Heute unter anderem zu folgenden Themen: Mehr Bretto; Gesundheitsreform: “Optimistisch gerechnet”; Meinungsvielfalt?; die dümmsten Kälber; Zahlenspiele mit befristet Beschäftigten; immer mehr psychischer Stress; Wölfin im Schafspelz; Öliges; Kirchenkrise, nächste Folge; Nach der Grundschule wird’s ungerecht;
Merkel drückt Elite-Stipendien durch Bundesrat; Tricks bei Kieler Uni-Rettung; Guantanamo, Schande ohne Ende; ein Jahr nach dem Putsch in Honduras; wer lebt über wessen Verhältnisse. (WL)
- Mehr Bretto
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Bild: Trotz Beitrags-Schock bleibt 2011 netto mehr
Die gute Nachricht: Die angekündigten Beitragserhöhungen fressen die bisherigen Steuerentlastungen nicht komplett auf!
Im nächsten Jahr haben Arbeitnehmer mehr Geld im Portemonnaie als vor der Wahl 2009.
Je nach Einkommen bleiben bis zu 169 Euro mehr Netto/Monat.
Quelle: Bild
Dagegen:
- Versprechen nicht gehalten
Für Millionen Arbeitnehmer in Deutschland steigt durch die schwarz-gelbe Regierung die Steuer- und Abgabenlast. Statt mehr Netto vom Brutto gibt es für alle Singles weniger. Dies ist das ernüchternde Ergebnis nach den Entscheidungen zur Gesundheitsreform, wie Berechnungen zeigen, die der Bund der Steuerzahler exklusiv für die FR angestellt hat.
Quelle: FR
Anmerkung WL: Eine Berechnung von einem Institut, zwei völlig unterschiedliche Bewertungen. Die Bild-Zeitung spielt mal wieder das Sprachrohr der Regierung und verkündet die Regierungslosung „Mehr Netto vom Brutto“. Dass die angegebene Entlastung erst ab einem monatlichen Brutto von 6.000 Euro (wer hat das schon?) anfällt, gehört mit in die Kategorie Regierungspropaganda.
Anders dagegen Markus Sievers in der FR: Danach bleibt für Singles weniger Netto vom Brutto (siehe Tabelle) und für Familien sieht die Bilanz „nicht gerade rosig“ aus (Siehe Tabelle). Das Mehr vom Brutto liegt maximal bei 0,38 %.
Auch Bild kommt nicht daran vorbei, dass bei den Besserverdienenden mehr im Geldbeutel bleibt. Unerwähnt bleibt im Springer-Blatt, dass bei Single-Haushalten die mittleren Einkommen, das stärkste Minus haben. Das liegt an der Beitragsbemessungsgrenze von 45.000 Euro, denn wer mit seinem Gehalt darüber liegt zahlt nichts mehr zusätzlich für das Gesundheitswesen und kann dazu noch die Krankenkassenbeiträge seit 1. Januar 2010 überproportional von der Steuer absetzen.
Auch bei den Familienhaushalten profitieren die Bezieher hoher Einkommen besonders stark.
Was in die Berechnungen des „Bundes der Steuerzahler“ überhaupt noch nicht eingegangen ist, das sind die in Zukunft wohl von immer mehr Kassen eingeforderten und mit großer Wahrscheinlichkeit ansteigenden Zusatzbeiträge, die ausschließlich von den Arbeitnehmern zu bezahlen sind und wofür bis zu 2% des Nettoeinkommens fällig werden können. Werden diese noch berücksichtigt, dürfte für die ganz überwiegende Zahl der Arbeitnehmer weniger Netto vom Brutto bleiben.
Der Unterschied in der Betrachtung von Bild und FR dürfte sich daraus ergeben, dass Bild die Jahre 2009 (also noch Steuersenkungen der der Großen Koalition einberechnet) mit 2011 in Vergleich setzt, während die FR ausschließlich die Maßnahmen vergleicht, die „auf das Konto“ von Schwarz-Gelb gehen.
Ob die Berechnungen des Karl-Bräuer-Instituts überhaupt valide sind lässt sich aus den Tabellen nicht erschließen. Das Karl-Bräuer-Institut ist das wissenschaftliche Aushängeschild des Bundes der Steuerzahler. Der sog. „Bund der Steuerzahler“, dessen Mitglieder zu 60 bis 70 Prozent aus Unternehmen und dem gewerblichen Mittelstand kommen, ist nichts anderes als eine Lobbyorganisation, die gegen Steuern und Sozialabgaben zu Felde zieht.
- Norbert Klusen zur Gesundheitsreform: “Optimistisch gerechnet”
Der Chef der Techniker-Krankenkasse befindet: Man muss auch Arbeitgeber an den Kosten der Gesundheit beteiligen. Die Gesundheitsreform sei sehr optimistisch gerechnet.
Die Arbeitgeber gar nicht mehr an den Kostensteigerungen zu beteiligen, halte ich für falsch. Die Betriebe schätzen viel zu wenig, welchen Nutzen das Gesundheitssystem auch für sie hat. Deswegen sollte man die Beteiligung der Arbeitgeber an den Gesundheitsausgaben wenigstens an konjunkturelle Parameter binden. Wenn die Konjunktur gut läuft, wäre auch eine Erhöhung des Arbeitgeberanteils zur gesetzlichen Krankenversicherung angemessen.
Sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite sind die Annahmen sehr positiv. Ich erwarte, dass die Zusatzbeiträge bis 2014 die Höhe von durchschnittlich 16 Euro eher übersteigen werden. Damit werden auch mehr Menschen als prognostiziert Hilfe über den Sozialausgleich benötigen. Eine Milliarde Euro aus Steuergeldern wird da vermutlich nicht reichen, das kostet mehr Geld.
Quelle: FR
- Meinungsvielfalt?
