze wurden gezielt kleingerechnet. Über die Art ihres Vorgehens gibt die Antwort des parlamentarischen Staatssekretärs Ralf Brauksiepe (CDU) auf eine schriftliche Anfrage der sozialpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Katja Kipping, Aufschluss. Demnach setzt sich die Referenzgruppe, auf deren Grundlage die finanziellen Ansprüche von Erwachsenen und Kindern kalkuliert worden sind, ganz überwiegend aus Menschen ohne Arbeit zusammen. Nicht einmal ein Viertel der Berücksichtigten sind als Beschäftigte bzw. Selbständige erwerbstätig, den großen Rest bilden Erwerbslose und Rentner.
Quelle: junge Welt
- Deutschland fehlen Fachkräfte – und Zuwanderer
Horst Seehofer entfesselt eine neue Einwanderungsdebatte. Doch der Ansturm ausländischer Arbeitskräfte ist nur noch eine Erinnerung …
Deutschland braucht Zuwanderer, sagen die einen. Deutschland muss erst einmal das Potenzial in der eigenen Bevölkerung ausschöpfen, die anderen. Wenn über Zuwanderung, Arbeitsmarkt und Fachkräftemangel diskutiert wird, prallen diese beiden Meinungen aufeinander …
„Alle Langzeitarbeitslosen müssen qualifiziert werden, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund“, sagte Müller (Integrationsbeauftragter der Union) WELT ONLINE. Bevor das nicht passiert sei, könne es keine weitere Zuwanderung geben.
Realistisch ist dieser Ansatz nicht, schon seine Argumentationsgrundlagen sind diffus. Die Bundesagentur für Arbeit hat etwa keine Daten, wie viele Langzeitarbeitslose bereits zu Fachkräften ausgebildet wurden; geschweige denn, wie diese sich in den neuen Berufen etablieren. „Nur ein kleinerer Teil der Hartz-IV-Empfänger lässt sich überhaupt zu Fachkräften weiterbilden“, sagt Matthias Knuth von der Uni Duisburg-Essen. Dazu kommt, dass staatliche Mittel für die in der Regel zweijährige Berufsausbildung immer spärlicher fließen. Nachdem in den 90er-Jahren Hunderttausende gerade in Ostdeutschland umgeschult wurden, um danach wieder arbeitslos zu werden, entscheiden die Behörden meist gegen langwierige und teure Weiterqualifikationen. Seit der Hartz-Gesetzgebung sind die Weiterbildungsmaßnahmen mit Berufsabschluss stark zurückgegangen. Waren es 2002 noch fast 100.000 hat sich diese Zahl bis 2009 mehr als halbiert.
Quelle: WELT
Anmerkung J.A.: Eine klare Aussage, was die Politik von Langzeitarbeitslosen hält. Mit dem “Fördern” war das wohl nicht so gemeint. Mal abgesehen von der offensichtlichen Zwecklüge “Fachkräftemangel”, abgesehen von dem Wahnsinn, bei offiziell 4,2 Millionen Arbeitslosen (deutlich über 5 Millionen real, darunter Hunderttausende Fachkräfte) Zuwanderung zu forcieren, nur um die Löhne noch stärker senken zu können, und abgesehen von der Frage, ob “die Wirtschaft” das Recht hat, dass ihr die Politik jeden Wunsch von den Lippen abliest, findet leider keine inhaltliche Diskussion statt.
