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Titel: Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft

Datum: 31. August 2020 um 9:00 Uhr
Rubrik: Postwachstumskritik, Ressourcen, Umweltpolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Mit einer Brutalität ohnegleichen hat sich der Mensch die Natur untertan gemacht. Die Folgen bekommen wir gerade heftig zu spüren. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind klar und nicht zu widerlegen: Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen ist unbegrenztes Wachstum mit fortdauerndem Ressourcenverbrauch nicht machbar. Heiner Flassbeck benennt in seinem neuen Buch die Probleme und Herausforderungen, denen wir uns im 21. Jahrhundert stellen müssen. Und er zeigt konkret, wie wir Ökologie und Ökonomie versöhnen können. Ein Auszug.

Vieles steht auf dem Spiel. Manche sagen, es gehe um alles. In der Tat geht es um die Frage, ob eine wachsende und nach Wohlstand gierende Menschheit in der Lage ist, sich auf einem begrenzten Planeten so einzurichten, dass auch die den Menschen umgebende und für sein eigenes Überleben unabdingbare Natur eine Chance hat. Doch es geht auch darum, ob das »Einrichten der Menschen« in Übereinstimmung zu bringen ist mit demokratischen Prozessen und mit einer Wirtschaft, die der großen Mehrheit der Menschen bei einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung eine Chance gibt, ihre persönlichen Lebensumstände zu verbessern. Gelingt Letzteres nicht, wird es global gesehen keine demokratischen Mehrheiten für die massive Veränderung der Lebensumstände geben, die in jedem Fall notwendig ist, um die Menschheit auf einen naturverträglichen Pfad zu führen.

Die Einsichten der Naturwissenschaftler sind klar und nicht zu widerlegen. Sie verweisen zu Recht darauf, dass es auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcen nun einmal nicht unbegrenztes Wachstum und fortdauernden Ressourcenverbrauch geben könne. Drei Erden, so die Wachstumskritiker, brauche man, wenn die Menschheit noch hundert Jahre so weitermache. Da es die offensichtlich nicht gebe, müsse man sofort umkehren, weil sonst die Schäden, die der Mensch diesem Planeten zufüge, nicht wiedergutzumachen seien.

Auch die menschliche Bevölkerung, das scheint aus naturwissenschaftlicher Sicht ebenso offensichtlich, könne nicht unbegrenzt weiterwachsen. Ob der Planet mehr als zehn Milliarden Menschen verkraften kann, ist zumindest eine sehr offene Frage. Doch auch mit dieser Feststellung ist nichts gewonnen. Wer soll und muss sich anpassen? Um diese Frage geht es, und sie ist nicht leicht zu beantworten. Westlich-nördliche Vorstellungen davon, wie man »die Entwicklungsländer« davon »überzeugt«, in geringerem Maße auf Bevölkerungswachstum zu setzen, sind jedenfalls völlig fehl am Platz. Auch hier kann man den ärmeren Ländern nicht verweigern, das zu tun, was die entwickelten Länder vorgemacht haben, nämlich genau den Zeitpunkt anzustreben, bei dem sich das Bevölkerungswachstum abflacht, weil ein gewisser Lebensstandard erreicht wurde.

Gleichwohl sind die naturwissenschaftlichen Argumente insgesamt überzeugend. Wenn der letzte Liter Öl aus dem Wüstensand gekratzt und der letzte Zentner Kohle gehoben ist, kann niemand die fossilen Rohstoffe zurückholen, die sich über Milliarden von Jahren gebildet haben. Niemand kann sie recyceln und von Neuem verbrauchen. Das Gesetz der Entropie hat sich ihrer bemächtigt. Zwar sind die Stoffe noch da, aber nie mehr in einer Form, die für den Menschen nutzbar ist. Auch viele andere Materialien werden früher oder später so in menschliche Produkte und Konstruktionen eingebunden sein, dass sie nur mit wirtschaftlich nicht zu vertretenden Kosten zurückgewonnen werden könnten. Selbst Sand, der sich zum Bauen eignet, ist schon heute auf dieser Erde knapp.

Die Angst vor den Folgen rasanter menschlicher Wirtschaftsaktivität ist nicht neu. Schon in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts schrieb Kenneth Boulding, ein Ökonom, über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Planeten Erde und warnte vor der Endlichkeit der Ressourcen. In den Siebzigerjahren war es der Club of Rome, der eine Studie anstieß, die »Grenzen des Wachstums« postulierte und von vielen als der Beginn der grünen Bewegung angesehen wird. Seit den Neunzigerjahren ist es die Klimaforschung, die vor den Folgen eines ungehemmten Ausstoßes von CO2 warnt und für die nächsten Jahrzehnte eine Erwärmung des Planeten Erde vorhersagt, die ungeahnt negative Folgen für die Menschheit haben könnte.

Kein vernünftiger Mensch kann bestreiten, dass der Homo sapiens (der wissende Mensch) bis heute schon mit seinem Planeten in einer Art und Weise umgesprungen ist, die nur pathologisch genannt werden kann. Mit einer Brutalität ohnegleichen hat er sich die Natur untertan gemacht, hat die Landschaft nach seinen Wünschen geformt, die Natur zurückgedrängt, unzählige Tierarten ausgerottet und selbst vor den gewaltigen Meeren hat seine Zerstörungsgewalt nicht haltgemacht. Ermöglicht hat das die Verfügbarkeit von Energie, in erster Linie die leichte Verfügbarkeit von fossilen Energieträgern.

