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Titel: Rechte und linke Demonstrationen in Spanien gegen das neue Bildungsgesetz

Datum: 2. Dezember 2020 um 9:58 Uhr
Rubrik: Bildungspolitik, Länderberichte, Schulsystem
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Helmut Jutzi, ein NachDenkSeiten-Leser, der in Spanien in der Region Alicante lebt, hat im letzten Mai einen NDS-Gesprächskreis in Spanien gegründet. Seither tauscht sich dort eine kleine Gruppe – meistens virtuell – nicht nur über spanische gesellschaftspolitische Themen aus. Herr Jutzi engagiert sich in der parteilosen Organisation Hispanohablantes, er führt ein Blog zum Katalonienkonflikt und reklamiert zu recht, dass bei den NachDenkSeiten Berichte aus und über Spanien selten vorkommen. Seinen Artikel über das neue Bildungsgesetz, die Hintergründe und die für heute angekündigten Demonstrationen empfehlen wir deshalb gerne zur Lektüre, weil er uns interessante Einblicke ermöglicht. Von Anette Sorg.

In mehr als 30 spanischen Provinzen gab es sehr große Autodemonstrationen, angeführt durch die rechten Parteien PP, Vox und Ciudadanos, gegen das neue Bildungsgesetz, genannt nach der spanischen Bildungsministerin: Ley Celaà. Dieses Gesetz wurde von den regierenden Parteien PSOE und Podemos zusammen mit mehreren Parteien aus den autonomen Gebieten mit Regionalsprachen, darunter der separatistischen ERC (Republikanische Linke Kataloniens), beschlossen und war Voraussetzung dafür, dass der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez seinen Haushalt für das kommende Jahr genehmigt bekommen hat. Nun haben auch neun linke Vereinigungen für Mittwoch, den 2. Dezember, zu einer Demonstration in Barcelona gegen dieses Gesetz aufgerufen.

Das spanische Bildungssystem

Um die Hintergründe besser zu verstehen, muss man die Struktur des spanischen Bildungswesens kennen. Für die Periode 2018/19 wurden in Spanien insgesamt 28.531 Schulen gezählt, davon haben nur 19.112 öffentlichen Charakter. Das bedeutet, dass ziemlich genau 1/3 aller Schulen privat sind. Immerhin gibt es 122 mehr Schulen als im Vorjahr 2017/18, davon sind jedoch nur 20 öffentlich, der Rest gehört zum Privatsektor.

Die Besonderheit im privaten Bildungssektor ist, dass er zum allergrößten Teil von den “concertadas” bestimmt wird. Die “concertadas” wiederum werden fast alle durch die katholische Kirche, darunter auch das Opus Dei, geführt. Dabei werden die “concertadas” zu einem nicht unbeträchtlichen Teil durch den Staat mitfinanziert, wobei dieser Anteil von verschiedenen Bedingungen abhängig ist. Die meinem Wohnort nächste “concertada” verlangt 500 Euro/Monat/Schüler von den Eltern, allerdings ist in diesem Preis das Mittagessen enthalten.

Nur ein sehr geringer Teil der Privatschulen ist wirklich im Wesentlichen unabhängig von spanischer staatlicher Unterstützung, weshalb sie in der Regel einen Monatsbeitrag von ca. 1.000 Euro pro Schüler fordern.

Die Attraktivität der “concertadas”

Der Willen vieler Eltern, dieses Geld für die Kinder aufzubringen, ist hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass sich die öffentlichen Schulen teilweise in einem traurigen Zustand befinden. Containerbauten wie auf einer Baustelle sind keine Seltenheit. Das Bildungsniveau wird ebenfalls als kritisch betrachtet, nicht zuletzt auch, weil es ähnlich deutscher Zustände in entsprechenden Vierteln durch Immigrantenanteile, wo häufig Kenntnisse der Landessprache fehlen, mitbestimmt wird. Inwieweit religiöse Gründe eine Rolle für die Entsendung von Kindern auf die “concertadas” spielen, ist unklar.

Die Privatschulen sind zwar offiziell den Bildungsgesetzen unterworfen, das Gesetz erlaubt ihnen jedoch eine gewisse Flexibilität in der Aufrechterhaltung des Unterrichts in spanischer Sprache.

Die Verwendung der Verkehrssprachen in der Realität

Das Gestrüpp spanischer Gesetze und Gerichtsurteile verlangt meistens, dass in den Gebieten mit Regionalsprache mindestens 25% des Unterrichts jeweils in Spanisch und in der jeweiligen Regionalsprache stattfinden muss. Das ist aber Theorie.

In Katalonien wird an einigen öffentlichen Schulen überhaupt kein Spanisch mehr unterrichtet, in vielen Schulen wird Katalan als alleinige Verkehrssprache angewandt. Man spricht in diesem Zusammenhang von Immersion, das bedeutet praktisch Eintauchen in die Sprache. Damit ignoriert die katalanische Verwaltung die Forderung des höchsten spanischen Gerichts, wonach mindestens 25% des Unterrichts auf Spanisch stattfinden muss. Wenn denn dem Verlangen nach Spanisch nachgegeben wird, passiert das häufig, indem Sport, Musik und Mathematik auf Spanisch gelehrt werden, Fächer, die für die sprachliche Ausbildung eher irrelevant sind.