Zu unserem heutigen Hinweis „Zur finanziellen Situation privater Haushalte“ schreibt uns ein Leser
…ist das die Hitze oder dreht die Wirtschaftsabteilung der Süddeutschen durch, da sie offenbar 20% der Bevölkerung in der Frage der Zufriedenheit über die Einkommen einfach ignoriert?
Die WELT sah das anders, aber nur eine Stunde lang: Offenbar gab es bei der WELT kurz nach Veröffentlichung des ersten Artikels zu der gleichen Studie eine Redaktionsbesprechung und aus unglücklichen Deutschen wurden wieder glückliche….
Hier einmal ein paar Ausschnitte durch den Blätterwald, der verdeutlicht, wie seltsam auseinander die Meinungen über die “Einkommensstudie” gehen. Zur Sicherheit dabei jeweils ein Snapshot, denn offenbar werden Überschriften noch umgetextet…
Snapshot Süddeutsche: Mit dem Einkommen zufrieden
Die meisten Haushalte können mit ihren monatlichen Einkommen offenbar gut leben.
Quelle: SZ
Focus hingegen schreibt:
In jedem fünften Haushalt reicht das Geld nicht
Snapshot Focus:
Mit der gleichen Überschrift der Spiegel:
Jeder fünfte Haushalt knapp bei Kasse
Auch die Welt meint zunächst:
Knapp bei Kasse
Jeder fünfte Haushalt in Deutschland kommt nicht mit seinem Einkommen aus
Snapshot WELT:
Offenbar hatten die wirtschaftsliberalen Blätter gerade Redaktionsbesprechung untereinander und die WELT hat es sich ca. 1 Stunde nach Veröffentlichung des ersten Artikels nochmal anders überlegt . Den Deutschen geht es plötzlich wieder gut…denn plötzlich schreibt die Welt 1 Std. später um 07:43 Uhr:
Deutsche kommen mit ihrem Einkommen gut aus
Sicherheitshalber wurde die Kommentarfunktion der WELT schon mal abgeschaltet…
- Die dümmsten Kälber…
Der kluge Kopf wurde heute schon beim Frühstück beleidigt, als er beim Umblättern durch eine ganzseitige Anzeige der Karnevalsvereinigung INSM besudelt wurde. Und zwar auf das Übelste besudelt wurde. Ohne Vorwarnung. Ohne Distanzierung der Redaktion.
Die INSM, in der bekanntlich einige bundesweit tätige Industrielobbyisten als Ökonomen verkleidet ihrem Gewerbe nachgehen, fordert den Staat zum Sparen auf. Und alle klugen Köpfe, die nicht klug genug waren, das Machwerk einfach zu überblättern, sollten es aus ihrem berufenen Munde hören:
“Jede Ausgabe des Staates beruht auf einem Verzicht des Volkes”
Klar – wer so einen Schwachsinn in großen Lettern in Umlauf gibt, und gleichzeitig (beamteter) Lehrstuhlinhaber an einer deutschen Universität ist, der beruft sich lieber auf ein Zitat von Ludwig Erhard, als mit seinem eigenen Namen dafür gerade stehen zu müssen. Die Professoren, die sich so zahlreich bei der INSM engagieren, sollten bei einem derart blödsinnigen Geschwafel, das man nicht anders als “glatte Lüge” bezeichnen muss, vor Scham im Erdboden versinken; der Prominenz aus Sport und Kultur, die bei der INSM ebenfalls versammelt ist, sollte man hingegen nicht böse sein: Ihr darf man wohl Ahnungslosigkeit zu Gute halten.
Dass jede Ausgabe des Staates unmittelbar zu einer Einnahme von irgendjemand wird und daher noch nicht einmal theoretisch zu einem “Verzicht des Volkes” führt – diese simple Wahrheit scheint den INSM-Propagandisten ein mächtiger Dorn im Auge zu sein. All diejenigen, die ihre Einnahmen aus Zahlungen des Staates bestreiten – Beamten, Soldaten, Lehrer, Krankenschwestern, Feuerwehrleute oder Transferleistungsempfänger -, gehören nach Darstellung der INSM dann offenbar nicht zum “Volk”. Und all die deutschen Firmen, die Aufträge für den Staat erledigen, schicken ihre Rechnungen offenbar an irgendeinen Postkasten außerhalb des Bundesgebiets.
Quelle: weissgarnix
- Zahl der befristet Beschäftigten ging in der Krise zurück
Die Zahl der befristet Beschäftigten lag 2009 mit rund 2,5 Millionen etwa 150.000 niedriger als im Vorjahr. Bei nahezu gleichbleibender Zahl der Beschäftigten insgesamt ist damit der Anteil der befristet Beschäftigten auf 8,8 Prozent gesunken, zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). 2008 hatte der Anteil mit 9,3 Prozent so hoch gelegen wie nie zuvor.
Auch die Zahl der Übernahmen von befristeter in unbefristete Beschäftigung ging zurück. Wurden 2008 noch 52 Prozent der zunächst befristet angestellten Arbeitnehmer anschließend in eine unbefristete Beschäftigung übernommen, lag der Anteil im Jahr 2009 nur noch bei 45 Prozent. Im produzierenden Gewerbe sank er sogar von 68 auf 38 Prozent.
Im gleichen Zeitraum habe sich im produzierenden Gewerbe allerdings auch die Anzahl der Kündigungen bei regulären Arbeitsverträgen mehr als verdoppelt. Zudem sei die Zahl der im Produktionssektor eingesetzten Leiharbeiter erheblich zurückgegangen. Es könne also nicht von einer Personalanpassung gesprochen werden, die ausschließlich auf dem Rücken befristet Beschäftigter ausgetragen wird, kommentiert IAB-Arbeitsmarktexperte Christian Hohendanner die Forschungsergebnisse.
