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Titel: 20 Jahre Camp David: Der Friedensprozess, der keiner war
Datum: 25. Juli 2020 um 11:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Friedenspolitik, Gedenktage/Jahrestage
Verantwortlich: Redaktion
Vor 20 Jahren scheiterten im US-amerikanischen Camp David die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern und damit der aussichtsreichste Versuch, auf Basis einer Zweistaatenlösung Frieden in Nahost zu schaffen. So lautet zumindest ein beliebter Mythos westlicher Berichterstattung. Doch einen Prozess hin zu Frieden und Selbstbestimmung hat es nie gegeben. Den 2. Teil dieses Textes finden Sie unter diesem Link. Von Fabian Goldmann.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Fast zehn Jahre hatten sie verhandelt, gestritten, Abkommen geschlossen, wieder gebrochen und die Hoffnungen der Welt auf einen Frieden in Nahost genährt. Und am Ende blieb doch nur ein kurzes Statement, in dem Israels Ministerpräsident Ehud Barak, Palästinenserpräsident Jassir Arafat und US-Präsident Bill Clinton das Scheitern der Gespräche eingestehen mussten. Als am 25. Juli 2000 das ergebnislose Ende der sogenannten „Endstatusverhandlungen“ im US-amerikanischen Camp David zwischen Israelis und Palästinensern bekannt gegeben wurde, erlebte die Vision von zwei Staaten, die Seite an Seite friedlich miteinander leben, ihren bis dahin herbsten Rückschlag. Ein Rückschlag, von dem sich der israelisch-palästinensische „Friedensprozess“ bis heute nicht erholen sollte. So oder so ähnlich liest man es zumindest auch dieser Tage wieder.
Weitgehende mediale Einigkeit besteht auch in der Frage, wer am Scheitern schuld sei. Fast schon sprichwörtlich steht heute der Begriff von Baraks „großzügigem Angebot“ für die angeblich einmalige Fähigkeit der Palästinenser, eine Chance nach der anderen auf Frieden und Selbstbestimmung in den Wind zu schlagen. “Ich bedauere, dass Arafat im Jahr 2000 die Gelegenheit verpasst hat, diese Nation ins Leben zu rufen“, sagte Bill Clinton später mit Blick auf die gescheiterten Verhandlungen in Camp David. Er bete für den Tag, „an dem die Träume des palästinensischen Volkes für einen Staat und ein besseres Leben in einem gerechten und dauerhaften Frieden verwirklicht werden“. Zumindest in einer Sache hat der ehemalige US-Präsident recht. Mehr als ein Traum war ein palästinensischer Staat nie. Gescheitert ist er allerdings nicht an der Weigerung der Palästinenser, Kompromisse zu schließen. Denn Verhandlungen hin zu einer Zweistaatenlösung hat es nie gegeben. Der größte Mythos über den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ist der, dass es ihn überhaupt gab.
Das Recht auf politische Selbstbestimmung ist nicht nur eine Verhandlungsposition der Palästinenser
Um zu verstehen, warum es in den rund zehn Jahren des „Oslo-Friedensprozesses“ nie um die Errichtung eines palästinensischen Staates ging, hilft es zu sehen, woher die Vorstellung von einer „Zweistaatenlösung“ im Nahen Osten eigentlich kommt. In der westlichen Wahrnehmung scheint diese wie Terroranschläge und Siedlungsbau zu den Konstanten des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern zu gehören. Seine Geburtsstunde hatte die Idee nach heutigem Verständnis allerdings erst am 22. November 1967. Damals erklärte der UN-Sicherheitsrat in Resolution 242 ein Ende der israelischen Besatzung zur Grundlage für die „Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens im Nahen Osten“. Das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung, das UN-Resolutionen schon in den Jahrzehnten zuvor bekräftigt hatten, bekam damit einen Raum zugewiesen: Jene Gebiete, die Israel 1967 besetzt hatte, also die Westbank und den Gazastreifen.
