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Titel: Die Macht von Komplexität und Polarisierung. Von Andreas Schell.

Datum: 27. Juli 2020 um 8:37 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Gesundheitspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Vorbemerkung: Der Anstoß für diesen Artikel war ein Leserbrief des Autors an die NachDenkSeiten zu unserem Artikel “Corona-Warn-App wird (endlich) als teurer Versager erkannt“. Albrecht Müller.

Die Corona-Zeiten sind vieles: eine Phase tödlicher Gefahr für die einen, eine Grippewelle für die anderen, für Dritte nur ein Vorwand für eine gigantische Frischgeldbeschaffung zum Wohle des Großkapitals. Ich sehe noch einen weiteren Aspekt: ein Prüfstein für das, was jeder Einzelne von uns unter dem eigenen gesunden Menschenverstand und dem seiner Mitmenschen versteht, und wie unachtsam und respektlos damit umgegangen wird. Was ist gemeint? Es ist Ihnen sicher schon aufgefallen, dass Diskussionen über dieses Thema nicht so ablaufen wie eine Konversation über das Wetter, ein Fußballspiel oder die bevorzugte Automarke. Die Bandagen sind ungleich härter, es wird bis aufs Messer der eigene Standpunkt verteidigt. Freundschaften und Beziehungen geraten ins Wanken. Mich macht das sehr betroffen. Wie kommt es dazu?

Verfolgt man einen Corona-Disput aus anderer Perspektive, so lässt sich beobachten, dass sich die Teilnehmer nicht selten an Details festbeißen. Sei es die grundsätzliche Bewertung der Gefahr, die von harmlos über Grippe bis zu etwas völlig Neuem, viel Schlimmeren reicht. Sei es die Bewertung der Maßnahmen – Maske oder nicht? Da wird es relativ schnell unsachlich und nicht selten auch ungemütlich. Der Leugner verharmlost das Ganze heillos, nur ein Mörder trägt keine Maske, und der Verschwörungstheoretiker tritt allzu schnell an die Stelle eines Arguments. Ich habe in der Gegenrede von Angsthasen, Spahn-Jüngern und Systemsklaven gehört. Vermeintlich Informierte begründen ihren Standpunkt mit Einzelbeispielen: Da ist in Utah/USA ein Seniorenchor erkrankt, einige Mitglieder starben. Deshalb sei Singen gefährlich. In Ischgl wurden im Dampf des Indoor-Après-Ski ziemlich viele Menschen infiziert – das kann also auch im Sommer im Freien auf den Partymeilen Mallorcas passieren. In rückhaltloser Rechthaberei verteidigt man auch die Gegenthese: Es gab ganz viele Chöre, die sich nicht gegenseitig infizierten, und in sehr vielen Urlaubsgebieten kam es eben nicht zur Epidemie. Wer erinnert sich in der Hitze der Diskussion schon daran, dass es auch schon früher Veranstaltungen gab, auf denen das Norovirus die Runde machte, an Kantinen, Hotels oder Berghütten, auf denen sich Dutzende Menschen die Grippe oder die Salmonellen holten? An den genannten Erregern kann man ebenfalls sterben. Um das Thema Corona hat sich aber ein eigentümlicher Kokon gebildet, der nicht selten den Blick auf Anderes unmöglich macht und in dem es meist nicht um Abwägung oder Verhältnismäßigkeit geht.

Wie kam es zu dieser Verhärtung der Fronten? Lassen Sie uns zunächst festhalten, was wir alle gemeinsam erlebt haben. Wir sind uns wohl darüber einig, dass das Thema Corona medial nun seit einem halben Jahr extrem präsent ist. Sie gestatten mir, da wir daher alle sehr gut informiert sein sollten, ein paar Fragen. Können Sie mit einfachen Worten erklären, was ein Coronavirus ist? Wie groß ist es? Wo und wie kann es sich vermehren? Wie und mit welchen Mitteln tötet man es zuverlässig ab? Auf welche Weise kann man sich anstecken, wie schützen? Was ist besonders gefährlich und was eher nicht? Bitte mit Beispielen. Nun bin ich mir sicher, dass Sie, verehrte Leserinnen und Leser, auf diese Fragen kluge Antworten haben. Damit wären wir uns doch eigentlich einig? Wir sind es aber ganz und gar nicht, und wenn die Kontroverse sich mal manifestiert, wird der jeweilige Standpunkt schnell mit Klauen und Zähnen verteidigt. Nicht selten ist der Grund für die Verhärtung der Fronten kein technischer, sondern ein Gefühl, verbunden mit Unsicherheit. Achten Sie mal auf Formulierungen wie “dieses kann ja nicht verkehrt sein” und “jenes ist doch nur halb so schlimm”, wenn es um durchaus deutliche Einschränkungen geht, wie beispielsweise Schulschließungen, Reiseverbote oder die Hygienemaßnahmen in Kultur und Gastronomie. Sehen Sie genau hin, wie mit Maßnahmen umgegangen wird, die einen Diskutanten unmittelbar betreffen und solchen, die eher das Leben Anderer berühren. Was mich aber interessiert: Wie kann es sein, dass da überhaupt noch Unklarheiten bestehen, wenn doch keine Nachrichtensendung, keine Diskussionsrunde im Fernsehen, kaum Beiträge im Rundfunk vergehen und keine Zeitungen gedruckt werden, die das Thema komplett außenvor lassen? Hat da etwa jemand in den Medien seine Aufklärungsarbeit nicht ordentlich gemacht oder was ist falsch gelaufen?