Den insgesamt eher geringen Rückgang der befristeten Beschäftigungen erklärt IAB-Forscher Hohendanner damit, dass der Großteil der befristet Beschäftigten nicht in den unmittelbar konjunkturabhängigen Branchen wie dem exportorientierten Produktionssektor arbeite. 40 Prozent aller befristet Beschäftigten seien in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sozialwesen, in öffentlichen oder gemeinnützigen Einrichtungen tätig. Befristet werde in diesen Bereichen vor allem, weil Projekt- und Haushaltsmittel häufig nur für einen kurzen Zeitraum vergeben werden.
Bei Anstellungen im produzierenden Gewerbe dominieren laut Hohendanner dagegen immer noch unbefristete Arbeitsverträge. Trotz der durch die Krise gestiegenen Unsicherheit gebe es im produzierenden Gewerbe keine Zunahme des Anteils befristeter Neueinstellungen – während bei den öffentlichen und sozialen Einrichtungen der Trend zur befristeten Neueinstellung ungebrochen sei. „In der öffentlichen Verwaltung sind mittlerweile 68 Prozent der neuen Arbeitsverträge befristet“, so Hohendanner.
Anteil der Befristungen an den Neueinstellungen ist weiter gestiegen
In der Gesamtbetrachtung über alle Branchen hinweg hat damit auch der Anteil der befristeten Neueinstellungen mit 47 Prozent im Jahr 2009 einen neuen Höchststand erreicht. 2008 lag der Anteil noch bei 44 Prozent, 2001 erst bei 32 Prozent. „Vor allem in der öffentlichen Verwaltung, aber auch in den Branchen Gesundheit und Sozialwesen, Erziehung und Unterricht sowie bei den Nonprofit-Organisationen sind Befristungen heute schon das Normaleinstellungsverhältnis“, stellt Hohendanner fest.
Quelle: IAB-Studie [PDF – 405 KB]
Anmerkung WL: Die hier zitierte Pressemitteilung des IAB belegt wieder einmal, dass das IAB eine Abteilung der Bundesagentur und kein unabhängiges Forschungsinstitut ist, sondern zumindest in der Außendarstellung die Politik der Bundesregierung zu beschönigen hat.
Man hätte auch die Überschrift wählen können: Befristete Neueinstellungen erreichen mit 47% einen neuen Höchstand. In der öffentlichen Verwaltung sind zwei Drittel aller Arbeitsverträge befristet. Oder: Die Übernahme von befristeten in unbefristete Arbeitsverhältnisse ging zurück.
Die Aussage des IAB-Arbeitsmarktexperten Hohendanner, man könne nicht von einer Personalanpassung gesprochen werden, die ausschließlich auf dem Rücken befristet Beschäftigter ausgetragen werde, ist ein Euphemismus. Da wird ein minimaler Rückgang
von befristet Beschäftigten um 0,5% als Erfolg dargestellt, obwohl alle anderen Daten darauf hinweisen, dass die Krise sehr wohl zu Lasten der Arbeitnehmer und der Arbeitsplatzsicherheit geht.
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Arbeitnehmer plagt immer mehr psychischer Stress
Die längsten Fehlzeiten im Job rühren von psychischen Problemen her.
Krankheitsgrund Nummer Eins aber bleibt der Rücken.
Deutschlands Arbeitnehmer fehlen immer häufiger wegen psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz. Die Anzahl solcher Krankheitsfälle ist im vergangenen Jahr auf einen Höchststand angestiegen, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Die Forscher werteten dafür die Krankheitsdaten von 9,7 Millionen erwerbstätigen AOK-Mitgliedern aus.
Demnach sind psychisch bedingte Erkrankungen für die längsten Fehlzeiten verantwortlich. „Bei einer Atemwegserkrankung fehlt ein Beschäftigter im Schnitt 6,5 Tage, bei einer psychischen Erkrankung sind es fast 23 Tage“, sagte der Mitherausgeber der Studie und stellvertretender Geschäftsführer des Instituts, Helmut Schröder…
Schon jetzt seien aber psychische Erkrankungen die häufigste Ursache für Frühverrentungen. 2007 begründete jeder Dritte seinen vorzeitigen Ausstieg aus dem Beruf mit hartnäckigen Depressionen oder anderen seelischen Störungen. Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamts sei durch die Volkskrankheit Depression im Jahr 2006 ein Schaden von 26,7 Milliarden Euro entstanden.
Die Ursachen für die deutliche Zunahme der psychischen Probleme vermuteten Gewerkschaften und Betriebsärzte im steigenden Stress einer stark veränderten und beschleunigten Arbeitswelt.
Quelle: WELT
Dazu:
Psychisch krank durch Stress Diagnose: Ausgebrannt und leer gepresst
Immer erreichbar, nie voll da: Arbeitnehmer gelten als Hochleistungsfaktor, der nie Pause machen darf – und gehen daran kaputt. Das kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten.
Quelle: SZ
- Ursula Engelen-Kefer: Wölfin im Schafspelz
Während sich die Bundesbürger noch im Fußballfieber befinden, startet Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen ihre “Charmeoffensive”, um künftig bei Erwerbslosen, Familien und Alleinstehenden jährlich 30 Milliarden Euro einzusparen. Kommunikationstechnisch klug verkauft sie diese Entscheidung als gerecht: Der Sozialetat mache ja mit 147 Milliarden Euro etwa die Hälfte des Bundeshaushalts aus. Bei einem “Sparpaket”, das insgesamt rund 80 Milliarden Euro umfasst, sei sie da “nur” mit Einsparungen von etwa einem Drittel dabei. Was sie verschweigt: Dieses Drittel soll ausschließlich bei den finanziell Schwächsten geholt werden. Also bei denen, die keine Lobby haben und sich ohnehin mehrheitlich von der Linkspartei vertreten sehen – falls sie überhaupt wählen gehen. Von der Leyen verantwortet hochprofessionell und diszipliniert die Verschärfung einer Klassengesellschaft in Deutschland.