Seitdem wurde das Recht der Palästinenser auf politische Selbstbestimmung in eben diesen Grenzen sowie die Zweistaatenlösung als Basis für einen Frieden in Nahost in mehreren UN-Resolutionen und Urteilen des Internationalen Gerichtshofes festgeschrieben. Auch wenn es in der heutigen Nahostberichterstattung oft anders scheint: Palästinensische Selbstbestimmung in der Westbank und im Gazastreifen ist keine Forderung, die sich palästinensische Unterhändler irgendwann einmal ausgedacht haben. Sie ist auch nicht abhängig von israelischer oder US-amerikanischer Zustimmung. Sie ist internationales Recht.
Wie Palästinenser 78 Prozent des Landes aufgaben und dafür Gespräche bekamen
Bis sich die palästinensische Führung selbst zu diesem Prinzip bekannte, dauerte es allerdings noch bis zum 15. November 1988. In der „Palästinensischen Unabhängigkeitserklärung“ rief der Palästinensische Nationalrat an diesem Tag – eher symbolisch – einen Staat in den Grenzen von vor 1967 aus. Damit erkannte er auch erstmals implizit die Existenz Israels an. Aus palästinensischer Sicht ist die Tragweite dieses Schritts kaum zu unterschätzen: Die Palästinenser gaben 78 Prozent des Landes auf, in dem sie, ihre Eltern oder Großeltern gelebt hatten, um die Chance auf Frieden und Selbstbestimmung im Rest des Landes zu wahren. Wäre Israel denselben Schritt gegangen, hätte seine Besatzung beendet und einen Staat Palästina in der Westbank und dem Gazastreifen anerkannt, die Geschichte des Nahostkonflikts hätte an dieser Stelle enden können.
Doch auf einen solchen Schritt warten die Palästinenser bis heute. Statt politischer Selbstbestimmung, wie es das Völkerrecht vorsieht, bekamen die Palästinenser etwas anderes: Gespräche. Erst das historische Entgegenkommen ermöglichte die ersten Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. Nun erst wurde der internationale Druck auf die israelische Führung so groß, dass diese sich zu etwas bereit erklärte, was sie bis dahin konsequent ausgeschlossen hatte: mit Palästinensern überhaupt zu reden.
„So etwas wie Palästinenser“ gab es in der israelischen Politik nicht
In der israelischen Politik hatte man bis dahin nicht nur jedes Recht auf palästinensische Selbstbestimmung kategorisch ausgeschlossen, sondern gleich ganz die Existenz von Palästinensern geleugnet. „Wie können wir die besetzten Gebiete zurückgeben? Da gibt es keinen, dem wir diese zurückgeben können. So etwas wie Palästinenser gibt es nicht“, erklärte Israels Premierministerin Golda Meir 1969. „Der Konsens war, dass es niemanden zum Reden und nichts zu diskutieren gab”, schrieb auch der frühere israelische Außenminister Jossi Beilin in seinem Buch “Touching Peace” rückblickend über jene Zeit.
Der Grund: Verhandlungen mit einer palästinensischen Vertretung galten bis Ende der 80er Jahre für israelische Politiker eher als Gefahr denn als Chance. Den 15. November 1988 – der Tag, an dem der Palästinensische Nationalrat nicht nur Israel anerkannte, sondern auch der Gewalt abschwor – bezeichneten Jitzhak Shamir und Shimon Peres einmal als „traurigen Tag für Israel.“
Verhandlungen sollten Selbstbestimmung nicht ermöglichen, sondern verhindern
Auf US-amerikanische Initiative folgten vom 30. Oktober 1991 bis 1. November 1991 im spanischen Madrid die ersten indirekten Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern. Der sogenannte „Friedensprozess“ begann. Diese Gespräche und die darauf folgenden Geheimverhandlungen im norwegischen Oslo sollte man allerdings nicht als israelisches Bekenntnis zur Zweistaatenlösung deuten. Ziel der israelischen Politiker war das genaue Gegenteil.
