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Titel: Corona-Maßnahmen, Kinder und die Linke: „Denkfaulheit, Opportunismus und ein Totalausfall“ (2/2)

Datum: 30. Dezember 2020 um 9:30 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Hochschulen und Wissenschaft, Innen- und Gesellschaftspolitik, Interviews, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Strategien der Meinungsmache
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„Die Verdachts-Kultur ist in Deutschland gerade wieder sehr hochgeschraubt, und zwar von allen Seiten. Der Nazi-Vorwurf wird von verschiedenen Seiten inflationär gebraucht, jede Seite wirft der anderen Seite vor, „über Leichen“ zu gehen. Das sagt der Kinderpolitik-Forscher Michael Klundt im zweiten Teil des NachDenkSeiten-Interviews. Klundt äußert sich in dem Interview weiter zur Situation der Kinder in der Corona-Pandemie, wirft aber auch einen kritischen Blick auf einige Linke, viele Medien sowie manche Wissenschaftler und kritisiert, wie vergiftet die öffentliche Diskussion ist. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lesen Sie dazu auch den ersten Teil des Interviews mit Michael Klundt, der gestern auf den NachDenkSeiten erschienen ist.

Von den Corona-Maßnahmen sind viele Kinder direkt betroffen, zum Beispiel beim Tragen der Maske im Unterricht. Haben Sie Einblicke in das Verhalten der Eltern? Viele scheinen die Maßnahmen zu akzeptieren oder eben hinzunehmen?

Wenn manche Schulleiter nach drei Stunden Masketragen erschöpft abwinken, aber zugleich Schülern bis zu neun Stunden Maskenpflicht mit allen Nebenwirkungen zumuten, sind manche Kinder und Eltern schon einigermaßen irritiert. Doch das hängt natürlich auch von den jeweiligen Lebens- und Arbeitsbedingungen ab, die so differieren wie bei den Kindern auch. Mögen viele wohlhabende Eltern das Zwangs-Home-Office als wohltuende Entschleunigung oder als besonders stressig erleben, so sind die Existenzgefährdungen umso schlimmer, je niedriger die Eltern auf der Klassen-Hierarchieleiter der Gesellschaft stehen. Dass sich bestimmte Formen gesellschaftlicher Teilhabe deshalb nicht mehr ganz so ungleich darstellen wie vor der Krise, einfach weil nun niemand mehr in Theater, Opern, Restaurants oder sonstiges gehen kann und nicht nur nicht die Armen, ändert daran wenig.

Woran liegt es, dass gerade in dieser Situation kritische Stimmen von linker Seite fehlen, die die Maßnahmen hinterfragen?

Das frage ich mich auch den ganzen Tag. Denkfaulheit, Opportunismus und ein Totalausfall fallen mir da bei einigen wirklich wichtigen Akteuren in Politik, Medien und Wissenschaft auf. Leider meinten sich offenbar einige an Robert Habeck orientieren zu müssen, als er sagte, dass nun „nicht die Stunde der Opposition, sondern die Stunde der Verantwortung“ sei. Ein sehr problematischer Satz für die parlamentarische Demokratie, da er Opposition als etwas scheinbar Verantwortungsloses darstellt und nicht als etwas für eine Demokratie Lebensnotwendiges. Dabei wäre eine offensive Linke und ihre klare Kritik an den katastrophalen Arbeits-, Eigentums- und Lernbedingungen sowie den unterschiedlichen kapitalkonformen Krisenlösungsmustern in einem teilprivatisierten und an Wettbewerbskriterien orientierten Gesundheits- und Pharmasystem so lebenswichtig.

Und gerade für Linke sollte eigentlich klar sein, dass selbst gleichklingende Maßnahmen in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen meist Unterschiedliches bedeuten. Kurz gesagt: Ein Lockdown in Kuba oder China bedeutet etwas anderes als ein Lockdown in Kenia oder Deutschland, also in einem kapitalistischen Kontext etwas anderes, als in einem sich zum Sozialismus hin entwickelnd wollenden Gesellschaftswesen.

Ist die Linke in Sachen Corona zu „systemkonform“?