Besonders befremdlich ist auch die Begründung der Bundesarbeitsministerin zu der vorgesehenen Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose von 40 Euro: Den Arbeitslosen täte dies nicht weh, da sie von den 2,09 Euro im Monat an Rentenleistungen nichts hätten, sagt sie. Demgegenüber brächten diese Kürzungen der Bundesregierung 1,8 Milliarden weniger Ausgaben pro Jahr. Was für eine Verdrehung der Tatsachen! Demnächst müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über höhere Beiträge und Rentner durch niedrigere Leistungen die Zeche für das Sparpaket zahlen – 8 Milliarden Euro bis 2014. Die Kommunen müssen die Armutsrenten der Arbeitslosen über die Grundsicherung finanzieren. Damit bleiben ihnen noch weniger Mittel, um den ehemaligen Herzenswunsch der Exfamilienministerin zu erfüllen: den Ausbau der Betreuung und Erziehung der Kinder.
Quelle: taz
- Verbraucherpreise Juni 2010: + 0,9% gegenüber Juni 2009
Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, ist der Verbraucherpreisindex für Deutschland im Juni 2010 gegenüber Juni 2009 um 0,9% gestiegen. Die Inflationsrate gemessen am Verbraucherpreisindex ist damit im Juni 2010 leicht zurückgegangen: im Mai 2010 hatte die Jahresteuerungsrate noch bei + 1,2% gelegen. Der für die Geldpolitik wichtige Schwellenwert von zwei Prozent wird weiterhin deutlich unterschritten. Im Vergleich zum Vormonat Mai 2010 erhöhte sich der Verbraucherpreisindex um 0,1%. Die Schätzung für Juni 2010 wurde damit bestätigt.
Die Inflationsrate wird nach wie vor von den Preisentwicklungen der Energieprodukte geprägt. Die Preise für Mineralölprodukte lagen deutlich über dem Vorjahresniveau (+ 11,4%; davon leichtes Heizöl: +23,5%; Kraftstoffe: + 8,5%). Ohne Berücksichtigung der Mineralölprodukte hätte die Jahresteuerungsrate nur + 0,4% betragen. Die binnen Jahresfrist rückläufigen Preise für Gas (− 8,9%) sowie für Umlagen für Zentralheizung und Fernwärme (− 10,6%) wirken dagegen inflationsdämpfend.
Die Preise für Nahrungsmittel lagen im Juni 2010 um 1,2% über dem Vorjahresniveau.
Quelle: Statistisches Bundesamt
Anmerkung WL: Die Hauptsorge der ökonomischen „Experten“ gilt trotzt dieser niedrigen Preissteigerungsrate der Inflation. Mit dem Schüren der Inflationsängste werden Lohnzurückhaltung und Schuldenabbau als prioritäre Ziele postuliert.
- Ghana: Ölige Tagträume
Im Oktober beginnt der Export von Rohöl aus dem Jubilee-Feld im Golf von Guinea vor Ghanas Küste. 125 000 Barrel – knapp zwanzig Millionen Liter – sollen hier zunächst täglich gefördert werden, für die Staatskasse bedeutet das Einnahmen von jährlich über einer Milliarde Franken. Mit der Erschliessung weiterer Ölfelder unter dem Meeresgrund in den kommenden Jahren soll diese Summe sich vervierfachen, schätzen ExpertInnen. Tausende hoffen vom Ölboom profitieren zu können. Wer auf der Küstenstrasse durch staubige Fischerdörfer nach Takoradi kommt, sieht sofort den Aufbruch: renovierte, frisch gestrichene Häuser und viele Neubauten, an denen Werbetafeln und Firmenschilder glitzern. Die Preise für Bauland und Immobilien, so heisst es, sind explodiert. UnternehmerInnen planen Hotels und Golfanlagen für die erwarteten ArbeiterInnen aus Übersee; StudentInnen an der örtlichen Hochschule belegen Kurse in Mechanik und Ingenieurswissenschaften, um einige der hoch qualifizierten Stellen abzubekommen, die auf den Ölplattformen vergeben werden. Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind die Erwartungen überzogen: An Bord der Bohrplattform Erik Raude etwa arbeitet nur eine kleine, hoch qualifizierte Crew mit SpezialistInnen aus der ganzen Welt. Mit skeptischem Blick sieht auch Chief Nana Kobina Nketsia V, das Oberhaupt der traditionellen Autoritäten der Region Essikado, in der die Doppelstadt Sekondi-Takoradi liegt, den neuen Ölreichtum. “Die Leute hier müssen an der Öloperation beteiligt werden. Und dabei geht es nicht darum, nur ein bisschen Geld hierzulassen», sagt Nketsia. «Öl kann ein Fluch sein, wenn die Menschen sich ausgeschlossen fühlen.”
Doch kritische Worte wie die von Nketsia sind selten in Ghana, das im Index der menschlichen Entwicklung des Uno-Entwicklungsprogramms weit hinten auf Platz 152 rangiert. In Armenvierteln wie Ashaiman, das am Rand der Hauptstadt Accra liegt, wollen die BewohnerInnen nur eins: etwas vom Geldsegen abhaben. In Erwartung des Ölreichtums erlebt auch Accra einen beispiellosen Aufschwung. Hotels, Bürohochhäuser und Einkaufszentren werden aus dem Boden gestampft. Indische und chinesische Bautrupps haben rechtzeitig vor der Wahl Ende 2008 den neuen Präsidentenpalast fertiggestellt; Kosten: fünfzig Millionen US-Dollar. Um diese und andere Rechnungen bezahlen zu können, verschuldete sich Ghana mit 750 Millionen US-Dollar.Vor einem solchen Leben auf Pump warnt Ghanas Präsident John Atta Mills, von Haus aus Ökonom. Er will es langsam angehen lassen und die Einnahmen aus den Öl- und Gasfunden nutzen, um Ghana zu industrialisieren. «Wir brauchen eine diversifizierte Ökonomie für das 21. Jahrhundert», sagt Atta Mills. So will der Präsident eine petrochemische Industrie fördern, die günstigen Kunstdünger produziert. Ein Entwicklungsfonds soll den überwiegend armen BäuerInnen helfen, dringend benötigte Investitionen vorzunehmen. Parallel will der Präsident die nötigen Fabriken schaffen, um ghanaische Ressourcen vor Ort zu verarbeiten. Doch ob die Pläne verwirklicht werden, bleibt abzuwarten. Bereits sind die ersten Korruptionsskandale im Zusammenhang mit dem neuen Ölreichtum aufgedeckt worden.