Ich frage nun Sie, die Sie mehrheitlich für die Maskenpflicht sind und natürlich auch Sie, die Sie diese Maßnahme eher kritisch sehen, etwas tiefer. Die meisten Menschen tragen, wo vorgeschrieben, brav anstelle der weißen FFP2/3-Schutzmaske einen mehr oder minder modischen Mund- und Nasenschutz, dessen Material und Schnittform seltsamerweise nach wie vor frei wählbar sind. Die Porenweite der verwendeten, luftdurchlässigen Textilien dürfte in sehr vielen Fällen im Bereich 10 bis 100 Mikrometer liegen. Das Coronavirus ist gute 100 Nanometer groß, also 100 bis 1000 mal kleiner. Werfen Sie doch mal einen Tischtennisball (5 cm) durch einen Filter mit 5 bis 50 Meter großen Poren und testen Sie so experimentell, ob der Tischtennisball im Filter hängen bleibt. Fangen Sie bei einem Fußballtor ohne Torwart an, testen Sie dann Größeres, z.B. die Durchfahrt einer Straßenbrücke. Passt der Ball durch eine Säulenhalle oder bleibt er aufgrund seiner Größe hängen? Ich weiß: Man schützt vor allem andere vor den eigenen Atem-Tröpfchen und die werden zurückgehalten. Aber haben Sie angesichts der beschriebenen Größenverhältnisse wirklich nicht die geringsten Zweifel? Warum ist das so? Warum wird eine von vielen Menschen als richtig empfundene Maßnahme zwar kosmetisch, aber eben technisch falsch angewendet? Wie kann die Behauptung, “damit schützen Sie sich und andere”, überhaupt wahr sein? Sie haben eine klare Antwort? Eine Frage noch: Nehmen Sie das gerade dargelegte Argument an oder wischen Sie es leicht verärgert beiseite?

Ein weiteres Beispiel sind die Virus-Tests, die mit dem Füllhorn übers Land geschüttet werden. Im Ärzteblatt vom 12. Juni 2020 lesen Sie eine interessante Berechnung. Ich will das, was dort sehr gut aufgeschrieben steht, nicht noch einmal erklären, frage Sie aber, ob Sie vor dem in Fachkreisen wohl bekannten, neuerdings auch öffentlich immer klarer werdenden Hintergrund, dass die PCR-Methode, unabhängig davon, was über sie behauptet wird, in durchaus vielen Fällen falsche Ergebnisse liefert, kostenlose Tests für rückkehrende Urlauber bezahlen wollen. Die Tests sind selbstverständlich nicht wirklich kostenlos, sondern steuerfinanziert. Die Hersteller agieren ja im Gegensatz zur Politik keineswegs wohltätig. Auch wären Politiker wahrscheinlich sparsamer, wenn sie nicht das Geld Anderer ausgäben, aber das nur am Rande. Die Massentests sind andererseits ohne Zweifel dazu geeignet, die sogenannten Fallzahlen mit falsch positiven Ergebnissen in die Höhe zu treiben. Nicht nur meine Versuche, diesen Aspekt zu erklären, verhallten ungehört. Der gute Dr. Wodarg, der von Anfang an aus großem Wissen und großer Erfahrung heraus mit korrekten Zahlen und Aussagen zu Zuverlässigkeit und Zweck der PCR-Massentests hantierte, wurde bekanntlich allseits medial vernichtet. Dies geschah im kollektiven Wahn, wie mir scheint. Mögen Sie nun mit mir der Meinung sein, dass da massiv überzogen wurde oder auch vom Gegenteil überzeugt – vielleicht keimt bei Ihnen zumindest das Verständnis für eine These, zu der man sich aus einfachem Zahlenverstand heraus hinreißen lassen könnte. Sie lautet:

“Die aus Massen-PCR-Tests gewonnenen Fallzahlen haben praktisch nichts mit der durchaus vorhandenen, aber im Vergleich dazu seltenen Lungenkrankheit Covid-19 zu tun”.

