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Titel: Paul Schreyer zu Covid-19: „Es ist an der Zeit, die Notbremse zu ziehen“

Datum: 21. September 2020 um 9:12 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Gesundheitspolitik, Interviews, Strategien der Meinungsmache
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„Auf der einen Seite die reinen Fakten und auf der anderen die wilden Theorien. Diese Sichtweise ist sehr naiv.“ Das sagt der Journalist und Autor Paul Schreyer im Hinblick auf die Diskussion in den Medien zum Thema Coronavirus. Der Herausgeber des Online-Magazins Multipolar hat sich für sein aktuelles Buch „Chronik einer angekündigten Krise – Wie ein Virus die Welt verändern konnte“ mit Covid-19 auseinandergesetzt und ist der Frage nachgegangen: Was geschieht hier eigentlich? Im NachDenkSeiten-Interview sagt Schreyer, dass es in Sachen Corona längst nicht nur um die „reine Wissenschaft, sondern auch um Politik“ geht. Schreyer spricht über das „Event 201“ und verrät, was es mit dem Begriff „Biosecurity“ auf sich hat. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In Sachen Corona geht es nicht nur um „reine Wissenschaft, sondern auch um Politik“. So schreiben Sie es in Ihrem Buch. Wie ist das zu verstehen?

Für mich ist dieser Gedanke ganz zentral. Wenn man sich die öffentliche Debatte anschaut, mit Drosten, Wieler und den anderen in den Medien präsenten Experten, dann könnte man den Eindruck gewinnen, es ginge um eine Auseinandersetzung zwischen seriösen Wissenschaftlern und verwirrten Verschwörungstheoretikern. Also auf der einen Seite die reinen Fakten und auf der anderen die wilden Theorien. Diese Sichtweise ist sehr naiv. Das wird schon bei den Grundbegriffen des aktuellen Streits deutlich. Zum Beispiel ist der Ausdruck „epidemische Lage nationaler Tragweite“ gar nicht medizinisch definiert. Das wird politisch festgelegt, je nach Mehrheit im Bundestag. Auch der Begriff „Pandemie“ ist alles andere als eindeutig definiert. In einer Publikation der WHO heißt es dazu, dass die Erklärung des Pandemiefalls „von einer Vielzahl willkürlicher Faktoren abhängt“.

Es geht also, man muss das betonen, immer auch um Politik und um eine individuelle Bewertung durch die jeweils Verantwortlichen. Darum führt es in der Sache nicht weiter, sich hinter „der Wissenschaft“ verstecken zu wollen. Die Entscheidungen werden politisch gefällt und müssen auch von Politikern begründet werden. Wenn es dann, wie aktuell in Bayern, im Rahmen einer juristischen Auseinandersetzung von Seiten der Regierung heißt, es gäbe überhaupt keine Akten zum Entscheidungsverlauf, dann macht das sprachlos. Damit wird jede Verantwortung, jede Rechenschaftspflicht geleugnet. Dabei war und ist keine der getroffenen Entscheidungen alternativlos. Nötig ist bei so weitreichenden Beschlüssen eine öffentliche, transparente Abwägung.

Lassen Sie uns zuerst einmal aufgreifen, wie Sie das Thema Corona für Ihr Buch angegangen sind.

Zunächst war geplant, eine reine Chronik der Ereignisse seit Anfang diesen Jahres zusammenzustellen. Im Verlauf der Recherche verlagerte sich der Schwerpunkt des Buches dann aber, als ich erkannte, wie häufig und wie zielstrebig in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Pandemie-Notfallübungen durchgeführt worden sind, zunächst in den USA, später international abgestimmt. Deren Drehbücher lesen sich teilweise wie die Gegenwart von 2020.

Was hat es mit diesen Übungen auf sich?

