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Titel: Stimmen zum verhassten und bewunderten Kniefall Willy Brandts

Datum: 8. Dezember 2020 um 11:06 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
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Der Beitrag Ein Bundeskanzler kniet nieder – wo gibt‘s denn sowas? hat einige Reaktionen ausgelöst – kritische, bösartige wie den ersten Leserbrief und solche mit ein paar interessanten, für mich neuen Informationen wie im Leserbrief Nr. 2. In diesem Leserbrief wird berichtet, wie distanziert und mit spitzen Fingern deutsche Diplomaten noch im Jahre 1992 die friedensstiftende Geste vom 7. Dezember 1970 behandelten. Es gab jetzt im Kontext der Erinnerung einige Medienereignisse wie zum Beispiel einen Film des MDR, die zeigen, dass Willy Brandt in deutschen Hauptmilieu immer noch ein Stein des Anstoßes ist – für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik sowieso. *Nachtrag am 9. Dezember: Eine Mail von Arnulf Rating. Albrecht Müller.


1. Leserbrief

Werte NDS,
armer A.M.

Sie können es einfach nicht lassen, in dem Falle unbelehrbar! Ihre Liebe zum West-dt. Politgott ist wirklich patologisch! Selbst einen dt. Wehrmachtsoffizier Schmidt und Vor-Nachrüster können Sie noch etwas abgewinnen.

Natürlich ist es nicht falsch das gerade “Willi” etwas zahmer war. Aber was DURFTE er erreichen? Und was ist wirklich herausgekommen?

Bspw. die NATO hat er nicht verlassen. Sogar an Notstandsgesetzen mitgearbeitet. Am Verbot der KPD bei Euch hat er sicherlich kein Problem entdeckt. Als Bürgermeister von Westberlin eine Lachnummer!

Und er hat nicht für “Unser Land” sich seine Kniescheiben verbogen sondern Euch Wessis was vorgeheuchelt!

Anno 1970 waren wir in der DDR schon viel weiter in der Abarbeitung dt. Kriegsschuld. Die Oder/ Neiße – Friedensgrenze war längst politisches (positives) Dokma!

Gute Grüße. Benkwell.


2. Leserbrief

Danke für diese gute Erinnerung.

Als Willy Brandt an der Gedenkstätte für die Opfer des Warschauer Gettos niederkniete, war ich noch ein Schüler in Kaiserslautern. Die Mehrzahl meiner damaligen Lehrer war von dem Ereignis eher peinlich berührt.

Wie sehr diese Haltung bei deutschen Beamten sogar 22 Jahre später beim Tod Willy Brandts noch nachwirkte mag ein Erlebnis, dessen Zeuge ich wurde, illustrieren:

Als Willy Brandt gestorben war, schlug meine damalige Ehefrau, Kulturreferentin an der Deutschen Botschaft Warschau in der sog. Morgenrunde vor, dass die Botschaft doch ein Kondolenzbuch auslegen möge, da polnische Bürger den Wunsch haben könnten, sich dort einzutragen. Die Reaktion war sinngemäß (nicht wörtlich) ´wenn Sie sich das antun wollen, dann müssen Sie sich aber selbst dahin setzen´. So geschah es und außer meiner damaligen Frau waren nur Angehörige des gehobenen Dienstes (Konsularbereich) bereit das Kondolenzbuch zu betreuen.

Am Tag darauf (das Kondolenzbuch war bereit) war die ul. Dabrowiecka, wo sich damals die Botschaft befand, schwarz von Menschen, die sich in das von ihnen als Selbstverständlichkeit erwartete Kondolenzbuch eintragen wollten. Der Botschaft blieb eine große Blamage erspart.

Nachtrag: Kurze Zeit danach wurde im Vorstand des Schulvereins der “Deutschen Schule Warschau”, die noch den gleichen Namen trug wie die Deutsche Schule Warschau während der Nazi-Besetzung, von polnischen Eltern vorgeschlagen, diese Schule nun als deutsch-polnische Begegnungsschule “Willy Brandt-Schule” zu nennen. Von deutschen Eltern, hauptsächlich deutsche Diplomaten,  gab es dazu keine Zustimmung sondern hinhaltenden Widerstand. Es müssten zunächst alle Eltern befragt werden, was sich hinzog. Die Mehrheit, die dafür stimmte, war nicht überwältigend und kam nur durch die durchgängige Zustimmung der polnischen Eltern zustande.

Nachdenkseiten, macht weiter. Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende.

