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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Corona: Ein Geist von Schikane und Denunziation
Datum: 20. Oktober 2020 um 11:21 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
Verantwortlich: Tobias Riegel
Wer sich momentan kritisch zum Verhalten von Medien und Regierung äußert, dem wird nicht mit Argumenten begegnet: Neben Diffamierungen treffen die Kritiker Schikanen bis ins Berufs- und Privatleben hinein. In der Gesellschaft wird ein Geist des Boykotts und der Denunziation gesät. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Niemand sollte um seinen Job, sein Bankkonto, seine Versicherung, seinen Facebook-Account oder seinen Mietvertrag besorgt sein müssen, weil er oder sie sich politisch äußert. Und seien die Positionen auch noch so „umstritten“. Natürlich ist die argumentative Widerrede immer erlaubt, auch mit harten verbalen Bandagen. Aber Sanktionen, die über eine sachliche Widerrede hinausgehen, dürfen selbst bei justiziablen Äußerungen wie Beleidigung oder Volksverhetzung ausschließlich Gerichte verhängen – und nicht etwa Medien, Arbeitgeber, Versicherungen oder private Internet-Dienstleister.
Bei Äußerungen, die keine Gesetze verletzen, sollte sich überhaupt niemand berufen fühlen, die Person zu maßregeln – es sei denn, dies geschieht in Form der besseren Argumente in einem fairen Meinungsaustausch. Forderungen nach Schikanen im privaten oder beruflichen Bereich Andersdenkender sind strikt abzulehnen – auch wenn sie den politischen Gegner treffen. Gleichzeitig sind die Gerichte erheblich zu stärken, damit sie überhaupt in der Lage sind, die betreffenden Urteile zu fällen, bevor dies Redakteure mit viel Sendungsbewusstsein tun.
Skandalös: Bankkonto für „Corona-Leugner“
Beispiele für Fälle der Schikane oder für Aufrufe zur Denunziation gibt es aus der jüngeren Vergangenheit zahlreiche – dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Vielleicht haben unsere Leser Kenntnis von weiteren Fällen der privaten oder beruflichen Schikane aus politischen Gründen. Bei einem Beispiel forderte die „taz“ indirekt, Ken Jebsen (aus inhaltlichen/politischen Gründen) das Bankkonto zu sperren. Denn: „Ausgerechnet dem Verschwörungstheoretiker und Coronaleugner Ken Jebsen bietet die GLS eine Geschäftsverbindung.“ Die „taz“ fährt fort:
“Umso unverständlicher bleibt, dass ausgerechnet die ökosoziale GLS Jebsen Unterstützung bietet. (…) Warum diese nicht gekündigt wird, bleibt dagegen offen: Einen zehn Punkte umfassenden Fragenkatalog der taz ließ das Kreditinstitut trotz mehrfacher Nachfrage unbeantwortet.“
Bereits kurz zuvor hatte sich ebenfalls die „taz“ in diesem Artikel indirekt angemaßt, den Organisatoren des „Demokratischen Widerstands“ den Rückzug in der eigenen Wohnung (aus politisch/inhaltlichen Gründen) streitig zu machen. Die lockdown-kritische Gruppe beklagt sich auch über andere Schikanen, die über die „normale“ politische Auseinandersetzung hinaus gingen. So sei (nach Angaben der Gruppe) das Vereinskonto wiederholt gesperrt worden: „Nach erneuter Kontokündigung zieht unser Konto nun ins Ausland“, erklärt die Gruppe aktuell auf ihrer Internetseite, ohne weitere Hintergründe zu nennen.