Vielleicht verursacht diese These bei Ihnen kognitive Dissonanz, aber ist sie wirklich völlig absurd? Und: Haben Sie ein gutes Gegenargument oder haben Sie schon wieder das Gefühl, dass Ärger über meine ketzerischen Zeilen in Ihnen aufsteigt? Falls ja: Wieso könnte das so sein?

Bevor ich zu meinem eigentlichen Punkt komme, noch ein weiteres Beispiel. Nehmen wir die mit Anti-Trump-Propaganda verklammerte Berichterstattung über die Corona-Katastrophe in den USA. Nein, ich bin kein Trump-Fan – der US-Präsident ist nur hier nicht mein Thema. Schauen Sie doch mal genau, wie viel Prozent der US-Bevölkerung akut infiziert ist, wie viele krank werden, gar sterben, und wie viel Prozent aller Verstorbenen tatsächlich Corona-Tote sind. Vergleichen Sie das Ergebnis unter Beachtung der Tatsache, dass die USA 330 Millionen Einwohner haben, mit verschiedenen europäischen Staaten, die allesamt um Faktoren von vier (Deutschland) bis über dreißig (Belgien) kleiner sind als die USA. Schauen Sie genau hin, welche Krankheiten auch in den USA zugunsten Corona komplett verschwunden sind und vergleichen Sie. In Deutschland gab es z.B. in dieser Saison praktisch keine Grippetoten, obwohl die Influenza-Viren in den Reports des RKI durchaus vertreten waren, und das häufiger als SARS-CoV-2. Es lohnt sich, darüber mal emotionslos nachzudenken und das Ergebnis der Überlegung dann wieder mit der medialen Berichterstattung abzugleichen.

Das waren nun drei recht unterschiedliche Aspekte. Es gibt noch viel mehr. Alles auf einmal zu besprechen, geht nicht. Genau an dieser Stelle liegt aber der Hase im Pfeffer: Ist das denn wirklich so? Ist es denn nicht leider genau diese ungeheure Komplexität, mit der man uns von der anderen Seite her in Schach hält? Im Zuge der Corona-Berichterstattung wird seit einem halben Jahr aus allen Richtungen mit allen möglichen Informationen im Dauerfeuer geschossen. Wie soll man das verarbeiten, wie den Überblick behalten, wie sich gar dagegen wehren? Dass die Berichterstattung über weite Bereiche der Medien gleichlautend ist, wissen Sie. Wie sieht es denn mit der Prüfung von Gegenthesen aus? Geht das bei dem Lärm überhaupt noch? Und welche Emotionen haben Sie dabei? Alles lästige Verschwörungstheorien? Sind alternative Medien wie RT Deutsch oder KenFM böse, nur weil sie sich bewusst auf die andere Seite schlagen und von dort zum Teil sehr intelligente, zum Teil widerlegbare Argumente liefern, sich also auf der Gegenseite genau so verhalten wie alle anderen Medien? Aus meiner Sicht wird im Mainstream aus Menschen gleichsam ein Vogelschwarm orchestriert, der, unter ständig fortgesetzter Kommunikation brav und ohne Fragen zu stellen, in eine gewünschte Richtung fliegt. Den meisten ist das so recht und nur wenige werden sich fragen, ob die Richtung denn auch wirklich stimmt. Das Gleichnis hinkt, Sie ahnen es. Was wir da gegen die Virusinfektion tun, führt offensichtlich nicht zum gleichberechtigten Wohlergehen aller, sondern nur dem ganz bestimmter Vögel. Irgendwer sollte sich also um andere Möglichkeiten kümmern, falls die eingeschlagene Route doch noch gegen die Mauer führt.

