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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages (2)
Datum: 3. September 2010 um 16:07 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Unter anderem zu folgenden Themen: Kapitalisten sind ratlos; Export wieder auf Touren; das Ende der Bescheidenheit; Weltkonjunktur – Auf Treibsand gebaut; Gesetz gegen Leiharbeit-Missbrauch geplant; mächtige Lobbys; wo ist das Öl im Golf von Mexiko; Sarrazin; Bundesbank erledigt Geschäft der Politik; Obama erklärt Kampfeinsatz im Irak für beendet; Tatsachen fälschen; Talkshows bieten nur ein Forum für Politiker. (WL)
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Quelle: DIW Wochenbericht [PDF – 373KB]
Anmerkung: Mit einer interessanten Grafik.
Anmerkung unseres Lesers B.M.: Wieder ein Beispiel dafür, dass die Politik dem Volk „Weiße Salbe“ als probates Medikament verkaufen will…
Jeder, der sich auch nur ansatzweise mit der Thematik beschäftigt weiß, das neben der Zerstörung von Lohnstrukturen und sicherer Arbeitsverhältnisse, hinter diesen Vorschlägen weitere Verunsicherung der Arbeitnehmer und ein weiterer Schritt gegen die Gewerkschaften eingeleitet wurde. Der Drehtüreffekt ist weiterhin zugelassen, ein Arbeitnehmer der betriebsbedingt oder in der nun laufenden Probezeit gekündigt wird, hat dann gleich mehrere Makel: einen (weiteren) Bruch in der Erwerbsbiografie, das negative Image des Leih„arbeitnehmers“, das er wie das Halo des Mondes untrennbar mit sich trägt, oder der Anschein des unsicheren und unzuverlässigen Kantonisten, den sein „Arbeitgeber“ so günstig disziplinieren oder leichter loswerden kann.
Das Gesetz kann ich nur als Verhöhnung der Bevölkerung bezeichnen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Als erstes ist auf indischem Druck in diesen Verhandlungen die vertragliche Aufnahme von Sozial- und Umweltstandards herausgefallen. So arbeiten in vielen indischen Exportbranchen vom Steinmetzhandwerk bis zur Textilindustrie Kinder für einen Hungerlohn.
Anmerkung Orlando Pascheit: Gott sei Dank, mag mancher denken. Selbst beim Integrationsvorbild USA wird erkannt, dass die westliche Kultur bedroht sei. Die anderen atmen vielleicht erleichtert auf und sagen sich, wir sind nicht allein, auch anderswo gibt es Spinner. Aber im Ernst, ist das alles so neu? „Solange es Menschen auf der Erde gibt, wird der Kampf zwischen Menschen und Untermenschen geschichtliche Regel sein, gehört dieser vom Juden geführte Kampf gegen die Völker… zum natürlichen Ablauf des Lebens,… wie der Kampf des Pestbazillus gegen den gesunden Körper.“ (Himmler 1935) Auf der anderen Seite “steht eine Welt, wie wir sie uns vorstellen: schön, anständig, sozial gerecht, die vielleicht im einzelnen mit manchen Fehlern noch behaftet ist, aber im ganzen eine frohe, schöne, kulturerfüllte Welt, so wie unser Deutschland eben ist. Auf der anderen Seite… ” (Himmler 1941). Etwas zeitnäher wird in den medialen Schlachten vor dem Balkankrieg im Memorandum der ‘serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste’ vom Genozid der albanische Bevölkerungsmehrheit an den Serben im Kosovo gesprochen: ” Der physische, politische, juristische und kulturelle Genozid an der serbischen Bevölkerung von Kosovo und Metohohika ist die schwerste Niederlage in den von Serbien geführten Befreiungskämpfen” (1986). Hat Thilo glatt übernommen: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“ Natürlich verfielen damals nicht nur die Serben sonder auch die Slowenen in eine zunehmend völkische Rhetorik. Der Zustrom der albanischen Gastarbeiter wurde wie folgt interpretiert „Die Überbevölkerung treibt die Albaner zum Territorialen Expansionismus … wie übervermehrte Ratten oder Ameisen … Die Lösung sehen sie in einem Leben auf Kosten des anderen.“ (1987). Kommt einem doch sehr bekannt vor, wenn man bei Thilo Sarrazin von “muslimischen Migranten” liest, dass sie “nicht den eigenen wirtschaftlichen Erfolg” anstreben, sondern “die Absicherung und Alimentierung durch den Sozialstaat”.