Klaus Jung, Grafschaft

Anmerkung Albrecht Müller: Was Klaus Jung über die Reaktion des gehobenen Deutschen Botschaftspersonals auf den Tod von Willy Brandt im Jahre 1992 berichtet, dürfte ungefähr dem entsprechen, was aktuell beim Vorgang selbst im Jahre 1970 zu spüren war. Die konservativen und nationalen Meinungsführer haben allerdings unterschätzt, dass die Geste im Warschauer Getto gerade auch in christlich geprägten konservativen Kreisen positive Spuren hinterlassen hat.


3. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

haben Sie vielen Dank für diesen Artikel, dem ich viele, viele Leser wünsche! Ich hatte immer das Gefühl, dass man einem Menschen in dieser Position, der so etwas UNERHÖRTES wagte wie Brandt in Warschau, vertrauen kann. Ich war ja damals noch Kind und habe es in der DDR nicht mal mitgekriegt. Aber seit ich politisch denken kann, ist mir die Tragweite solch einer symbolischen Geste bewusst geworden. Und als ich 1989 in den SDP, die später in der SPD aufging, eintrat, dachte ich: Eine Partei, die so einen Staatsmann hervorgebracht hat, kann doch nur für Frieden und Völkerverständigung sein. Dass es mal so weit kommt, dass ich Sozialdemokraten nicht einmal mehr als „das kleinere Übel“ wählen würde, hätte ich mir nie träumen lassen …

Übrigens haben Sie recht, Herr Müller: Diese Erfolgsgeschichte der Versöhnung droht in Vergessenheit zu geraten. Bei Gesprächen mit Kollegen musste ich erleben, dass keiner davon wusste. Die beiden schrecklichen Kriege Europas im 20. Jahrhundert sind allen noch irgendwie ein Begriff, aber Menschen, die diesen Kreislauf der Gewalt durchbrechen wollten, werden totgeschwiegen. Und wenn heute Leute für Frieden und Abrüstung ihre Stimme erheben, werden sie bestenfalls müde belächelt oder schlimmer als realitätsferne Spinner verunglimpft.

Man kann gar nicht genug darauf hinweisen, dass man auch anders (Außen- und Sicherheits-)Politik machen kann, als es heutzutage an der Tagesordnung ist. Willy Brandt ist der Beweis dafür!

Beste Grüße
Ihr R. B. (Dresden)


4. Leserbrief

Kniefall von Willy Brandt + Gedenken an die Kriegsverbrecher (Ein sehr unterschiedliches Gedenken an die Kriegsverbrecher-Prozesse in Nürnberg 1945)

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die zwei oben genannten Artikel sind eminent wichtig! Insbesondere die Geschichtsklitterung was die Befreiung durch die Sowjetunion angeht, kann man nicht genug betonen. In der Realschule in der 9. Klasse sagte der Geschichtslehrer uns, Stalin und Hitler wären gleich gewesen und es wurden auch nie die dramatischen Opferzahlen auf Seiten der Sowjets genannt. Das hat mich schon damals verwundert und auch heute und auch traurig gestimmt, denn mein Opa mütterlicherseits (russischer Abstammung) hat die letzten Kriegstage 1945 miterlebt und wenn man ihn auf die Gräuel anspricht, wird er sehr traurig und bekommt auch Flashbacks. Mit weit über 90 erfreut er sich aber noch vergleichsweise guter Gesundheit, wegen Corona kann man ihn aber natürlich nicht besuchen.

Ich bin ja als Kind von Thüringen zu Adoptiveltern in Bayern gekommen und hier ist die amerikanische Propaganda nach meinen Erfahrungen am tiefsten in Deutschland verankert. Da sagt mein gesetzlicher Betreuer, ein sehr liebevoller Mensch eigentlich und sozial enorm engagiert, “da haben uns die Chinesen mit Corona was tolles eingebrockt” und lauter so ähnliche Vorurteile. Im Geschichtsunterricht wurde gar zur Zeit nach dem 1. Weltkrieg Kurt Eisner übergangen, der den Freistaat Bayern, auf den die CSU-Schwachköpfe so stolz sind, erst gegründet hat. Irgendwie wird da alles der CSU und den Stockkonservativen zugesprochen. Geschwafel wie damals von Franz-Josef Strauß, dass Willy Brandt ein “Vaterlandsverräter” war, weil er nach Norwegen geflohen ist, hab ich an niederbayerischen Stammtischen auch wahrgenommen. Ich war schon in der Schulzeit sehr geschichtsinteressiert und habe natürlich zu den bedeutenden Personen nachgefragt. Natürlich am meisten beliebt: Strauss und Adenauer egal, ob der Verfassungsschutz nach dem Krieg mit SS- und  SA-Leuten voll war.