Kritische Beamte „vorerst von den Aufgaben entbunden“
Weitet man den Blickwinkel etwas, könnte in dem Zusammenhang indirekt auch ein kürzlich aus seiner Fraktion (nicht aus der Partei) ausgeschlossener Grüner Politiker genannt werden. Oder ein Kriminalhauptkommissar, der wegen einer kritischen Rede „vorerst“ von seinen Aufgaben „entbunden“ worden sei. Oder ein Informant aus dem Bundesinnenministerium (BMI), den die NachDenkSeiten in diesem Artikel thematisiert haben : Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, durch das Ministerium sei inzwischen „sichergestellt worden“, dass der Verfasser des Schreibens nicht weiter „den Eindruck erwecken könne, er handele für oder im Namen des Ministeriums“. Nach einem Bericht des „Spiegel“ wurde der Mann von seinen Dienstpflichten entbunden. Nennen könnte man in dem Zusammenhang auch den freien Autoren der NZZ Milosz Matuschek, der wegen dieses Artikels nach eigenen Angaben nicht weiterbeschäftigt wird.
Man kann die Fälle nicht über einen Kamm scheren. Es gibt auch Situationen, in denen sich das politische Engagement durchaus etwa auf das Arbeitsverhältnis auswirken kann, wenn gerichtlich Verstöße festgestellt werden. Bei den hier genannten Fällen könnten auch das Beamtenrecht oder das Parteistatut greifen. Bei dem nicht weiterbeschäftigten NZZ-Autor könnte man auf die Entscheidungshoheit der NZZ-Redaktion verweisen.
Man kann also nicht alle der in diesem Text thematisierten Vorgänge gleichermaßen verurteilen – aber durch die Häufung der Vorkommnisse entsteht unter dem Strich der fatale Eindruck einer sehr bedenklichen Tendenz.
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Das geht so ...
Bitte denunzieren Sie Ihren Nachbarn und den Arzt Ihres Vertrauens
Außerdem werden weitere bedenkliche Tendenzen gesellschaftsfähig: Forderungen nach Boykott und Denunziation. Dafür seien hier zwei Beispiele unter vielen vorgestellt. Zum einen bietet die Stadt Essen ein Online-Formular an, in dem Bürger anonym andere Bürger anschwärzen können, wegen angeblicher Verstöße gegen die Corona-Regeln. Dieser Aufruf zur gegenseitigen und anonymen Bürger-Bespitzelung ist skandalös.
In einem anderen Fall werden Patienten dazu aufgerufen, der Ärztekammer zu melden, wenn der eigene Arzt gegen die Corona-Regeln argumentiert, wie Medien berichten. Demnach rät die Sprecherin der Ärztekammer Nordrhein den Patienten, gegenüber den Ärzten ihres Vertrauens „wachsam und kritisch“ zu sein. Und diese Ärzte im Zweifel auch zu denunzieren: Wenn der (Haus-)Arzt also „die Gefahr durch das Coronavirus“ herunterspiele, sollten die Bürger „entsprechende Fälle“ der zuständigen Ärztekammer melden:
“Wir gehen dann der Sache nach.”
Neben Schikane und Denunziation kann mittlerweile auch offen der Boykott von unliebsamen Personen, in diesem Fall „problematischer Künstler“, thematisiert werden. So ist in dieser Umfrage das Ergebnis sehr bedenklich. Man sollte aber andererseits immer bedenken, dass Umfragen generell unter starkem Vorbehalt stehen, wie die NachDenkSeiten gerade im dem Artikel „Corona und Umfragen: Die simulierte Übereinstimmung“ beschrieben haben.
Auch der Gegner darf nicht schikaniert werden
In diesem Text geht es nicht darum, eine der Deutungen zu Corona als unangreifbar zu erklären. Es geht um eine (ergebnisoffene!) Diskussionskultur und um gleiche Chancen für verschiedene Sichtweisen innerhalb der Debatte. Es geht ums Prinzip, nicht (nur) um Corona: Die Ablehnung der Schikane-Techniken bedeutet nicht automatisch eine inhaltliche Verteidigung der betroffenen Personen. Hier geht es um Kategorien des menschlichen Anstands, die über der politischen Auseinandersetzung stehen. Darum sollte man auch politische Gegner verteidigen, wenn ihnen aus politischen Gründen das Arbeitsverhältnis, das Bankkonto oder der Rückzug in der eigenen Wohnung streitig gemacht werden.
Titelbild: AlejandroCarnicero / Shutterstock
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