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Titel: Die Würde des Amtes gilt es besonders nach einer Katastrophe zu wahren

Datum: 28. Juli 2020 um 10:48 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innere Sicherheit, Wertedebatte
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Zehn Jahre nach dem Loveparade-Desaster versteht Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland das noch immer nicht. Von Reiner Siebert.

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Zehn Jahre sind vergangen, seit 21 Menschen, die feiern wollten, in Duisburg den Tod fanden. Tiefe Narben in den Seelen der Angehörigen, der Verletzten, der Traumatisierten, in der Seele der Stadt sind geblieben. Mit juristischen Mitteln werden sie nie zu heilen sein, mit Demut, Respekt und Vergebung vielleicht ein wenig zu lindern. Viele haben diesen Respekt gezollt, allen voran die damalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Die damals politisch Verantwortlichen der Stadt haben das nicht geschafft, bis heute nicht, wie ein Interview des Nachrichtenblogs „XTRANEWS“ von dieser Woche zeigt: „Man hat die Katastrophe mit 21 toten Menschen sofort als Anlass ausgenutzt, um Politik zu machen“, relativiert der Oberbürgermeister a.D. Adolf Sauerland (CDU) auch nach zehn Jahren noch sein persönliches Fehlverhalten in der Folge des Unglücks. Er verhöhnt damit nicht nur erneut den Respekt gegenüber den Angehörigen und die demokratische Entscheidung von fast 130.000 Duisburgerinnen und Duisburgern, auf die sie quälende 19 Monate warten mussten, sondern auch die Würde des Amtes, das ihm anvertraut worden war.

Ein OB-Rücktritt zum Jahresende 2011 ruft die Würde des Amtes in Erinnerung, leider war es der Falsche: „OB scheidet zum Jahresende aus dem Amt – wegen einer unbezahlten Getränkerechnung im Hotel!“. Die Nachricht war keine schlechte Satire zum Jahreswechsel 2011/12, sondern echt und stammte aus der Karnevalshochburg 280 Kilometer rheinaufwärts von Duisburg. Dort war tatsächlich noch vor Beginn der Session der langjährige Oberbürgermeister von Mainz, Jens Beutel (SPD), zurückgetreten, weil er während einer Afrikareise seine Getränke an der Hotelbar nicht bezahlt hatte.

“Mit Rücksicht auf seine Familie und die politische Gestaltungsfähigkeit in der Stadt sei er zum Schluss gekommen, dass ihm eine weitere Arbeit an der Spitze der Stadt nicht länger möglich sei”, zitierte der SWR aus einer schriftlichen Erklärung des Ex-OB. Der Rücktritt wurde zum Jahresende wirksam und die Mainzer durften 2012 einen neuen OB wählen. Nun hätte man diese winzige Gemeinsamkeit zwischen Mainz und Duisburg getrost irgendwo auf dem Grunde der 280 Rheinkilometer zwischen den Städten versinken lassen können, hätte nicht die damalige CDU-Landesvorsitzende und heutige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner den Rücktritt mit einem Satz in die SWR-Mikrofone kommentiert, der, eigentlich banal, nicht aus dem Kopf gehen will: “Das Ansehen der Landeshauptstadt und die Würde des Amtes haben Schaden genommen.”

Da war sie wieder, die Würde, derer sich so gern bedient wird, wenn es ins politische Konzept passt. Und der ganzen Heiligkeit dumpfer Schein der selbsternannten christlichen Demokraten waberte in diesem Satz über die Rheinwellen Richtung Duisburg und man wünschte sich, die Flaschenpost aus Mainz hätte damals in Düsseldorf einer aus dem Rhein gezogen und dem Parteifreund von Frau Klöckner und heutigen NRW-Arbeits- und -Sozialminister Karl-Josef Laumann mal vorgelesen. Denn die Erklärungen des damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Laumann zum „Fall Sauerland“ wollten so gar nicht in das politische Nest passen, das rheinaufwärts die “Würde des Amtes” bemühte. Dort ging es zwar nicht um einen Parteifreund und bei politischen Gegnern holt man schon immer lieber mal die Moralkeule raus. Auch ist Scheinheiligkeit sicher keine Erfindung der Christdemokraten, das können die Sozis auch, aber die haben immerhin das Christliche nicht als ‚Markenkern‘, wie das im neoliberalen Neudeutsch so gern heißt, im Namen stehen.

Aber Nomen ist eben doch nicht immer Omen, nicht mal bei den Grünen, die ja zumindest im Untertitel Basisdemokraten sein wollen und das gehörte dort zum Markenkern wie bei den Roten die Solidarität. Das Basisdemokratische klappte ja auch in Stuttgart und Gorleben und anderswo, aber in Duisburg…, naja, in Duisburg war eben doch manches anders. Bloß kam am Ende kein Schimanski und sagte dem Arschloch, dass er eins ist, weil er eins ist, nicht weil er zum anderen Lager gehört. Nee, alles echt in Duisburg, traurige Realität.

Da konnten eben diese Duisburger Grünen nach monatelangen Grabenkämpfen, Schiedsgerichts- und parteiinternen Abwahlverfahren, Amtsanmaßungen und Ignorieren von Basisentscheidungen der Mitglieder auch nach 17 Monaten das Verhalten des Koalitionspartners OB Sauerland nach der Katastrophe nicht missbilligen.

