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Titel: Machen wir uns auf einen langen Weg zu einer Neuen Gesellschaft
Datum: 3. Januar 2021 um 11:30 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Soziale Gerechtigkeit, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Veröffentlichungen der Herausgeber
Verantwortlich: Albrecht Müller
Dies ist der letzte Auszug der am 22. Dezember begonnenen Serie mit Texten aus meinem Buch „Die Revolution ist fällig“. Es geht hier um die Einleitung zum Kapitel IV. Albrecht Müller
IV. Machen wir uns auf einen langen Weg zu einer Neuen Gesellschaft
Die Lage ist in vielerlei Hinsicht verkorkst. Die Rettung des Versprechens des Grundgesetzes, dass alle Macht vom Volke ausgehen soll, verlangt im Kern die Korrektur der einseitigen und ungerechten Vermögensverhältnisse, die Korrektur der publizistischen Macht weniger Medienkonzerne, die Wiederherstellung von Markt und Wettbewerb und die Befreiung aus der Vormundschaft der USA.
Das wäre das Minimum und es käme einer Revolution gleich. Es wäre wie ein Neuanfang. So als wollten und könnten wir die Uhr zurückdrehen. Den notwendigen Ansatz für einen solchen radikalen Neuanfang bei der Vermögensverteilung und der Verteilung der publizistischen Macht haben wir aber nicht und wir sehen ihn auch nicht, nicht einmal am Horizont. Hinzu kommt, dass es – alltagssprachlich ausgedrückt – hierzulande an vielen Ecken stinkt. Einen einzigen Hebel umzulegen, bringt nicht das Heil.
Die Korrektur der Vermögensverhältnisse würde heißen, dass die Superreichen einen großen Teil ihres Vermögens abgeben müssten. Piketty bringt 80 Prozent ins Spiel. Bei der Besteuerung der Einkommen sogar 90 Prozent.
Ich sehe nicht, wie das in der heutigen Zeit umgesetzt werden könnte. Nicht weil ich zögerlich bin, sondern weil ich mir die gesellschaftliche Situation und die Stimmung ansehe. Wie zuvor schon beschrieben worden ist, haben die Menschen mehrheitlich gar nicht im Blick, dass es überall und gerade auch bei der Verteilung der Vermögen und Einkommen Rückschritte gab und gibt. Sie sehen auch nicht, dass unsere Demokratie im eigentlichen Sinne des Wortes am Ende ist, dass die Macht nicht vom Volke ausgeht.
Die Besitzer von Spitzenvermögen würden sich mit aller Gewalt dagegen wehren, dass man ihnen 80 Prozent ihres Vermögens wegsteuert. Sie würden sich in Deutschland auf das Grundgesetz berufen und behaupten, eine solche Steuer würde gegen das Grundgesetz verstoßen. Im Grundgesetz Art. 14 (1) heißt es: »Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.« Sie würden behaupten, diese Eigentumsgarantie gelte unabhängig davon, wie sie ihre Vermögen erworben haben und wie ungerecht die Verteilung der Einkommen in den letzten Jahrzehnten geworden ist.
Auch von einer revolutionären Revolte muss man abraten. Die Reaktion der Herrschaft wird nämlich brutal sein. Einen Vorgeschmack darauf erlebten wir im Sommer 2020 in den USA. Dort schickt der US-Präsident militärisch ausgerüstete Bundespolizisten in den Kampf gegen antirassistische Proteste in einzelnen Staaten und Städten.
Wir haben die Reaktion der Mächtigen, der Reichen und Einflussreichen auch beim Kampf der französischen Polizei und des Staates gegen die Gelbwesten erlebt und auch im Kampf gegen die Gegner von Stuttgart 21: Mit dem Strahl von Wasserwerfern oder Gummigeschossen zerstörte Augen, abgeschlagene Arme, fürs Leben zu Krüppeln geschossene und geschlagene Menschen. Diese brutale Reaktion auf Demonstrationen und Revolten ist zu erwarten, sie wird geübt, sie macht Eindruck. Ich würde meine Enkel nicht in einen solchen Kampf schicken wollen. Die hinter den Reichen stehende Staatsmacht und Polizeimacht ist zu nahezu allem bereit. Die Polizei ist zudem im Kampf gegen Terroristen und andere angebliche Bedrohungen gut gerüstet worden. Die Chance, dass sich die Polizei mit aufständischen Jugendlichen oder mit dem Proletariat verbünden würde, ist äußerst gering. Außerdem genießen die Oberschichten und die zurzeit politisch maßgeblichen Kräfte die Deckung durch die tonangebenden Medien.
Sosehr also eine wirkliche Revolution, also eine radikale Umverteilung und Umwälzung der Machtverhältnisse fällig wäre, sosehr es nötig wäre, die Uhr auf Start zurückzudrehen, so wenig gibt es aus heutiger Sicht Anhaltspunkte dafür, dass dies erfolgreich möglich wäre.
Wir müssen also abwarten, Zeit gewinnen und auf grundlegende Veränderungen hoffen und daran arbeiten. Zugegeben, das ist eine vage Hoffnung. Aber wer bietet mehr? Die einzige Revolution, die man sich ohne Blutvergießen und vielleicht gekrönt von Erfolg vorstellen könnte, wäre eine Reform-Politik, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg und dann mit Abstand nach dem Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger konsequent betrieben worden ist. Sozial-, Steuer- und Bildungspolitik und ein starker Staat insgesamt sorgten für eine etwas gerechtere Gesellschaft. Piketty nennt die damals entstehenden Gesellschaften die »sozialdemokratischen Gesellschaften«. Wenn der Begriff sozialdemokratisch nicht so sehr verbrannt wäre, könnte man diesen wiederbeleben, um zu kennzeichnen, was man sich als Konzept einer grundlegenden und – wie ich meine – im Endeffekt revolutionären Veränderung der jetzigen Gesellschaft durch eine breit gefächerte Reformpolitik vorstellen könnte. Das liefe auf eine Art Kulturrevolution hinaus.
Auszug aus Albrecht Müller: Die Revolution ist fällig. Aber sie ist verboten. Westend Verlag. September 2020. 192 Seiten. 16 €. Buchhandel oder hier.
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