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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Kevin Kühnert beweist einmal mehr, wie sinnlos es ist, auf einen Erneuerungsprozess der SPD zu setzen
Datum: 26. Juni 2020 um 9:10 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, DIE LINKE, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, SPD
Verantwortlich: Jens Berger
Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert wird von den Medien hofiert und in steter Regelmäßigkeit als die Zukunft der SPD verkauft. Die NachDenkSeiten betrachteten diese Personalie stets mit großer Skepsis. Vor allem bei friedenspolitischen Fragen hat sich Kühnert immer wieder als Nullnummer erwiesen. Wie berechtigt unsere Skepsis war und ist, zeigt ein aktuelles Interview, das Kühnert der WELT gegeben hat. Darin nimmt er massiv Einfluss auf die innerparteiliche Debatte der Linken und schießt mit scharfen Pfeilen gegen den Linken-Abgeordneten Andrej Hunko, den er einen „wunderlichen Onkel“ nennt. Kühnerts Groll richtet sich dabei vor allem auf die Kritik an den Corona-Maßnahmen und die Friedenspolitik von Teilen der Linken. So sei die Linkspartei „schwerlich ernstzunehmen“ und eine rot-rot-grüne Koalition nicht denkbar. Eine Steilvorlage für den Kipping-Flügel, der die Linkspartei ohnehin in strittigen Fragen auf Koalitions- und damit auf SPD-Kurs bringen will. Von Jens Berger.
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In der Linkspartei gibt es also „ein paar Leute“, die der Juso-Vorsitzende „schwerlich ernstnehmen kann“. Dazu zählt nach Kühnerts Worten vor allem „ein Herr Hunko, der nach Venezuela fährt und sich dort mit Maduro trifft oder der zu sogenannten Hygiene-Demos geht“. Der Herr Hunko sei daher „kein Partner“ für ihn. Der SPD-Politiker „erwartet“ (sic!) von einer „Partei, die Verantwortung übernehmen will“, dass sie nicht „jeden noch so wunderlichen Onkel immer und immer wieder in Ämter hievt“. Damit spielt er offensichtlich auf die Wahl Hunkos zum Fraktionsvize an. Wasser auf die Mühlen des Kipping-Flügels, der die Partei ebenfalls im kühnertschen Sinne auf Koalitionskurs bringen will und der in friedenspolitischen Fragen und bei der – nicht vorhandenen – Kritik an den Corona-Maßnahmen ohnehin deckungsgleiche Positionen wie Kühnert vertritt.
Was ist davon inhaltlich zu halten? Fangen wir mit den „sogenannten Hygiene-Demos“ an. Richtig ist, dass Andrej Hunko eine Rede auf einer von linken Aktivisten organisierten Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen gehalten hat. Der Inhalt dieser Rede ist auf Hunkos Internetseite veröffentlicht und auch Kevin Kühnert hätte sich diese Rede ja mal anschauen und inhaltlich dazu Position beziehen können. Was Hunko sagt, ist nämlich äußerst differenziert. In einem Interview mit den NachDenkSeiten hatte Andrej Hunko bereits vor einem Monat seine Position zu den Maßnahmen erklärt und auch Stellung zur parteiinternen Kritik an seinem Auftritt bezogen. Aber für Kühnert gibt es diesbezüglich offenbar nur schwarz oder weiß – entweder man stellt sich, wie er, vorbehaltlos hinter alles, was die Bundesregierung beschließt, oder man ist ein „wunderlicher Onkel“. Das ist genau der Populismus, den Kühnert immer empört bei anderen kritisiert; ein Grabenkampf zwischen Extremen, der keinen Platz für Grautöne und differenzierte Positionen zulässt. Aber da können sich Kühnert und Kipping ja durchaus die Hand geben. Was diese ideologische Diskursverweigerung mit einer von der Linken ja propagierten progressiven und emanzipatorischen Politik zu tun haben soll, wissen sicher weder Kühnert noch Kipping.
Bezeichnend ist auch, dass Kühnert sich als zweite Vorbedingung für eine rot-rot-grüne Koalition ausgerechnet eine Abkehr von der Friedenspolitik herausgepickt hat, die in der Linkspartei zum Glück immer noch von Politikern wie Andrej Hunko hochgehalten wird. Konkret kritisiert Kühnert hier Hunkos Besuch in Venezuela, bei dem er sich – so Kühnert – „mit Maduro getroffen hat“. Natürlich weiß auch Kevin Kühnert, dass Hunko sich in Venezuela nicht nur „mit Maduro“, sondern auch mit dem Oppositionsführer Guaidó und vielen anderen – darunter Vertretern der deutschen Botschaft, zahlreichen politischen Strömungen im Land und humanitären Organisationen – getroffen hat. Es ist vermessen, einen Abgeordneten, der mit allen Konfliktparteien spricht und sich selbst einen Eindruck über die Lage in einem Staat macht, genau dafür zu kritisieren. Diesen Dialog dann auf ein Treffen mit Maduro zu verkürzen, ist ebenso manipulativ wie boshaft. Wäre Kühnert nun ein bekennender Vertreter des transatlantischen Flügels, so wäre diese Verkürzung ja zumindest zu verstehen. Kühnert ist aber der Vorsitzende einer Jugendorganisation, die sich traditionell für eben diesen Dialog, für Entspannung statt Konfrontation und für eine aktive Friedenspolitik eingesetzt hat. Doch das ist leider Geschichte.
