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Titel: 20 irische Parlamentarier für Assange, und lässt der Grüne Habeck seinen Worten Taten folgen?

Datum: 23. Februar 2021 um 13:06 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Erosion der Demokratie
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Am gestrigen Montag veröffentlichten 20 irische Parlamentarier einen Offenen Brief an die britische Regierung, in dem sie forderten, per Videokonferenz direkt mit dem im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehaltenen Untersuchungshäftling Julian Assange zu sprechen, um sich ein Bild von seiner Lage zu machen. Außerdem wurde ich gestern einer Äußerung gewahr, die Grünen-Co-Vorsitzender Robert Habeck schon Ende Januar gegenüber „Jung und Naiv“ machte. Auf mehrfache Nachfrage von Tilo Jung sagte der sich sichtlich windende Habeck, dass er die Freilassung von Julian Assange fordere. Ein Blick auf die Lage von Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Brief der irischen Parlamentarier hat den folgenden Wortlaut:

Botschafter Herrn Paul Johnston,
Botschaft des Vereinigten Königreichs,
Ballsbridge,
29 Merrion Rd,
Dublin 4
22/02/2021

Sehr geehrter Herr Botschafter,
als eine Gruppe von irischen Parlamentariern schreiben wir Ihnen, um um ein Video-Treffen mit dem inhaftierten Journalisten und Verleger Julian Assange zu ersuchen. Wir stellen dieses Gesuch, weil wir zwar die Entscheidung des Gerichtshofs begrüßen, Julian nicht auszuliefern, wir andererseits aber zutiefst besorgt sind, dass seine fortgesetzte Inhaftierung sein Leben gefährdet und gegen seine Menschenrechte verstößt. Wir möchten direkt über einen Videolink mit ihm sprechen, um uns ein Bild von seiner Situation zu machen.

Bei der Anhörung im vergangenen September im Old Bailey wurden eine Woche lang die medizinischen Beweise in Bezug auf Julian Assange erörtert. Während das Gericht es ablehnte, diese Aussagen im Gegensatz zu anderen Zeugenaussagen zu veröffentlichen, wurden uns die erschütternden Details mitgeteilt. (Anmerkung MM: Mein Eindruck im September war, dass es einen Konsens zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung gab, diese persönlichen Befunde nicht öffentlich zu machen.)

Am 4. Dezember akzeptierte Richterin Baraitser die meisten der von den Ärzten und Psychiatern vorgelegten Schlussfolgerungen. Julian hat sowohl eine persönliche als auch eine familiäre Vorgeschichte, die ihn suizidgefährdet macht. Er leidet an einer tiefen, langanhaltenden Depression. Er hat auch Autismus-Spektrum-Störungen. Die harte Umgebung des Hochsicherheitsgefängnisses Belmarsh ist nicht vereinbar für jemanden mit seinen gefährlichen Gesundheitsproblemen.

In der Tat ist es die unabhängige Meinung von Prof. Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter über Folter, dass Julians Inhaftierung einer „psychologischen Folter“ gleichkommt.

Als irische Parlamentarier können wir nicht umhin, die unheimliche Tatsache zu bemerken, dass die Entscheidung, Julian Assange inhaftiert zu halten, in demselben Gerichtssaal getroffen wurde, in dem 1975 die Guildford 4 zu Unrecht zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt wurden.

In Anbetracht all dessen glauben wir, dass es unsere internationale Pflicht als Parlamentarier auf der Nachbarinsel Irland ist, ein Videomeeting mit ihm anzustreben.

Mit freundlichen Grüßen,

  • Chris Andrews TD
  • Richard Boyd-Barrett TD
  • Martin Brown TD
  • Pat Buckley TD
  • Sorca Clarke TD
  • Joan Collins TD
  • Catherine Connolly TD
  • Pa Daly TD
  • Mairéad Farrell TD
  • Johnny Guirke TD
  • Gino Kenny TD
  • Thomas Pringle TD
  • Brid Smith TD
  • Pauline Tully TD
  • Violet-Anne Wynne TD
  • Senator Frances Black
  • Senator Paul Gavan
  • Senator Vincent P. Martin
  • Senator David Norris
  • Senator Fintan Warfield

Man darf gespannt sein, ob oder was der britische Botschafter bzw. die britische Regierung hierauf erwidert. Keiner der Abgeordneten gehört einer der drei Regierungsparteien an, sondern es handelt sich um Mitglieder von Sinn Féin, welche wegen ihrer IRA-nahen Geschichte beim britischen Establishment nicht unbedingt beliebt ist, einige unabhängige Abgeordnete, welche es im irischen Parlament vergleichsweise reichlich gibt, drei Abgeordnete von Solidarity-People Before Profit, und einen irischen Grünen.