Vielleicht sollte man das nicht generalisieren. Aber wer sich seine Regierungsbeteiligungsträume durch Unterstützer von Aufrüstung und Angriffskriegs-Bündnissen auf Seiten der erwünschten Traumpartner nicht madig machen lassen will (geschweige denn vom Cum-Ex- und Wirecard-Kanzlerkandidaten), schaut offenbar auch an anderer Stelle mal nicht so genau hin. Denn Drosten und Wieler nicht zu 100 Prozent nachzubeten, heißt doch nicht zwangsläufig, Bhakdi und Wodarg zu glorifizieren. Es kann doch auch einfach heißen, mal auf Streeck oder Kekulé zu hören oder Allmendinger oder die Autorengruppe um Schrappe, Glaeske und andere Gesundheitswissenschaftler/innen oder den Niedersächsischen Ethikrat wenigstens einzubeziehen – geschweige denn andere Medizinerinnen, Kinderärzte, Psychologinnen, Pädagogen und Kindheitswissenschaftlerinnen.

Und selbst wer das alles ablehnt und nur Drosten in allen (nicht nur virologischen) Fragen um Corona gelten lässt, muss sich doch zumindest bewusst machen, dass die darauf basierenden politischen Maßnahmen in Krankenhäusern, in Kitas, Schulen, auf Sportplätzen, in Bussen und Bahnen, an Arbeitsplätzen keineswegs so eindeutig und alleine von Drosten beurteilt und entschieden werden können. Wenn man jedoch Kontroversität und Pluralität ablehnt, kann man auch kaum über Jugendhilfe, Partizipation und Kinderarmut diskutieren wollen.

Medien bezeichnen Bürger, die die Maßnahmen kritisieren, rasch als „Corona-Leugner“. Was ist Ihre Beobachtung? Haben wir ein Problem mit einer offenen Diskussion um die Maßnahmen?

Zweifellos kann, wer sich ernsthaft Sorgen macht wegen autoritärer Tendenzen von Notstandsgesetzen in einer Pandemie, seinen Protest nicht ehrlich vortragen neben Leuten, die insgeheim bis ganz offen von einer faschistischen Notstands-Diktatur träumen. Davon abgesehen ist die Verdachts-Kultur in Deutschland gerade wieder sehr hochgeschraubt, und zwar von allen Seiten. Gerne werden Verdachts-Argumentationen und monolithisches Denken reproduziert. Der Nazi-Vorwurf wird von verschiedenen Seiten inflationär gebraucht, jede Seite wirft der anderen Seite vor, „über Leichen“ zu gehen. Gegenseitige Unterstellung von Eiseskälte gegenüber den Opfern der jeweiligen Handlungen bzw. Praxen oder ignorierende Haltungen herrschen vor: Corona-Opfer versus Kollateral-Opfer von Corona-Maßnahmen. „Wir“ sind „die“ Wissenschaft – Ihr seid nur böswillige Scharlatane.

Wer allerdings vehement behauptet, viele der Corona-Toten seien doch gar nicht an, sondern höchstens mit Corona gestorben (vielleicht auch durch Fehlbehandlung, mangelnde Schutzmittel und kaputtgesparte Gesundheitssysteme), darf zumindest nicht vorschnell behaupten, dass reale oder erfundene tote Kinder selbstverständlich einzig und allein durch Masken getötet wurden. Umgekehrt, die Leichen der Kollateralschäden schlicht leugnend und übergehend, dem (eingebildeten) Feind/Kontrahenten aber sofort unterstellend, ist ebenfalls äußerst niedriges Diskurs-Niveau.

Die Diskussion ist vergiftet.

Ja, und zwar von allen Seiten. Die Einen geben dem Virologen Drosten sämtliche Sendezeiten, den „Sonderpreis für Wissenschaftskommunikation“ und das Bundesverdienstkreuz obendrauf. Manche erinnern sich aber auch an seine Beziehungen ins Pharma-Geschäft und seine herablassenden und arroganten Tweets gegenüber Kritikern wie seinem mit ihm gar nicht allzu differierenden virologischen Kollegen Kekulé. Als dieser Professor für Epidemiologie an der Universität Halle im Nachgang der BILD-Berichterstattung von Ende Mai 2020 bloß klare logische und statistische Vergleichs-Ungereimtheiten in Drostens Vor-Veröffentlichung vom April 2020 hinsichtlich der Virenverbreitungstätigkeit von Kindern im Berliner Tagesspiegel formulierte und bemängelte, meinte Drosten, er müsse darauf nicht mit Argumenten antworten.