Quelle: woz.ch
Anmerkung Orlando Pascheit: Es wäre einem der ärmsten Länder der Erde zu wünschen, dass die Ölgelder in die Gesamtwirtschaft investiert würden und nicht wie in Nigeria und Mozambique nur einige Wenigen vom neuen Ölreichtum profitierten. Allerdings machen die ausländischen Investoren aus den USA und Großbritannien den eigentlichen Profit. Die Chancen, dass ein Teil der Ölgelder der Gesamtwirtschaft zugute kommen, stehen indes in Ghana besser. Das Land, das als erstes in Afrika die Unabhängigkeit erlangte, hat sich nach etlichen Militärputschen politisch stabilisiert und wird auch nicht wie Nigeria von ethnischen Konflikten heimgesucht. Vor dem Hintergrund der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko treten hingegen andere Sorgen in den Vordergrund. Auch wenn norwegische Sicherheitsrichtlinien gelten, dürften Katastrophen in mehr als 4.000 Metern Wassertiefe nicht mehr beherrschbar sein.
- Öl, Geld, Meinungsmache, Macht
- Ölige Verbindungen II
Auch die Richter des Berufungsgerichts, das gestern gegen Obamas Tiefsee-Bohrstopp entschied, sollen enge Verbindungen zu Energieunternehmen und Big Oil haben
Ein US-Bundesberufungsgericht hat gestern erneut gegen den von der Regierung verfügten Stopp für Tiefsee-Ölbohrungen vor der Küste im Golf von Mexiko entschieden. Mit einer 2 zu 1-Richtermehrheit befand das Gericht, dass es nicht nachgewiesen sei, wonach die Tiefsee-Bohrungen vor der Küste “die Gefahr eines nicht-reparierbaren Schadens” im Golf von Mexiko riskieren. Dem stellte es die Schäden für die heimische Industrie, für die Region am Golf und die heikle Lage der heimischen Energieversorgung gegenüber.
Ähnlich wie bei dem Richter Martin Feldman, der im Juni den Tiefsee-Bohrstopp aufhob (siehe Ölige Verbindungen), bestehen nach einem Bericht der Bürgerrechtsorganisation Alliance for Justice starke Indizien für einen Interessenskonflikt der Richter. Die Richter des Berufungsgerichts hätten allesamt enge Verbindungen zur Ölindustrie.
Quelle: Telepolis
- Macht und Geld und Politik
Der Schmierstoff des politischen Getriebes ist das Geld: Wer es hat und für seine Zwecke einsetzt, bestimmt die Politik. Präsident Clinton lieh gegen Spenden den Bankchefs sein Ohr, Minister werden mit Posten in der freien Wirtschaft belohnt. All dies widerspricht den egalitären Grundideen der Demokratie.
Quelle: Le Monde diplomatique
Anmerkung Orlando Pascheit: Mag sein, dass wir in Japan, China, Rußland, Skandinavien, Deutschland, Italien und den USA immer noch verschiedene Formen des Kapitalismus vorfinden, aber im Verhältnis von Politik und Kapital findet immer mehr eine Angleichung statt. Damit dürfte auf längere Sicht eine Durchkapitalisierung des Globus nach gleichem Muster erfolgen. Was das Vertrauen in staatliche Institution weiter untergräbt sind die Anzeichen, dass auch die Gerichtsbarkeit in den Sog von Kapitalinteressen gerät. Anders ist die erneute Abweisung des Ölbohrverbots durch ein Berufungsgericht in New Orleans nicht zu erklären. Die Regierung habe keine Beweise dafür, dass die Bohrungen eine Bedrohung für den Golf darstellten.
Zwar spielt in Louisiana auch die Fischereiwirtschaft eine Rolle, aber ein Ende der Offshore-Bohrungen wird als Katastrophe empfunden. Überall von der Küste aus sind Bohrtürme zu sehen. Der Gouverneur von Louisiana, Bobby Jindal, machte wegen des Verbots massiv Front gegen Obama. Dass die Richter der Region befangen sein könnten belegt eine eine Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press. 37 von 64 erfahrenen Richtern (“federal judges”), die in den entscheidenden juristischen Distrikten von Louisiana, Texas, Alabama, Mississippi und Florida zum Zug kommen könnten, haben Verbindungen zu BP, Halliburton oder Transocean, die Glaubwürdigkeitsprobleme mit sich bringen könnten. Die Agentur hat dabei nur die amtlichen Offenlegungen der Richter vom Jahre 2008 überprüft. Viele haben Aktien der drei Unternehmen, die in praktisch jeder der 150 Zivilklagen benannt werden, andere profitieren von Lizenzgebühren für die Öl-Förderung oder haben direkt in Drittunternehmen investiert. Ein Richter in Mississippi, in dessen Zuständigkeitsbereich mehrere Klagen eingereicht wurden, referiert auf Einladung von Ölkonzernen vor deren Mitarbeitern.