- Die ARGE zerstört in Köln selbstverwaltete Betriebe und Selbsthilfestrukturen
Die Kölner ARGE will in verschiedenen Projekten des Kölner “Möbelverbund” (Verbund gemeinnütziger Kölner Möbellager e.V.) 120 MAE-Stellen einrichten (Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung – besser bekannt als “1EURJobs”). Die Arbeitslosen sollen u.a. bei Umzügen und Entrümpelungen eingesetzt werden. Den Projekten entstehen für diese ArbeiterInnen keine Lohnkosten, und sie bekommen für die Arbeit der Arbeitslosen sogar noch zusätzliche Gelder von der ARGE (“Arbeitsgemeinschaft”, der Zusammenschluss von Arbeitsamt und Sozialamt zwecks Verwaltung der EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld 2). Von den Kunden brauchen diese Entrümpler dann nicht mehr viel zu verlangen – ist ja alles schon aus öffentlichen Geldern bezahlt. Die ARGE betreibt damit Lohndumping; die Löhne in diesem Bereich werden noch weiter gedrückt werden. Für Selbsthilfegruppen wie SSK und SSM könnte das ökonomisch das Ende bedeuten. Die ARGE schafft keine Arbeitsplätze, im Gegenteil: sie zerstört vorhandene …
Mit dem Zweiten Arbeitsmarkt werden ArbeiterInnen zweiter Klasse geschaffen, mit weniger Lohn, ohne Rechte. Ob ABM, HzA oder MAE – alle diese Arbeitsmaßnahmen sind mit Zwang verbunden, denn hinter diesen “Angeboten” steht immer die Drohung, die Arbeitslosenunterstützung zu streichen. Mit diesen Maßnahmen setzt der Staat die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen auf breiter Front durch. Was zuerst nur für den staatlich finanzierten Arbeitsmarkt gilt, wird irgendwann zum Normalzustand und dann mit Gesetzesänderungen abgesegnet (man denke an die vielen Gesetzesänderungen zu Leiharbeit, Kündigungsfristen, Lohnfortzahlung, usw.). Die angeblich “zusätzlichen” Arbeiten des Zweiten Arbeitsmarktes führen tatsächlich zum Abbau bestehender Arbeitsplätze oder zur Verschlechterung der dortigen Bedingungen.
Quelle: Neue Rheinische Zeitung
- Riester für die Pflege
Angesichts der demografischen Entwicklung ist es zudem notwendig, die generationengerechte Finanzierung der Pflegeversicherung sicherzustellen. Die Koalitionspartner haben deswegen vereinbart, das bestehende Umlageverfahren durch eine Kapitaldeckung zu ergänzen. Die Entwicklungsschritte hierzu werden in einer interministeriellen Arbeitsgruppe ausgearbeitet. Dabei wird auch zu prüfen sein, inwieweit dies Chancen für eine langfristige Finanzierung der Leistungsdynamisierung sowie für eine Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs eröffnet.
Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der Fraktion DIE LINKE [PDF – 435 KB]
Anmerkung WL: Dazu schrieb unlängst der gewiss nicht gerade linkslastige, ehemalige Chefredakteur der Bild am Sonntag in seinem Blog:
„Bei der Reform der Pflegeversicherung, die heute paritätisch mit 1,95 Prozent von Arbeitnehmer und Arbeitgebern bezahlt wird, soll – so kündigte CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder an – die Bildung eines Kapitalstocks zur Absicherung künftiger Pflegerisiken gesetzlich eingeführt werden.
Dass die Beiträge steigen müssen, das liegt bei einer immer älter werdenden Gesellschaft auf der Hand. Wenn die Erhöhungen aber durch private Kapitalbildung nicht mehr gleichermaßen Arbeitnehmer und Arbeitgeber treffen, kommt es zu einer Art Kopfpauschale auch bei der Pflegeversicherung.
Die Versicherungswirtschaft, die Finanzberater und Drückerkolonnen können sich freuen – ein neues Geschäftsfeld tut sich auf. Künftig können Finanzberater unsinnige Kapitallebensversicherungen und risikoreiche Fondssparpläne auch als Pflegevorsorge verkaufen.“
- Volksversicherung von Bild – Ein schlechtes Geschäft
Die Rente, bei der “Deutschland jubelt”, ist mit einer Beitragsgarantie von 110 Prozent ausgestattet. Das bedeutet: Vorsorgesparer können sicher sein, dass zu Rentenbeginn nicht nur ihre Beiträge, sondern sogar zehn Prozent mehr als die Summe aller gezahlten Beiträge zur Verfügung stehen – und zwar unabhängig davon, wie sich die Fonds bzw. die Börse während der Laufzeit entwickeln …
Die Beitragsgarantie klingt vielversprechend, bringt den Kunden jedoch wenig. Stehen zu Rentenbeginn wirklich nur die garantierten 110 Prozent der Beitragssumme auf dem Konto, hätten Vorsorgesparer gerade mal eine Sparrendite von 0,4 bis 0,86 Prozent erzielt – je nach Alter bei Vertragsabschluss. Damit liegt die Verzinsung der Beiträge unter dem Niveau vieler Sparanlagen. Lassen sich Vorsorgesparer dieses Garantiekapital jedoch als lebenslange Garantierente auszahlen, ist nicht einmal der Kapitalerhalt garantiert. Das gilt jedenfalls für alle Kunden, die nur eine durchschnittliche Lebenserwartung haben.