Das habe ich mich auch gefragt. Ausgangspunkt meiner Recherchen war die Übung „Event 201“, bei der im Oktober 2019, also kurz vor Ausbruch der Krise, in New York mit sehr hochrangigen Teilnehmern aus der Wirtschaft und der Politik tatsächlich eine fiktive Coronavirus-Pandemie durchgespielt wurde. Das ist natürlich auffällig, um es vorsichtig auszudrücken. Ich habe dann zunächst die grundlegenden Fakten in Erfahrung gebracht: Welche Organisation hat diese Übung geplant, wer hat diese Organisation wann mit welchem Geld gegründet und wie wurde sie bislang tätig? Dabei stellte sich heraus, dass das verantwortliche „Center for Health Security“, ein an der Johns Hopkins University angesiedeltes Institut, in den vergangenen 20 Jahren unter wechselnden Namen bereits eine Fülle solcher Übungen organisiert hat. Einige davon habe ich näher unter die Lupe genommen.

Würden Sie uns etwas mehr über Event 201 sagen?

Man muss diese Übungen im Zusammenhang betrachten. In meinem Buch widme ich ihnen jeweils einzelne Kapitel. Es ist wichtig zu verstehen, dass sie aufeinander aufbauen und fortlaufend weiterentwickelt wurden.

Können Sie das etwas näher erläutern?

Es begann Ende der 1990er Jahre, damals lag der Schwerpunkt auf einer angenommenen Bedrohung durch Biowaffen, die, so vermutete man, Terroristen in die Hände fallen könnten. Nach 2001 und den Anschlägen von 9/11 begann man dann, nicht mehr nur Biowaffenangriffe, sondern auch „normale“, also unabsichtlich ausbrechende Pandemien zu proben. Außerdem wurde das Übungsgeschehen internationalisiert.

Es war ein riesiger Schritt, nicht mehr nur die politische Reaktion und das Management einer solchen Krise innerhalb der USA zu proben, sondern gleichzeitig in vielen großen Industriestaaten. Dazu gab es sehr komplexe Übungen in den Jahren 2003 („Global Mercury“, daran nahm auch das Robert Koch-Institut teil) und 2005 („Atlantic Storm“). Dort spielte Madeleine Albright die Rolle der US-Präsidentin. Aus Deutschland nahm der FDP-Politiker Werner Hoyer teil und spielte den Bundeskanzler. Hier erkannten die Planer, dass ein zentraler Akteur nötig wurde, über den sich das politische Geschehen länderübergreifend koordinieren ließ. Man beschloss, diese Rolle zukünftig der WHO zuzuweisen. Ursprünglich waren diese Biowaffenanschlags- und Pandemie-Übungen aber rein US-amerikanische Veranstaltungen und gehören politisch in den Rahmen des sogenannten „Kampfes gegen den Terror“. Nach 2001 wurde dann, wie gesagt, zunehmend global geprobt.

Wie ist diese Übung dann abgelaufen?

Event 201 war die letzte Verfeinerungsstufe und auch die höchste Komplexitätsstufe all dieser Übungen. Die wesentliche Neuerung bestand darin, dass nicht mehr nur Behörden- und Regierungsvertreter den Ernstfall eines Seuchenausbruchs durchspielten, sondern vorrangig Konzernvertreter daran teilnahmen, darunter der Vizepräsident des nach Börsenwert größten Pharmakonzerns der Welt, Johnson & Johnson, die Vizepräsidentin des drittgrößten Medienkonzerns der Welt, NBC Universal, oder auch der Präsident von Edelman, der größten PR-Agentur der Welt. Dazu kamen die Chefs der Seuchenschutzbehörden der USA und Chinas. Die chinesische Regierung war also mit von der Partie.

Was dürften die Gründe sein, dass auch hochrangige Personen aus der Medien- und PR-Welt an so einer Übung teilgenommen haben?