Die Änderungen durch das Ley Celaà

Das nun verabschiedete Ley Celaà streicht Mittel für die Privatschulen zusammen und erlässt Vorschriften über die Verpflichtung der örtlichen Nähe des Schülers zum Schulzentrum.

Der Religionsunterricht soll abgeschafft werden bzw. die Benotung nicht mehr in die Gesamtnote einfließen.

Der spanischen Sprache wird der Status als Verkehrssprache aberkannt und dies wird den Anhängern der Separatisten, sei es in Katalonien, Valencia, den Balearen oder Galicien, die Möglichkeit eröffnen, den Sprachzwang für die Regionalsprache zu erhöhen und das Spanische ganz oder noch mehr aus den öffentlichen Schulen zu verbannen.

Die Motive für die diversen Oppositionparteien

Die spanischen rechten Parteien beklagen alle drei Gesichtspunkte des Ley Celaà. Die Kürzung der Mittel führe zu einer Bildungsgleichheit auf niederem Niveau. Die katholische Kirche will den Einfluss der Religion auf die Erziehung behalten. Allen Spaniern müsse ein Minimum an Kenntnis der spanischen Sprache ermöglicht werden.

Das Gewicht linker Kritik liegt im Wesentlichen auf der weiteren Marginalisierung der spanischen Sprache.

In einer Erklärung gegenüber der Presseagentur EFE sagte Javier Marin, Vizepräsident der Sociedad Civil Catalan (Katalanische Zivilgesellschaft) und einer der Sprecher der neun linken Vereinigungen, sie wollten zeigen, dass nicht nur die Rechte gegen das Bildungsprojekt der Regierung sei, sondern auch die Linke wegen der Zurückweisung der spanischen Sprache. Er hofft, dass diese erste Mobilisierung gegen das Celaá-Gesetz in Katalonien in den kommenden Wochen massiveren Mobilisierungen weichen wird.

Zur Bedeutung der Unterrichtsprache muss man betonen, dass auch in allen spanischen Gebieten mit Regionalsprachen die Muttersprache der Mehrheit der Bewohner Spanisch ist. Nach einem Zensus in 2013 gaben 46,53% der Katalanen Spanisch als ihre Muttersprache an, 37,26% erwähnten Katalan und 11,95% beide Sprachen. Dort muss fast die Hälfte aller Kinder in der ihnen fremden Regionalsprache lernen und die Hilfe der Eltern bei den Schulaufgaben wird schwierig.

Um dem Sprachenstreit zu entgehen, hatte sich vor 3 Jahren die parteilose Organisation “Hablamos Español” gegründet. Sie forderte, die Eltern und nicht die Parteien mögen über die Verkehrssprache für den Unterricht bestimmen. Für diese Forderungen wurden 2019 über 500.000 Unterschriften gesammelt und der Regierung übergeben. Diese Petition wurde aus formalen Gründen abgelehnt und eine erneute Unterschriftensammlung wurde durch die Corona-Restriktionen unmöglich gemacht.

Was würde zur Lösung des Konfliktes beitragen?

Mehr Geld in das System der öffentlichen Schulen, damit diese das Bildungniveau entscheidend erhöhen können und die Möglichkeit eröffnen, Unterricht für die Schüler in der Sprache anzubieten, die die Eltern möchten.

Das geht aber nicht mit dem Haushalt, für den die Parteien jetzt gestimmt haben. Über 9 Milliarden Euro werden dem Verteidigungsministerium zugeschlagen, mit nur einer “leichten” Steigerung von 400 Millionen oder 4,7%.

Zahlen für die Bildung für den jetzt verabschiedeten Haushalt habe ich leider noch nicht finden können. Ich befürchte aber nichts Gutes. Von 2012 bis 2017 betrug die Kürzung 3,1 %, wie man noch im September dieses Jahres lesen konnte.

Es bleibt anzumerken, dass auch die “concertada”, auf die die Ministerin Celaá ihre Töchter schickte, gegen das Gesetz rebelliert. Aber mit dem Ministergehalt könnte man auch eventuelle Enkel problemlos auf eine “concertada” schicken, selbst bei gekürzten staatlichen Mitteln. Das erinnert irgendwie an die deutsche ehemalige Ministerin Schwesig. „Wasser predigen und Wein saufen“, sagt man im Volksmund dazu.

Unter den linken Organisationen, die zur Demonstration am 2. Dezember aufrufen, befinden sich:

  • Partido Feminista,
  • Centro Izquierda de España,
  • Alternativa Ciudadana Progresista,
  • la Asamblea Social de la Izquierda de Cataluña,
  • Unidos Sí,
  • Izquierda en Positivo,
  • Somos España y Partido Socialista del Trabajo.

Titelbild: wavebreakmedia/shutterstock.com


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