Die unabhängige Abgeordnete Catherine Connolly ist allerdings auch die stellvertretende Parlamentspräsidentin und sie scheut sich auch bei anderen Vorgängen nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Die Senatorin Frances Black ist auch eine erfolgreiche und bekannte Sängerin und Senator Frank Norris setzt sich seit Jahrzehnten für die Belange von Minderheiten ein und er war auch schon Präsidentschaftskandidat.

Insgesamt haben viele Iren ein Wissen über die Geschichte britischer Justiz. Deswegen auch der Hinweis auf die Guildford Four. Auch die Behandlung von Oscar Wilde, Roger Casement, den Birmingham Six sind in Irland weiterhin in Erinnerung.

Ob sich Robert Habeck noch gern dessen erinnert, was er Ende Januar mit einem schwer einzuordnenden Gesichtsausdruck zu Tilo Jung sagte, ist auch eine interessante Frage. Der Wortlaut des kurzen Geplänkels über Julian Assange lautete wie folgt:

Tilo Jung: „Wird sich eine grüne Regierungsbeteiligung genauso wie bei Nawalny für andere Dissidenten wie zum Beispiel für Assange einsetzen?“
Robert Habeck: „Ja.“
TJ: „Forderst Du die Freilassung von Julian Assange? Also, du forderst ja die Freilassung von Nawalny, fordert ihr ja auch, fordert ihr auch die Freilassung von Julian Assange?“
RH: „Ein faires Verfahren fordern wir.“
TJ: „Warum nicht die Freilassung?“
RH: „Julian Assange muss und die Satz gehört dass er aus der Haft entlassen wird, muss ein Verfahren bekommen, das nicht politisch motiviert ist.“ (Anm. MM: Leider gelingt es mir nicht, dies verständlicher zu transkribieren. Man fühlt sich beim Zuschauen an Joe Biden erinnert.)
TJ: „Aber das ist ja ein politisches Verfahren, es geht um Geheimdienstverrat, also das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit.“
RH zögert und dreht Däumchen, man möchte jetzt nicht in seiner Haut stecken.
TJ, leise insistierend: „Du forderst nicht die Freilassung?“
RH überlegt sichtlich und sagt dann leicht schmunzelnd: „Doch, ich fordere die Freilassung von Julian Assange.“

Leider hakt Tilo Jung nicht nach und fragt nicht, wie Robert Habeck die eben geäußerte Forderung umzusetzen gedenkt. Wie er an anderer Stelle im Interview sagt, sitzen die Grünen in 11 Landesregierungen und stellen einen Ministerpräsidenten. Davon sollte ja schon einige politische Hebelkraft ausgehen und auch sonst ist Habeck ja sehr medienpräsent. Vielleicht wird es ihm so gehen wie dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der erst von den Medien hochgejubelt wurde, um dann im Siegestaumel doch von der merkeltreuen Presse fallengelassen zu werden und die Wahl zu verlieren. Oder Robert Habeck ist der neue Merkel.

Die irischen Parlamentarier, welche an den britischen Botschafter geschrieben haben, machen sich wahrscheinlich nicht so große Gedanken, ob sie mal Regierungschef werden, sondern machen sich in diesem Fall wirklich humanitäre Gedanken. Aber vielleicht kann man, wenn man den USA die Stirn bietet, doch mehr Wählerstimmen gewinnen, als manch einer denken würde. Die Sinn-Féin-Abgeordneten scheinen keine Rücksicht auf die Bande ihrer Partei in die USA genommen zu haben.

Bei der Suche nach „robert habeck assange“ findet sich am frühen Morgen des 23. Februar, also 4 Wochen nach dem Interview, nichts Neues, außer einigen Kommentaren über diesen Interview-Ausschnitt, welche weniger zurückhaltend sind als ich im Moment. Entweder betreibt Habeck zurzeit Geheimdiplomatie, um Julian Assange freizubekommen, oder er hofft, dass seine Aussage unbemerkt bleibt und verpufft. Dazu kann sich jeder den 72-Sekunden-Clip noch einmal ansehen und eigene dazu Gedanken machen.

Vielleicht sollten potenzielle Grünen-Wähler oder Parteimitglieder Herrn Habeck kontaktieren und auf Präzisierung und Ausfüllung der Aussage „Doch, ich fordere die Freilassung von Julian Assange“ drängen und dann kann man nach einer etwaigen Reaktion eine Wahlentscheidung treffen.

Wer etwas Anderes machen will, wird vielleicht hier freeassange.eu/#aktionsuebersicht fündig.

Titelbild: Screenshot Jung & Naiv/YouTube


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