Das wurde ganz offen gesagt: Es ging bei diesen Pandemieübungen immer auch um das Informationsmanagement. Das war ein zentraler Teil der Planungen. Die Vizepräsidentin von NBC Universal betonte zum Beispiel während der Übung – das ist übrigens alles online in Videos des „Center for Health Security“ nachprüfbar – man müsse dafür sorgen, dass „die richtigen Repräsentanten“ in den traditionellen Medien auftreten würden, um „unsere Seite der Story“ zu verbreiten. Eine ebenfalls teilnehmende ehemalige Vizedirektorin der CIA ergänzte, man solle die öffentliche Arena mit den eigenen Argumenten „fluten“, um die Botschaft zu verstärken. Und der Chef der PR-Agentur Edelman wies darauf hin, dass man in der Kommunikationsstrategie einen zentralisierten Ansatz verfolgen müsse, und die zentral formulierte Botschaft dann über die jeweils passenden Repräsentanten von NGOs und Gesundheitsorganisationen an die Öffentlichkeit bringen solle. Diese Zentralisierung müsse international erfolgen. Dazu brauche man eine Datenbank mit weltweit zu vermittelnden Fakten und „Schlüsselbotschaften“. Wie gesagt, all diese Dinge wurden bei der Übung „Event 201“ im Oktober 2019 in New York diskutiert – kurz vor Ausbruch der Krise. Bezahlt hatten für die Übung das Weltwirtschaftsforum, nach eigener Auskunft ein Zusammenschluss der 1.000 größten Konzerne der Welt, und die Gates Foundation. Wenn man es auf den Punkt bringt, ging es darum, den Regierungen zu vermitteln, dass in einer solchen Krise die Konzerne ein größeres politisches Mitspracherecht bekommen sollten. Man probte Entscheidungsprozesse, bei denen die Konzerne von Anfang an mit im Boot waren.

Nun kann man sagen, es ist nicht verwerflich, dass Staaten bestimmte Szenarien durchspielen, um sich so auf reale Gefahren- und Bedrohungslagen vorzubereiten. Wo ist das Problem?

Natürlich – das ist absolut vernünftig und überhaupt nicht kritikwürdig, wenn sich auf solche Notsituationen gründlich vorbereitet wird. Die Frage ist eben, wer das plant und umsetzt. Die Initiative ging hier ursprünglich nicht von öffentlichen Behörden aus, sondern von privaten Stiftungen und einem Institut, in dem die Interessen von Militär, Geheimdienst, großen Konzernen und insbesondere der Pharmabranche miteinander verflochten waren. Dadurch waren die Ausrichtung und die Ziele natürlich geprägt. Anders gesagt: Man probte die Pandemie nicht einfach nur, um die Bevölkerung besser schützen zu können, sondern auch, um im Krisenfall seine eigene Agenda besser vorantreiben zu können.

Schaut man sich die Drehbücher und Protokolle der Planspiele an, dann wird außerdem deutlich, dass nicht einfach nur eine Pandemie, also eine Situation mit tausenden Toten und einer Überlastung des Gesundheitswesens geprobt wurde, sondern oft auch ein politischer Ausnahmezustand mit Einschränkung, teils Aufhebung der Bürgerrechte. Es ist sehr auffällig, wie das miteinander verschmolzen wurde. Immer wieder bricht in den Szenarien die öffentliche Ordnung zusammen, das Militär greift ein, Ausgangssperren werden diskutiert und so weiter.

Die Sache ist also etwas komplizierter?

Ja, es entsteht beim Studieren dieser Planspiele der Eindruck, dass die Pandemie-Übungen oft auch als Vorwand dienten, um die Verhängung eines politischen Ausnahmezustands durchspielen zu können, wie es ihn ja sonst nur während eines Putsches oder im Krieg gibt. Tatsächlich haben wir aktuell in Deutschland, politisch und rechtlich gesehen, einen Ausnahmezustand, in dem die Demokratie in weiten Teilen „Pause“ macht, und das ohne eine hinreichende medizinische Begründung, wenn man auf die seit Monaten niedrigen Zahlen von Schwerkranken und Toten schaut. Bei der Beschäftigung mit diesen Planspielen versteht man, dass die Anfang des Jahres beschlossenen Maßnahmen teilweise als fertige Papiere aus der Schublade gezogen wurden. Sie sind in Teilen auch das Ergebnis dieser Übungen.