Mein Vorschlag für einen neuen Ansatz in der Diskussion ist es ebenfalls, das gesamte Corona-Narrativ von Grund auf in Frage zu stellen, selbst auf die Gefahr eines Irrtums hin. Letzterer scheint bisher – Erfahrung, Voraussicht oder simples Glück – noch nicht allzu dominant zu sein, was ich vor allem für eines halte: eine gute Nachricht. Auf dieses Vorgehen müsste man sich freilich erst einmal einlassen. Vielen Menschen ist dabei noch ihre natürliche Vorsicht im Weg, die zweifellos ihre Berechtigung hat, so wie die Erfahrung, dass man es als braver, staatstreuer Bürger hierzulande nicht wirklich schlecht hat. Genau mit dieser Vorsicht und Folgsamkeit wird von der Gegenseite leider in brillianter Weise gespielt. Bitte sehen Sie, dass es sich bei meinem Vorschlag zunächst einmal um eine Methodik handelt und nicht, so hoffe ich, um meine persönliche, allzu engstirnige Geisteshaltung. Sie kennen dieses Vorgehen als Dialektik, der Lehre von den Gegensätzen, gefolgt vom Versuch, diese Gegensätze zu verstehen und aufzulösen. Vielleicht stimmen Sie mir zu, dass der öffentliche Diskurs, die Berichterstattung, die privaten Diskussionen in Zeiten von Corona zumeist von allem anderen als dieser Kunst handeln. Es wird massiv polarisiert und die allgegenwärtige Kompromisslosigkeit ist ein großes Problem. Der Themenkreis Corona ist medial buchstäblich vermüllt. Lassen Sie uns das ändern!

Bitte halten Sie Ketzer wie mich nicht automatisch für blöd. Natürlich ist etwas dran an der Corona-Geschichte. Schwerkranke wurden tatsächlich beatmet und insbesondere unter Alten und Kranken gab es, in den Nachbarländern noch mehr als in Deutschland, bedrückend viele Todesfälle. Die Pandemie erweist sich andererseits nicht als alleinige Ursache, sondern Zug um Zug als viel kleiner als das, wozu sie aufgebauscht wurde. Sie steht als Auslöser längst in keinem Verhältnis mehr zu den organisatorischen Maßnahmen, deren Folgen wir und unsere Kinder nun für den Rest unseres Lebens zu bearbeiten haben. Das ist das eigentlich Neue.

Ich weiß, für viele von Ihnen ist Corona schon medizinisch etwas Furchtbares. Zweifellos findet zugleich wirtschaftlich, sozial und kulturell eine große Veränderung statt. Meine Frage an alle Meinungsträger und -macher lautet: Wie furchtbar ist denn der angebliche Auslöser wirklich, das Corona-Virus? Sind sich noch immer alle ganz sicher, dass der gigantische Umbruch, den wir uns da für den Schutz unserer Gesundheit zumuten und medial propagieren, wirklich richtig ist? Wollen wir nur kleine, völlig offensichtliche Details hinterfragen, wie den ebenso teuren wie dilettantischen Pfusch einer in den Häusern regierungsnaher Lobbyisten entwickelten Corona-Warn-App? Erkennen und rügen wir doch gemeinsam die offensichtlich auffallend wohlwollende Hofberichterstattung über die vermeintlichen Erfolge der eingeführten Maßnahmen! Planen wir die Zukunft! Fordern wir Alternativen ein! Sind Sie sich in diesem Zusammenhang wirklich ganz sicher, dass uns, die Warn-App-Bauchlandung im Hinterkopf, nur ausschließlich eine äußerst rasch in den Häusern anderer, regierungsnaher Lobbyisten aus dem Boden gestampfte Impfung rettet und dass man deren Entwicklungszeit tatsächlich um viele Jahre verkürzen kann, indem man sich mit vielen Milliarden eine beschleunigte Entwicklung kauft?

Ich plädiere für eine dialektische Diskussion und fordere genau diese auch von Politik und Medien. Lassen Sie, verehrte Leser, andere Überzeugungen und Argumente auf sich wirken. Fragen Sie sich, was das Gegenteil des eigenen Arguments bedeuten würde. Beschaffen Sie sich Zahlen und Literatur. Weder zählen Lautstärke noch Wiederholrate, noch stures Aussitzen, noch Mehrheitsverhältnisse. Manchmal bleibt zwei plus zwei natürlich auch einfach vier – lassen Sie sich nicht beirren und gehen Sie dennoch versuchsweise in konstruktive Opposition zu sich selbst und anderen. Hätte man zu Zeiten Galileis die ebenso populäre wie hoheitliche Auffassung gelten lassen, dann wäre die Erde das ruhende Zentrum aller kosmischen Bewegungen geblieben. Sie dreht sich aber doch, wie Ihnen ja bekannt ist.


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