Bei der Volksversicherung gibt es wenig Grund zum Jubeln. “Vollgas“ gibt allenfalls der Vermittler, der laut Kostenangaben immerhin vier Prozent der Beitragssumme – in unserem Musterfall 528 Euro – für die Beratung kassiert.
Quelle: Ökotest
Anmerkung WL: Vom schlechten Geschäft einmal abgesehen, was soll man von einer Zeitung wie Bild halten, die unverblümt eine Werbekampagne für eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge betreibt? Kann man in diesem Blatt noch eine unabhängige Berichterstattung über die gesetzliche, umlagefinanzierte Rente erwarten?
Wie die Bild-Zeitung gegen die gesetzliche Rente Stimmung macht, haben wir vielfach belegt. Hier nur ein Beispiel: „Schrumpfrente“. Eine gezielte Verunsicherungskampagne von BILD gegenüber den Bürgern und gegen die gesetzliche Rentenversicherung.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass Bild mit einer privaten Rentenversicherung eingeht. Damals warb die Bild-Zeitung unverblümt zusammen mit der Allianz AG für eine sog. „VolksRente“. In einer Broschüre der Allianz für ihre Vertreter vom August 2005 wurde ausdrücklich vermerkt, dass Bild auch im redaktionellen Teil für das Allianz-Produkt wirbt. So ist es dann auch mannigfach geschehen.
Zuständiger Redakteur u.a. für Rentenfragen ist übrigens bei Bild Oliver Santen, der ehemalige Pressesprecher der Allianz.
- Ärzte-Klagen über zu geringes Einkommen: Volle Jammerkraft voraus
Immer weniger Geld für immer mehr Arbeit – fragt man Ärzte, geht es dem Berufsstand zunehmend schlechter. So schlimm ist es gar nicht, widerspricht ein Mediziner seinen leidenden Kollegen.(..)
Das System der gesetzlichen Krankenversicherung, auf das zu schimpfen zum guten Ton von Ärzten, Standesvertretern, Patienten und populistischen Politikern gehört, sichert die Kontinuität der ärztlichen Einnahmen in einem Maße, von dem andere Selbständige nur träumen können. Korrigiere mich, wer kann. (…)
Dass ÄrztInnen ihre Interessenkonvergenzen mit den Gewerkschaften geradezu zwanghaft ausblenden und sich stattdessen mehrheitlich der FDP an die Brust werfen, ist Ausdruck ärztlicher Unfähigkeit, politisch-ökonomische Zusammenhänge zu begreifen. Die Naivität, mit der jetzt ärztlichen Standesvertretern angesichts der Aktionen von Gesundheitsminister Rösler die Kinnlade herunterfällt, illustriert diese Begriffsstutzigkeit.
Quelle: TAZ
- Stoccarda 21
- Ende der Mogelei
Kommt alles auf den Tisch, wird publik, dass die nächsten Bäume im Schlossgarten laut Projektplan ohnehin erst im Herbst 2011 fallen sollten. Und dass der Abriss des Südflügels “rund 24 Monate nach Baubeginn, also frühestens im Frühjahr 2012, vorgesehen ist”, wie Werner Wölfle erklärt, der Grünen-Fraktionschef im Rat der Stadt Stuttgart.
