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Titel: Was ist zu regeln, damit der den Märkten gesetzte Rahmen wieder stimmt? Zu Heiner Flassbeck’s neuem Buch

Datum: 4. Oktober 2010 um 10:15 Uhr
Rubrik: Neoliberalismus und Monetarismus, Rezensionen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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In den Reihen der Nationalökonomen tummeln sich heute fast nur noch schräge Vögel. Dieses Urteil ist hart, aber die Realität ist genau so hart. Wir haben es mit einer großen Zahl von gleichgerichteten Ökonomen voller Lücken und Vorurteilen zu tun. Nahezu alle aus der gleichen Schule. Das treibt den Nationalökonomen Heiner Flassbeck genauso um wie uns. Darüber schreibt er in seinem neuen Buch „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“. Vor allem beschreibt er, was zu tun wäre, um die Rahmendaten wieder so zu setzen, dass die so genannte Marktwirtschaft einigermaßen zum Wohle aller und nicht nur einiger weniger funktioniert. Albrecht Müller.

Heiner Flassbecks neues Werk ist wie auch das Kritische Jahrbuch „Nachdenken über Deutschland“ von Wolfgang Lieb und mir gerade im Westend Verlag erschienen. Siehe hier. Dass ich mich über das Erscheinen dieses Buches freue, hat nicht nur mit diesem gemeinsamen Erscheinen zu tun, sondern damit, dass ich mich bei der täglichen Arbeit für die NachDenkSeiten bei Unsicherheiten in ökonomischen Fragen auf keines anderen Ökonomen Urteil so sehr verlasse wie auf jenes von Heiner Flassbeck. Er ist auch gedanklich unbestechlich, lässt sich nicht auf Moden oder schnelle Schlüsse ein. Das ist genau das, was wir NachDenkSeiten-Herausgeber auch unseren Lesern bieten wollen.

Pleisweiler Gespräch mit Heiner Flassbeck am Samstag, den 20. November um 14:00 Uhr
Bevor ich auf bemerkenswerte Inhalte des Buches eingehe, seien interessierte NachDenkSeiten-Leser im Südwesten der Republik darauf hingewiesen, dass Heiner Flassbeck zum Gespräch nach Pleisweiler in die Südpfalz kommt. Genauere Informationen dazu folgen.

Zu einigen Inhalten und bemerkenswerten Gedanken des Buches, zum Teil wörtlich aus dem Buch zitiert:

  1. Das marktwirtschaftliche System funktioniert nicht, wenn ihm kein durchdachter Rahmen gesetzt wird und den Marktkräften jeder Raum zur Entfaltung gelassen wird. Den Rahmen einigermaßen richtig zu setzen bedarf es einer enormen konzeptionellen Anstrengung.
  2. Ohne eine internationale Geldordnung, wie sie Keynes erdacht hatte, ist alles Übrige Makulatur. Seit dem Ende der Ordnung des internationalen Währungssystems nach dem Konzept von „Bretton Woods“ Anfang der siebziger Jahre leben wir ohne eine solche produktive Ordnung. Die Ergebnisse sind entsprechend. In der Finanzkrise hat sich dies auf schreckliche Weise gezeigt.
  3. „Wir müssen ein System schaffen, das nicht dazu da ist, einigen wenigen Reichtum zu ermöglichen, sondern das genau umgekehrt gestrickt sein muss: wer allen Bürgern eine systematische Chance auf die Verbesserung ihrer Lebensumstände gibt, kann es hinnehmen, dass im Zuge dessen ein paar wenige etwas reicher werden als die anderen.“
  4. Statt dessen wird heute schon die Tatsache, dass der Bürger überlebt, ohne zu hungern und vollständig aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden, als Beweis dafür übernommen, dass die Marktwirtschaft sozial ist. Es geht den Herrschenden und Meinungsführern nicht mehr um die Teilhabe der Menschen am Fortschritt, sondern es geht nur noch darum, dass die Leistungsträger angemessen entlohnt werden und der Rest nicht vollständig unter den Tisch fällt. Das kann aber nicht das Ziel des Wirtschaftens sein.
  5. Man darf nicht nur nationale Lösungen suchen. Ein integraler Bestandteil einer neuen sozialen Marktwirtschaft muss die Fähigkeit der Nationen sein, miteinander harmonisch umzugehen. Das war ausdrücklich Teil des alten Wirtschaftswunders, das richtigerweise mit dem Namen von Keynes (und nicht nur Erhard) verbunden wird.
  6. Das wirtschaftliche System versagt, weil es nicht mehr aus einem Zusammenspiel von unabhängiger Politik, Unternehmertum und Arbeitnehmerinteressen gebildet wird, sondern weil die Politik von vornherein darauf ausgerichtet ist, die Arbeitnehmer zu schwächen und die Unternehmer zu stärken.
  7. Die Duldungsstarre, mit der die Gewerkschaften ihren Niedergang verfolgt und hingenommen haben, die Unfähigkeit des linken Teils der Gesellschaft und Politik, eine alternative Politik zu definieren und die Sprachlosigkeit weiter Teile des aufgeklärten Bürgertums erklären sich nicht allein mit dem Geld und dem Einfluss der Unternehmer. Vieles wird erst dann klar, wenn man das „Weltbild“ zur Kenntnis nimmt, das die übergroße Mehrheit der Ökonomen in den letzten 30 Jahren von der Wirtschaft geschaffen haben. Die herrschende Wissenschaft von der Ökonomie ist konzeptionell armselig und ideologisch reich.
  8. Was wir in den letzten Jahrzehnten, sowohl von schwarz-gelber wie von rot-grüner Seite gesehen haben, war auch für die Unternehmen keine gute Politik. Es war für die Mehrheit der Unternehmen sogar eine Katastrophe. Deutschland war lange Zeit das absolute Wachstumsschlusslicht in Europa und hat nur dank eines einseitigen Exportbooms in den Jahren nach 2003 eine gewisse Erleichterung erfahren. Im deutschen Binnenmarkt sind haufenweise Unternehmen pleite gegangen. Der berühmte deutsche Mittelstand ist in erheblichen Teilen ruiniert, und nur die großen Exportunternehmen waren die Gewinner der vollkommen fehlgeleiteten und merkantilistischen deutschen Politik..
  9. Flassbecks „angemessene Antworten“ auf die diagnostizierten Fehler und Schwächen:
    Spekulation auf allen Märkten konsequent unterbinden. (Endlich sagt das mal einer deutlich! Die Bewunderung und das Laufenlassen der Spekulation ist eine der zentralen Ursachen für den Wahnsinn, den wir mit der Finanzkrise und der Hilfe des Staates für die Spekulanten erleben.)

    • Teilhabe aller Menschen am gemeinsam erarbeiteten Fortschritt ermöglichen
    • Wettkampf der Nationen beenden
    • die natürliche Welt retten

Bei der Lektüre dieses Buches wird einem klar – und damit komme ich noch einmal auf die Ziffer 1. und 2. zurück – , welche große Bedeutung die intensive konzeptionelle Arbeit für die Gestaltung einer gut funktionierenden Volkswirtschaft hat und worunter es unter dem beginnenden Einfluss neoliberal geprägter Kräfte in der Wissenschaft, bei der Bundesbank und in Teilen der Politik seit Beginn der siebziger Jahre bis heute wirklich mangelt. Statt einer möglichst ideologiefreien und intensiven konzeptionellen Arbeit an den währungspolitischen, geldpolitischen und fiskalischen Rahmensetzungen erleben wir, wie wichtige dieser Entscheidungen von Klischees und Moden bestimmt werden. Zum Beispiel: es kommt allein auf Preisstabilität an, also brauchen wir uns um die Beschäftigung nicht zu kümmern und bauen einen Stabilitätspakt ohne Rücksicht auf Beschäftigung und Masseneinkommen; wenn es schief läuft, verschärfen wir die Regeln dieses Paktes, statt konzeptionell neu und grundlegend nachzudenken; Sparen ist Mode, also wird eine Schuldenbremse entwickelt und diese wird dann auch noch zum Exportschlager gemacht. Das ist rundum Wahnsinn. Mit der Lektüre von Flassbecks Buch durchdringt man diesen Wahnsinn.
Freunde der NachDenkSeiten und von „Meinungsmache“ erkennen unschwer unsere Nähe.

Hier noch einmal die bibliografischen Angaben:

Heiner Flassbeck
Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts

Erschienen: September 2010
304 Seiten
Gebunden
€ 22,95 [D], € 23,60 [A], sFr 38,90
ISBN: 9783938060544


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