Beim Abwahlbündnis fehlen mochten sie dennoch nicht, die Basisdemokraten, und ließen sich brav mit den Worten zitieren, das beschlossene Gesetz zur Abwahlmöglichkeit liege auf der Linie der Grünen für eine stärkere Bürgerbeteiligung. Donnerwetter, da hatten sie sich ja mal aus dem Fenster gelehnt, die Grünen, für ein Gesetz, das sie im Landtag selbst beschlossen hatten. Kritik am OB war weiter Fehlanzeige: Es dürfe keine Hetzkampagne geben. Da war sie wieder, die Opferrolle, in der Sauerland schon eineinhalb Jahre ausgeharrt und die Stadt in Geiselhaft seiner Ignoranz gehalten hatte.

In der Tat war es aber schon wenige Tage nach der Loveparade der Grüne Stadtdirektor Greulich gewesen, der noch aus dem Urlaub in Spanien parteiinterne und öffentliche Kritik als Hetzkampagne und Hexenjagd diffamiert und zur Hetze erklärt hatte. Jeder Appell an politische oder moralische Amtsverantwortung und jede Kritik am Verhalten des Amtsträgers nach der Katastrophe sei ein persönlicher Angriff, politisch motiviert.

Doch zurück zum gebeutelten Mainzer OB, der noch nicht mal als Getriebener gelten durfte, sondern höchstselbst mit Rücksicht auf Familie und Amt aus dem selbigen getreten war. Vielleicht hätte ihm damals jemand sagen sollen, dass man wegen solcher Lappalien natürlich keine andere Wahl hat als den Rücktritt. Wenn er hätte im Amt bleiben wollen, wären andere Schritte nötig gewesen:

Er hätte beispielsweise den Mainzer Rosenmontagszug durch einen Tunnel führen lassen können und den Totgetrampelten hinterher öffentlich sagen, sie hätten besser aufpassen sollen; er hätte sagen können, er habe ja nichts unterschrieben; er hätte der Trauerfeier fernbleiben und im Fernsehen erklären können, eine Beileidsbekundung an die Hinterbliebenen sei nicht möglich gewesen, weil er im Gegensatz zum städtischen Standesamt die Adressen der Opfer nicht gekannt hätte; er hätte die Rücktrittsempfehlungen der höchsten Repräsentanten des Staates und seiner Partei ignorieren und in die öffentlich-rechtlichen Kameras behaupten können, der Bundespräsident hätte ihm geschrieben und den Rücken gestärkt, auch wenn das Bundespräsidialamt dies umgehend dementiert hätte; der Mainzer OB hätte ferner eine halbe Million für ein Gefälligkeitsgutachten ausgeben können, das seiner Verwaltung bescheinigte, alles richtig gemacht zu haben, während die Staatsanwaltschaft zur Auffassung gekommen war, die Veranstaltung hätte so nicht genehmigt werden dürfen. Die Kosten des Gutachtens hätte er außerdem am Rat der Stadt vorbei in einer ungerechtfertigten Eilentscheidung in den Nothaushalt lavieren können, während ein Prozent des Betrages als Zuschuss für einen Jugendaustausch nicht finanzierbar gewesen wäre.

Und wenn all das respektlose Herumtrampeln auf den Gefühlen von Opfern, Angehörigen und Bürgern nichts geholfen hätte, einen Rücktritt zu vermeiden, wäre auch eine unbezahlte Hotelrechnung viel zu billig. Stattdessen hätte der Mainzer rechtzeitig dafür gesorgt, dass sich das Aussitzen auch lohnt. Statt ein bisschen Strafe wegen vier Tagen Capri, die als Dienstreise abgerechnet waren, hätte er mit seinem Parteifreund und Landesvater Kurt Beck ausgekungelt, dass ein neues Landesgebäude, z.B. ein Archiv, in ein altes Lagerhaus am Hafen gebaut würde. Nach der Zustimmung von Kurt hätte ein der Stadt wohlgesonnenes Immobilienunternehmen das Grundstück gekauft, damit Kurts Liegenschaftsbetrieb es diesem für den zehnfachen Preis abkaufen muss.

Das hätte aber vielleicht immer noch nicht gereicht und das städtische Wohnungsbauunternehmen wäre nicht einfach so in “Schieflage” geraten wie das Mainzer. Nein, das städtische Wohnungsbauunternehmen hätte ein Jahrhundertprojekt geschultert, dessen Kosten sich vervielfacht hätten, das als Schrotthaufen geendet hätte und mit Verträgen ausgestattet gewesen wäre, die das komplette Baurisiko bei der städtischen Gesellschaft gelassen hätte. Das wäre erst mal eine Hausnummer gewesen.

Unnötig zu erwähnen, dass besagte Verträge von den gleichen Gutachtern verfasst worden wären, die auch das Gutachten… Nein, das muss wirklich übertrieben gewesen sein. Das wäre ja selbst für einen Schimanski zu unrealistisch.

Aber der arme Herr Beutel hat alles das nicht getan, er hat halt seine Getränkerechnung nicht bezahlt und Zeche prellen ist schließlich kein Kavaliersdelikt, das weiß man auch in Duisburg. Er ist eben einfach zurückgetreten aus Rücksicht auf seine Familie und die Würde des Amtes. Die hat Sauerland auch nach 10 Jahren noch nicht verstanden – 85 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Duisburg schon.


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