Kommt alles auf den Tisch, wird Stuttgart auch erfahren, dass Mappus einen neuen Grund hat, den Südflügel vorläufig zu erhalten: In dem fast hundert Jahre alten Gemäuer sind derzeit die Polizisten untergebracht, die die Bauarbeiten am Bahnhof schützen sollen. “Die Zeit des Mogelns ist jetzt vorbei”, sagt Wölfle …
Als die Projektbeteiligten im April 2009 alle Verträge unterzeichneten, wurde der Bahnhofsumbau auf rund 3 Milliarden Euro taxiert. Doch schon im Verlauf des Jahres ermittelte die Bahn tatsächliche Baukosten von 4,9 Milliarden Euro. Es wäre das sichere Aus für Stuttgart 21 gewesen, nachdem die Landesregierung 4,5 Milliarden Euro als Obergrenze des Mammutprojekts definiert hatte. Also ließ Bahn-Chef Rüdiger Grube seine treuesten Leute noch einmal nachrechnen. Sie wurden fündig – und kalkulierten die Kosten auf 4,0878 Milliarden herunter …
Die Sparvorschläge existieren nur auf dem Papier.
Zum einen wurden sie “ohne vertiefte Planung abgeschätzt”, wie die Bahn in der Auflistung einräumt. Zum anderen sind “zur Realisierung dieser Punkte zum Teil die Zustimmung des Eisenbahnbundesamtes, der Architekten, der Projektplaner, der Bauherren und Gutachter notwendig”.
Soll heißen: Für keine der Änderungen ist bislang eine Genehmigung erteilt worden.
Quelle: Spiegel Online
- Möglicher Interessenkonflikt: Mappus, S-21 und die „Spätzle-Connection“
In der Debatte um das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 droht der Landesregierung neues Ungemach. Nach Informationen von Handelsblatt Online ist die Landesumweltministerin für die Stiftung eines Shoppingcenter-Betreibers tätig, der in ein gigantisches Einkaufszentrum auf dem S-21-Gelände investieren will. Die Grünen wittern einen Skandal.
Quelle: Handelsblatt
- Organisiertes Verbrechen in der Region Stuttgart
Die Mafia, dies offenbart nicht nur der Mord an Luigi Ferrara, ist kein aus der Zeit gefallener Folkloreclub, sondern eine ultramoderne Verbrecherorganisation, die längst auch in Baden-Württemberg operiert. Vor allem im Ballungsraum am Neckar, wo 60.000 Italiener leben, hat sie Fuß gefasst und versucht über wirtschaftlichen Einfluss ihre politische Macht zu stärken.
Die Region erweise sich als besonders gutes Pflaster, weil die Mafia hier gefährlich unterschätzt werde, meint die in Venedig lebende Journalistin Petra Reski, die sich seit langem mit dem Verbrechersyndikat beschäftigt. “Stuttgart ist seit Jahrzehnten eine Hochburg der Mafia in Deutschland, speziell zweier Clans der kalabrischen ’Ndrangheta, die auch die umliegenden Orte wie Waiblingen, Ludwigsburg, Esslingen, Fellbach als ihr ureigenstes Terrain betrachten”, sagt sie. “Die Mafia kam im Gefolge der Gastarbeiter und ist bis in höchste Gesellschaftsspitzen vorgedrungen. Heute macht sie in Stuttgart ihre Geschäfte in der Bauindustrie, im Immobilienhandel, in der Gastronomie.”
Der Fall bekam dadurch besondere Brisanz, dass der süditalienische Kneipier häufiger einen Gast hatte, den er gern als “meinen Minister” bezeichnet hat. Gemeint ist der damalige CDU-Fraktionschef im Landtag und heutige EU-Kommissar Günther Oettinger, der gerne und oft seinen Feierabend im Weilimdorfer Restaurant ausklingen ließ. Da Fahnder das Telefon des Lokals über Monate abhörten, wurde auf diese Weise so manches auf Tonbändern konserviert, was der italophile Christdemokrat zu vorgerückter Stunde über politische Freunde und Feinde zu erzählen wusste. Die Sache mündete in einen für Oettinger pikanten Untersuchungsausschuss baden-württembergischen im Landtag.
Quelle 1: Stuttgarter Zeitung
Quelle 2: taz
Anmerkung unserer Leserin B.S.: Hat (bei Stuttgart 21) jemand Mappus und anderen “ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen kann”? (Puzo, Der Pate).
- Vom Rassismus und Sexismus zum Klassismus
Der Soziologe Andreas Kemper über Klassismus und die Alltäglichkeit von Diskriminierung und Exklusion.