Stattdessen „tweetete“ er, „Kekulé macht Stimmung. Seine Darstellung ist tendenziös. Er kennt unsere Daten nicht und zitiert falsch. Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erstmal etwas publizieren.“. Was Kekule falsch zitiert habe, erwähnt er leider nicht, sodass eine ziemlich hochnäsige Antwort übrigbleibt.

Das ist ein Beispiel, wie wenig konstruktiv die Diskussion selbst unter reputierten Wissenschaftlern ist, die aneinander Kritik üben. Aber Sie sagten, der Diskurs ist nicht nur innerhalb der wissenschaftlichen Community vergiftet, sondern generell.

Absolut. Wie schon gesagt nehmen die gegenseitigen Nazi-Vorwürfe überhand – wohlgemerkt von beiden Seiten. Während die einen bei über 40.000 Demonstranten nur die vier Reichskriegsflaggen am Rande und keinen einzigen, sich von Rechtsextremisten distanzierenden Demo-Redner sehen bzw. zeigen, vermuten die anderen beim Medien-Mainstream gleich „Führerbefehl“ und „Gleichschaltung“ (Dr. Fuellmich in Anhörung des Corona-Ausschuss), „Corona-Diktatur“ (Ken Jebsen), „Faschistische Diktatur“ (Dr. Bodo Schiffmann) und „Kindermord durch Masken“.

Anders gesagt, ein einigermaßen rationales Gespräch, in welchem der eigene Irrtum für möglich gehalten und dem Kontrahenten zumindest formal zugestanden wird, dass seine Argumentation nicht zwangsläufig falsch und niederträchtig motiviert sein muss, kommt nicht mehr zustande (vgl. als Ausnahme das Streitgespräch mit dem Berliner Innensenator in der ZEIT v. 1.10.2020).

Auch als das so genannte „Infektionsschutzgesetz“ beschlossen wurde, ging es rau zu.

Die Gegner riefen lauthals und NS-verharmlosend „Ermächtigungsgesetz“, gleichzeitig aber berichteten manche Mainstream-Medien über die Pöbeleien im Reichstagsgebäude durch AfD-Gäste so dramatisierend und ebenfalls NS-verharmlosend, als seien die Handvoll AfD-Brüller mit SA-Truppen und deren Terror während des Beschlusses zum historischen NS-Ermächtigungsgesetz 1933 gleichzusetzen. Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für diverse Indienstnahmen von Anne Frank oder Sophie Scholl. Sie mögen im einen oder anderen Fall begründeter sein oder nicht, problematisch sind sie allemal. Ob sie allerdings ausreichen, um alle sogenannten Querdenker als verkappte Rechtsextremisten darzustellen, erscheint zumindest fraglich.

In diesem Klima ist die dringend angebrachte rationale Diskussion über real vorhandene Verhältnisse kaum noch möglich, oder?

Natürlich gibt es Sachverhalte, die jenseits vom großen Verschwörungsgedanken und jenseits von Beschimpfung und Verachtung diskutiert werden müssten. Alleine schon die Betonung von sozio-ökonomischen Interessen an der Vermarktung von Testmaterial, Impfstoffen und Medikamenten ist in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht von der Hand zu weisen. Und wenn die Frankfurter Rundschau vom 15.12.2020 über Rechercheergebnisse berichtet, wonach zehntausende Ärztinnen und Ärzte in Deutschland von der Pharma-Industrie „gefördert“ werden, muss uns das alle in der gegenwärtigen Impfhysterie-Zeit aufhorchen lassen – auch und vor allem im Interesse der Unabhängigkeit der Mediziner selbst. Man darf solche Perspektiven nicht einfach mit der platten Entgegnung „Verschwörungstheoretiker“, „Corona-Leugner“ oder „Covidiot“ abtun.

Maß und Ziel scheinen auf beiden Seiten abhanden gekommen zu sein?