- Das gedämpfte Rauschen
Es entspricht den ungeschriebenen Abnutzungsgesetzen der Massenkommunikation, dass noch die größte Krise oder die sensationellste Katastrophe innert kürzester Zeit wie von selbst alltäglich wird. In den USA haben wir das bei der Irak-Kriegsberichterstattung erlebt. Und nun spielt sich bei der BP-Ölkatastrophe etwas Ähnliches ab. Die «New York Times» (NYT) produzierte im Fall BP – wie vorher im Fall Irak – großzügige Extraseiten. Paradoxerweise trug gerade das publizistische Spezialformat zur Normalisierung des Ausnahmezustandes bei: Die Katastrophe geschieht nun in einem redaktionell fest abgesteckten Rahmen und kann also gar nicht so unberechenbar sein. Insbesondere die NYT-Rubrik «Das Neueste von der Ölkatastrophe» schottet das Publikum besser vom BP-Albtraum ab, als viele der Ölsperren es für die betroffenen Fischer und Küstenbewohnerinnen tun. Wir MedienkonsumentInnen können nun die Krise so einfach erfassen wie die Wetterlage von Meteo.
Von Anfang an hatte BP versucht, die Arbeit der Medienschaffenden zu behindern und zu steuern. Nun hat die US-Regierung neue Regeln aufgestellt, die den Zugang zum Katastrophengebiet für Reporter und Fotografinnen maßgeblich einschränken. Wie schon im Irakkrieg und in New Orleans nach dem großen Sturm will man im Ausnahmezustand offenbar keine unabhängigen BeobachterInnen. Dabei braucht es gerade dann Texte, die Namen nennen und Ansatzpunkte für politisches Handeln bieten. Jedenfalls dann, wenn wir vermeiden wollen, dass Kriege und Katastrophen entpolitisiert werden – zum gedämpften Rauschen einer zweiten Natur.
Quelle: Wochenzeitung
- Der Kontrollfreak
US-Medien laufen Sturm gegen die Abschottungspolitik von US-Präsident Barack Obama. Der liest selbst Grußworte an Schüler am liebsten vom Teleprompter ab. Obwohl der Präsident während seines Wahlkampfs eine „beispiellose Offenheit und Transparenz“ bei Entscheidungen versprach, hat er mittlerweile zwischen dem Weißen Haus und den Medien eine kaum noch überwindbare Mauer errichtet. Die politisch unverdächtige Vereinigung für Journalistenausbildung und Kommunikation (AEJMC) schoss deshalb kürzlich eine spektakuläre Breitseite gegen Obama ab: Sein Abschottungskurs und der Mangel an Pressekonferenzen stünden in scharfem Kontrast zu früheren Versprechungen. Man sei „alarmiert“ angesichts der zahlreichen Beschränkungen.
Wer zum Zentrum der Katastrophe per Schiff oder Flugzeug darf, wird mittlerweile – so die US-Küstenwache – von einer Stabsstelle im Weißen Haus entschieden. Seit kurzem gilt zudem eine Regel, die ebenfalls der Abschottung dient: Journalisten, die ohne vorherige Genehmigung mit Booten näher als 20 Meter an Orte kommen, wo gegen die Folgen der Ölpest gekämpft wird, müssen mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Eine Anordnung, die der erzürnte CNN-Korrespondent Anderson Cooper von New Orleans aus so kommentierte: „Das macht es sehr leicht, Inkompetenz und Versagen zu vertuschen.“ Und selbst bei kleinsten, eigentlich harmlosen Details hält sich Obama mittlerweile bedeckt. Mitarbeiter durften dem wartenden Journalistentross nicht verraten, wie die Golf-Runde des Präsidenten am Wochenende ausgegangen ist.
Quelle: Tagesspiegel
- Kirchenkrise, nächste Folge
Mit der Nachfolge-Regelung für Walter Mixa hatte es der Vatikan besonders eilig. Die Kirchenspitze handelt, so die Botschaft aus Rom. Doch die Ernennung von Bischof Zdarsa zeigt vor allem Eines: Der Vatikan hat wenig gelernt.
Der Papst hat in einer offenbar recht einsamen Prozedur Konrad Zdarsa erwählt und dabei die deutschen Bischöfe ebenso wie das Augsburger Domkapitel brüskiert. Er hat einen Mann befördert, der bislang ein Bistum leitete, das kleiner ist als manches Augsburger Dekanat, der als unauffällig und eher konfliktscheu gilt, der sich auf eine ihm sehr fremde Welt wird einlassen müssen.
Quelle: SZ
- Nach der Grundschule wird’s ungerecht
Herkunft und Schulerfolg sind eng gekoppelt: Das zeigt die erste bundesweite Studie zum Übergang nach der Grundschule. Es ist das Abschiedsgeschenk eines wichtigen Bildungsforschers.
Noten, das überrascht nicht, sind das entscheidende Kriterium, welches über den weiteren Schulweg entscheidet. Doch spiegeln Noten und Leistungen wiederum auch die soziale Herkunft der Schüler wider. Schüler aus sogenannten bildungsferneren Elternhäusern haben schlechtere Schulleistung als Mitschüler aus Familien, die Bücher als Gebrauchsgegenstände haben. Solche als primäre Herkunftseffekte bezeichneten Nachteile wirken sich wiederum nachteilig auf die Noten und damit auf die Chancen aus, ein Gymnasium zu besuchen.
Daneben unterscheiden Baumert und seine Mitarbeiter auch sekundäre Effekte, subtile Faktoren die trotz gleicher Leistungen für ungleiche Chancen sorgen. Solche verinnerlichten Klassenunterschiede sorgen etwa dafür, dass die Chancen von Kindern aus der Oberschicht bei gleicher Schulempfehlung um mehr als 60 Prozent besser als die von Kindern aus der Mittelschicht sind. Je mehr Freiheit die Eltern bei der Schulwahl haben, umso größer die sozialen Unterschiede. Eine verbindliche Schulempfehlung kann dementsprechend für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Kinder aus eingebürgerten und zugewanderten Familien haben grundsätzlich niedrigere Chancen ein Gymnasium zu besuchen. Dies lässt sich aber nicht mit der ethnischen Herkunft sondern im Wesentlichen durch den geringeren sozialen Status der Eltern erklären.