Jede zukünftige Regelung werde auf dem Plan der israelischen Regierung fußen, den Palästinensern die Ausübung ihres Rechtes auf Selbstbestimmung zu verweigern. Dies versicherte US-Außenminister James Baker während der Madrider Friedenskonferenz den israelischen Unterhändlern. 1993 danach gefragt, ob das Ziel von Verhandlungen die Errichtung eines palästinensischen Staates sei, erklärte Shimon Peres ganz offen: „Diese Lösung, an die jeder denkt und die Sie sich wünschen, wird es nicht geben.“ Im Wahlkampf von 1996 bekannte Benjamin Netanjahu, dass er es als seine Aufgabe sah, „die Errichtung eines palästinensischen Staates zu verhindern.“
Auch der spätere Friedensnobelpreisträger Jitzhak Rabin stellte in den Verhandlungen klar, dass jenes „palästinensische Gebilde“, welches er bereit sei zu errichten, „weniger als ein Staat“ sein würde. Die Likud-Partei, die Rabin und seiner Arbeiterpartei nach dessen Tod in die Regierung folgte, erklärte die Verhinderung jeglicher nicht-israelischer Souveränität westlich des Jordans sogar zum Regierungsziel.
Die Liste israelischer Politiker, die die Verhinderung palästinensischer Souveränität zum Ziel des „Friedensprozesses“ erklären, ließe sich noch lang fortsetzen. Ein Bekenntnis zu palästinensischer Staatlichkeit durch einen an den Verhandlungen beteiligten israelischen Politiker sucht man im gesamten „Oslo-Friedensprozess“ vergeblich.
Der „Friedensprozess“ verlängerte die Besatzung, anstatt sie zu beenden
Es wären irreführend, den israelisch-palästinensischen „Friedensprozess“ nur auf Basis von öffentlichen Politikeräußerungen zu bewerten. Schließlich richteten diese sich oftmals an die eigene Wählerschaft, die Zugeständnissen gegenüber Palästinensern häufig skeptisch gegenüberstand. Der „Oslo-Friedensprozess“ hat Hunderte von Dokumenten hervorgebracht, die sehr viel besser Aufschluss über das Ziel der Verhandlungen geben. Ein Hinweis auf palästinensische Selbstbestimmung, „zwei Staaten, die friedlich Seite an Seite leben“ oder ähnliches, findet sich allerdings in keinem einzigen.
Nicht ohne Grund: Statt mit dem Instrument gegenseitiger Verhandlungen den Weg zu einem Friedensschluss auf Basis des Völkerrechts zu bereiten, bewirkten die Verhandlungen das genaue Gegenteil. Statt die israelische Besatzung zu beenden, schrieben zahllose Dokumente sie für unbestimmte Zeit fest.
Der 13. September 1993 gilt als Tag des ersten großen Erfolgs des nahöstlichen „Friedensprozesses“. Als sich Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat im Garten des Weißen Hauses in der US-Hauptstadt Washington per Handschlag gegenseitig als Verhandlungspartner akzeptierten, schien der Anfang vom Ende des Nahostkonflikts gekommen. Doch auch in der „Prinzipienerklärung“, in der sich Israel und die PLO (explizit nicht Palästina) erstmalig ausdrücklich anerkannten, steht nichts von einem palästinensischen Staat. Stattdessen wurden alle Fragen, die eine „dauerhafte Lösung“ und damit auch die Frage palästinensischer Staatlichkeit berühren, Gegenstand gegenseitiger „Endstatusverhandlungen“. Diese wurden zudem für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren ausgeklammert.
Ein Ende der Besatzung und palästinensische Selbstbestimmung waren von nun an nicht mehr eine Frage internationalen Rechts, sondern dauerhaft vom Wohlwollen israelischer Politiker abhängig. Verhandlungen waren nicht mehr das Mittel, um völkerrechtliche Bestimmungen umzusetzen, sie waren ihr Ersatz.
An diesem Prinzip sollte sich auch in den Folgejahren nichts ändern: Ob im „Gaza-Jericho-Abkommen“ von 1994, dem „Interim Agreement on the West Bank and the Gaza Strip“ von 1995, dem “Wye-River-Memorandum“ vom 1998, dem „Sharm El-Sheikh Memorandum“ von 1999 oder den zahllosen anderen Dokumenten des „Oslo-Friedensprozesses“: Von einem Ziel der „Zweistaatenlösung“ fehlt jede Spur.
Lesen Sie nächste Woche im zweiten Teil: Wie die Errichtung der „Palästinensischen Autonomiebehörde“ und der „Friedensprozess“ im Nahen Osten einen palästinensischen Staat für immer unmöglich machte.
Titelbild: Zbitnev / Shutterstock
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