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Titel: Nawalny, Medien, Heuchelei

Datum: 19. Januar 2021 um 13:03 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Die mediale Betrachtung des Falls Alexey Nawalny steht in scharfem Kontrast zu vergleichbaren Vorgängen. In der Berichterstattung offenbaren sich Doppelstandards vieler Redakteure bei den Themen Meinungsfreiheit, Russland, Nationalismus und politische Militanz. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Rückkehr des russischen Politikers Alexey Nawalny nach Russland hat in diesen Tagen einige deutsche Redakteure geradezu verzaubert, etwa in der „Augsburger Allgemeinen“:

„Wer sehen wollte, wie Mut wirklich aussieht, musste nur in das fast todesmutig entschlossene Gesicht des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny schauen – als dieser in Berlin ein Flugzeug bestieg, um nach Moskau zu fliegen.“

Nawalny hat, wenn es um Konflikte mit der russischen Regierung oder mit Sicherheitskräften geht, tatsächlich diverse Male eine persönliche Unerschrockenheit demonstriert. Auch die vorhersehbare Verhaftung des „Kreml-Kritikers“ soll hier nicht verteidigt werden – sie soll aber auch nicht so grundsätzlich und pauschal als krimineller Akt bezeichnet werden, wie dies nun teils geschieht. Ich persönlich kann noch nicht beurteilen, ob etwa die Vorwürfe der Veruntreuung von Spendengeldern durch Nawalny zutreffen, darum kann ich es nicht prinzipiell ausschließen. Es würde mich aber auch nicht verwundern, wenn sich die Vorwürfe gegen Nawalny als Konstruktion herausstellen sollten. Mediale Wachsamkeit ist hier also allemal zu begrüßen.

Nawalny und die Doppelstandards

Das Eintreten westlicher Medien und Politiker gegen die Verhaftung Nawalnys soll darum nicht kritisiert werden – auch wenn der westliche Umgang mit dem nationalistischen Politiker ansonsten zahlreiche Fragen aufwirft, doch dazu später mehr. Ein indirekter Skandal wird die exzessive Berichterstattung für Nawalny vor allem im direkten Vergleich mit dem Umgang vieler westlicher Medien mit jenen Bedrängten, die westlicher Politik kritischer als Nawalny gegenüberstehen. Zum Vergleich des medialen Umgangs mit Nawalny einerseits und dem in Großbritannien inhaftierten Journalisten und Wikileaks-Gründer Julian Assange andererseits haben die NachDenkSeiten bereits im Artikel „Große Gefühle für Nawalny – eisige Kälte für Assange“ geschrieben:

„Aber im Vergleich zur kalten Missachtung von Julian Assange erscheint der Aufruhr um Nawalny als eine politisch motivierte Farce. Der Fall ist Anlass für massive antirussische Meinungsmache – die Rolle des Moralapostels erscheint bei vielen westlichen Journalisten grotesk.“

Mit diesem Standpunkt wird beim Fall Nawalny natürlich nicht der gleiche schändliche Umgang wie mit Julian Assange verlangt, im Gegenteil: Die großen Medien müssen sich endlich genauso leidenschaftlich für die Freiheit Assanges einsetzen, wie sie es für die Freiheit Nawalnys tun. Zu kritisieren ist außerdem die geopolitische Instrumentalisierung des Falls Nawalny, etwa gegen die Pipeline Nord Stream 2.

Nawalny: Der „gefährlichste Gegner“ Putins?

Nawalny kann man wie gesagt als nationalistischen Politiker einordnen – hierzulande würde er womöglich als Neonazi bezeichnet. Es ist bemerkenswert, dass in seinem Fall (wie auch bei der Berichterstattung über den Maidan-Umsturz) das rechtsextreme Gedankengut viele westliche Redakteure nicht stört. Nawalny wird dem westlichen Publikum trotz seiner nach hiesigen Maßstäben ziemlich radikalen Gesinnung als „demokratischer Hoffnungsträger“ verkauft. In Deutschland sorgt derweil bereits seriöse Kritik am Lockdown-Irrsinn dafür, dass man als „rechtsextrem“ eingestuft wird.