Quelle: taz
Anmerkung Georg Lind: Die wichtigsten Befunde der neuen Baumert-Studie sind m.E.:
- Das Schulsystem macht also doch einen starken Unterschied (was Baumert in vielen Interviews abzustreiten oder herunter zu spielen versucht hat) und
- man kann die soziale Ungerechtigkeit bei der Zuweisung von Lernchancen auch ohne PISA oder TIMSS nachweisen. PISA und Co. sind nicht weniger problematisch als die Schulnoten. Wer glaubt, die Rettung liege darin, die Noten durch Testergebnisse abzulösen, die vielleicht auch noch vom Berliner IAB zentral ausgewertet werden, liegt falsch.
Druck über Noten und Tests bringt die intrinsische Lernmotivation bei Kindern, die fast immer vorhanden ist, bald zum Erliegen. Die Kindern lernen nach einiger Zeit nur noch für die Noten, was ihren Lerngewinn stark bremst, wie viele experimentelle Studien zeigen.
Das Schlimme ist, dass die Kindern von einer wahren Benotungs- und Testflut eingedeckt werden. Kaum ein Tag vergeht, ohne zahlreiche mündliche und schriftliche Benotungen. Lehrer scheinen überhaupt nicht mehr zu wissen, dass Kinder lernen WOLLEN und wie man dieses Lernen-Wollen richtig bedient. Mit diesem Notenterror versucht man leider auch oft als Ersatz für Körperstrafen, Disziplinproblemen zu bekämpfen. Dabei ist es dieser Notenterror und die dadurch bewirkte Zerstörung der Lernfreude, die erst zu Disziplinproblemen führt.
Hier einige wichtige Literatur zu diesem Thema:
- Auch Belohnung von Lernleistungen durch gute Noten und andere Vergünstigen wirkt sich wie Strafe negative auf die intrinsische Lernmotivation aus: Kohn, A. (1999). Punished by rewards. The trouble with gold stars, incentive plans, A’s, praise and other bribes. Boston: Houghton Miflin.
- Im fremdbestimmten, durch Noten erzwungenen Unterricht sinkt das Interesse der Schüler am durchgenommenen Thema, nach einem offenen Unterricht steigt es: Andreas Hartinger (1998). Kann eine Öffnung von Unterricht Interesse fördern? In: H. Brügelmann, Hg., Jahrbuch Grundschule. Seelze: Friedrich Verlag, S. 67-71
- Rückmeldung über die Lernleistung durch Noten vermindert die Lernleistung, im Vergleich zur Rückmeldung über einen Kommentar des Lehrers: Butler, R. (1988).
- Enhancing and undermining intrinsic motivation: The effect of task-involving and ego-involving evaluation on interest and performance. British Journal of educational Psychology, 58, 1-14.
- Im Unterschied zu allen anderen untersuchten Methoden zeigt der Einsatz von Noten “Motivatierung” einen negativen Effekt auf die Lernleistung: Fraser, B.J., Walberg, H.J., Welch, W.W. & Hattie, J.A. (1987). Syntheses of educational productivity research. International Journal of Educational Research 11, 145-252.
Es wird Zeit, dass die Lehrerbildung diese Erkenntnisse vermittelt und den angehenden Lehrkräften zeigt, wie man im Unterricht auch ohne Noten auskommt. Noten haben im Unterricht ebensowenig zu suchen, wie sanktionsbewehrte Tests.
Um Missverständnisse zu vermeiden:
- Natürlich müssen die Schüler immer wieder die Gelegenheit haben, sich mit klug ausgedachten Aufgaben aus dem jeweiligen Fachgebiet auseinander zu setzen und ihre Fähigkeiten zu erproben und weiter zu entwickeln. Fähigkeiten können sich nur ausbilden, wenn sie benutzt werden. Aber die Schüler dürfen dabei nicht durch (natürlich meist wohlmeinendes) Druckgehabe von Lehrkräften gestört werden.
- Die Hauptaufgabe der Lehrkraft muss es daher sein, sich gute Aufgaben auszudenken. Es gibt auch gute fertige Aufgaben in Lehrbüchern; aber diese können nicht die individuell zugeschnittenen Aufgaben durch die Lehrkraft ersetzten.
- Lehrer müssen in ihrer Aus- und Fortbildung gezeigt bekommen, wie man lerneffektive oder, wie ich es gern nennen, “edukative” Aufgaben konstruiert.
- Das muss nicht zu einer zeitlichen Mehrbelastung führen, wenn man den Unterricht “offen” macht. In meinen Hospitationen in guten Schulen (u.a. in einer Montessorie-Schule in Meersburg, in der “Lernlandschaft” in Bürglen, in einer Musikschule in Evanston, in der FORMUS-Schule in Monterrey) konnte ich sehen, wie die Lehrkräfte die Phasen des Selbstlernens nutzen, um Lernaufgaben für die Schüler auszuarbeiten. Wer glaubt, immer nur vorne stehen und reden und benoten zu müssen, hat dazu natürlich keine Zeit.
- Prüfungen sind dennoch außerordentlich wichtig: Kein Patient möchte sich einem ungeprüften Arzt anvertrauen, kein Schüler einem ungeprüften Lehrer. Aber diese Prüfungen brauchen nicht täglich zu sein. Einige wenige Prüfungen im Leben sollten reichen. Wichtig ist, dass Prüfungen qualitativ hochwertig sind. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zur billigen Massenware verkommen (siehe Notenflut, “Kompetenzraster” und PISA, TEDS-M & Co.).
- Merkel drückt Elite-Stipendien durch Bundesrat
Förderung für die oberen zehn Prozent: Die Bundesregierung hat ihr nationales Elite-Stipendienprogramm durch den Bundesrat gepeitscht.
Kanzlerin Merkel erkaufte sich den bildungspolitischen Erfolg mit Finanzzusagen an die Länder. Verlierer sind die Bafög-Empfänger – die Erhöhung ihrer Hilfen wurde gestoppt.
