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Titel: „Im Rausch des Ausnahmezustands springen zu viele Politiker über ihren demokratischen Schatten“
Datum: 28. Januar 2021 um 11:15 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Interviews, Länderberichte
Verantwortlich: Redaktion
„Ein kleiner Vorgeschmack auf dystopische Zeiten“ – das erkennt der Verleger Hannes Hofbauer in einer Beobachtung, die er vor kurzem auf dem Wiener Rathausplatz gemacht hat. Dort, so der Österreicher im NachDenkSeiten-Interview, gibt es einen Eislaufplatz, den die Menschen nur mit einem Distanzwarner betreten dürfen – wegen Corona. Ein Interview über den aktuellen Lockdown, die Lage in Österreich und die Zeit, die vor uns liegt. Von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Herr Hofbauer, unser letztes Interview ist vom Oktober des vergangenen Jahres. Sie haben damals schon den Lockdown kritisiert. Nun ist es fast Februar 2021 und an der Politik hat sich nichts Grundlegendes geändert. Im Gegenteil: Die Maßnahmen werden härter. Wie erklären Sie sich das?
Mehr vom Schlechten, könnte man sagen, und dies über einen immer längeren Zeitraum. Der Lockdown zeitigt unübersehbare negative Folgen, und das auf vielfache Art und Weise. In gesellschaftlicher Hinsicht macht er die Menschen ungleicher; eine fünfköpfige Migrantenfamilie in einer 45-Quadratmeter-Wohnung hält die Ausgangssperren viel schwerer aus als ein Paar, das eine große Villa bewohnt, wie etwa Minister Spahn und sein Mann.
Es wird immer wieder davon geredet, dass das Virus sich nicht um Klassenzugehörigkeit kümmert. Aber in der Pandemie sind dennoch nicht alle gleich. Wer einen angenehmen Wohnraum zur Verfügung hat und sich um seine finanzielle Situation keine Sorgen machen muss, dürfte mit dem Lockdown einfacher klarkommen als Menschen, bei denen die Maßnahmen an die psychische und wirtschaftliche Substanz geht.
Die fortgesetzte und immer weiter verschärfte soziale Isolierung ist menschenunwürdig und sie trifft Arme eindeutig härter als Reiche. Vor den daraus entstehenden psychologischen Folgen warnt jeder verantwortungsvolle Mediziner oder Psychotherapeut. Sie werden aber nicht gehört.
Nochmal zur Ausgangsfrage: Wie erklären Sie sich, dass die Lockdown- Maßnahmen aufrechterhalten bleiben und sogar verschärft werden?
Nun, um die Gesundheit geht es der Regierung nicht. Ginge es ihr darum, dann hätte sie seit dem vergangenen Frühling alles dafür getan, die vulnerablen Gruppen zu schützen. Stattdessen sterben mehr und mehr alte, vereinsamte Menschen in Heimen, der Lockdown schützt sie nicht. Diese weit über 50% der Corona-Toten gehen auf das Konto einer verfehlten Politik. Aber für manch einen mag sie gar nicht verfehlt sein. Wenn Mitte Mai 2021 im autoritären Stadtstaat Singapur, in dem Prügel- und Todesstrafen an der Tagesordnung sind, sich die Spitzen aus Politik und Wirtschaft beim Weltwirtschaftsforum (WEF) treffen werden, dann haben deren Sprecher bereits ein konkretes Programm: Great Reset nennt es WEF-Organisator Klaus Schwab und will damit eine – wie er es nennt – Periode des Transhumanismus einleiten. Die Verschränkung von Mensch und Maschine, von Hirn und Computerchip, soll in ein neues Zeitalter führen. Für diese Leute – und wir werden beobachten, wer sich alles um den Great Reset schart – ist die Corona-Krise eine Chance. Sie plädieren ganz selbstverständlich und aus Eigennutz für scharfe Maßnahmen, um im Anschluss ihren „großen Neustart“ durchführen zu können. Der Mehrheitseigentümer des Mainzer BioNTech-Konzerns, Ugur Sahin, gehört schon heute zu den Profiteuren. In den vergangenen zwei Monaten konnte er einen Vermögenszuwachs von 5,1 Mrd. US-Dollar verbuchen. Dass diese wirtschaftlichen Profiteure der Krise willige Politiker finden, die mit ihrer Verbotspolitik Blut geleckt haben, beweisen die Wortmeldungen zwischen Wien, München und Berlin in jeder Nachrichtensendung.