So ist es. Die einen hängen also an den Lippen des gelernten Tiermediziners Lothar Wieler vom Robert Koch-Institut und an denen des gelernten Bankkaufmanns im Gesundheitsministerium, Jens Spahn, als wären sie die einzigen sachkundigen Fachleute in „Corona-Fragen“ auf der ganzen Welt.

Und die anderen?

Die sehen solche Leute und führende Akteure im Mainstream gemeinsam mit der Bill und Melinda Gates Stiftung sowie anderen Pharma-Industriellen als Teil eines korrupten „Pharma-Tech-Komplexes“ – dessen wirtschaftliche Interessen trotz aller Widerreden auch nicht vollständig in Abrede zu stellen sind. Das berichtete übrigens selbst der Deutschlandfunk bis 2018 mehrfach, hat das dann aber seit 2020 erstaunlicherweise aus seinen Archiven gelöscht bzw. im Titel abgeändert (vgl. hier).

Wenn dann der Bundesgesundheitsminister uns ständig mit Charaktertests und Charakterfragen erziehen möchte, aber anscheinend nicht einmal selber den „Charakter“ hat, das Restaurant zu informieren, in dem er drei Tage vor seiner Positivtestung gesessen hat, wäre auch das kein besonders charaktervoller Infektionsschutz. Und auch seine Quarantäne in einer Dahlemer Millionenvilla sah sicherlich obendrein etwas komfortabler aus als die von betroffenen Kindern in engen Hochhaussiedlungen von Marzahn oder Wedding. Auch das sollte nicht ignoriert werden. Wir sollten in all diesen Fragen die soziale Ungleichheit und die soziale Frage nicht vergessen. Unterschiedliche Maßnahmen wirken auf unterschiedliche Gruppen auch unterschiedlich.

Was ist Ihre Beobachtung im Hinblick auf Journalisten, wenn es um deren Blick auf Forschung geht?

Die Wissenschaftsjournalistin der Frankfurter Rundschau Pamela Dörhöfer hat ein interessantes Kriterium dafür, wer öffentlichkeitswirksam in Medien, Wissenschaft und Politik diskutieren darf. Zusammenfassend lässt sich ihre Auffassung wie folgt beschreiben: Drosten hat zu Coronaviren mehrfach publiziert. Er ist ein absoluter Experte. Der Mikrobiologe Bhakdi oder der Lungenfacharzt Wodarg haben nicht diese Kompetenz, deshalb kommen sie bei ihr nicht zu Wort. Ähnlich argumentiert der Professor für Wissenschaftskommunikation Markus Lehmkuhl: „‘Im Bereich von Coronaviren‘ sei Kekulé ‚eine Randfigur‘. Er arbeite ‚im Grunde gar nicht an der Wissenschaftsfront‘. Drosten hingegen ‚ist eine ganz zentrale Figur innerhalb dieser Community. Das kann man mit Sicherheit so sagen‘.“ (zit. nach: Tagesschau.de v. 28.5.2020)

Die Untersuchung der Frage, was Dörhöfer unter „Forschung“ versteht, die berechtigt ist, in ihren Artikeln behandelt zu werden, wäre ein schönes Forschungsprojekt. Dass der von ihr als „richtiger“ Forscher zum Sprechen berechtigte Wissenschaftler Drosten jedoch in allen möglichen Medien zu allen nur möglichen Fragen menschlichen Daseins und Handelns befragt wurde, zu denen er nun wirklich überhaupt nicht geforscht hat, lässt sie außen vor. Und die Tatsache, dass ihre Kollegen in der Redaktion zumindest nicht das „Forschungs“-Argument vorbringen konnten, um zu begründen, warum sie acht Monate lang Stimmen von Drosten widersprechenden Virologen ausgeblendet haben, übergeht sie ebenfalls. Auch sie waren geneigter, ihnen unangenehm erscheinende Positionen lieber zu beschweigen, als sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Zu letzterem waren sie nicht gewillt oder/und nicht in der Lage und haben damit der demokratischen Öffentlichkeit einen Bärendienst erwiesen. Diese Beurteilung gilt übrigens selbst dann, wenn man sehr wohl sehr viel Kritik an den Thesen von Bhakdi und Wodarg vorzubringen hat.

