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Titel: Zwei Sequenzen reichen, um unser Nachbarland madig zu machen

Datum: 28. September 2020 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Hier ist ein Bericht von Frank Blenz zu einem Stück der ARD-Tagesthemen über Tschechien im Vergleich zum konkreten Erleben des Autors zu Gast beim Nachbarn Tschechien. Ich ergänze seine Beobachtung mit dem Hinweis auf die samstägliche Schlagzeile meiner Tageszeitung: „Spahn rät von Urlaub im Ausland ab“. Das sind nur zwei von vielen anderen Belegen für das widerliche Deutschland, das heute die Schlagzeilen und zumindest die Stammtische der Hauptstadt-Politiker und -Medien beherrscht. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zwei Sequenzen reichen, um unser Nachbarland madig zu machen. Von Frank Blenz.

Die Redaktion der öffentlich-rechtlichen ARD-Tagesthemen leistet es sich, mit hinterlistig kommentierten Bildern den gegenwärtigen Angstmacherkurs in Sachen Corona durchzuziehen, so zu erleben am vergangenen Freitagabend mit einem Beitrag über Tschechien. Als Zuschauer dieser Sendung und Freund unseres Nachbarlandes blieb mir die Spucke angesichts der Plattheit und Boshaftigkeit gegen Tschechien weg. Es ist geboten, eigene Beobachtungen vor Ort als eine Art Gegendarstellung dieser journalistischen Missetat zur Diskussion zu stellen.    

Die eine Seite. Die erste Szene der „Schalte nach Tschechien“ in den ARD- Tagesthemen trägt enormen Symbolcharakter und wird auch so verkauft: Menschen sitzen an einer langen Tafel auf der berühmten Karlsbrücke in Prag. ARD-Kommentator Danko Handrick dreht während der ersten Bilder aus Prag seine Fahrt ordentlich auf:

„…Eine Stadt ist im Sommer in Partylaune. Doch das geht nicht lange gut.“

Der Tagesthemen-Autor macht einen Schwenk in diese Tage und zählt auf, dass die Maske wieder überall getragen werden müsse, dass Restaurants in Prag 22 Uhr schließen müssten, dass in Prag für Corona-Patienten freigehaltene Betten fast komplett belegt und Kapazitäten erweitert werden müssten. Und Danko Handrick ergänzt in geradezu süffisantem Ton: „Am Abend stuft Deutschland g a n z Tschechien als Risikogebiet ein.“ Ohne die Grenze zu schließen, verbaut so die Bundesrepublik die Einreise nach Tschechien, wer es dennoch tut (außer Pendlern), bei dem sind Quarantäne, Test und bei Nichtbeachten finanzielle Strafe und gesellschaftliche Ächtung sicher, formuliert sich mir der Gedankengang darauf.    

Die andere Seite. Ich war im Sommer auch in Tschechien. Nach der „Wieder-Öffnung“, nach dem Lock-Down. Mit dem Rad. An der Eger und schließlich in Prag. Ich sah und erlebte anderes, als Handrick behauptet. Vorsicht, Rücksicht, eine souveräne, ja stolze Art, mit dem Leben behutsam umzugehen, spürte ich die Tage beim Beobachten des Lebens der Tschechen. Hinweise zu Verhaltensweisen zu Corona sah ich an allen Orten, die auch in Deutschland gegenwärtig sind: Abstandsschilder, Gebotsschilder, Stationen mit Desinfektionsmitteln, die gab es überall an den Eingängen. In den Hotels herrschten dezente, aber bestimmte Anweisungen in der gegenwärtigen Pandemie-Situation. In den Läden, im öffentlichen Raum – wurde, ja, die Maske weniger getragen. Sie wurde aber getragen: alte Menschen, Touristen. In der Metro, in der Straßenbahn. Im TV gab es jeden Tag Nachrichtensendungen, bei denen hochrangige Persönlichkeiten selbst im Interview Maske trugen. Und nein, es wurde nicht mit Zahlen jongliert, um Angst zu schüren. An den tschechischen Orten touristischer Begehrlichkeiten, zumindest die, die ich besuchte, war kein großer Menschenauflauf zu beobachten. Die Gruppengrößen wurden limitiert (bei Museumsrundgängen). In Prag war ein Fahrzeug selten zu sehen: der Reisebus. Die Straßen, die Fußwege, die Parks gehörten den Tschechen. Keine Amerikaner, keine Chinesen, Japaner, keine Westeuropäer. Prag feierte keine Party, die Prager und ihre paar Gäste genossen eine Atempause von all der Hysterie und Angst. Und ihnen war anzusehen, wie sehr sie die Gäste vermissen. In Kneipen, in Museen, in den Läden. Ja, es gab auch Feste. In der freien Luft wie im wunderschönen Letna-Park, bei dem Akrobaten und Musiker aus der ganzen Welt mit den Zuschauern vorsichtig und liebevoll das Leben feierten. Es gab Vorschriften, es gab Maskenpflicht in den Zelten. In Prags Schwarzlichttheatern gab es kaum Vorstellungen. Wenn doch, dann mit Beschränkungen der Besucherzahlen. In der berühmten Schwarzbierkneipe U Fleku standen sich die Kellner die Beine in den Bauch vom Warten auf das nicht erscheinende internationale Publikum.