Die Tage ging die Meldung rum, wonach Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr besser nicht mehr telefonieren und reden sollten – aus Infektionsschutzgründen.
In Frankreich gibt es laut Medienberichten eine Firma, die am liebsten ihre Mitarbeiter mit Halsbändern mit Distanzwarnern ausstatten möchte. Während wir das Interview führen, findet sich auch folgende Schlagzeile in den Medien: „EU streitet über den Corona-Pass: Gibt es Urlaub bald nur noch für Geimpfte?“ Was zeigen Ihnen solche Nachrichten?
Im Rausch des Ausnahmezustands springen zu viele Politiker über ihren demokratischen Schatten direkt hinein in autoritäre Muster. Wir haben geglaubt, solche Muster wären in den europäischen Zentrumsländern überwunden. Sie sind es mitnichten. Dazu kommt die wahnhafte Vorstellung, alle Probleme – und das Auftauchen des Corona-Virus ist ein großes, herausforderndes Problem, das man nicht negieren darf – technisch lösen zu können: Testen, testen, testen; impfen, impfen, impfen, oder noch abstruser: Distanz-Halsbänder, Bewegungsmelder etc. Auf dem Wiener Rathausplatz ist ein Eislaufplatz eingerichtet, auf dem nur Schlittschuh laufen darf, wer sich mit einem Chip ausstattet. Dieser Chip tutet immer dann, wenn jemand anderer näher als zwei Meter an einem selbst vorbeifährt: Distanzmarker nennt sich das Ding. Es soll wohl ein kleiner Vorgeschmack auf dystopische Zeiten sein. Das Vorbild gibt offensichtlich China ab, wo der QR-Code auf dem Handy eine wichtigere Auskunft über den Menschen gibt als der Mensch selbst.
Sie sind Österreicher, leben auch dort. Würden Sie uns bitte einen Einblick geben, wie es derzeit in Ihrem Land aussieht, was die Maßnahmen angeht?
Es ist ähnlich wie in Deutschland – niemand kennt sich mehr aus. Die ständige Verschärfung von allen möglichen Maßnahmen, die zwei Tage zuvor ausgeschlossen wurden, verursacht Chaos. Und es herrscht Angst: Die einen haben Angst vor dem Virus, die anderen vor dem Alleinsein, wieder andere vor der Quarantäne oder vor der Strafe, die man erhält, wenn man nicht einhält, was die Woche davor noch möglich war. Besonders lächerlich hat sich die Regierung vor Weihnachten gemacht, als sie großmundig verkündete, allen Österreichern mit einem sogenannten PCR-Test lange Wattestäbchen in die Nase zu stecken. Natürlich freiwillig, wie sie hinzufügte. In Wien haben ihr die Menschen die Quittung für das medizinisch vollkommen unsinnige Testen präsentiert: nur 13,5 Prozent haben bei den „Massentests“ mitgemacht.
Erst vor kurzem hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder dafür gesorgt, dass in ganz Bayern im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften FFP-2-Masken zu tragen sind.
Wie ist es bei Ihnen in Österreich?
In Österreich gilt wie in Bayern ab 25. Januar 2021 eine Tragepflicht für derlei Masken. Noch ist unklar, was die Aussage des Arbeitsinspektorats bewirkt, das diese Masken für Schwangere als gefährlich einstuft. Aber um Sinnhaftigkeit geht es bei solchen Maßnahmen schon lange nicht mehr.
Sie haben vor kurzem in einem Artikel unter der Überschrift „Österreich probt den Polizeistaat“ scharfe Kritik an den Maßnahmen geübt. Warum solch drastische Worte?
Wenn Österreichs Innenminister Karl Nehammer Menschen, die sich nicht an Maßnahmen wie Abstandsregeln halten, als Lebensgefährder bezeichnet, dann darf man schon auch starke Worte bei der Kritik einer solchen Politik benutzen. Wenn wie in Wien Demonstrationen gegen den Lockdown verboten werden, weil im Vorfeld davon ausgegangen wird, dass sich die Demonstrierenden nicht an die Abstandsregeln oder ans Maskentragen halten, dann sehe ich darin Anzeichen eines Polizeistaates. Im Übrigen fand die Großdemonstration Mitte Jänner trotz Verbots statt und es haben sich mehr als 20.000 Menschen daran beteiligt.