Der Demokratie einen Bärendienst erweisen viele Journalisten, wenn sie die öffentliche Diskussion stark verengen.

In dem Fall hier kommt es ja noch schlimmer. Nachdem nun also, wie Dörhöfer selbst zugibt, alle sich selbst als „niveauvoll“ erachtenden Medien die genannten und weitere Wissenschaftler erfolgreich ausgegrenzt haben, legitimiert Dörhöfer diese Ausgrenzung damit, dass die genannten „Nichtbeachtenswerten“ ihre öffentliche, wissenschaftliche, politische und mediale Kommunikation doch tatsächlich über alternative Kanäle und Medien suchten. Da diese Medien oder ihre Macher wiederum nicht akzeptabel seien, kommt hier ein seltsames Kontaktschuld-Delikt als nachträgliche Ausgrenzungslegitimation zum Tragen.

Was meinen Sie?

A hat mit B gesprochen und der steckt mit dem verwerflichen Inhalt oder der umstrittenen Person C unter einer Decke; deshalb darf nicht über und mit A gesprochen, ja nicht einmal gestritten werden. Dies ist als Ausgrenzungslegitimation immer etwas problematisch. Denn wer entscheidet dann über wessen Diskursbeteiligung am Streit? Zum Glück versucht der FR-Redakteur Stephan Hebel inzwischen etwas mehr Pluralität und Kontroversität im Blatt zu wagen.

Lassen Sie uns nochmal den Bogen zurück zum Thema „Kinder“ schlagen. Haben Sie Forderungen an die Politik? Was müsste jetzt zum Wohle der Kinder in der Corona-Krise getan werden?

Zu beobachten ist, wie Deutschland sich unter der Corona-Krise rückwärts bewegt. Viele Millionen Menschen werden in Kurzarbeit geschickt. Durch das wegfallende Einkommen entstehen tendenziell Armutslagen und soziale Polarisierung. Durch Coronamaßnahmen werden die Bildungsungleichheiten noch zunehmen. Hinzu kommt, dass die in der Regel etwa 20 Prozent höheren Einkommen der Männer wieder deutlicher an Bedeutung gewinnen und die Re-Traditionalisierung geschlechtlicher Arbeitsteilung begünstigen. Eine Reprivatisierung sozialer Risiken wird befördert, wonach jeder seines eigenen gesundheitlichen, familiären und gesellschaftlichen Glückes Schmied sei. Dies sind eindeutige Hinweise auf einen gesellschaftlichen Rückschritt im neoliberalen Zeitalter.

Auch deshalb ist zunächst eine gründliche und kritische Analyse des vorherrschenden Diskurses in Medien, Politik und Wissenschaft notwendig.

Dabei müssen die Perspektiven und die Partizipation der Kinder in den Vordergrund rücken. Daran anknüpfend gilt es, Konzepte zur Armutsbekämpfung zu entwickeln. Wichtig ist die Förderung sozialer Infrastruktur, das heißt zum Beispiel von Vereinen und Jugendclubs, mit denen Kinder und Jugendliche sich besser einbringen und integrieren können.

Konkret heißt das, erstens Maßnahmen gegen Armut und zur sozialen Absicherung der Kinder und Familien zu ergreifen. Zweitens müssen die kinderrechtlichen Prinzipien des Kindeswohlvorrangs, des Schutzes, der Förderung und vor allem der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Jugendverbänden (wieder) aufgebaut bzw. umgesetzt werden. Damit verbunden sind drittens Maßnahmen für einen (pandemiegerechten) Ausbau der sozialen Infrastruktur im Wohnumfeld v. a. mittels Jugendhilfe und offener Arbeit.

Anmerken möchte ich noch: Dabei dürfen wir zugleich den gesellschaftspolitischen Kontext einer immer reicher werdenden Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir darüber reden, wie wir die Lebenssituation von Kindern verbessern können, dann muss sich auch über Fragen von Macht und Herrschaft auseinandergesetzt werden. Es muss sich mit den Profiteuren der vorhandenen neoliberalen Ordnung auseinandergesetzt werden.

Titelbild: Sharomka/shutterstock.com


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