Reden wir über den Begriff „Biosecurity“. Was hat es damit auf sich?

Dieses Wort begegnet einem ständig, wenn man zu den Übungen recherchiert. Es ist in den vergangenen Jahren in Mode gekommen und wird mit „Allgemeinwohl“ assoziiert, soll also etwas sein, das gut für alle ist. Tatsächlich ist es ein sehr diffuses und mehrdeutiges Forschungsfeld, in dem Militär- und Gesundheitspolitik miteinander verschmelzen. Um ein Beispiel zu nennen: Jens Spahn hat Anfang diesen Jahres im Gesundheitsministerium eine neue Abteilung für „Gesundheitssicherheit“ geschaffen – deren Gründung übrigens laut Spahn schon Ende 2019 geplant worden war. Geleitet wird diese Abteilung von Hans-Ulrich Holtherm, einem Bundeswehrgeneral, der bei seiner jetzigen Arbeit im Gesundheitsministerium Uniform trägt, den Corona-Krisenstab leitet und Spahn beim Krisenmanagement berät. Mit dieser Verschmelzung von Medizin und Militär liegt der Gesundheitsminister international voll im Trend. „Biosecurity“ meint einen Schutz vor Pandemien und vor Angriffen mit Biowaffen – also Viren, Bakterien und Giften. Zugleich ist dieses Wort aber auch, das sollte man sich klarmachen, ein geschickter Propagandabegriff, der eine verdeckte Botschaft vermittelt.

Welche?

Das Wort unterstellt, dass alle gesellschaftlichen Gruppen in so einer Krisenlage ein gemeinsames Interesse hätten – nämlich Sicherheit. Die Realität ist allerdings vielschichtiger und nicht so simpel. Ein Biowaffen-Angriff oder auch ein Seuchenausbruch bedeuten für die verschiedenen beteiligten Gruppen ganz Unterschiedliches: Für die Bevölkerung ist es natürlich eine beängstigende und tödliche Bedrohung, eine extreme Verunsicherung. Für die Regierung ist es eine Krise, in der sie unter Druck gerät oder sich als Beschützer profilieren kann. Für die Pharmaindustrie ist eine Pandemie aber auch ein profitables Geschäftsfeld und für das Militär die Gelegenheit zur Untersuchung einer potenziell nutzbaren Waffe. Davor darf man nicht die Augen verschließen.

Verschließen Medien denn die Augen?

Viele Medien und Politiker machen sich den Begriff unkritisch zu eigen. Dabei müsste man vor allem fragen, wo in dieser Gemengelage nun die Wissenschaft steht. Und das hängt natürlich davon ab, wem sich die maßgeblichen Forscher verpflichtet fühlen oder auch finanziell verpflichtet sind – der Bevölkerung, der Regierung, der Pharmaindustrie oder dem Militär. Solche Verpflichtungen können sich selbstverständlich überschneiden. Nur wäre es fahrlässig und naiv, zu unterstellen, alle Akteure blickten mit den gleichen Interessen auf das Thema und könnten daher auch widerspruchslos ein gemeinsames Ziel anstreben – eben die beschworene „Biosecurity“. Dieser Gedanke einer allgemeinen Interessengleichheit ist irreführend.

In der Diskussion zwischen Kritikern und Befürwortern der Corona-Politik lässt sich immer wieder beobachten, dass nicht wenige an das „Gute“ des Staates glauben und davon ausgehen, dass ein demokratischer Staat keinerlei fragwürdige, tiefenstaatliche Interessen verfolgen wird. In Ihrem Kapitel zum Thema Biosecurity führen Sie Menschenversuche der USA an. Was hat es damit auf sich? Welche Versuche stechen besonders hervor?