Quelle: SPIEGEL
Dazu:
Bundesrat beschließt deutlichen Ausbau der sozialen Selektion
Der Bundesrat hat am 09. Juli 2010 dem Nationalen Stipendienprogramm-Gesetz zugestimmt und das 23. BAföG-Änderungsgesetz dem Vermittlungsausschuss übergeben.
“Der Bundesrat hat am 09. Juli einen großen Fehler gemacht”, kritisiert Florian Kaiser, Vorstandsmitglied im freien zusammenschluss von studentInnenschaften, und ergänzt: “Anstatt mehr Menschen, unabhängig von ihrem sozialen und ökonomischen Status, den Zugang zur Bildung zu öffnen, wird eine kleine Elite auf Kosten der breiten Masse gefördert.” Im Kommuniqué von London 2008 hat die Bundesrepublik Deutschland einem Abbau der sozio-okönomischen Barrieren zugestimmt. Mit der Entscheidung, das Stipendienprogramm umzusetzen und die 23. BAföG-Novellierung in den Vermittlungsausschuss zu übergeben wird ein klarer Widerspruch zum Kommuniqué deutlich.
“Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Bund die Kosten für das Stipendienprogramm alleine tragen will”, erklärt Juliane Knörr, ebenfalls Vorstandsmitglied im studentischen Dachverband. “Anstatt sich für die Breitenförderung und damit dem Wohle aller StudentInnen einzusetzen, wird die schwarz-gelbe Politik der Elitenförderung weiter ausgebaut.” Mit der Einführung des Stipendienprogramms wird die Tür zu einem Systemwechsel der Studienfinanzierung geöffnet, obwohl die BRD über eines der erfolgreichsten Studienfinanzierungsinstrumente verfügt.
“Für uns als StudentInnen ist der 09. Juli ein schwarzer Freitag. Frau Schavan muss für den Ausbau der sozialen Selektion die Verantwortung übernehmen und zurücktreten”, fordert Kaiser. “Es bleibt die Hoffnung, dass der Vermittlungsausschuss sich auf eine BAföG-Novellierung einigen kann und die dringend nötigen Minimalverbesserungen umgesetzt werden können.” Der studentische Dachverband ruft alle Studierenden auf, sich zu solidarisieren und Bund und Ländern deutlich zu machen, dass ihre Politik der sozialen Ungerechtigkeit und einseitigen Förderung auf massiven Widerstand stößt.
Quelle: fzs
- Lübecker Medizinstudium: Wie Schavan die Uni-Rettung herbeitrickste
Der Studiengang Medizin an der Uni Lübeck ist gerettet, der Bund hilft mit Millionenzahlungen. Es ist ein brisantes Manöver, wie es die Bildungsrepublik noch nicht gesehen hat. Oppositionspolitiker sprechen von “einem gefährlichem Fanal”: Auch andere Bundesländer könnten nun um Geld betteln.
Das Ministerium von Annette Schavan (CDU) plant demnach, das Land Schleswig-Holstein um jährlich zwölf Millionen Euro zu entlasten und damit indirekt zur Rettung des Studiengangs Medizin in Lübeck beizutragen. Im Gegenzug müsse die Landesregierung allerdings versprechen, das Lübecker Medizinstudium zu erhalten, heißt es aus Schavans Ministerium.
Helfen soll nun ein Trick, wie ihn die vermeintliche “Bildungsrepublik” – in Wahrheit gelähmt vom endlosen Bund-Länder-Hickhack – noch nicht gesehen hat. Und der geht so: Das weltweit renommierte Geomar-Institut für Meereswissenschaften an der Uni Kiel soll von einem Leibniz-Institut in ein Helmholtz-Institut übergeführt werden. Der Vorteil laut BMBF: Leibniz-Institute werden zu gleichen Teilen mit Forschungsgeld des Bundes und des jeweiligen Landes finanziert. Dagegen kommt für Helmholtz-Forschungseinrichtungen zu 90 Prozent der Bund auf. Das Land muss nur ein Zehntel beisteuern. Das so gesparte Geld soll die Uni Lübeck retten.
Quelle: Spiegel
- US-Gefangenenlager Guantanamo Schande ohne Ende?
Barack Obama ließ in Guantanamo jeden einzelnen Fall untersuchen, doch noch immer werden dort vermeintliche Terroristen ohne Rechtsgrundlage festgehalten. Das Problem ist noch lange nicht gelöst.
Quelle: SZ
- Ein Jahr nach dem Putsch in Honduras
Am 28. Juni jährte sich der Militärputsch, durch den der honduranische Präsident Manuel Zelaya gestürzt wurde. Mit dessen Entmachtung im vergangenen Jahr begann in dem mittelamerikanischen Land eine Zeit repressiver Gewalt gegen die Arbeiterklasse, die bis heute anhält. Das jetzt herrschende Regime von Präsident Porfirio Lobo Sosa genießt Rückendeckung durch die Obama-Regierung. Washingtons stillschweigende Unterstützung für den Staatsstreich findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der Kampagne zur Normalisierung der Beziehungen auf dem amerikanischen Kontinent und zu anderen Ländern der Welt.
Quelle: WSWS.org
Anmerkung Orlando Pascheit: Es bleibt einer trotzkistischen Website überlassen, nach einem Jahr an den Militärputsch in Honduras und an die zunehmende politische Gewalt gegen Journalisten und Oppositionelle zu erinnern. Die Zeit hat zwar über die Morde an Journalisten berichtet, relativiert aber den politischen Hintergrund, indem sie den Präsidenten der staatlichen honduranischen Journalistenschule in der Hauptstadt Tegucigalpa zitiert. Der wird sich hüten, etwas über Todesschwadronen zu äußern.
- Zu guter Letzt: Wer lebt über wessen Verhältnisse
Quelle: YouTube