DIE LINKE Bayern macht in Bayern auch so gut wie keinen Stich, der Einzige, der sich gegen diese konservative Propaganda laut gewehrt hat, war und ist der Liedermacher Hans Söllner aus Bad Reichenhall. Trotz des Dialekts sind seine Werke sehr zu empfehlen und ich wünschte, mehr Leute würden ihn noch kennen. Auch wenn Regensburg, Ingolstadt, die Hallertau und Rottal-Inn in Niederbayern sehr schön sind, so bin ich von Bayern doch immer etwas enttäuscht gewesen was die Politik und die Einstellung angeht.

Apropos Bayern: Da Herr Müller vor Corona ja ein Treffen in Pfaffenhofen geplant hatte, habe ich damals in meinem Mindestlohnjob extra gespart und mir schon die betreffenden Tage davor und danach freigenommen. Wurde leider nix, aber ich hoffe nach dieser unsäglichen Pandemie können Sie es vielleicht einrichten. Gerne würde ich Ihnen auch Regensburg empfehlen; wir haben viele schöne Orte und Einrichtungen, wo man so etwas durchführen könnte.

Mit freundlichen Grüßen
Benedikt Windisch

Anm. A.M.:

  1. zum Kennenlernen von Hans Söllner
  2. Nach Pfaffenhofen komme ich, sobald es wieder möglich ist und sich jene Menschen, die wollen, auch wirklich versammeln können.

5. Leserbrief

Lieber Albrecht,

ergänzend zu Deinem wertvollen Beitrag zum Kniefall von Willy Brandt am 07.12.1970 möchte ich Dich und alle NDS-Leser*innen auf die Sonderprägung der Deutschen Bundesbank einer 2-Euro-Umlaufmünze zum Ereignis aufmerksam machen. Unter bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Briefmarken/2019/2019-11-06-PM35-Muenze-Kniefall-Warschau.html kann sich jeder die Münzgestaltung und die mitgereichte Erklärung dieses Ereignisses anschauen. Diese Münze  soll in einer Stückzahl von 30 Millionen geprägt werden und wird seit dem 08.Okt. 2020 ausgegeben. Sie kann bei bei jeder Filiale der Deutschen Bundesbank erworben werden und eignet sich, meine ich, als besonderes “Geschenk” für jeden Mitstreiter für Frieden und Völkerfreundschaft. Beim Broteinkauf letzte Woche wurde mir diese Münze als Wechselgeld zurück gegeben und zufällig ist mir dabei deren Rückseite mit der Gestaltung des Ereignisses vor 50 Jahren aufgefallen, was mich und meine Freunde damals als Juso und engagierter 68er bis heute nachhaltig beeindruckt und motiviert hat. Diese Münze habe ich natürlich behalten und liegt jetzt, wo ich diese Mitteilung schreibe, direkt vor mir.

Mit besten Grüßen nach Bad Bergzabern,

Reinhold Lang
Karlsruhe


6. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

ich habe meinen Kindern schon vorlanger Zeit gesagt, dass ich den Kniefall für das bedeutendste Ereignis der Nachkriegszeit halte…

Herzlichst
Ihr HU Bünger
Freudenstadt


7. Leserbrief

Lieber Albrecht Müller,

Ihre heutige Erinnerung an den Kniefall von Willy Brandt vor 50 Jahren in Warschau hat mich sehr bewegt, zumal ich gerade dabei war, an die Spitzen der GRÜNEN meine Stellungnahme zur Bundeswehr und den Militärausgaben abzusenden.

In dieser Stellungnahme beziehe ich mich auch ausdrücklich auf die Entspannungspolitik von Willy Brandt.

Hier also zu Ihrer Information meine Stellungnahme.

(s.hier)

Liebe Grüße, Ihr Christian Holtgreve


*8. Leserbrief – Eine Mail von Arnulf Rating

Lieber Albrecht Müller,

danke für sehr vieles; Dank insbesondere für das Erinnern an Willy Brandts Kniefall und den wichtigen Satz aus Brandts Regierungserklärung “Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein – nach innen und nach außen.”

Wollen wir hoffen, dass das zukünftige deutsche Außenpolitiker erinnern und umsetzen. Wenn Joschka Fischer das in seine Überlegungen Anfang der 90er Jahre in seinem Buch “Risiko Deutschland” einbezogen hätte, wäre er vielleicht zu einem anderen Ergebnis gekommen. Aber das wollte er wohl erst gar nicht.

Ich war damals skeptisch. Als junger Totalverweigerer war mir zuwider, dass die Bundesrepublik Deutschland auch unter Willy Brandt die Mitgliedschaft in der NATO nicht infrage stellte – wohl auch nicht konnte. Dennoch war eine andere Politik möglich. Was das für einen Respekt verdient und für ein Kraftakt war, ist mir erst sehr viel später und jetzt noch einmal durch Ihre Erinnerung an diesen Satz deutlich geworden.

Beste Grüße!
Arnulf Rating


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