Und doch, obwohl das alles vollkommen unbestreitbar ist, gibt es keinen einfachen Weg zurück. Ja, es gibt nicht einmal einen einfachen Weg zum Stillstand, zu einem Zustand also, bei dem wenigstens nicht immer mehr verbraucht, zerstört und unwiederbringlich vernichtet wird. Die unerträgliche Spannung zwischen dem Wollen und Müssen auf der einen Seite und dem Tun auf der anderen Seite ist ein Paradox. Die Menschheit versagt kollektiv und offenbar systematisch vor der Aufgabe, sich an die Begrenzungen, die von einer endlichen Erde gefordert werden, anzupassen.

Nun hat die Welt den größten wirtschaftlichen Schock erlebt, den man sich zu Friedenszeiten vorstellen kann, und die Klimadebatte ist vorübergehend verstummt. Der von den Regierungen der meisten Länder der Welt verordnete Stillstand der Wirtschaft, um die Verbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen, hat ungeahnt dramatisch negative Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit und dürfte die Klimabewegung für viele Jahre zurückwerfen. Ja, zurückwerfen und nicht fördern!

Zwar gibt es einige, die glauben, die Mehrheit der Menschen habe während des Stillstandes gesehen, wie schön die Welt sein könnte, wenn alles weniger hektisch und aufgeregt abläuft und am Himmel keine Kondensstreifen von Flugzeugen zu sehen sind. Doch das ist ein grandioser Irrtum. Diejenigen, die den Stillstand genossen haben, vergessen einfach die anderen, die durch den Stillstand in existentielle Nöte gestürzt worden sind, seien es Unternehmer, die ihre Firmen nicht retten konnten, seien es Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Der Corona-bedingte Stillstand, der vom Staat verordnet wurde und dessen Auswirkungen vom Staat mit gewaltigen Summen gedämpft werden sollen, wird in die Geschichte eingehen als das klassische Beispiel dafür, wie die Staaten mit einseitigen Eingriffen in die Wirtschaft Unglück und Arbeitslosigkeit erzeugen, ohne dass die Regierungen wirklich in der Lage wären – selbst unter Einsatz gewaltiger Summen –, das Schlimmste zu verhindern. Jeder, der in Zukunft mit der Forderung kommt, eine wirtschaftliche Tätigkeit müsse vom Staat unterbunden werden, weil sie schädlich für das Klima und die Umwelt ist, wird sich mit dem Corona-Schock und seinen Folgen konfrontiert sehen.

Arbeitslosigkeit ist sozusagen der natürliche Gegner der Umweltbewegung. Wer den Menschen einen Strukturwandel abverlangen will, der viele einzelne Arbeitsplätze kostet, muss in der Lage sein, an anderer Stelle so viele neue Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, dass der Wandel für die Masse der Menschen erträglich wird. Das wirtschaftspolitische Versagen der Regierungen in der Coronakrise und der darauffolgende Anstieg der Arbeitslosigkeit vermindern in dramatischer Weise die Glaubwürdigkeit jeder Politik, die Anpassung an natürliche Zwänge verlangt und gleichzeitig Ausgleich durch den Staat verspricht. […]

Ökologie muss ein unauflöslicher Teil der Wirtschaft werden, muss fest verankert werden in die Werte- und Konsumordnung der Menschen, in der sich bisher ganz überwiegend die Nachfrage nach Wirtschaftsgütern aneinanderreiht. Diese Verankerung ist möglich, aber sie erfordert eine kompetente globale Staatengemeinschaft, die einerseits in der Lage ist, die wirtschaftlichen Folgen des ökologischen Umbaus der Wirtschaft abzufedern, und andererseits eine generelle Wirtschafts- und Verteilungspolitik zu verfolgen, mit der bei demokratischen Wahlen in den Nationalstaaten Mehrheiten gewonnen werden können.

Von der Erfüllung dieser Voraussetzungen ist die internationale Staatengemeinschaft heute leider unendlich weit entfernt. Das liegt aber nicht einmal in erster Linie daran, dass es keine funktionsfähige internationale Staatengemeinschaft gibt, sondern daran, dass es weder auf der Weltebene noch in den Nationalstaaten eine tragfähige wirtschaftspolitische Konzeption gibt. Ohne dass wir wirklich beginnen zu begreifen, wie eine gemischte Wirtschaft aus staatlichen und privaten Akteuren funktioniert, sind wir einfach nicht in der Lage, das zu tun, was aus ökologischen Gründen notwendig und möglich wäre.

Hier, in der Unfähigkeit der Staatengemeinschaft, sich auf ein kohärentes und empirisch abgesichertes Wirtschaftsmodell zu einigen, liegt das Haupthindernis für die mangelnde Bereitschaft der Politik, die ökologische Herausforderung anzunehmen. Die allenthalben in der Politik der westlichen Industrieländer zu beobachtende Angst, den Menschen eine schnellere und radikalere Anpassung an eine ökologisch vernünftige Lebensweise zuzumuten, liegt ganz unmittelbar an ihrer Unfähigkeit, auch in den Zeiten eines radikalen Strukturwandels eine Wirtschaftsdynamik in Gang zu setzen, die der Masse der Menschen die Zukunftsangst und insbesondere die Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nimmt.

Heiner Flassbeck: „Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft. Lassen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen?“, 172 Seiten mit zahlreichen Grafiken, Westen


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