Die Forschung zur Biosecurity ist extrem ambivalent, weil, wenn man so will, die Planungen zum Schutz vor der Gefahr oft einhergehen mit der Erzeugung ebenjener Gefahr – sprich, der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen. Das gehört zusammen. Die Forschung rund um Biowaffen hat immer diese beiden Komponenten, Angriff und Verteidigung. Eine rein defensive Biowaffenforschung, wie sie heute von vielen Ländern behauptet wird, kann es nicht geben. Um Gegenmittel gegen die Biowaffe zu entwickeln, muss die Biowaffe selbst vorliegen.

In den USA baute diese Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Wissen aus den besiegten Ländern auf, vor allem aus Japan und Deutschland. In beiden Ländern hatte es in der Kriegszeit Menschenversuche gegeben, um Biowaffen zu entwickeln und die USA gewährten diesen Forschern nach dem Krieg Straffreiheit und rekrutierten sie für ihre eigenen Biowaffenforschungsinstitute. Das ist historisch gründlich untersucht. In den USA selbst kam es in der Folge zu vielen und schlimmen Menschenversuchen an der eigenen Bevölkerung, meist den Ärmsten und Schutzlosesten.

Haben Sie Beispiele?

In Nashville verabreichte man zum Beispiel Ende der 1940er-Jahre bei einer medizinischen Untersuchung 800 schwangeren Frauen, die aus armen Verhältnissen stammten, ohne ihr Wissen eine Mischung, die radioaktives Eisen enthielt. Mit Bluttests untersuchten die Forscher dann, wie viel des radioaktiven Stoffes von den Müttern und den Babys aufgenommen worden war. Ähnliche Tests wurden in San Francisco und Chicago durchgeführt.

Im Rahmen der Forschung für eine neue Waffe, die biologische Krankheitserreger mit radioaktiver Strahlung kombinierte, wurde im Kalten Krieg die Bevölkerung in armen Vierteln von amerikanischen Städten wie St. Louis gezielt einer Erkrankung ausgesetzt, indem man Erreger von den Dächern hoher Gebäude versprühte. Betroffene berichten, dass sie in der Folge an Krebs erkrankten. Das ist keine Spinnerei, sondern belegte historische Forschung. Im Juni 1966 versprühten Wissenschaftler des Militärs krank machende Bakterien im New Yorker U-Bahn-System, um ihre Verbreitung zu messen. Und so weiter.

Wenn von Schutz vor Anschlägen mit Biowaffen oder von Impfstoffen die Rede ist, dann steht im Vordergrund der öffentlichen Betrachtung immer nur das Wohl der Bevölkerung. Dass bei diesem Schutz aber auch sehr viel Geld fließt, wird allenfalls am Rande thematisiert. Was ist Ihnen im Hinblick auf wirtschaftliche Interessen aufgefallen?

In welchem Maße die Pharmaindustrie von Impfstoffen profitiert, gerade bei einer globalen Anwendung, ist inzwischen ja allgemein bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, dass die Vizechefin des erwähnten „Centers for Health Security“ an der Johns Hopkins University – wo viele der Übungen geplant wurden, nach deren Empfehlungen sich die Regierungen heute richten – vorher als Anwältin und Lobbyistin für die Pharmaindustrie tätig war. Die Interessen sind sehr eng verzahnt.

Eine der zentralen Fragen, die sich diejenigen stellen, die die Corona-Politik kritisieren, lautet: War der Ausbruch des Virus schlicht ein Zufall oder steckt etwa ein Plan dahinter. Was ist Ihnen aufgefallen?

Ich kann diese Frage zur Zeit nicht beantworten. Beides ist denkbar. Wir sind in gewisser Weise wieder in einer Situation wie nach 9/11.

Wie meinen Sie das?

