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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Odyssee durch das deutsche Universitätssystem
Datum: 30. September 2010 um 9:32 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Zu mehr Durchlässigkeit, Transparenz und Mobilität sollte der Bologna-Prozess führen, dafür wurde das gesamte deutsche Studiensystem mit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge umgebaut. Was von diesen Versprechen zu halten ist, zeigt ein Einblicke in den deutschen Studienalltag von S.H.
Fairerweise muss ich damit beginnen, dass ich eine nötige Prüfung (Statistik I) endgültig nicht bestanden habe.
Alles begann am 16.7.2009 (einen Tag nach der Klausur) als ich erfuhr, dass ich in besagter Prüfung durchgefallen war. Nach dem ersten Schock rief ich in der Universität an und erkundigte mich, welche Optionen ich für ein Weiterstudieren dort hätte. Denn das Studium in meinem Fach, in diesem Fall 5 Semester Soziologie und allen anderen Fächern, bei denen diese Klausur Bestandteil der Studienordnung ist, war nicht mehr möglich. Also hätte ich gerne in einem anderen naheliegenden Fach (Erziehungswissenschaft) des „Instituts für Sozial- und Verhaltenswissenschaft“ mein Studium fortgesetzt, natürlich bei Semester 1. Die Universitätsmitarbeiterin bestätigte mir diese Möglichkeit, da die Prüfung dort nicht zum Programm gehört. Sie nannte mir jedoch das große ABER: Erziehungswissenschaft war zulassungsbeschränkt, wie 50 % aller Angebote dieser Fakultät. Dies hieße für mich, dass ich erst ab dem nächsten Wintersemester hätte versuchen können, mich an dieser Hochschule neu zu immatrikulieren. Denn der 15.7. (das war der Tag meiner Klausur) war der letztmögliche Tag einen Immatrikulationsantrag zu stellen. Das bedeutete, dass ich ein Jahr (!) hätte warten müssen, um wieder ein Studium aufzunehmen. Dies kam für mich erst einmal nicht infrage, da ich noch im Wintersemester 2009/10 weiterstudieren wollte. So schrieb ich an 18 Universitäten und fragte an, ob ich Soziologie anderswo fortsetzen könnte. Ich bekam entweder in der Mehrzahl gar keine oder negative Antworten, da die Statistikprüfung in nahezu allen Soziologie-Studiengängen Pflicht ist.
Die einzigen vielversprechenden Antworten kamen aus Bielefeld und Chemnitz. Die westfälische Hochschule entfiel nicht zuletzt aus Kostengründen, da allein für die Semestergebühren ca. 500 Euro fällig geworden wären.
Der Gipfel der Inkompetenz sollte jedoch noch auf mich warten. Denn letztendlich lief alles auf die TU Chemnitz hinaus. Da es schon ziemlich spät war, bis ich alle wichtigen bürokratischen Hürden genommen hatte (Dezember 2009), stellte ich einen Urlaubsantrag, um das WS als freies Semester anerkennen zu lassen. Denn es war sehr unwahrscheinlich, dass ich mich – noch ohne Wohnung, Bafög/Arbeitsplatz – rechtzeitig bis zu den Prüfungen eingewöhnen bzw. den Stoff aufholen könnte. Ein Urlaubssemester wurde jedoch abgelehnt. Das Semester wäre mir wohl verloren gegangen. Dazu kam es jedoch nicht, denn nachdem schon alles beantragt und der Semesterbeitrag bezahlt war, erhielt ich kurz vor Weihnachten (16.12.2009) von der Uni aus Sachsen einen Brief, in dem zu lesen war, dass mir eine Immatrikulation versagt wird. Es wurde zu spät entdeckt, dass auch in der dortigen Prüfungsordnung ein Weiterstudieren, nach einer endgültig nicht bestanden Prüfung in Soziologie, nicht möglich ist. Als Entschuldigung für diesen folgenreichen Fehler bekam ich die Floskel zu lesen, es sei eben leider nicht immer alles perfekt.
Die Odyssee endet, nach über einem Jahr, nun mit meiner erneuten Immatrikulation in Jena, jedoch aufgrund des NC leider nicht in dem von mir favorisierten Fach.
Was kann man als Fazit aus dieser Zeit ziehen. Nun, ich hätte die Prüfung um jeden Preis bestehen müssen. Denn das Universitätssystem in Deutschland ist gnadenlos.
Mir scheint diese Prüfung (Statistik I) hauptsächlich dazu zu dienen, Studierende herauszuprüfen. Denn bei einem Misserfolg fällt man in Deutschland offenbar komplett aus diesem Fach heraus, da diese Prüfung an nahezu jeder Universität und für immer mehr Fächer im sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich zu bestehen ist. Das bedeutet, dass man Fächer seiner favorisierten Studienrichtung, nie mehr studieren kann.
Bei jedem Neuanfang oder bei einem Studienwechsel steht man vor unendlich vielen Barrieren, die zu überwinden lange Wartezeiten und einen immensen Bewerbungsaufwand kosten und die auf Grund inkompetenter Beratung zu langen Umwegen nötigen und zu viel Frust führen.
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