Mancher wird einwenden, der Mann sei Wissenschaftler, Volkswirt. Er belege das alles mit Statistiken. In der Tat, es sind sogar 33 Statistiken. Mich wundert allerdings dieses große Vertrauen in die Statistiken eines Volkswirts. War da nicht etwas? Finanzkrise, Wirtschaftkrise? Fast keiner, auch kein Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, hat die globale Wirtschaftskrise prognostiziert, aber Sarrazin prognostiziert mit Hilfe amtlicher Daten, dass die Deutschen bei gleichbleibender Entwicklung in 120 Jahren zu 75 Prozent einen Migrationshintergrund haben werden. Dankenswerterweise haben die Leute bei „Hart aber fair“ die gleiche Trendrechnung aufgemacht, nur mit Zahlen von 1890. Demnach müsste Deutschland heute 250 Millionen Einwohner haben. – Nur, selbst wenn Sarrazzin recht hätte, was soll das? Noch 1911 stellten Migranten 36 Prozent der Belegschaften der Zechen des Ruhrgebiets. Das waren Bergleute polnischer Abstammung. Und die Ruhrpolen wurden von den deutschen Arbeitern durchaus als fremd wahrgenommen. Und später? Wie ein Mann standen sie hinter dem berühmten “Schalker Kreisel” Szepan, Kuzorra, Tibulsky, Kalwitzki, Burdenski, Przybylski, Czerwinski, Urban, Zajons waren Spieler polnischer Abstammung. Die Polen bildeten im Zuge der deutschen Industrialisierung nicht nur in den Städten des Ruhrgebiets (Essen, Dortmund, Gelsenkirchen Bochum) ein eigenständiges Milieu, sondern in fast allen deutschen Großstädten sog. polnischen ‚Kolonien‘, in Berlin, Hamburg, Bremen, Düsseldorf, Mannheim und in Frankfurt am Main. Diese Polen sind heute voll integriert.
Und was ist mit den anderen Wahrheiten des Thilo Sarrazin? Ein wirklich alter Hut: In sozialen Brennpunkten unserer Großstädte gibt es Probleme, z. B. überproportional viele Hartz IV-Bezieher und noch mehr unter Migranten. Mit noch mehr unter Türken oder Muslimen sollte man schon etwas vorsichtiger sein, denn die Spätaussiedler aus dem früheren Ostblock führen hier mit deutlichem Abstand. Nur, was ist daran so neu, Jahr für Jahr berichten das Statistische Bundesamt, die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Medien referieren das. Im September 2009 bekamen laut BA insgesamt 6,7 Millionen Menschen Hartz IV. Der Anteil von Hilfebedürftigen mit Migrationshintergrund liegt bei etwa 28 Prozent. Damit beziehen Menschen aus Zuwandererfamilien etwa doppelt so häufig Hartz IV wie Deutsche ohne Migrationshintergrund. – Herrschaften, für diese Information braucht man nicht Herrn Sarrazin. Neu ist eines: die Parallele zum dem biologistischen Weltbild der Nationalsozialisten.
Ich möchte Sarrazin nicht unterstellen, dass er sich wirklich darüber im Klaren ist, dass er NS-Ideologie verbreitet. Aber die Reaktionen am rechten Rand zeigen, dass er Neonazis zuarbeitet und vor allem eine bedauerliche, aber leider vorhandene Fremdenfeindlichkeit bei uns allen schürt. – Der Erfolg Sarrazins ist vor allem deswegen so unerträglich, weil seine Thesen gerade von der politischen Verantwortung für die Verhältnisse in den sozialen Brennpunkten unserer Großstädte ablenken und er diese Verhältnisse den Opfern dieser Politik zuschreibt. Für ihn besteht die politische Verantwortung eher darin, dass die Politik diesen ungesunden Genpool noch nicht entsorgt hat.
Es gibt ein schönes, bitteres Interview mit der fast 100-Jährigen Sonja Sonnenfeld kurz vor ihrem Tod.
Frau Sonnenfeld ist ein konkretes Beispiel dafür, wie eine Minderheit in Deutschland vertrieben bzw. ausgerottet wurde, weil diese für den deutschen ‘Volkskörper’ als ungesund definiert wurde. Dass ihr Interview berührt, wird dadurch intensiviert, dass diese Frau ihre Heimat, ihre Stadt geliebt hat. Besonders beeindruckend fand ich ihre Rede davon, daß die Deutschen zu denken aufgehört hätten. Ihr Bezug ist die Aufforderung Goebbels: “Deutsche hört auf zu denken, der Führer denkt für euch!” In Bezug auf die NachDenkSeiten ein sehr sinniges Zitat. Wohin das Nichtnachdenken geführt hat, wissen wir alle: Die Deutschen haben nicht nur die mörderische Vernichtung dieser Minderheit betrieben und Deutschland wurde fast abgeschafft. – Sollen wir heute Herrn Sarrazin & Co das Denken überlassen?