Die Frage lautet, genau wie damals: Wurden diejenigen, die von den Ereignissen ganz klar profitieren, selbst davon überrascht und nutzen nun einfach ihre Chance – oder haben einige der Profiteure auch aktiv nachgeholfen? Was mir bei der Recherche aufgefallen ist und mich nachdenklich gemacht hat, sind vor allem zwei Aspekte.

Welche denn?

Einmal die abrupt einsetzende Mediendynamik und dann die schon sehr früh vorliegenden politischen Empfehlungen, die dann auch so umgesetzt wurden. Es ist sehr markant, dass Corona als Medienereignis an einem klar definierten Punkt begann, das kann jeder in den Archiven von Tagesschau bis New York Times nachverfolgen: Das mediale Dauerfeuer begann mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen am 20./21. Januar. Das war zugleich auch der Start des Jahrestreffens des Weltwirtschaftsforums in Davos. Ich schildere diese Gleichzeitigkeit in einem eigenen Kapitel in meinem Buch, weil das wirklich frappierend ist.

Der andere auffällige Aspekt ist, wie früh die für das Management der Corona-Krise wesentlichen Elemente gestartet oder einsatzfähig waren: der PCR-Test zum Sammeln der Fälle, die täglichen Lageberichte der WHO zur Unterrichtung der Öffentlichkeit, das Covid-19-Dashboard zur grafischen Darstellung der Lage in den Medien, die politischen Empfehlungen des Weltwirtschaftsforums und der Gates Foundation. Das alles lag am 24. Januar, als die in Davos versammelten Staats- und Konzernchefs wieder nach Hause reisten, bereits fertig vor. Von diesem Zeitpunkt an entfaltete sich die Krise fast wie automatisch. Die große „Pandemie-Maschine“, jahrelang konstruiert, geprobt und für den Ernstfall vorbereitet, lief von da an, man könnte fast sagen, wie am Schnürchen.

Daraus kann man aber nicht zwingend ableiten, dass es sich dabei um einen „großen Plan“ handelt.

Nein, und das will ich auch betonen: Das alles unterstellt noch keine Planung oder bewusste Herbeiführung der Pandemie. Der Ablauf lässt sich auch harmlos erklären: Die beteiligten Institutionen waren auf einen solchen Ausbruch ganz einfach „gedrillt“. Virologen suchten ständig nach neuen Krankheitserregern und waren begierig, sie nachzuweisen. Wissenschaftler wie von der Johns Hopkins Universität hatten seit 20 Jahren nichts anderes gemacht, als vor Bioterror und Pandemien zu warnen. Natürlich entfalteten sie maximale Betriebsamkeit, wenn sich etwas Derartiges abzeichnete. Auch die WHO und viele andere Behörden setzten lediglich dutzendfach geprobte Abläufe um und folgten einstudierten Protokollen. Es muss also, so gesehen, nicht zwingend geplant gewesen sein.

Was man aber aus meiner Sicht festhalten kann, ist, dass genau dieses automatisierte Verhalten uns alle immer tiefer in die Krise führt. Ich denke, und das ist mein persönliches Fazit, wir brauchen wieder individuellen, gesunden Menschenverstand, auf den Führungsebenen und auch sonst. Es muss möglich sein, auszuscheren, einen eigenen Weg zu gehen, als Land, als Bundesland, als Stadt, als Institution und so weiter. Wenn alle global nach den gleichen Regularien arbeiten und blind zentral festgelegten Vorgaben folgen, dann ist das extrem gefährlich. Ich denke, das erleben wir gerade. So etwas darf allenfalls in einer akuten Notlage erlaubt sein. Davon ist in Deutschland aber weit und breit nichts zu sehen. Die Zentralisierung, die zunehmende Uniformität auf vielen Ebenen, man muss es schon Gleichschaltung nennen, all das sind Irrwege, die von einer lebendigen Demokratie wegführen. Es ist an der Zeit, die Notbremse zu ziehen.

Lesetipp: Paul Schreyer: Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte. Westend Verlag, 14. September 2020. 176 Seiten. 15 Euro.

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