Anfang der 1970er Jahre machte in New York eine Lesbengruppe darauf aufmerksam, dass es nicht nur Rassismus und Sexismus gäbe, sondern dass sie als Arbeitertöchter ebenfalls spezifische Benachteiligungen erführen. Sie nannten diese Benachteiligung und Abwertung “Klassismus” – genau wie beim ebenfalls in dieser Zeit entstandenen Begriff “Sexismus” handelt es sich um eine Parallelbildung zum Begriff Rassismus.
Klassismus ist Unterdrückung. Und Ausgrenzung ist dabei nur ein Punkt der Unterdrückung. Iris Marion Young beschreibt fünf Dimensionen von Klassismus: Ausbeutung, Marginalisierung, Machtlosigkeit, Kulturimperialismus und Gewalt …
Sicher ist es aber nicht vermessen festzustellen, dass eben insbesondere die Stigmatisierung von Armen im Kapitalismus als sozusagen systemimmanentes Problem eine Art blinder Fleck der gesellschaftlichen Wahrnehmung und öffentlichen Diskussion ist.
Unter anderem wird “von oben” verhindert, dass Klassendiskriminierung als solche anerkannt wird. In den Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien fehlen beispielsweise, und in diesem Punkt fallen sie hinter einst progressivere Gesetze zurück, ganz bewusst Kategorien wie “Soziale Herkunft”, “Vermögen” oder “Arbeitslosigkeit”. “Soziale Herkunft” stand ursprünglich im Katalog der zu verbietenden Diskriminierungsformen und wurde als einziger Punkt entfernt. Solcherlei Diskriminierung wird also nicht bzw. nicht mehr definiert und in Folge auch nicht mehr wahrgenommen.
Quelle: Telepolis
- Brisanter und hoch politischer Nobelpreis für Wirtschaft
Zum ersten Mal seit zehn Jahren ging die begehrteste Auszeichnung für Ökonomen wieder an ausgewiesene Arbeitsmarktexperten. Mit ihren Arbeiten haben die drei Wissenschaftler die Grundlagen für die Analyse von Suchprozessen auf dem Arbeitsmarkt gelegt. Das von ihnen entwickelte Modell erklärt, warum es zu hoher Arbeitslosigkeit kommen kann, obwohl die Unternehmen dringend Arbeitskräfte suchen.
Eine solche Situation ist in der tradierten neoklassischen Modellwelt mit ihren flexiblen Löhnen und vollständigen Informationen aller Marktteilnehmer schier unmöglich. Denn dort finden Angebot und Nachfrage nach Arbeit immer und sofort zueinander.
Dass es in der Realitiät anders läuft, erklären Diamond, Mortensen und Pissarides mit Suchkosten- und zeiten auf dem Arbeitsmarkt. Diese werden von den institutionellen Rahmenbedingungen bestimmt, zum Beispiel der Höhe des Arbeitslosengeldes, der Effizienz der Arbeitsvermittlung sowie den Einstellungs- und Kündigungskosten.
Je üppiger die finanzielle Absicherung der Arbeitlosen ist, desto mehr Zeit lassen sie sich bei der Suche nach einem neuen Job und desto wählerischer werden sie. Das hat zur Folge, dass offene Stellen nicht sofort besetzt werden und es entsteht friktionelle Arbeitslosigkeit.
Quelle: Wirtschaftswoche
Anmerkung WL: Ich muss zugeben ich kenne keinen der Nobelpreisträger und ich habe noch keine Arbeit von ihnen gelesen. Was die Wirtschaftswoche und andere Medien jedoch über das jetzt für preiswürdig empfundene „Standardmodell“ für „Suchmärkte“ berichtet, ist – sollte es sich darauf beschränken – mit Verlaub ein alter Hut. Auch der gewiss neoliberale Wolfgang Franz argumentiert in seinem Standardwerk zur Arbeitsökonomie doch ganz ähnlich. Er bietet sogar mehrere Varianten des sog. „miss-matches“ (Hindernisse dafür, dass Nachfrage und Angebot nicht zusammenkommen) an, auch er sieht in der Höhe des Arbeitslosengeldes eines der Haupthindernisse, dass Arbeitslose Jobs annehmen, und plädiert deshalb ständig für eine Senkung selbst von Hartz IV. Dass eine effizientere Arbeitsvermittlung Arbeitslosigkeit verringern könnte, das war doch eine der Grundannahmen der gesamten Hartz-Reformen und des Umbaus der Bundesanstalt für Arbeit in eine „Agentur“. „Sie haben von theoretischer Seite den Weg bereitet für die Hartz-Reformen“ meinte denn auch DIW- und IZA-Chef Klaus Zimmermann.