Ein weiterer Wesenszug auch der ganz aktuellen Berichterstattung ist die Übertreibung von Nawalnys Bedeutung in Russland: Wie die „Deutsche Welle“ bereits vor einiger Zeit schrieb, würde Nawalnys „Beliebtheit“ bei Wahlen in Russland „im unteren einstelligen Bereich“ verharren. Die „taz“ schreibt aktuell, „dass Nawalnys Zustimmungswerte nach den Enthüllungen über die mutmaßlichen Drahtzieher des Anschlages mit dem Gift Nowitschok Ende Dezember sogar noch ein wenig gesunken sind“. Nawalny ist also keine ernstzunehmende Bedrohung für die Regentschaft der Partei Einiges Russland. Das hindert etwa Marieluise Beck nicht, am Montag im Deutschlandfunk die Bedeutung Nawalnys für die russische Opposition weiterhin stark zu überhöhen. Die „Nürnberger Nachrichten“ schreiben: „Er (Putin) sorgt selbst dafür, dass sein gefährlichster Gegner noch populärer wird – als Held hinter Gittern.“ Und laut „Süddeutscher Zeitung“ könnte nun jeder sehen, „für wie bedrohlich der Kreml ihn (Nawalny) tatsächlich hält“. Die „Stuttgarter Nachrichten“ stellen immerhin fest:

„Ob der Nationalist Nawalny tatsächlich gut für Russland wäre, das ist keinesfalls ausgemacht.“

Die Medien und das staatliche Gewaltmonopol

Die Unerschrockenheit Nawalnys, die manche Menschen beeindruckt, ist für sich genommen noch keine Rechtfertigung aller seiner Handlungen. Das von Nawalny teils gewählte Mittel von trotz Verboten durchgeführten Demonstrationen, um staatliche Reaktionen und die entsprechenden Bilder für westliche Medien zu provozieren, bedeuten auch eine Distanz gegenüber dem staatlichen Gewaltmonopol. Ob die russischen Behörden mit den Verboten der Demos massiv überreagieren, kann ich nicht abschließend beurteilen. Fest steht: Auch in Deutschland werden dieser Tage viele Demonstrationen untersagt, ohne dass deutsche Medien hier ein „Widerstandsrecht“ gegen diese Verbote einfordern würden.

Man kann die Bekämpfung des staatlichen Gewaltmonopols meiner Meinung nach nur angesichts von sehr bedrohlichen Gegebenheiten verteidigen. In Berlin oder Washington werden Angriffe gegen das staatliche Gewaltmonopol scharf kritisiert – in Kiew oder Venezuela bezeichnen viele westliche Redakteure das gleiche Vorgehen als „mutigen Kampf“. Mit dieser Aussage sollen nicht die Bedingungen in Berlin und Caracas auf eine Stufe gestellt werden: Aber wer entscheidet nach welchen Kriterien, wann ein „Widerstandsrecht“ gegen das staatliche Gewaltmonopol gerechtfertigt ist?

Es gab kürzlich einen Moment, in dem Julian Assange annähernd die mediale Beachtung erfuhr, die ihm seit Jahren hätte zuteil werden müssen: als der Antrag auf Auslieferung an die USA abgelehnt wurde. Doch bereits einige Tage später liegt wieder ein Mantel des Schweigens über diesem skandalösen und bewegenden Schicksal.

Die NachDenkSeiten haben sich in zahlreichen Artikeln mit den Fällen Julian Assange und Alexey Nawalny sowie mit der Stimmungsmache gegen Russland beschäftigt. Sie finden eine Auswahl weiter unten.

Titelbild: Danila2332 / Shutterstock


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