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Titel: Corona und Medien: Gibt es einen rasanten „Anstieg” bei den „Neuinfektionen“?

Datum: 30. Juli 2020 um 13:57 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Die aktuelle Berichterstattung zu Corona ist einmal mehr irreführend und sie missachtet wichtige Regeln bezüglich der Zahlenbasis für die alarmistischen Artikel. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Die Infektionszahlen in Deutschland steigen wieder und Wissenschaftler warnen, dass die Lage schnell ernst werden könnte“, meldete die „Tagesschau“ am Mittwoch. In diesem Sinne haben in den vergangenen Tagen zahlreiche Beiträge in privaten und öffentlich-rechtlichen Medien eine anscheinend rasante Eskalation bei den „Neuinfektionen“ festgestellt. Auf diesen Berichten wurde dann ein angeblich dringender „Handlungsbedarf“ (in Form von verschärften Corona-Maßnahmen) aufgebaut. Es scheint für Politik und große Medien ausgemacht und sie möchten das durch diese bedrohlichen Äußerungen untermauern: Die „zweite Welle“ ist nicht nur eine reale Gefahr, sie hat uns möglicherweise bereits erfasst. Nicht nur zahlreiche große Medien verbreiteten diese fragwürdige Botschaft, auch der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sagte am Dienstag laut Medien: “Wir sind mitten in einer sich rasant entwickelnden Pandemie”, und er betonte, es könne sich um den Beginn einer „zweiten Welle“ handeln.

Die Manipulation mit den „Neuinfektionen“

Diese Berichterstattung ist irreführend und sie missachtet wichtige Regeln, was die Zahlenbasis für die alarmistischen Artikel angeht: Um eine Entwicklung, also etwa den nun proklamierten „Anstieg“ bei den „Neuinfektionen“ festzustellen, muss diesen zwingend die Anzahl der neu durchgeführten Tests gegenübergestellt werden. Alles andere ist manipulativ. Aus der Relation ergibt sich eine jeweilige „Positiv-Quote“. Die hat sich laut RKI nun von 0,6 auf 0,8 Prozent leicht erhöht. Aus dieser unspektakulären Momentaufnahme einer leichten Erhöhung lassen sich aber keine Panik erzeugen und keine einschneidenden Maßnahmen rechtfertigen. Denn diese Rate lag laut RKI auch schon mal bei 9,0 Prozent und sie ist seither immer weiter gesunken – bis auf 0,8 Prozent. Vom zwischenzeitlichen Tiefststand der letzten Wochen ist sie nun wieder dort angelangt. Hier die aktuelle RKI-Grafik dazu:

Wenn man nicht nur Schrecken, sondern nützliche Informationen verbreiten will, anhand derer die Bürger sich selber ein Bild vom realen Gefahrenpotenzial des Virus machen können, müssten Medien und Politik zusätzlich (und mit vergleichbarem Nachdruck) folgende Informationen des RKI verbreiten: Wie viele Menschen werden in Deutschland im Moment stationär wegen Corona behandelt? Und wie viele Menschen sind wegen des Virus verstorben? Denn diese Zahlen stützen keine Panikmache. Hospitalisiert sind aktuell 249 Patienten und laut RKI sind in der letzten Kalenderwoche sechs Menschen in Zusammenhang mit Corona verstorben. Diese Zahl ist zwar vorläufig, aber die geringste seit Beginn der Messung durch das RKI. Es sollte auch immer wieder darauf hingewiesen werden, dass die tatsächliche Todesursache oft nicht klar ist, darum die aktuelle unspezifische Sprachregelung „an oder mit dem Virus verstorben“.

Diesen Fragen schließt sich die Feststellung an, dass die nun verkündeten „Neuinfizierten“ nicht alle „infiziert“ sind, sondern zunächst nur positiv getestet wurden, hier besteht das Problem von zum Teil falsch positiv Getesteten. Doch selbst von den mutmaßlich real positiv Getesteten überstehen zahlreiche Betroffene die Infektion ohne nennenswerte Probleme. Sie sind dann zwar potenzielle Herde der Ansteckung. Aber die jüngsten panischen Berichte über die rasant „wieder zunehmenden Fallzahlen“ erzeugen eben ein Bild von diesen neuen „Fällen“, das an Dramatik weit über den eigentlichen Befund hinausgeht.

Unseriöser Umgang radikalisiert die Debatte

Im Gegensatz zu zahlreichen Artikeln, die das gar nicht tun, gibt es auch Berichte, die die Erhöhung der Testzahlen und die dadurch zwingend erhöhten „Fallzahlen“ durchaus in Relation setzen. Doch auch etwa der „Spiegel“ begann kürzlich einen Artikel mit der Überschrift: „815 Corona-Neuinfektionen an einem Tag: ‚Das sind kritische Signale‘“. Erst später folgt (für die Leser, die durchhalten) die Auflösung:

„Allerdings wurde zuletzt auch mehr getestet – und die Positiv-Quote lag in der vergangenen Woche mit 0,6 Prozent auf einem ähnlichen Niveau wie in der Woche davor.“

Der Titel des Magazins hätte also auch lauten können: „Die Positiv-Quote bleibt niedrig“.

Wie gesagt: Im Gegensatz zu diesem bereits fragwürdig aufgebauten Spiegel-Artikel bedienen sich zahlreiche Medien und Politiker noch stärker der verzerrenden Methode mit den absoluten Zahlen, oft wird fast nichts angemessen ins Verhältnis gesetzt, beispielsweise hier. Eine für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtige (ergebnisoffene!) Debatte wird so weiterhin unterdrückt. Die Diffamierung der Kritiker der Corona-Maßnahmen als „rechts“ – wie es aktuell in starker Pauschalisierung gegenüber den potenziellen Teilnehmern einer Demonstration am Samstag in Berlin (10:30 Uhr, Unter den Linden) zu beobachten ist, wird auf Dauer die Debatte weiter vergiften und radikalisieren. Ein Beispiel für diese pauschale Diffamierung hat Albrecht Müller in den heutigen Hinweisen des Tages kommentiert.

„Dann kann man noch Monate so weiter machen“

Die NachDenkSeiten haben das Problem mit der wackeligen, verzerrten bis falschen Zahlenbasis der Corona-Maßnahmen bereits vielfach thematisiert. Bereits Anfang April beklagte Ralf Wurzbacher in diesem Interview mit Statistikprofessor Gerd Bosbach die Zielvorgaben und Zahlengrundlagen für die Corona-Maßnahmen. Diese Vorgaben seien ebenso schwammig, wie sie „mit immer mehr Tests praktisch unerreichbar“ würden. Bosbach prophezeite damals:

„Dann kann man noch Monate so weiter machen.“

Jens Berger hat das Problem in diesem Interview mit Bosbach ebenfalls erörtert und in diesem Artikel beschreibt er „Maximale Maßnahmen auf Basis minimaler Gewissheit“. Die unter anderem von den NachDenkSeiten seit Wochen eingeforderte Rückkehr zu einem seriösen Umgang mit Zahlen im Zusammenhang mit Corona ist unausweichlich: Ohne eine seriöse Datenbasis bricht die gesamte Folgediskussion zusammen. Diese wird dann, wie wir es gerade erleben, über weite Strecken von Moral und von Behauptungen bestimmt, nicht von der permanent betonten angeblichen „Wissenschaftlichkeit“.

Titelbild: Shutterstock / FGC


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