Wie geht denn die österreichische Bevölkerung mit all dem um? Sind die Österreicher nicht freiheitsliebend?
Was auffällt, ist, dass sich die Menschen im Lockdown-Winter 2020/2021 wesentlich weniger an die Verbote halten als zu Beginn der Pandemie im Frühling. Besuch darf man offiziell nur von einer Person, die nicht im eigenen Haushalt lebt, erhalten, wenn diese Person einen auch zuvor schon regelmäßig besucht hatte. Die Umsetzung dieses Verbots – wie vieles andere auch – scheitert an der Wirklichkeit. Die Menschen haben den Verbotsreigen zunehmend satt, im Dorf genauso wie in der Stadt.
Auch in anderen Ländern Europas sind autoritäre Tendenzen zu erkennen.
Wie sieht es, zum Beispiel, mit Frankreich aus?
Macron hat schon mit der Ausschaltung des Parti Socialist vor seiner Wahl 2017 zum Präsidenten bewiesen, dass ihm ein autoritärer Kapitalismus lieber ist als einer, der durch politische Parteien im Parlament ständig behindert wird. Zudem ist der französische Staat von seiner Struktur her zentralistischer und auf eine Person, den Präsidenten, zugeschnitten als das föderale Deutschland oder das ähnliche, wenn auch nicht ganz so föderale Österreich.
Vor der Pandemie haben die Gelbwesten in Frankreich protestiert, der Staat ist brutal gegen sie vorgegangen.
Mittlerweile hat eine weitere Protestbewegung in Frankreich ihre Stimme erhoben, die gegen die brutale Polizeigewalt demonstriert. Auslöser war eine Prügelorgie Ende November 2020, als ein halbes Dutzend Polizisten einen Mann krankenhausreif geschlagen hat, weil dieser vor seinem Filmstudio stand und keine Maske trug. Die Massenproteste richten sich gegen ein so genanntes Sicherheitsgesetz, das es zukünftig verbieten soll, Exekutivbeamte im Einsatz zu filmen.
Im November hat die Polizei Wasserwerfer gegen Demonstranten der Corona-Demos eingesetzt. Was waren Ihre Gedanken?
Das Virus wird benutzt, um einem autoritären Staat zum Durchbruch zu verhelfen. Um gesundheitliche Bedenken kann es wohl nicht gehen, wenn Menschen im Freien einen Protestmarsch abhalten und dafür mit Wasserwerfern attackiert werden. In einer Welt, wie ich sie mir vorstelle, ist so etwas völlig absurd.
Der Tagesspiegel sprach damals in seinem News-Ticker davon, dass die Demonstranten „beregnet“ worden seien. Vielen deutschen Medien hat man regelrecht angemerkt, dass sie sich ein härteres Vorgehen gegen diesen Teil ihrer Mitbürger wünschen. Was läuft da schief in der Berichterstattung? Warum sind Journalisten einerseits sofort zur Stelle, wenn in einem unliebsamen Land wie Russland die Polizei mit Härte gegen Demonstranten vorgeht, aber auf die Brutalität der französischen Staatsmacht reagiert man allenfalls verhalten? Warum, so zumindest der Eindruck, sehnen sich manche Redaktionen ein autoritäres Vorgehen gegen Bürger, die ihren Unmut über die Corona-Maßnahmen auf der Straße zum Ausdruck bringen, regelrecht herbei?