Gegenwärtig verzeichnen wir weniger als eine Million offene Stellen gegenüber fünf Millionen registrierten und versteckten Arbeitslosen. Selbst wenn alle offenen Stellen besetzt wären, hätten wir also immer noch Massenarbeitslosigkeit.
Das Arbeitsmarktmodell soll angeblich auch auf den Immobilienmarkt, ja sogar in der Geldpolitik und der Finanzwirtschaft anwendbar sein. Ich will nicht vorschnell urteilen, aber alles was ich heute zur Begründung für die Verleihung des Nobelpreises gelesen habe, deutet darauf hin, dass auch im „Standardmodell“ der Geehrten das Paradigma vom Arbeitsmarkt als „Kartoffelmarkt“ zugrunde liegt. Sie haben vielleicht nur erkannt, dass die Logik wenn Preis (= Lohn) runter, dann Angebot (=Arbeit) auf dem Markt (=Arbeitsmarkt) geräumt und damit Arbeitslosigkeit beseitigt, nicht zutrifft. Das trifft noch nicht einmal für den „Gütermarkt“ mit seiner Vielzahl von Märkten ganz unterschiedlicher Produkte zu, geschweige denn auf den Arbeitsmarkt, wo eben ganz unterschiedliche Fähigkeiten nachgefragt werden. Vor allem jedoch ist die isolierte Betrachtung des Arbeitsmarkts unsinnig, weil die Arbeitsnachfrage von der Entwicklung des Güter- und Dienstleistungsmarkts bestimmt wird.
Die Tatsache, dass die Preisträger auch die Höhe des Arbeitslosengeldes als Beschäftigungshindernis betrachten, weist weiter darauf hin, dass sie Anhänger der neoklassisch inspirierten Grenzproduktivitäts-Lehre sind, wonach fingiert wird, dass man ausrechnen könne, wie viel mehr der millionenschwere Manager gegenüber einem Portier „im Wettbewerb“ (Grenzprodukt) „erwirtschaftet“. (Vgl. Flassbeck/Spiecker)
Was also so bahnbrechend an den Arbeiten der Preisträger sein soll, verschließt sich mir bis jetzt.
Paul Krugman – früherer Wirtschaftsnobelpreisträger – lobt speziell Peter Diamond für seine Unterscheidung zwischen „struktureller“ Arbeitslosigkeit (worauf in aller Regel deutsche Ökonomen abstellen) und Arbeitslosigkeit aufgrund fehlender Nachfrage.
- Friedensnobelpreis: Wieder ein Fehlgriff
Friedensratschlag kritisiert Nobelpreiskomitee: Der richtige Mann – aber der falsche Preis. Der Friedensnobelpreis verliert sein Alleinstellungsmerkmal.
Quelle: AG Friedensforschung
Siehe dazu auch:
Bundesrepublik China
Einhellig bejubelt Berlin die Vergabe des diesjährigen Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo. (…) Tatsächlich laufen Lius Forderungen auf nicht weniger denn den Umsturz der Volksrepublik China hinaus. Die von ihm mitverfasste “Charter 08” ist im Unterschied zu den Petitionen anderer chinesischer “Dissidenten” keine Menschenrechtsresolution, sondern vielmehr ein umfassendes politisches Programm, das eine grundsätzliche Umgestaltung Chinas verlangt, darunter den Aufbau eines föderativen Bundesstaates nach dem Modell der Bundesrepublik Deutschland, der vollständig mit jahrtausendealten chinesischen Staatstraditionen bricht. Zudem sollen sämtliche seit der Gründung der Volksrepublik vollzogenen Nationalisierungsmaßnahmen rückgängig gemacht werden; dies beinhaltet die Übergabe des seit Jahrzehnten von Kleinbauern genutzten Landes an einstige Großgrundbesitzer und die Erfüllung von Forderungen nach China expandierender westlicher Konzerne. (…) Grundsätzlich und ausdrücklich fordert die “Charter 08” eine komplette Verfassungsrevision, die Auflösung der Volksrepublik selbst und die Gründung einer “Bundesrepublik China”. Die wesentlichen Revisionen betreffen dabei weniger die “Meinungsfreiheit” oder “Demokratie”, sondern die politisch-ökonomische Ordnung.