Die heutigen Jusos sind offenbar voll auf Linie. Das belegt auch eine Äußerung Kühnerts in einem vorangegangenen Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Darin verbindet er seine Kritik am angeblichen „Hofieren“ von „Autokraten wie Nicolas Maduro“ sogar direkt mit der Entscheidung der SPD, „dass Bundeswehreinsätze nötig sein können, um Menschenrechtsverletzungen einzudämmen“. Der eine spricht mit allen Konfliktparteien, der andere denkt öffentlich über einen Bundeswehreinsatz nach. Friedenspolitik hier, Kriegspolitik dort. Fragt sich, wer hier ein „wunderlicher Onkel“ ist.
Bemerkenswert ist auch, dass Kühnert bei jeder Gelegenheit Treffen mit Maduro verteufelt, aber nie ein Wort darüber verloren hat, dass sein Genosse Heiko Maas zum Handshake mit dem reaktionären brasilianischen Präsidenten Bolsonaro vor den Kameras posierte. Gute Autokraten, schlechte Autokraten? Warum ist ein Treffen mit Maduro ein Ausschlusskriterium für eine Koalition, während ein Treffen mit Bolsonaro dem obersten Jungsozialisten noch nicht einmal eine kritische Fußnote wert ist? Offensichtlich hat der Jungpolitiker das System der doppelten Standards bereits perfekt verinnerlicht.
Doch auch diese Kritik ist eigentlich naiv, geht sie doch zumindest vom Anspruch aus, Kühnert könnte progressiv denken. Dass dies vor allem in friedenspolitischen Fragen gerade eben nicht der Fall ist, sollte eigentlich nicht überraschen. Schon vor zwei Jahren hatte Albrecht Müller sich kritisch zum „Kriegsbefürworter“ Kühnert geäußert. Wenn man sehr naiv und wohlwollend ist, hätte man damals noch sagen können: Der Mann ist noch jung und man sollte ihm die Chance geben, sich zu entwickeln. Diese Resthoffnung sollte mittlerweile jedoch begraben sein. Kühnerts friedenspolitische Vorstellungen sind ohne Zweifel enttäuschend und könnten so auch 1:1 zu den Grünen passen. Wenn er sich überhaupt mal kritisch zu friedenspolitischen Fragen äußert, dann geht er dabei über halbgare Floskeln, wie die Kritik an Waffenlieferungen in Konfliktgebiete, nicht hinaus, die zwar nicht falsch, aber auch nicht gerade besonders ambitioniert sind.
Lesen Sie dazu bitte auch: Albrecht Müller – „Sich erneuern in der Opposition oder in der Regierung? Anmerkungen zum Sonderparteitag der SPD und der Rolle des Juso-Vorsitzenden.“
Kühnerts Äußerungen zeigen, wie wichtig es ist, dass gerade die Linkspartei sich nicht auch noch in den Chor der Kriegsbefürworter einreiht. Ansonsten hätten wir im Bundestag eine ganz große Stahlhelmkoalition, die von der AfD über alle aktuellen und ehemaligen Regierungsparteien bis zur Linkspartei reicht. Die Linkspartei ist – zumindest in Teilen – heute das einzige parlamentarische Korrektiv zum wiedererwachten deutschen Hang zum Säbelrasseln und zur transatlantischen Dominanz im politischen Diskurs. Wenn die Linke dieses Alleinstellungsmerkmal ohne Not aufgibt, macht sie sich überflüssig und austauschbar. Was unterscheidet eine Kipping-Linke denn noch von den Grünen? Warum sollte der Wähler dann die Kopie und nicht das Original wählen? Und abseits solcher machtarithmetischen Fragen: Wer ist dann noch die Stimme der Vernunft, die Stimme der Entspannungspolitik und die Stimme des Friedens? Die Linkspartei sollte Kühnerts Einflussnahme daher für einen Realitätscheck nutzen und sich jetzt erst recht progressiv und friedenspolitisch positionieren. Und wenn der Preis dafür das kühnertsche Attest der Koalitionsunfähigkeit ist, dann sei dem so. Frei nach Willy Brandt sollte es heißen: Es hat keinen Sinn, eine Regierungsbeteiligung für die Linken zu erringen, wenn der Preis dafür ist, nicht mehr links zu sein.
Titelbild: INSM, CC BY-ND 2.0
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