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Titel: Über die Einteilung der Welt in Gute und Böse und ihre möglichen Folgen. Von Hans Bleibinhaus.
Datum: 9. Dezember 2020 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
Verantwortlich: Redaktion
Mitten im Ersten Weltkrieg las der spanisch/US-amerikanische Philosoph George Santayana den Deutschen gehörig die Leviten[1]. Unter Berufung auf Hegel und Fichte behauptete er nicht weniger, als dass die Deutschen die biblische Fabel vom auserwählten Volk für sich reklamierten und sich deshalb ausersehen fühlten, die Welt an ihrem Wesen genesen zu lassen[2]. Diese in seinen Augen verrückte Annahme werde aber nicht religiös legitimiert, sondern fuße auf einem übersteigerten egozentrischen Idealismus.
Wie aber erreicht man ohne Zuhilfenahme einer göttlichen Setzung, dass ein derartiger Wahn (wenigstens) vom eigenen Volk nicht nur geglaubt, sondern als Tatsache angesehen wird?
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die Quintessenz aus Santayanas weiteren Ausführungen führt zu einer höchst einfachen Antwort: Wenn der Staat diese Wahnidee ständig und über eine lange Zeit wiederholt, gerinnt sie zur Selbstverständlichkeit. Einbildung wird zur Erkenntnis.
Im Folgenden wird sodann jegliche Erzählung über den Rest der Welt, die zu dieser Erkenntnis von der eigenen Überlegenheit passt, zur Tatsache. Fabeln werden zu Wahrheiten.
Und zum Schluss werden Handlungen, die zum System passen, zu gerechtfertigten Aktionen.
Der (Kampfes-)Wille wird zur Tugend.
Santayanas Analyse über das Reich der Hohenzollern ist nachvollziehbar.
Hundert Jahre später spricht vieles dafür, dass der Hang zu einer bis zum Irrsinn gesteigerten Selbstüberschätzung grundsätzlich bei jedem Staat oder jeder Staatengemeinschaft angelegt ist. Hegel und Fichte haben in modernen Spindoktoren Nachfolger gefunden, die jeder als zweckdienlich angesehenen Lagerbildung zur Verfügung stehen.
Die dreifache Metamorphose einer bloßen Einbildung zur Erkenntnis, einer schlüssigen Erzählung zur Wahrheit und einer passenden Aktion zur tugendhaften Handlung ist ganz offenbar zu einer ubiquitären Rechtfertigungstechnik geworden.
Gegenwärtig ist sie die Grundlage des im Gang befindlichen Kalten Krieges 2.0.
Als erstes wird die allgemeine Erfahrung, dass Gutes und Schlechtes überall auf der Welt gleichzeitig und nebeneinander existiert, durch die Lehre von der Existenz zweier reinlich geschiedenen Lager ersetzt: In WIR, die Guten und die ANDEREN, die Bösen.
Wer immer sich zu den WIR zählt, hat den ersten Schritt nach Santayanas Theorie schon getan: Hier die Verfechter von Freiheit, Menschenrechten, Demokratie und Völkerrecht; dort die dunklen Mächte der Aggressoren, Unterdrücker und Ausbeuter der eigenen Völker. Eines Beweises bedarf es dazu nicht. Es ist so.
Als Nächstes wird erzählt von Massenvernichtungswaffen, vom Bau von Atombomben, von der Verfolgung von Minderheiten, vom Massaker an Oppositionellen, vom Vergiften von Frauen und Kindern. Stimmig oder nicht, es gilt das verkündete Wort.
Schlussendlich ist es keine Frage, ob es sinnvoll und tugendhaft ist, Belgrad zu bombardieren, in den Irak und in Syrien einzumarschieren, einen General samt Begleitung in die Luft zu jagen und einen Krieg an der Grenze zu Russland zu üben.
Letzteres hat ein Virus als Vernunftersatz verhindert. Viele fragen sich nun, was nach der Coronakrise kommt.
Nachbemerkung Albrecht Müller: Hans Bleibinhaus hat hier in wenigen Zeilen beschrieben, was Mentalität, tatsächliches Handeln und Entscheiden sowie Propaganda und Redensarten der Repräsentanten des Westens ausmachen. Sein kleiner Text ist der Schlüssel zum Erkennen vieler bisheriger Vorgänge und vermutlich auch künftiger.
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