Quelle: German Foreign Policy
Anmerkung WL: Damit kein Missverständnis aufkommt: Auch wir halten es für ein Zeichen der Schwäche des chinesischen Regimes und wir schließen uns dem Protest dagegen an, Liu wegen seiner Forderungen in „Charter 08“ für 11 Jahre ins Gefängnis zu stecken. Es ist auch schlimm, wie die chinesische Regierung auf diese Verleihung reagiert, nämlich ausschließlich mit Repression und politischem Druck (auf Norwegen). Das Regime ist offenbar nicht in der Lage, sich argumentativ mit den Forderungen Lius auseinander zu setzen.
- Geht es den Bachelor-Absolventen “besser als gedacht”?
Arme Bildungspolitik: Nicht einmal auf die Studien, die man selbst bezahlt hat, ist noch Verlass.
“Mit dieser Studie wird den notorischen Kritikern an der Bologna-Reform der Wind aus den Segeln genommen”, behauptete Bundesbildungsministerin Annette Schavan in der vergangenen Woche, als sie eine Untersuchung kommentieren durfte, die endlich einmal ihren Vorstellungen entsprach. Was das Internationale Zentrum für Hochschulforschung (INCHER -Kassel) auf einer in Berlin anberaumten Konferenz über die Situation von Bachelor-Absolventen mitzuteilen hatte, interpretierte die Ministerin als klare Widerlegung der “zahlreichen Alarm-Meldungen”, die den so ambitionierten Bildungsreformen der vergangenen Jahre ein obligatorisch schlechtes Zeugnis ausgestellt hatten.
Quelle: Telepolis
- Gerecht geht anders!
Unter dem Motto “GERECHT GEHT ANDERS!” ruft ver.di bundesweit vom 24. Oktober bis 13. November zu Aktionen insbesondere in den Betrieben, Verwaltungen und auch in der Öffentlichkeit gegen die soziale Schieflage der Politik von CDU/CSU und FDP auf.
Die Bundesregierung hat ein Sparpaket verabschiedet, das wieder einmal diejenigen tragen sollen, die sich sowieso schon jeden Euro vom Mund absparen. Über eine Abschaffung der Gewerbesteuer wird in Politikerkreisen ernsthaft nachgedacht, sogar unter Finanzpolitikern, die eigentlich keinen Cent zu verschenken haben. Aber gerecht geht es in Deutschland schon lange nicht mehr zu. Deshalb geht es bei den Aktionswochen, die auch vom DGB sowie den anderen DGB-Mitgliedsgewerkschaften getragen werden, um
- die Ausgestaltung des Gesundheitswesens und seiner Finanzierung,
- die Steuerpolitik der Bundesregierung,
- den Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge und ihre Finanzierung
- sowie die Sicherung einer auskömmlichen Rente und die Gestaltung des gesetzlichen Rentenalters.
Außerdem fordert ver.di bei den Aktionswochen:
- bessere Entlohnungsbedingungen in der Leiharbeit,
- bessere Chancen für unsere Jugend in Punkto Übernahme nach der Ausbildung
- und das Recht auf eine gute Ausbildung.
Das viele Reden hat bisher nirgends zur Umkehr der Politik geführt. Deshalb wollen wir in diesem Herbst Zeichen setzen. Und Sie?
Quelle: ver.di
- Schweiz: Unruhe im Steuerparadies
Im Schweizer Luxusort Gstaad wollen Linke Parteien und die Gewerkschaften die exklusiven Steuerprivilegien für Ausländer ersatzlos streichen. In der Luxuszone rumort es.
Quelle: FR
- Zu guter Letzt: Wilfried Schmickler und Volker Pispers
- Wilffried Schmickler über das Schweigen der Mehrheit
Quelle: YouTube
- Mitternachtsspitzen – 9.Okt.10 – Volker Pispers arme Ärzte – Sarrazin Logik
Quelle: YouTube