Anmerkung Orlando Pascheit: Aus Europa nichts Neues: Sparen allerorten und auf Kosten der Ärmsten
Anmerkung Orlando Pascheit: Obama betont zwar, dass er mit Beendigung des Kampfeinsatzes ein Wahlversprechen einlöse, aber er verliert kein Wort darüber , warum er schon immer für diesen Rückzug plädierte, mit anderen Worten eine politische Bilanzierung findet nicht statt. Stattdessen: “Wie ich gesagt habe, gab es Patrioten, die diesen Krieg unterstützt haben, und Patrioten, die gegen ihn waren. (…) Die Größe unserer Demokratie gründet in der Fähigkeit, unsere Differenzen zu überwinden und von unseren Erfahrungen zu lernen, während wir uns den vielen Herausforderungen stellen, die vor uns liegen. Und keine Herausforderung ist grundlegender für unsere Sicherheit als unser Kampf gegen al-Qaida.”
Es ist schon seltsam, wie schwer sich Politiker tun, von einmal gefassten Zielen öffentlich Abstand zu nehmen, auch wenn die Realität schon längst eine andere ist. Verteidigungsminister Robert Gates hat in Bezug auf den Irakkrieg ganz gut erkannt, dass das Problem mit diesem Krieg für viele Amerikaner sei, dass “die Prämisse, unter der er begonnen wurde, sich als nicht zutreffend erwiesen hat.” Was für George W. Bush die nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen waren, könnte für Barack Obama das Festhalten am Kriegsziel Al Qaida in Afghanistan werden. Die Washington Post und das Wall Street Journal berichteten unter Berufung auf Regierungsbeamte und Geheimdienstler, dass die Regierung schon längst die Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel im Zentrum der Terrorismusbekämpfung sehe. “Die Grenzregion Pakistan-Afghanistan wird in Zukunft nicht mehr das einzige oder auch nur das wichtigste Ursprungsgebiet von Attentatsverdächtigen sein”, zitiert die Washington Post den ehemaligen hochrangigen CIA-Offizier und von Obama ursprünglich zum CIA-Chef nominierten Philip Mudd.
Ebenso berichtet die Washington Post, dass die Auswertung der Afghanistan-Papiere (Wikileaks) ergebe, dass Al Qaida kaum noch erwähnt werde und nicht mehr als Hauptziel bezeichnet werden könne.
Zuviel Wasser im Sahel
Überschwemmungen nach extremer Trockenheit: Zehn Millionen Menschen in vier Staaten der Subsaharazone von humanitärer Katastrophe bedroht. Hunger ist für die Einwohner der genannten Staaten am Südrand der Sahara kein Fremdwort. Viele von ihnen sind über mehrere Monate eines jeden Jahres davon betroffen. In der langen Trockenperiode zwischen den wenigen Regenfällen bleibt den Menschen nichts übrig, als sich extrem einzuschränken – und sich an die bittere Realität gravierender Nahrungs-, Wasser- und Futtermittelknappheit anzupassen. Was sich gegenwärtig in dem genannten Teil der Sahelzone abzeichnet, ist jedoch eine Krise seltenen Ausmaßes. Zunächst waren große Teile der Ernte 2009 extremer Trockenheit zum Opfer gefallen. Jetzt haben sintflutartige Regenfälle die Situation verschärft. Die frühestens Ende September anstehende Ernte dieses Jahres ist ebenfalls in Gefahr. Hinzu kommt, daß selbst die Großen der Hilfsorganisationen sowie die UN-Agenturen längst an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind. Die Erdbebennothilfe in Haiti war kaum halbwegs abgeschlossen, da überfluteten Wassermassen Pakistan. Vorräte gibt es keine mehr, die Reserven, materiell wie finanziell, sind erschöpft und Kräfte müssen aufgeteilt werden. Zudem sorgt die globale Verknappung – und damit Verteuerung – von Reis und anderen Grundnahrungsmitteln dafür, daß Hilfe für die Notleidenden in Afrika zusätzlich erschwert wird.
Quelle: junge Welt
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