Der Sommer in Prag war wunderbar. Trotz alledem. Die Fahrt nach Hause mit dem Zug ebenso. Und das Gespräch mit einem Tschechen aus Prag, der in Deutschland als Gastarbeiter für die Zulieferindustrie für VW, Mercedes, Porsche und Co schaffen geht, beeindruckte mich. Pavel, so heißt er, wirkte stolz, als er aufzählte, dass in seinem Land rund 11 Millionen Menschen leben und bis dato Ende des Sommers um die 450 Menschen im Zusammenhang mit Corona verstarben. „Genaues weiß man ja nicht. Weißt Du“, kommentierte er die Zahl 450, weil er mutmaßte, dass der Beweis schuldig bleibt. Mit mulmigem Gefühl fuhr Pavel vom Sommerurlaub, vom Kanu fahren auf der Moldau, aus seinem Heimatland wieder nach Deutschland. „Die fahren wieder alles runter“, sagte er in gutem böhmisch klingenden Deutsch. Und er meinte das im August, was gerade nun tatsächlich passiert. Pavel schrieb mir gerade: dass er arbeiten darf, aber nicht nach Hause nach Prag.    

Ergänzende Anmerkung von Albrecht Müller zur Aussage unseres Gesundheitsministers Spahn:

In meiner Tageszeitung lese ich am 26. September: „Spahn rät vom Urlaub im Ausland ab“. Darunter heißt es: „Der Bundesgesundheitsminister fürchtet, dass die Corona-Infektionszahlen durch Reiserückkehrer in die Höhe schnellen“. Im 1. Absatz heißt es: „Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Bürger angesichts der europaweit zunehmenden Corona-Infektionszahlen aufgerufen, den Herbsturlaub nicht im Ausland zu verbringen. „Man kann ja auch Urlaub im Inland machen“, sagte Spahn am Freitag im ZDF-Morgenmagazin.

Wieso fürchtet der Bundesgesundheitsminister, dass die Infektionszahlen nur durch Reiserückkehrer aus dem Ausland steigen würden? Wieso nicht auch durch Menschen, die in den Hotspots des Bundeslandes von Spahn, nämlich in Nordrhein-Westfalen, oder im Corona-Schwerpunktgebiet Bayern unterwegs waren und/oder dort Urlaub machten?

In der Aussage des Gesundheitsministers kommt ein dümmlicher Nationalismus zum Ausdruck. Das ist das unangenehme Deutschland. Da wird die Corona-Pandemie benutzt, um den binnenländischen Tourismus anzukurbeln. In vielen Teilen unseres Landes ist es aber so, wie Frank Blenz es beschrieben hat: Wer in Köln lebt oder in Düsseldorf oder am Niederrhein, ist ganz schnell in Holland, in Belgien oder in Frankreich. Und wer in Schleswig-Holstein lebt, ist schnell in Dänemark. Und wer in Baden-Württemberg oder Bayern lebt, ist schnell in Österreich, in Frankreich oder in der Schweiz. Dort ist die Ansteckungsgefahr nicht größer als im nordrhein-westfälischen Hamm oder im bayerischen München.

Mein Wohnort Pleisweiler ist genau 13,3 km von der nächsten französischen Stadt Wissembourg entfernt und genauso weit weg von den Nordvogesen. Dort ist die Infektionsgefahr nicht größer als in München. Und es ist näher. Aber wenn wir statt in Bayern oder im Schwarzwald in den Vogesen wandern gehen, dann vergehen wir uns gegen die Richtlinie des Gesundheitsministers. Und er will uns bestrafen. So ein Unsinn! So ein biederer deutschnationalistischer Schwachsinn. Aus des zuständigen Ministers Mund.

Und die Medien? Die Tagesthemen (siehe oben) verstärken die Tendenz. Wie auch bei anderen Themen, zum Beispiel beim Umgang mit Ländern, deren Leistungsbilanz nicht durch Überschüsse gekennzeichnet ist, sind sie voller deutschnationaler Arroganz. In meiner Tageszeitung suche ich vergebens nach einem zurechtrückenden Kommentar der Aussage des Bundesgesundheitsministers.

Unsere Freunde im benachbarten Elsass werden die Schlagzeile meiner Tageszeitung, die gelegentlich auch dort gelesen wird, mit Kopfschütteln quittieren. So haben sie sich und so haben wir uns Europa nicht gedacht. Mit Warnungen vor Besuchen des Nachbarn, in diesem Geist wird Europa nicht weiter gedeihen. An den Berliner Stammtischen der Politik und der Medien sitzen die Feinde unserer Nachbarn und damit die Feinde einer gedeihlichen Entwicklung Europas.   


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