Sie haben recht, wenn Sie beklagen, dass die JournalistInnen in den großen deutschen (und österreichischen) Medien auf dem EU-Auge blind sind, während jeder russische Polizeieinsatz große Empörung hervorruft. In Corona-Zeiten wird dann noch gegen jene gehetzt, die die Maßnahmen unverhältnismäßig finden. Dass der häufig gehörte journalistische Ruf nach härteren Maßnahmen allein der Sorge um die Volksgesundheit geschuldet ist, mag man nicht so recht glauben, sonst wäre doch jahrelang Zeit gewesen, zum Beispiel gegen die schrittweise Privatisierung des Gesundheitswesens und gegen Spitalsschließungen zu schreiben. Das ist nicht passiert. Und dann gibt es da noch eine seltsame Entwicklung. Am Rande von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen tauchen zuletzt auch in Wien sogenannte „Antifas“ auf. Warum sie sich so nennen, ist mir schleierhaft, denn ihre Losungen erinnern eher an Gegenteiliges. So ertönt zum Beispiel der Spruch „Wir impfen euch alle!“, der die Regierungsstrategie mit einem drohenden Unterton versieht. In den Medien kommen diese Art von „Antifas“ erstaunlich gut weg.
Trauen Sie es sich zu, einen Ausblick zu wagen?
Diese Feststellung kann man ohne viel Risiko treffen: Die Verhältnisse ordnen sich gerade neu. In wirtschaftlicher Hinsicht bewirkt der Lockdown einen enormen Konzentrationsprozess in vielen Branchen, nur die kapitalstarken Unternehmen überleben. Großkonzernen und Stiftungen stehen goldene Jahre bevor. Der Mittelstand, der bislang die Gesellschaft getragen hat, wird extrem schrumpfen. Neue Leitsektoren wie Biotechnologie und Big Pharma sowie eine mit staatlichen Aufgaben ausgestattete Kontrollindustrie treten zur Rettung eines in die Krise geratenen kapitalistischen Systems an. Millionen von unbrauchbar Gewordenen droht – je nachdem, in welchem Erdteil sie leben – die Abspeisung mit einem würdelosen, knapp gehaltenen Grundeinkommen bzw. das blanke Elend.
Das große Kapital setzt darauf, mit neuen Leitsektoren ein kybernetisches Zeitalter einzuläuten. Der menschliche Körper und die menschliche Erfahrung sollen dabei direkt ausbeutbar und zu Waren gemacht werden. Die Stichworte hierzu lauten Optimierung und Kontrolle. Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“…
…ein dystopischer Roman…
… könnte knapp hundert Jahre nach seinem Erscheinen Wirklichkeit werden, der neuen restriktiven Logik nach müsste sein Verkauf dann allerdings verboten werden. In politischer Hinsicht bilden sich neue Allianzen, Querfronten auf beiden Seiten einer sich tiefer spaltenden Gesellschaft. Die Querdenker der Maßnahmenkritiker haben sich bereits einen solchen Namen gegeben. Dort eint die Menschen in erster Linie ihr Kampf gegen den Ausnahmezustand und gegen den Verlust von Grund- und Freiheitsrechten.
Und auf der anderen Seite?
Auf der Seite derjenigen, die den autoritär verordneten Maßnahmen zustimmen, entstehen ebensolche Querfronten, wie wir am Beispiel der „Antifa“ gesehen haben, die ein Querdenker nicht ganz zu unrecht als „Söders Truppe“ bezeichnete. Dazu gibt es auch, wie immer in gesellschaftlichen Notsituationen, Übertreiber, denen die Maßnahmen der Regierung zu lasch sind. SPD-Lauterbach gehört dazu wie auch die Initiative „Zero Covid“, die wider jede wissenschaftliche Erkenntnis meint, das Virus ausrotten zu können und dazu die vollständige Stilllegung aller menschlichen Beziehungen einfordert.
Risikolos scheint mir auch die Prognose, dass der Mensch mit dem Virus leben lernen muss und dieses – sei es über natürliche oder künstliche Immunisierung – seine Gefährlichkeit verlieren wird. Die Maßnahmen hingegen, die vordergründig gegen seine Verbreitung erlassen wurden, wie Tracken, Testen und Zugangsbeschränkungen inklusive angedachter neuer Passregime, sowie die Zensur kritischer Stimmen, könnten bleiben. Aber genau diesen Maßnahmen müssen wir in den kommenden Monaten entgegentreten.
Von Hannes Hofbauer ist zuletzt das Buch „Europa – ein Nachruf“ erschienen. Zusammen mit Stefan Kraft gab er auch heraus: „Lockdown 2020 – wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern“ (beide im Wiener Promedia Verlag).
Titelbild: kentoh / Shutterstock
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